Über die aktuellen Ereignisse in Bosnien haben wir den folgenden Artikel aus den Insurgent Notes übersetzt. Er wurde von einem kroatischen Genossen am 11. Februar geschrieben. In der Wildcat 96 werden wir das Thema vertiefen.
Juraj Katalenac
Seit Beginn der jüngsten Auseinandersetzungen in Bosnien wurde ich von vielen westlichen Genossen gefragt, was eigentlich gerade passiert und welchen Charakter die Bewegung hat. Anfangs wollte ich nichts zu Bosnien sagen, da ich nicht genug Informationen habe, um eine tiefergehenden Analyse zu leisten. Dieser Artikel ist deshalb eher eine kurze Einschätzung. Also, was ist los in Bosnien ?
Alles begann in Tuzla mit Demonstrationen der ArbeiterInnen von fünf Fabriken: Dita, Polihem, Poliolhem, GUMARA und Konjuh. Die ArbeiterInnen protestierten gegen die Privatisierung der Firmen, die zu Konkurs und Aussperrung führten. Bis zu diesem Punkt war es eine weitere typische Arbeitererfahrung [workers' story] in Ex-Jugoslawien. Solche Fälle sind sehr verbreitet. Aber die ArbeiterInnen ließen sich nicht unterkriegen. Deshalb griff die Polizei ein und verprügelte und verhaftete viele ArbeiterInnen. Dieser Polizeieinsatz war der Funke, der aus den Protesten einen Steppenbrand machte.
Am 7. Februar war ganz Bosnien auf den Beinen, um gegen die korrupte Regierung, die Arbeitslosigkeit und die allgemeine soziale Situation zu protestieren. In Tuzla gab die Polizei den Demonstranten nach und ließ die Massen die Gebäude stürmen. Die Demonstranten brannten das Tuzlaer Rathaus und die Stadtverwaltung nieder. Die ArbeiterInnen der fünf Fabriken stellten in Tuzla ihre Forderungen:
In Sarajevo zündeten Demonstranten die Hauptquartiere der Präsidentschaft von Bosnien und Herzegowina sowie der Katonsregierung von Sarajewo an; außerdem verschiedene Autos. Die Fenster die Hypo Bank wurden zerschlagen, das Archiv von Bosnien und Herzegowina fing Feuer, Teile der Bestände wurden zerstört. Der Brand war Zufall und nicht, wie die Medien behaupteten, Absicht. Die Medien haben diesen Vorfall verwendet, um die Demonstrationen zu diskreditieren.
In Mostar stürmten Demonstranten den Sitz der Kantonalregierung von Herzegowina-Neretva und brannten ihn nieder. Danach zündeten sie den Sitz der Stadtverwaltung und die Büros der Kroatisch-Demokratischen Union (Hrvatska demokratska zajednica, HDZ)2 und der Partei der Demokratischen Aktion (Stranka demokratske akcije, SDA)3 an. Die Polizei griff nicht ein, da der Posten des regionalen Polizeidirektors seit ein Monaten nicht besetzt ist. Nur er kann die Spezialeinheiten einschalten. An diesen Demonstrationen haben Demonstranten von »beiden Seiten des Flusses« (sowohl Bosniaken und Kroaten) teilgenommen.
In Zenica stürmten DemonstrantInnen das Büro des Bürgermeisters. Er bot seinen Rücktritt an, wenn das helfen würde, die Krise zu lösen. Auch der Ministerpräsident des Kantons Tuzla Sead Čaušević bot seinen Rücktritt an. War das ein erster Sieg für die Bewegung?
Laut der kroatischen Zeitung Jutarnji List wurden bei den Protesten in Sarajevo 93 Menschen verletzt, davon 73 Polizisten und 20 Zivilisten. Insgesamt ging die Polizei sehr hart vor, das war ein Auslöser für diese Unruhen. Es gibt zahlreiche Videos von Polizisten, die Leute verprügeln oder in den Fluss werfen. Einige Politiker der Europäischen Union drohten eine bewaffnete Intervention an, wenn die Unruhen nicht gestoppt werden4. Das ist keine leere Drohung,5 Himzo Selimovic, der Direktor zur Koordinierung der Polizeieinheiten in der Bosnischen Föderation, fragte eine bewaffnete Intervention der EU und der internationalen Gemeinschaft an, falls die Ausschreitungen weiter gehen. Danach bot er seinen Rücktritt an. Weiter ist wichtig, dass die russische Regierung die EU für die Verurteilung der Unruhen angriff und Bosnien dazu verwendete, um den Fokus noch einmal auf die Unterstützung der Unruhen in der Ukraine durch die EU zu bringen.6 Werden wir wirklich eine bewaffnete Intervention in Bosnien erleben?
