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Globalisierung und Wasserkriege in MexikoWir müssen unsere kleinen Helden unterstützen (von denen wir viele haben. Sehr viele). Diese besonderen Kriege müssen wir mit den entsprechenden Mitteln führen. Wer weiß – vielleicht bringt uns das 21. Jahrhundert genau das: den Niedergang alles Großen. Der großen Bomben, großen Staudämme, großen Ideologien, großen Nationen, großen Kriege, großen Helden, großen Irrtümer.Arundhati Roy»Anfang des dritten Jahrtausends leidet mindestens eine von drei Personen auf der Welt Not und Mühsal wegen Problemen mit dem Wasser. Bei dieser Person handelt es sich häufiger um eine Frau als um einen Mann«.1 Das sind die Worte von Michel Camdessus, Generaldirektor des IWF von 1987 bis 2000 – ein (spätes) Eingeständnis, dass die Privatisierung der Weltwasserreserven, die er selbst durchgesetzt hat als er dieser Institution vorstand, gescheitert ist. Heute wird vielfach eine bevorstehende Ausbreitung von internen Kriegen und geopolitischen Konflikten um das Wasser vorhergesagt. So wie das 20. Jahrhundert von den Kriegen um das Öl bestimmt war, werden sich die des 21. Jahrhunderts laut der indischen Wissenschaftlerin Vandana Shiva um das Wasser drehen.2 Wie sieht die Situation in Mexiko aus? Wie China, Israel, Indien, Bolivien und die USA gehört Mexiko zu den vielen Ländern, die nach den Vorhersagen diesbezüglich große Probleme haben werden – oder schon haben. Im Sommer 2004 begannen die wichtigsten Radiosender mit aggresiven Werbespots (auf Kosten der Beitragszahler), wo erst eine unmittelbar bevorstehende allgemeine Wasserknappheit vorhergesagt wurde, um die Hörer dann mit der folgenden Botschaft zu beruhigen: »Im Senat der Republik haben wir ein Gesetz verabschiedet, das die Qualität und den korrekten Gebrauch des Wassers sicherstellt. Damit das Wasser für alle da ist, damit das Wasser für immer da ist«. Angesichts des großen Problems, das am Horizont sichtbar wird, verbreiten sie die Vorstellung, dass die Behörden, und konkret die Legislative, die Interessen der BürgerInnen wahren. Der Plan ist lobenswert, aber: was hat er mit der Realität zu tun? Wasser für alle?Mexiko hat eine Landesoberfläche von etwa zwei Millionen km2; davon sind 52 Prozent trocken oder halbtrocken, 13 Prozent trockene Tropen, 20 Prozent gemäßigte und 15 Prozent Feuchttropen. Die Höhenstruktur ist sehr hindernisreich, 64 Prozent bestehen aus Bergland und nur 36 Prozent weisen Steigungen von weniger als 10 Prozent auf. Die Höhenunterschiede reichen vom Meeresspiegel bis auf mehr als 5000 m.3 Der Niederschlag beträgt durchschnittlich 772 mm pro Jahr; 73 Prozent davon verdunsten, der Rest geht in Flüsse, Bächer oder ins Grundwasser. Jedem Einwohner stehen jährlich 56 m3 zur Verfügung (was etwa 153 Litern pro Tag entspricht), womit Mexiko nicht zu den Ländern mit Wasserüberfluss zählt, aber auch nicht zu denen mit den größten Wasserproblemen. Das Hauptproblem hat einerseits mit den unregelmäßigen Niederschlägen zu tun, andererseits mit dem Zugang zum Wasser und seiner Qualität. Die Niederschläge konzentrieren sich in nur vier Monaten des Jahres, und sie sind gebietsmäßig sehr ungleich verteilt: während die nördlichen und zentralen Regionen (wo der Großteil der Bevölkerung lebt) magere 32 Prozent abbekommen, fallen 68 Prozent in den Tropenregionen des Südostens. Historisch gesehen sind die menschlichen Aktivitäten und Siedlungsgebiete in Regionen zu finden, wo das Wasser knapp ist. So befinden sich in einer Gegend, auf die 20 Prozent des Niederschlags