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20.07.2009 [Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]

 


Die Arbeiter des besetzten Motorenwerks hatten Loren Goldner gebeten, auf ihrer Versammlung zu sprechen: »erst wenige Stunden zuvor hatte ich von dem Streik erfahren, und nun sollte ich zu 1000 bewaffneten Arbeitern sprechen! Ich begann mit 'guten Abend' auf Koreanisch – stürmischer Beifall. Als ich meine Rede wider auf Koreanisch mit 'Es lebe die internationale Arbeiterrevolution!' beendete, gab es ein eigenartiges Schweigen … Noch mehr beunruhigt hatte mich, dass ich mitsamt meinem MIT-Diplom vorgestellt wurde. In den USA hätte das in einer ähnlichen Situation zu Lachern geführt. Selbst untereinander reden sich die ArbeiterInnen in den Massenversammlungen mit 'Sie' an!«
Loren schickte uns seinen Bericht am 19. Juni. Inzwischen hat sich die Lage gewendet. Deshalb bringen wir am Ende des ersten Berichts seine Ergänzung vom 17. Juli.

Streik und Fabrikbesetzung in Pyongtaek, Südkorea

Bericht vom 19. Juni 2009

Der Streik bei Ssangyong Motors in Pyongtaek, Südkorea, der gerade seine vierte Woche vollendet, während ich dies schreibe, befindet sich in einer Pattsituation. In mancherlei Hinsicht weist er dieselben Dynamiken auf, die wir jüngst beim Kampf um Visteon in GB gesehen haben und in Schlachten um die Umstrukturierung der Autoindustrie weltweit. Andererseits nimmt er die Ausmaße einer regelrechten Fabrikbesetzung an, mit Vorbereitung auf eine gewaltsame Verteidigung des Werks, falls dies notwendig werden sollte. Und somit ist es in Südkorea der erste Kampf dieser Art seit Jahren.

Vor drei Jahren war die Firma von der chinesischen Shanghai Automotive Industry Corporation (SAIC) erworben worden, die 51 Prozent der Anteile hält. Damals hatte das Werk Pyongtaek 8700 Beschäftigte. Jetzt sind es 7000. Im Februar meldete das Unternehmen Konkurs an und unterbreitete einen Umstrukturierungsplan. Als Sicherheit für weitere Kredite zur Rettung vor dem Bankrott bot es das Werk in Pyongtaek an. Das Gericht akzeptierte das Insolvenzkonzept und die damit verbundenen Entlassungen, um die Firma wieder profitabel zu machen.

Die Managementstrategie scheint darin bestanden zu haben, die Belegschaft auf lange Sicht herunterzufahren und gleichzeitig für die Werke in China Technologie zu erwerben. Seit der Übernahme durch SAIC hat es bei Ssangyong Motors keine neuen Investitionen gegeben, und kein neues Automodell kam auf den Markt.

Auf die anstehenden Entlassungen antworteten im April Arbeiter im Werk mit Streikaktionen, die am 27. Mai 2009, als die Liste mit den Namen der zu entlassenden Arbeiter verkündet wurde, zum Streik mit Übernahme der Fabrik und ihrer Besetzung führten. Der Streik konzentrierte sich auf drei Forderungen: 1. Keine Entlassungen, 2. Arbeitsplatzsicherheit für alle, 3. Keine Auslagerung. Die Firma will 1700 Arbeiter in den Vorruhestand zwingen und hat 300 Befristete [casuals] gefeuert.

Die Arbeiter von Ssangyong sind in der KMWU (Korean Metal Workers Union; Koreanische Metallarbeitergewerkschaft) organisiert und haben im Durchschnitt 15-20 Jahre in der Fabrik gearbeitet. Ein festangestellter Arbeiter verdient ein Jahresgrundgehalt von etwa 30 Mio. Won [knapp 17.000 €], ein prekärer erhält für dieselbe Arbeit um die 8.500 €.

Mitte Juni hielten etwa 1000 Arbeiter die Besetzung aufrecht, und ihre Frauen und Familien versorgten sie mit Nahrungsmitteln. Etwa 500 Arbeiter, die nicht auf der Entlassungsliste standen, blieben zuhause, und etwa 1000 vom Aufsichtspersonal leisteten Streikbrecherarbeit, meistens warteten sie die Maschinen, aber Autos wurden seit Beginn der Besetzung keine mehr produziert.