Viele Menschen waren von dem Ausbruch an Wut und Gewalt in so kurzer Zeit überrascht. Aber ist es wirklich überraschend, nach dem »arabischen Frühling«, Griechenland und anderen ähnlichen Kämpfen in letzter Zeit? Dass sich vor allem junge Menschen an den Riots beteiligten, ist nicht überraschend, bei einer jungen Generation, die in Ex-Jugoslawien buchstäblich keine Zukunft hat.
Außerdem war es keine sinnlose Gewalt. Die Demonstranten griffen nur die Symbole der Korruption und der Macht an. Also Orte, die für ihre Situation verantwortlich sind. Die Unruhen hörten dann auf, aber Kampf ging weiter – jetzt in anderen Formen.
Während der Unruhen versuchten die bosnischen Medien, die Demonstranten als wilden Haufen von Hooligans und Vandalen hinzustellen, die nicht die Unterstützung der bosnischen Bürger haben. Das verbrannte Archivs half ihnen, dieses Bild zu malen. Al Jazeera – eines der wichtigsten Medienunternehmen – riet den Bürgern: »Verlasst das Haus nur, wenn es nötig ist!« Es gab Interviews mit Gewerkschaftern, die die Polizei aufriefen, sich besser zu organisieren, um die Randale zu beenden. Ziel war es, die Behauptung, dass die Unruhen durch Arbeiter gestartet wurden, zu diskreditieren.7
Die serbischen und kroatischen Medien versuchten, die Unruhen als bosnische Verschwörung darzustellen. Nur die wenigen links-liberalen Medien berichteten objektiv oder zeigten sogar Sympathie für die Proteste. Außerdem sind in den Protesten eine Menge Facebook-Gruppen entstanden, die versuchen, eine »Alternative« zu den Mainstreammedien zu bieten.8
Bosnien-Herzegowina ist eines der komplexesten Länder Europas. Der blutige Bürgerkrieg 1992-1995 wurde durch das Dayton-Abkommen beendet, das Kroatien und Serbien mitunterzeichnet haben. Es teilt Bosnien in zwei Gebiete – die Bosnische Föderation und die Republika Srpska (Republik der bosnischen Serben ), wobei das Sonderverwaltungsgebiet Brcko-Distrikt formal Teil von beiden ist. Auch nach dem Krieg war Bosnien-Herzegowina durch den Verwaltungsaufwand und die Interessen der politischen Eliten ein Brennpunkt, der häufig die nationalistische Feindschaft zwischen Bosniaken, Kroaten und Serben provozierte. Die politischen Eliten haben es bisher immer geschafft, die Menschen auf ihre nationalen Identitäten festzulegen. Die serbischen Eliten drängten auf mehr Autonomie für die Republika Srpska, die bosnischen auf ein stärker zentralisiertes Bosnien, die kroatischen kämpften für ein drittes, kroatische Gebiet.9
Die administrative Komplexität führt zu einer höchst ineffektiven Verwaltung mit negativen Auswirkungen auf das Leben der Menschen in Bosnien. Vor den Riots gab es zum Beispiel Proteste zur Ausgabe der eindeutigen Identifikationsnummer10, die von der Regierung vergeben wird. Da diese aber nicht dazu in der Lage ist, konnten z. B. Neugeborene keine Krankenversicherung erhalten.