entfällt, 76 Prozent der Bevölkerung, 90 Prozent der Bewässerung, 70 Prozent der Industrie, und hier werden 77 Prozent des Bruttoinlandsproduktes erwirtschaftet. Zu diesen scharfen regionalen und jahreszeitlichen Kontrasten kommen die großen Ungleichheiten in Bezug auf den Zugang zu dieser lebensnotwendigen Ressource, was offensichtlich auf sozio-ökonomische Gründe zurückzuführen ist, und nicht auf natürliche. Ähnlich wie in Ägypten und China findet der Wasserverbrauch in Mexiko vor allem in der Landwirtschaft statt (83 Prozent), wo die Verteilung weiterhin über Kaziken geregelt wird. Der öffentliche Verbrauch in den Städten liegt bei zwölf Prozent, und der industrielle bei nur fünf Prozent. Zum Vergleich: in Frankreich, wo pro Kopf dieselbe Wassermenge zur Verfügung steht, geht der größte Teil der Wasserressourcen in die Industrie. Nach offiziellen Angaben aus dem Jahr 2000 haben 87,7 Prozent der Bevölkerung Trinkwasser im Haus, wobei in fünf Bundesstaaten (Chiapas, Guerrero, Oaxaca, Veracruz und Yucatán, wo sich die indigene Bevölkerung konzentriert) nur 70 Prozent der Bevölkerung versorgt sind. Außerdem liegt die Versorgung in den Städten durchschnittlich bei fast 95 Prozent, während sie auf dem Land nur 68 Prozent erreicht.4 Hier müssen 25 Prozent der Jugendlichen zwischen 18 und 25 Jahren immer noch Wasser zu ihren Behausungen transportieren. In Mexiko fließt das Wasser zu den Reichen.5 Der Mangel wird gemachtAb den achtziger Jahren gab der Staat seine Rolle als Ordnungs- und Führungsmacht bei der gesellschaftlichen Entwicklung auf und beschränkte sich darauf, Garant für das Funktionieren des Marktes zu sein. Mit diesem Rückzug aus dem öffentlichen Sektor wurde die Wasserwirtschaft zu einem Schritt in der Strategie, mit der die reichlich vorhandenen Naturressourcen den Mechanismen der kapitalistischen Akkumulaton einverleibt wurden. Entsprechend der angesagten neoliberalen Gebote mussten die letzten Anzeichen eines gemeinschaftlichen sozialen Netzes beseitigt werden. Dass es in diesem Land gerade bei der gemeinschaftlichen Bewirtschaftung des Wassers jahrtausende alte Traditionen gab, spielte dabei keine Rolle. Einige von ihnen, wie die Schwimmenden Gärten (chinampas) von Xochimilco oder die »Wasserbruderschaften« von Tehuacán bestanden immer noch und genossen internationale Bewunderung. Regierungsagenturen begannen, die Vorstellung vom »Wassermangel« zu lancieren, was dem Ökologen Jean Robert zufolge auf ein Missverständnis zurückgeht. Er sagt, dass zwar tatsächlich das Süßwasserangebot überall begrenzt ist; das war immer so und wird immer so sein. Das Neue und »eigentlich Moderne« ist die Behauptung, dass es wegen dieser Begrenzung nicht für alle Wasser gäbe. Ein begrenztes Angebot eines Gutes kann laut Robert durchaus mit einem geringfügigen Mangel korrespondieren, aber häufiger zeigt sich die gegenteilige Situation: einem großen Angebot steht unerträglicher Mangel gegenüber.6 Für ersteres geben uns im Fall des Wassers die Wüstenkulturen ein Beispiel. In einigen Dörfern in Ägypten stellen die BewohnerInnen bis heute einen Krug Wasser vor die Tür ihres Hauses, damit Vorbeikommende ihren Durst stillen können. Für das Gegenteil können wir (unter vielen anderen) den Fall der Mazahua im Bundesstaat Mexiko anführen, die in einer Region leben, die die Hauptstadt mit Wasser versorgt, während sie selbst größtenteils keinen Zugang zum Wassernetz haben. Den Mangel eines Gemeinschaftsgutes zu propagieren, ist keine harmlose Behauptung. Es ist die notwendige Vorbedingung, dieses Gut in den Marktkreislauf