Bisher gab es in Pyongtaek wenig massenhafte Polizeipräsenz. Das ist zumindest teilweise der aktuellen politischen Krise in Südkorea geschuldet. Vor kurzem hat sich der frühere Präsident No Mu Hyeon umgebracht, darauf folgten Massendemonstrationen als Ausdruck einer wachsenden Empörung gegen die aktuelle rechte Regierung Lee Myong Bak. Es wird erwartet, dass diese Demonstrationen im Verlauf des Juli noch zulegen werden. Im Dezember 2007 war die Regierung Lee gewählt worden, weil sie ein Programm mit hohen Wachstumsraten für die Wirtschaft vorgelegt hatte. Sie hat jetzt durch die Weltkrise an Vertrauen verloren und durch die tiefe Empörung, die in Demonstrationen mit bis zu einer Million Menschen Ausdruck fand, an politischem Terrain. Nachdem der Einsatz von Bereitschaftspolizei weitere Empörung hervorgerufen und noch mehr Leute auf die Straßen gebracht hatte, scheute sich die Regierung , die Fabrik in Pyongtaek anzugreifen und weitere Unzufriedenheit zu riskieren.

Am 16. Juni wurde vor den Fabriktoren eine große Kundgebung mit über 1500 Leuten gegen den Streik abgehalten. Die Teilnehmer waren die 1000 Aufseher-Streikbrecher, 200 gedungene Schläger und 300 Arbeiter, die nicht auf der Entlassungsliste stehen und den Streik nicht unterstützen. 400 Bereitschaftspolizisten standen daneben, griffen nicht ein, und erklärten schließlich die Versammlung der Streikbrecher für illegal.

Während der Streikbrecher-Kundgebung kamen 700 bis 800 Arbeiter aus benachbarten Fabriken wie dem KIA-Werk zur Verteidigung der Ssangyong-Fabrik; viele hatten die Nachricht über den Mail-Verteiler der KMWU erhalten.

Gegen Versuche seitens der Polizei, das Werk zurückzuerobern, haben die Besetzer Pläne für eine bewaffnete Verteidigung ausgearbeitet und Lager mit Stahlrohren und Molotowcocktails angelegt. Als weiteren Notfallplan wollen sie sich in der Lackiererei verschanzen, wo die leicht entzündlichen Materialien (ihrer Ansicht nach) die Polizei davon abhalten werden, Tränengasgranaten abzufeuern und so ein Großfeuer zu verursachen.

Ein gewerkschaftskritischer Aktivist meint, dass die KMWU den Streik unter Kontrolle hat. Im Unterschied zum Kampf bei Visteon oder beim Abbau der US-Autoindustrie hat die KMWU bisher die illegalen Aktionen der Fabrikbesetzung und der Vorbereitung auf die bewaffnete Verteidigung unterstützt. Allerdings hat sie sich auf die Forderung 'Keine Kündigungen!' konzentriert und die Forderungen nach Arbeitsplatzsicherheit für alle und gegen Auslagerungen in den Hintergrund treten lassen.

Die Besetzung der Fabrik wird im Kern von 50 oder 60 Basisgruppen aus jeweils zehn Arbeitern betrieben, die alle einen Delegierten (chojang) für die Koordinierung der Aktionen wählen. Der oben erwähnte Aktivist hät die chojang für die kämpferischsten und klassenbewusstesten Arbeiter.

Der Ausgang dieses Streiks ist noch nicht absehbar. Er profitiert von einem momentan günstigen politischen Klima und erwischt die koreanische Regierung daher auf dem falschen Fuß. Aber er ist mit der tiefen Krise der weltweiten Autoindustrie und der allgemeinen Weltwirtschaftskrise konfrontiert. Das nahegelegene Werk der KIA Motor Company befindet sich selbst mitten in schwierigen Verhandlungen um Krisenmaßnahmen, und GM-Daewoo ist von der weltweiten Umorganisierung bei General Motors betroffen. Die Unternehmensstrategie scheint wie bei Visteon allerhöchstens in langsamem Verschleiß zu bestehen (wie es bereits seit 2006 der Fall ist) oder eben schlicht in einer Schließung des gesamten Werks. Der Kampf bei Ssangyong Motor könnte in der koreanischen Autoindustrie und darüber hinaus den Zündfunken liefern oder, was wahrscheinlicher ist, in seiner gegenwärtigen Isolation mehr oder weniger langsam abgewürgt werden.

Update vom 17. Juli 2009

Der Streik bei bei Ssangyong Motors in Pyongtaek in der Nähe von Seoul, Südkorea, geht nun in die achte Woche – und die Situation der Arbeiter wird immer schlimmer.

Ssangyong Motors gehört zu 51 Prozent der chinesischen Shanghai Automotive Industry Corporation. Im Februar stellte das Unternehmen einen Insolvenzantrag und schlug die Umstrukturierung vor. Dabei bot sie die Fabrik in Pyeongtaek als Absicherung für weitere Kredite, um aus der Insolvenz herauszukommen. Das Gericht billigte den Insolvenzplan und bevorstehende Entlassungen, um die Firma wieder profitabel zu machen.