Beim Thema Bosnien wird meist nur über Probleme der nationalen Identität gesprochen und die sozialen Probleme »vergessen«. Bosnien befindet sich in einer schweren Wirtschaftskrise, es gibt große Sparprogramme und eine ausgeweitete Flexibilisierung des Arbeitsmarktes. Zusammen mit den bekannten Problemen der Privatisierung in den 1990er Jahren führte das zu einer unglaublich hohen Arbeitslosigkeit von 44 Prozent. Eine große Zahl von ArbeiterInnen arbeitet, erhält aber keinen Lohn. Die Privatisierungen in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien treiben in der Regel die Unternehmen in den Bankrott und die ArbeiterInnen in die Arbeitslosigkeit,weil die neuen Eigentümer kein Interesse an Investitionen haben, sondern nur das noch vorhandene Kapital und den Mehrwert so schnell wie möglich »absaugen« wollen. So entstand eine Schicht von reichen Leuten, die von den Arbeitern verachtet werden. Aufgrund der Erfahrung des jugoslawischen Selbstverwaltungssozialismus sind die ArbeiterInnen immer noch mit ihren Arbeitsplätzen stark verbunden. Sie können das neue Mantra der Flexibilisierung der Märkte nicht verstehen und auch nicht, warum »ihre« Unternehmen pleite sind.
Das bosnische Wirtschaftsmodell ist auf Öffnung für Investitionen von ausländischem Kapital ausgelegt, was Andreja Živković folgendermaßen beschreibt:
»Bis 2008 fütterten die ausländischen Kapitalströme das Wachstum auf Grundlage von Importen und Konsumentenkrediten, zerstörten aber zur gleichen Zeit die Industrie und schufen so die heutige Schuldenkrise. Auf der einen Seite ermöglichte die überbewertete, an den Euro gebundene Währung erst die Kreditaufnahme, die nötig war um die Importe zu bezahlen. Auf der anderen Seite war sie ein Hemmnis für Investitionen in die Realwirtschaft und zerstörte die Wettbewerbsfähigkeit der Exporte. Angesichts einer Wirtschaft, deren Wachstum vollständig an externen Quellen hängt, ist es völlig klar, dass die Finanzkrise der Schwellenländer, die Argentinien ausgelöst hat, zu einem weiteren Widerhall in der Eurozone führen wird. Bosnien befindet sich nun an einem Wendepunkt. 11«
Die Unruhen haben nicht nur die ArbeiterInnen von Bosnien aufgeweckt, sondern auch die Bourgeoisie. Sie sah sich mit einer authentischen Bewegung konfrontiert, die soziale und Klasseninhalte thematisierte und nicht nationale. Sie musste so schnell wie möglich eingreifen .
Der Ministerpräsident des Kantons Sarajevo Suad Zeljaković trat zurück. Die SDA rief zur Beruhigung der Situation und zur Verfolgung der Hooligans auf. Aber einige bosnische Wissenschaftler und Politiker behaupteten nun, die Demonstrationen seien eine Verschwörung gegen die Bosniaken die ein zentralisiertes und einheitliches Bosnien wollen. Sie seien von der EU organisiert, um Bosnien noch weiter zu »föderalisieren«.
Serbische und kroatische Eliten versuchten, die Riots und Kämpfe als »bosnischen Frühling« hinzustellen, als Versuch von neuen bosnisch-nationalistischen Parteien, die Kantonalregierungen anzugreifen, um ein zentralisiertes Bosnien zu schaffen, in dem Kroaten und Serben nur nationale Minderheiten wären. Die Riots wären nur eine antibürokratische »Joghurt-Revolution«. Diese Argumentation dominierte die nationalen Medien, begründet mit der Behauptung, außerhalb der Föderation hätte es schließlich keine Proteste gegeben.
Dei HDZ von Bosnien-Herzegovina behauptete, die Riots wären ein »klassisches Beispiel eines Staatsstreichs gegen die Institutionen, die von Washington und der Dayton-Struktur von Bosnien-Herzegovina geschaffen worden waren mit dem Ziel der Zerstörung des föderalen Systems der Föderation Bosnien-Herzegovina und ihren regionalen Regierungsinstitutionen.« 12 Der Schrei »Das ist Bosnien!« sei eine Nachricht an die bosnischen Kroaten gewesen.Der bosnische (katholische) Erzbischof Vinko Puljić gab der internationalen Gemeinschaft die Schuld an den Riots.
Diverse Verschwörungstheorien waren die einzige Zuflucht der Bourgeoisie, die sich offensichtlich weigerte zu glauben, dass die ArbeiterInnen in der Lage sind, unabhängig zu denken und zu handeln.