einzubringen, denn der Mangel ist ein zentrales Element der unsäglichen Wirtschaftsmechanismen. Aber: Was ist die Wirtschaft? Die Wirtschaft, sagt Serge Latouche, ist ein Ort von Missverständnissen, Widersprüchen und Paradoxien.7 Sie präsentiert sich selbst als »Naturwissenschaft«, aber anscheinend hat sie mehr mit Religion und deren Idolen und Dogmen zu tun. Eine dieser Paradoxien ist, dass die Wirtschaft den Mangel buchstäblich erfindet, um das Privateigentum an Gemeinschaftsgütern und natürlichen Ressourcen auszuweiten. Selbstverständlich sollen mit dem Hinweis auf den betrügerischen Wirtschaftsdiskurs nicht die tatsächlichen schwerwiegenden Probleme in Bezug auf das Wasser geleugnet werden. In Mexiko sinkt Jahr für Jahr der Grundwasserspiegel, und die Wasserverschmutzung steigt. Wissenschaftliche Berichte zeigen, dass in den letzten fünfzig Jahren Wasserreserven aufgebraucht wurden, die zwischen 10 000 und 35 000 Jahre alt waren. In der Region La Laguna, in den nördlichen Bundesstaaten Coahuila und Durango, wird das Trinkwasser aus immer tieferen Schichten gewonnen, und es weist einen hohen Grad an Salzen auf, bis hin zu Arsen. Von einem Lebensquell wird das Wasser zu einer Quelle von Vergiftung.8 Die Wüstenbildung schreitet Jahr für Jahr fort, und Mexiko Stadt, das früher ‘das Venedig Amerikas’ genannt wurde, versinkt, während seine letzten Quellen austrocknen. Aber die von Regierung und internationalen Entwicklungsagenturen vorgeschlagenen Privatisierungsstrategien sind Teil des Problems, und nicht die Lösung. Wenn man dem Wasser einen Marktwert gibt, verwechselt man die Krankheit mit der Behandlung. Die Weltbank vertritt zum Beispiel, dass Wasser ein menschliches Bedürfnis ist und kein Menschenrecht. Menschliche Bedürfnisse können auf viele Arten befriedigt werden, besonders über Geld. Für die Menschenrechte hat aber (bisher) noch niemand einen Preis festgesetzt.9 Alles privatisierenWasser wird auf verschiedenen Wegen zur Ware gemacht. Einer davon ist die Übergabe von Wasserreserven, Quellen, Wasserleitungen und Kanälen an Privateigentümer. In Mexiko stoßen die Reformen, mit denen diese Art von Markt vorangetrieben wird, auf einige Widerstände, denn die Verfassung besagt, dass die nationalen Wasservorräte ein öffentliches Gut sind und von daher unveräußerlich und unübertragbar. Das bedeutet, dass sie außerhalb des Marktes stehen, und dass Konzessionen an Privatpersonen nur befristet erteilt werden dürfen.10 Diese juristischen Schwierigkeiten umgehen sie mit der »Dezentralisierung« – ein irreführendes Wort, denn »dezentralisieren« bedeutet in Wirklichkeit, dass die Wassersysteme den Landesregierungen und Gemeinden übergeben werden, mit dem einzigen Ziel, den Weg für die Privatisierung frei zu machen. Ein anderer Weg, das Wasser zur Ware zu machen, ist der zunehmende Konsum von Flaschenwasser, was bekanntermaßen ein enormer Betrug ist, denn die Abfüller nehmen kein Quellwasser, sondern versehen Wasser aus dem öffentlichen Netz mit ihrer Marke. Mexiko war schon immer ein großer Konsument von Cola-Erfrischungsgetränken und hat jetzt den zweithöchsten Prokopfverbrauch an abgefülltem Wasser. Übertroffen wird es nur von Italien. Coca Cola (ein ehemaliger Coca-Cola-Manager ist heute Präsident der Republik) besitzt hier ein Netz von siebzehn Abfüllunternehmen, gegenüber sechs von Pepsi.11 Ein Liter Flaschenwasser kostet heute so viel wie ein Liter Benzin. Der kombinierte Effekt dieser Faktoren hat zu einem Anstieg der Gebühren geführt, die sich nach und nach dem »Marktpreis« angenähert