Im ganzen Frühjahr folgten Arbeiteraktionen, um die Entlassungen zu verhindern. Der jetzige Streik begann am 27. Mai, als das Unternehmen Entlassungen, die Frühverrentung von 1700 der 7000 Arbeiter und die sofortige Entlassung von 300 befristet beschäftigten Arbeitern ankündigte. Die von der sofortigen Entlassung betroffenen Arbeiter besetzten die Fabrik und forderten »Keine Entlassungen! Keine Befristungen! Keine Auslagerungen!«. Die KMWU (Korean Metal Workers Union) unterstützte die Besetzung, versuchte aber, die Verhandlungen allein auf das Thema Entlassungen zu beschränken.

Von Mitte Juni an setzten etwa 1000 Arbeiter die Besetzung fort, gemeinsam mit ihren Ehefrauen und Familien, die für die Verpflegung sorgten. Regierung und Unternehmen verhielten sich abwartend, zum einen wegen der politischen Krise der rechten Regierung Lee, die sich gegen den massiven Einsatz von Polizei oder Schlägertrupps aussprach. Doch zwei Wochen später füten sie sich stark genug, um in die Offensive zu gehen. The Arbeiter hatten sich ihrerseits mit Brecheisen und Molotow-Cocktails ausgerüstet.

Am 26./27. Juni begann der Angriff von Staat und Arbeitergeber, als gedungene Schläger, Streikbrecher, die man aus den Arbeitern, die nicht entlassen werden sollten, angeworben hatte, und Bereitschaftspolizei versuchten, in die Fabrik einzudringen. Nach gewaltsamen Auseinandersetzungen mit vielen Verletzten gelang es ihnen, das Hauptgebäude zu erobern. Die besetzenden Arbeiter zogen sich in die Lackiererei zurück. Dies war Teil eines Verteidigungsplans, der darauf vertraute, dass die Poliezi keine Tränengasgranaten in den hochentzündlichen Bereich schießen würde. (Im Januar waren in Seoul während eines anderen Feuers, das eine Auseinandersetzung mit der Polizei ausgelöst hatte, fünf Menschen gestorben, was eine wochenlange Empörungswelle ausgelöst hatte.)

Am Tag danach ließ das Unternehmen verlautbaren, dass Gewalt eingesetzt worden sei, dass aber aufgrund des hartnäckingen Widerstands der Arbeiter Polizei und Schlägertrupps zurückgezogen worden seien. Das Unternehmen drängte die Regierung, sich direkt an den Verhandlungen zu beteiligen. Ende Juni wurde in der gesamten Fabrik das Wasser abgestellt.

Nach einem Gerichtsbeschluss schlugen die Repressionskräfte am 11. Juli erneut zu: Bereitschaftspolizei besetzte und umzingelte die gesamte Fabrik mit Ausnahme der Lackierei.

Seit dem Angriff am 26./27. Juni war das Ziel, den Kampf bei Ssangyoung zu isolieren und den Streik zu brechen. Solidaritätsaktionen außerhalb der Fabrik versuchten, die Unterstützung zu verbreitern. Dazu gehörte eine Straßenkampagne, hauptsächlich organisiert von den Familienorganisationen von Seoul und Pyeongtaek und ein vierstündiger Generalstreik der KMWU, währenddem Metallarbeiter aus umliegenden Fabriken vor das Fabriktor von Ssangyong zogen. Am 4. Juli und am 11. Juli organisierte die KCTU (Korean Confederation of Trade Unions) landesweite Kundgebungen zur Unterstützung des Kampfs bei Ssangyong. Die Teilnahme an diesen Aktionen blieb jedoch schwach, weshalb die KMWU-Führung zögerte, als Antwort auf die Angriffe auf die Fabrik zum Generalstreik aufzurufen. Aktivisten denken, dass die Führungen von KMWU und KCTU mehr mit den bevorstehenden Gewerkschaftswahlen beschäftigt sind. (927 Aktivisten traten am 11. Juli im Zentrum von Seoul für einen Tag in den Hungerstreik.) (Nach meiner nun vierjährigen Erfahrung in Korea kann ich sagen, dass das sehr rituelle Aktionen sind, die den Ausgang eines Kampfes selten beeinflussen.)

Am 16. Juli versammelten sich schließlich 3000 KMWU-Mitglieder zur Unterstützung des Streiks bei Ssangyong vor dem Rathaus von Pyeongtaek. Als nach der Kundgebung zur Fabrik ziehen wollten, wurden sie von der Polizei daran gehindert. 82 Arbeiter wurden an Ort und Stelle verhaftet.

Alles in allem liegt eine ernsthafte Ausweitung des Kampfes auf andere Fabriken in weiter Ferne. Aktivisten der Szene schätzen es so ein, dass sogar wenn die KMWU zum Generalstreik aufriefe, nur ein paar Bezirke den Aufruf befolgen würden. Die Autoarbeiter von Hyundai stehen selbst mitten in Lohnverhandlungen. Zulieferbetriebe in der Umgebung haben die Strukturanpassung schon hinter sich und lassen sich wohl kaum mobilisieren.

Loren Goldner

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