haben, so wie es die neoklassische Wirtschaftstheorie beschreibt. In dieser Zeit richteten die großen internationalen Monopole, die im Wassergeschäft tätig sind, ihren Blick auf Mexiko. Die letzten Barrieren fielen, als die Kongressparlamentarier am 29. April 2004 eine Reform des Wassergesetzes beschlossen (die auch die Senatoren mit Nachdruck verfechten). Diese begünstigt Konzessionen an Privatunternehmen zu Ungunsten der Gemeinden und verabschiedet sich damit von den Grundprinzipien sozialer Gerechtigkeit. Ein Beispiel? Nach dem neuen Gesetz haben die Gesellschaften, die die Staudämme bauen, auch das Recht sie zu betreiben und ihren Service zu verkaufen. Andererseits müssen die Verbraucher, die keine Wasseruhren haben, ein Bußgeld von 225 000 Pesos bezahlen, was im Fall von Bauern, deren Einkünfte 50 Pesos pro Tag selten übersteigen, offensichtlich eine enorme Summe ist. Ein paar Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes erklärte der Amtsinhaber des »Sekretariats für Umwelt und natürliche Ressourcen« (Semarnat) Alberto Cárdenas Jiménez, dass er nicht nachlassen würde in seinem Bemühen, den Wasserpreis zu erhöhen, »auch bis es weh tut«.12 Und tatsächlich tut es schon weh. Nach jüngsten Untersuchungen geben die Marginalisierten derzeit dreißig Prozent ihres Einkommens für den Kauf des lebensnotwendigen Nasses aus.13 Die Schandtaten von Vivendi UniversalSeit seiner Entstehung hat der globale Wassermarkt einen besonderen Charakter, denn er ist der einzige, der durch wenige Giganten europäischen Ursprungs beherrscht wird, die sich, ähnlich wie ihre nordamerikanischen Gegenspieler oder noch schlimmer, zum Plündern berufen fühlen. Die beiden größten Gesellschaften, Suez und Vivendi Universal, sind französisch und teilen sich siebzig Prozent des Wasserweltmarktes: die erste operiert in 130 Ländern, die zweite in neunzig.14 Ihr Diskurs ist einfach: »Angesichts der Ineffizienz der öffentlichen Institutionen sollten Sie die Wasserressourcen an ein Privatunternehmen übertragen; das dynamisch, produktiv und ehrlich ist«. In Mexiko steht ihre Marktdurchdringung erst am Anfang, aber es gibt mit der Stadt Aguascalientes im Norden zumindest einen Fall, der bezeichnende Schlussfolgerungen zulässt.15 1993 ermächtigte der Stadtrat von Aguascalientes den Gemeindevorsteher, Konzessionen für die öffentlichen Dienstleistungen Trinkwasser, Kanalisation und Abwässer zu vergeben.Gleichzeitig legalisierte die Reform des Wassergesetzes die Beteiligung von Privatinitiativen, womit der Weg frei war für das Unternehmen Servicios de Aguas de Aguascalientes S.A. de C.V., zu der die Grupo de Ingenieros Civiles Asociados (ICA), Banamex und die Compagnie Générale des Eaux (ein Subunternehmen von Vivendi) gehören, und das gleich in Aktion trat. Die Behörden rechtfertigten die Privatisierung mit der schlechten Versorgung, aber das erste, was die Verbraucher zu spüren bekamen, war die sofortige Erhöhung der Gebühren und die Einführung von Wasserabschaltungen wegen nicht bezahlter Rechnungen. Es wurde behauptet, dass nur so das »Wassersparen« gefördert werden könne. Die Situation führte bald zu einem Anstieg von Protesten und Konflikten. Außerdem verspekulierte sich das Unternehmen und häufte Schulden an, die nach der Abwertung des Peso 1994 nicht mehr handhabbar waren. Um den Bankrott und die entsprechende Unterbrechung der Versorgung zu verhindern, musste die Gemeinde eingreifen und große Mengen öffentlicher Gelder zuschießen. Wie immer privatisieren die großen Monopole die Gewinne, während sie die Verluste sozialisieren. Der Höhepunkt war dann 1996 die Änderung des Originalvertrages, womit die Gesellschaft noch mehr begünstigt wurde. Die Konzessionsfrist wurde auf dreißig Jahre verlängert, ihre Verpflichtungen noch flexibler gestaltet, und sie wurde von Investitionen in Wartung und in den Aufbau von Infrastruktur befreit, die nun in die Verantwortung der Regierung fielen. Korruption? Bisher ist nichts bewiesen, aber es ist klar, dass der Übergang der Wasserversorgung von einem öffentlichen Gut zum Verkauf als »knappe« Ware nicht zu einem effizienteren Gebrauch der Ressource geführt hat. Allen Versprechen und Diskursen zum Trotz wurde klar, dass das Privatunternehmen keinerlei Tendenz zu Investitionen zeigt. Die zitierte Studie von Clarke und Barlow dokumentiert dutzende solcher Fälle in allen vier Ecken der Welt, vor allem aber in den abhängigen Ländern. Es gibt Extremfälle wie in Chile, wo die Chicago Boys sogar die Flüsse privatisierten. Aber nicht immer nimmt die Bevölkerung die Schweinereien hin. Angesichts der Machenschaften des nordamerikanischen Unternehmens Bechtel wurde Bolivien 2000 zum Schauplatz einer erfolgreichen Rebellion der Bevölkerung, die als »Wasserkrieg« in die Geschichte eingegangen ist.16 Eine Wasserquelle ist mehr wert als eine Ölquelle.In den letzten Jahren hat sich der Streit zwischen Mexiko und den USA über die Kontrolle der Flüsse und der unterirdischen Wasservorkommen entlang der Grenze verschärft.17 Dies liegt hauptsächlich daran, dass der Südwesten des mächtigsten Landes der Welt vor einer größeren Umweltkatastrophe steht. Ihr größtes unterirdisches Wasservorkommen, der Ogallala – der eine Oberfläche von einer halben Million km2 hat und zur Bewässerung von 6,5 Millionen Hektar dient, auf denen Mais, Hirse, Soja und Weizen angebaut werden – ist von Pflanzenschutzmitteln, Düngemittelrückständen und Agrarabfällen verseucht, und sogar von Atommüll aus der Anlage in Pantex, Texas. Da es sich um Wasser aus der Steinzeit handelt, füllt es sich nur sehr langsam wieder auf, und wenn die Tendenz weiter geht, wird das Wasserreservoir in vierzig Jahren erschöpft sein.18 Zur Zeit konzentriert sich der Konflikt auf den Río Colorado, einen großen Fluss, der in den Rocky Mountains entspringt, dann Colorado, Utah, Arizona und Kalifornien durchquert und an der Küste des Golfs von Kalifornien als bescheidener Bach mit schlammigem und giftigem Wasser mündet.19 Auf der amerikanischen Seite konzentriert sich an dem Fluss die weltweit größte Dichte an Industrie, Siedlungen und wirtschaftlicher Aktivität. Sein System versorgt einen großen Teil der Metropolen Los Angeles, San Diego und Phoenix, und hält außerdem einen Großteil der winterlichen Pflanzenproduktion im Südwesten aufrecht.20 Seit 1944 gibt es einen Internationalen Wasservertrag, der den Umgang mit den Grenzflüssen regelt, und der festlegt, dass die USA Mexiko jährlich 1,85 Milliarden m3 aus dem Río Colorado zuweisen, während diese dem nördlichen Nachbarn 431 Millionen m3 aus dem Río Bravo überlassen müssen. In den letzten Jahren hat das Land im Norden, mit Hinweis auf Rückstände bei den mexikanischen Quoten, den All-American Canal mit Zement ausgekleidet und damit den Río Colorado umgeleitet, was im Vertrag von 1944 nicht vorgesehen war. Da sein Wasser die gemeinsame Bucht beider Nationen füllt, sind die USA durch diese Maßnahme in der Lage, nicht nur den Fluss zu nutzen, sondern auch die unterirdischen Gewässer der Grenzregion.21 Ein heißer Konflikt, aber während sich die mexikanische Regierung eher schüchtern verhält, kommt von der nordamerikanischen Seite die gewohnte imperiale Arroganz.22 Die Rechtfertigung? Überhaupt keine, denn schließlich — so der Neokonservative Robert Kaplan in einem Text, der von rassistischem Gedankengut strotzt – ist Mexiko ein Land, das zu »Wasserdespotismus« neigt und mit der angelsächsischen Demokratietradition nicht kompatibel ist.23 Wenn das so weiter geht – stellen die Genossen von Equipo Pueblo fest – werden wir bald sehen, wie die Marines mit Gewalt die Schleusen der ausgetrockneten mexikanischen Staudämme öffnen und die letzten Tropfen Wasser ablassen, damit die texanischen Landwirte nach Lust und Laune ihr Land bewässern können.24 TrugbilderDie Wege der merkantilistischen Vernunft sind unendlich. Einer davon führt zum Bau gigantischer Projekte, die sich der Kontrolle der Verbraucher entziehen. »Es gab eine Zeit« – schreibt Arundhati Roy in einem engagierten Plädoyer gegen den Bau von 52 Staudämmen entlang des Flusses Narmada in Indien – »in der die Welt die Staudämme liebte. Alle hatten sie – Kommunisten, Kapitalisten, Christen, Muslime, Hindus, Buddhisten. Die Staudämme haben nicht als zynische Unternehmen angefangen. Am Anfang waren sie ein Traum. Sie sind zu einem Alptraum geworden. Es ist Zeit, aufzuwachen«.25 Im Laufe des 20. Jahrhunderts wurden auf der Welt mehr als 40 000 große Staudämme für Bewässerung, Trinkwasser und Wasserkraftwerke gebaut, wodurch nach konservativen Berechnungen etwa 100 Millionen Menschen vertrieben wurden. Ihre Bauherren führten sie als Kathedralen der Modernität vor, als eindeutigen Beweis dafür, dass der Mensch die Natur beherrschen kann. Aber trotzdem haben die Staudämme den Test auf Zeit nicht überlebt: sie haben nur so lange gehalten, wie die Natur braucht, um sie zu verschleißen und mit Schlamm zu füllen.26 Oft endeten die Geschichten böse. 1982 hat die Weltbank, d.h. die Finanzinstitution, die jahrzehntelang überall Staudämme gefördert, um nicht zu sagen durchgesetzt hat, sich mit den guatemaltekischen Militärs für den Bau eines weiteren Staudamms am Fluss Chixchoy zusammengetan. Da die Maya-Gemeinden, die in der Region ansässig waren, sich der Umsetzung verweigerten, massakrierte die Armee etwa 400 Menschen. Die Weltbank behauptete danach, nichts davon gewusst zu haben, aber selbst wenn das stimmen sollte, ist es unverzeihlich.27 Es gäbe noch viel mehr Beispiele, denn – so Arundhati Roy – »die großen Staudämme sind für die Entwicklung einer Nation dasselbe wie die Atombomben für das Kriegsministerium. Beides sind Massenvernichtungswaffen. Beides sind Waffen, die die Regierungen benutzen, um ihre eigene Bevölkerung zu kontrollieren«.28 Letzten Endes hat sich die Weltbank, vielleicht unter dem Eindruck der Proteste, aus dem Geschäft zurückgezogen, und ein bemerkenswertes Dokument veröffentlicht, in dem sie offen sagt, dass die Staudämme nicht nur schwerwiegende Umweltschäden verursachen, sondern auch zur Vertreibung von vielen Menschen führen, vor allem von indigenen Völkern, die dadurch in katastrophalen wirtschaftlichen, kulturellen und psychologischen Verhältnissen landen.29 In Mexiko sah die Geschichte nicht anders aus. Genau wie in Indien, genau wie überall, begann der Staudammbau als eine Fata Morgana angeblicher Entwicklung. In den 70er Jahren erhöhte die Energiebehörde Comisión Federal de Electricidad (CFE) angesichts der zunehmenden Nachfrage nach Energie ihre Kapazitäten drastisch, aber mit dem technologischen Fortschritt verschärften sich die gesellschaftlichen Probleme, weil die betroffenen Bevölkerungsschichten sich weigerten, sich umsetzen zu lassen.30 Heute gibt es in der Republik Mexiko dutzende von Wasserkraftwerken. Während die meisten an der Grenze ihrer Lebensdauer von fünfzig Jahren anlangen, wird ein neuer Bauboom in Gang gesetzt, mit dem Ziel, ausländische Investitionen anzuziehen und die Grundlage für die Privatisierung von Strom und Wasser zu schaffen. Die CFE plant den Bau von 56 Staudämmen, einen Großteil davon auf indigenem Territorium. Damit wird einer Vielzahl von Gemeinden das Wasser genommen, und ein alter und hartnäckiger Aggressionskrieg wird intensiviert. Auf der anderen Seite können spanische Multis wie Endesa, Iberdrola und Unión Fenosa, französische wie EDF, deutsche wie Siemens oder US-amerikanische wie AES es kaum erwarten, ihr Kapital in diesem Bereich zu investieren – angesichts der Möglichkeiten, die ihnen die neuen mexikanischen Gesetze bieten.31 WiderstandDie Völker nehmen diese Situation nicht passiv hin. Manchmal führt der Kampf um einen Fluss, eine öffentliche Wasserleitung oder eine Quelle zu Zweifeln am Sinn des gesamten Gesellschaftssystems. Ein Beispiel ist der Kampf gegen den Staudamm La Parota am Papagayo-Fluss im Bundesstaat Guerrero, der eine Oberfläche haben soll, die drei mal so groß ist wie die Bucht von Acapulco, und 17 500 Hektar mit 24 Dörfern überfluten würde. Seit Jahren und besonders in den letzten Monaten befinden sich die 25 000 betroffenen Bauern auf dem Kriegsfuß. Zuerst haben sie den Rat der Oppositionsgemeinden und -gemeinschaften (Consejo de Ejidos y Comunidades Opositoras) gegründet, und am 2. Oktober 2004 haben sie zusammen mit BewohnerInnen anderer Landesteile die Mexikanische Bewegung von Staudammbetroffenen für die Verteidigung der Flüsse (Mapder – Movimiento Mexicano de Afectados por las Presas y en Defensa de los Ríos) ins Leben gerufen. Deren Mitglieder erklären den »totalen und ständigen Widerstand gegen den Bau von Staudämmen im Land«. Mapder ist ein Bündnis, das auf kontinentaler Ebene mit dem International Rivers Network mit Sitz in San Francisco, Kalifornien verbunden ist, sowie mit der Mesoamerikanischen Bewegung gegen die Staudämme (Movimiento Mesoamericano contra las Presas), die sich dem Bau von 350 Staudämmen in der Region widersetzt, wovon einige Projekte mexikanisch-guatemaltekisch binational sind. Die Bewegung verlangt vom mexikanischen Staat die Wiedergutmachung der Schäden, die tausende Personen durch den Staudammbau erlitten haben, und die Wiederherstellung der geschädigten Ökosysteme. Sie fordert außerdem die Änderung der Wasser- und Umweltgesetze und die Respektierung des Völkerrechts beim Wasser, wie es das Abkommen 169 der ILO vorsieht.32 Bisher haben die Bauern aus Guerrero mit friedlichen Mitteln gekämpft, aber angesichts der selektiven Repression und des Versuches seitens der CFE, die Gemeinschaften durch den Kauf ihrer Anführer zu spalten, könnte der Kampf einen anderen Verlauf nehmen.33 Ein anderer Wasserkrieg ist der zwischen den Mazahua am Cutzamala-Fluss (Bundesstaat Mexiko) und der Nationalen Wasserkommission (CNA – Comisión Nacional del Agua). Der Cutzamala deckt einen Großteil des Wasserbedarfs der Hauptstadt Mexiko D.F. und der Stadt Toluca. Jedes Jahr werden 1,6 Milliarden Pesos investiert, um aus diesem System 19 000 Liter Wasser pro Sekunde in das Hauptstadtgebiet zu bringen. Jeder Liter legt eine Entfernung von etwa 160 km zurück und überwindet dank eines teuren Pumpensystems einen Höhenunterschied von 1366 Metern. Absurderweise haben mehrere Mazahua-Gemeinschaften zu wenig Trinkwasser, während 38 Prozent des Wassers, das sie an die Hauptstadt abgeben, wegen schadhafter Wasserleitungen versickert. Und damit nicht genug. In der Regenzeit 2003 ist der Staudamm Villa Victoria, einer von sieben, die das Cutzamala-System versorgen, übergelaufen und hat die Pflanzungen der Mazahua-Gemeinschaften zerstört. Nach vielfältigen gescheiterten Dialogversuchen sind Mitglieder der »Front zur Verteidigung von Menschenrechten und Naturressourcen des Mazahua-Volkes« (Frente para la Defensa de los Derechos Humanos y Recursos Naturales del Pueblo Mazahua) am 10. August 2004 in die Hauptstadt marschiert, um von der Zentralregierung eine Entschädigung für 300 Hektar Pflanzungen zu fordern. Angesichts der Halsstarrigkeit der Behörden bezogen sie Posten in unmittelbarer Nähe der Wasseraufbereitungsanlage Berros, die das Tal von Mexiko versorgt. Gleich darauf nahmen die Frauen das Heft der Bewegung in die Hand und organisierten – als Teil der langen Rebellion der Indígenas von Chiapas – die »Zapatistische Frauenarmee zur Verteidigung des Wassers« (Ejército Zapatista de mujeres en defensa del agua). Bewaffnet mit Holzgewehren, Macheten und Pflanzwerkzeugen verhinderten sie drei Tage lang die Zugabe von Chlor und drohten damit, die Wasserzufuhr zu unterbrechen oder gar die Anlage mit Dynamit in die Luft zu jagen, wenn ihren Forderungen nicht nachgekommen würde. Am Sonntag, den 26. September verlangten 25 Mazahua-Kommandantinnen eine Audienz beim Verteidigungsminister Clemente Vega, »um Fragen im Zusammenhang mit der Landessicherheit zu besprechen und ihm zu erklären, warum wir auf andere Weise protestieren als es die Männer getan haben«34. Das Schreiben stellt zum wiederholten Male fest, dass die Landeswasserpolitik ungerecht ist, weil sie nur die BewohnerInnen der großen Städte begünstigt, während viele der Gemeinden, in denen das Wasser gefördert wird, in extremer Armut leben. Als Alternative schlugen die Kommandantinnen vor, in der Gegend, die von der Wasserbewirtschaftung des Cutzamala betroffen ist, 20 Millionen Bäume anzupflanzen, und sich um den Zustand der Quellen, Flüsse und Schluchten zu kümmern, um der Erosion vorzubeugen. Es wäre übertrieben zu behaupten, die Behörden hätten sie ernst genommen, aber die Mazahua-Frauen haben eine landesweite Sympathiewelle ausgelöst, die eine Repression gegen die Bewegung verhindert hat. Nach mehreren Wochen Verhandlungen unterzeichneten das Innenministerium und die Mazahua-Gemeinschaften am 26. Oktober ein Abkommen über Wiederaufforstung, den Schutz von Quellen und andere Maßnahmen zur Umweltsanierung. Im Juárez-Salon des Covián-Palastes wollte der Bevollmächtigte Santiago Creel das Abkommen als Beispiel für den Dialog und die Suche nach Übereinkünften unterschreiben. Aber die Mazahua waren wegen der Abwesenheit von Vertretern der CNA misstrauisch und kündigten an, dass sie den Kampf fortsetzen, und dass es im Falle der Nichteinhaltung des Abkommens zu neuen Mobilisierungen kommen würde.35 Alles zusammen genommen scheint die Wasserkrise ein Sinnbild für die globalisierte Welt zu sein. Innerhalb des aktuellen neoliberalen Modells gibt es dafür keine Lösung. Nur die Völker, Netzwerke, Bewegungen und Organisationen, die für den Erhalt dieses Gemeinschaftsgutes kämpfen, können den Krieg gewinnen, den sich die Staaten und die Multis um die Kontrolle des Wassers und der natürlichen Ressourcen liefern. In Mexiko hat der Krieg schon begonnen. Claudio Albertani Übersetzt aus dem Spanischen. Originalartikel: Globalización y guerras del agua en México
Fußnoten:
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