Der Präsident der Republika Srpska Milorad Dodik behauptete, in der Republika Srpska gäbe es keine Unruhen, sondern nur in der Föderation, da es sich um eine bosniakische Verschwörung für eine vereinigtes Bosnien handle. Er traf sich mit dem serbischen Vize-Präsident Aleksandar Vučić in Belgrad, bei dem dieser erklärte, dass die »Menschen auf der anderen Seite der Drina [in der Republika Srpska] immer an der Meinung Serbiens interessiert seien, das nur Stabilität wolle.13
Während der serbische Präsident zur Stabilität aufrief, drückte die Belgrader Polizeigewerkschaft ihre Sympathie für die sozialen Proteste in Bosnien aus. Sie hält ähnliche Ereignisse auch in Serbien für möglich, »wo es auch viele mittellose, arbeitslose oder zu gering entlohnte Menschen gibt, Korruption auf allen Ebenen und eine politische Manipulation der Bürger«. Sie kündigte an, an Demonstrationen teilzunehmen, falls es sie in Serbien geben sollte.14 Solch eine Entwicklung ist durchaus möglich, wie man an den Kämpfen der ArbeiterInnen in Kraljevo und Vranje sehen kann, die am 12. Februar eine Autobahn blockierten.15
Der kroatische Ministerpräsident Zoran Milanivić besuchte nach den Unruhen Mostar, um »die Lage zu beruhigen« und brachte die gleiche Botschaft »Stabilität« mit. Als ihn Journalisten fragten, warum er als Ministerpräsident eines anderen Landes nicht die bosnische Hauptstadt Sarajevo besuchte, antwortete er, dass Mostar »näher« sei. Ziel seines Besuchs war es natürlich, eine Stadt mit kroatischer Mehrheit zu besuchen, um die Kroaten von der Teilnahme an Protesten abzubringen.
Zur gleichen Zeit wurden Kroaten verhaftet, die in Livno Demonstrationen gegen die HDZ zu organisieren versuchten. In allen größeren Städten der Republika Srpska wurden unterstützende Demonstrationen organisiert (allerdings mit sehr wenigen Teilnehmern); die Arbeiter der Holzindustrie in Drvar (RS) unterstützten die Proteste. Auch die Veteranenvereinigung der Republika Srpska erklärte, dass sie Proteste starten würde, wenn Milorad Dodik nicht zurücktrete.16
Trotz der Manipulationen von Bourgeoisie und Medien ist klar, dass die Protestierenden versuchen deutlich zu machen versuchen, dass diese Demonstrationen einen sozialen und Klassencharakter haben, und sich weigern, sich von den Nationalisten gegeneinander aufhetzen zu lassen. Wie das Graffiti in Tuzla sagt: »Tod allen Nationalisten«.
In Tuzla , Sarajevo, Bihac, Mostar und Brcko wurden Volksplena organisiert. (Jede Minute wird in einer anderen Stadt versucht, ein Plenum zu organisieren, so dass ich wahrscheinlich einige ausgelassen habe.) Plena sind direkte demokratische Versammlungen, die vom Organisationsmodell der kroatischen Studenten während ihrer Universitätsblockaden 2009 inspiriert sind. Der Aktivist Damir Arsenijević beschreibt Plena so:
»Ein Plenum ist eine Versammlung aller Mitgliedern einer Gruppe. Es ist ein öffentlicher Raum zur Diskussion. Es gibt keine Anführer oder Verbote. Entscheidungen werden öffentlich gemacht. ... Ein Plenum ist keine politische Partei oder NGO oder ein Ein-Personen-Verein. Ein Plenum ist die reale und einzige Demokratie. Ein Plenum stellt Forderungen auf an alle Organe der Staatsmacht und beschließt sie durch Erklärung. Jeder steht hinter den Erklärungen, weil sie die Worte und Forderungen von uns allen sind. Alle anderen Formen des Kontakts mit den Organen der Staatsmacht sind eine Fortsetzung der Korruption, des parteipolitischen Diebstahls und Streben nach persönlichem Vorteil und Bereicherung auf Kosten der beraubten Menschen.«17
Aber obwohl Plena in der Regel eine positive Sache sind, Orte, an denen die Massen endlich gehört werden, bin ich im Bezug auf das Plenum in Tuzla skeptisch. Meine Skepsis kommt daher, dass die die ursprünglichen Forderungen der ArbeiterInnen der fünf Betriebe ignoriert werden. Das Plenum griff nur die Forderungen nach friedlichen Demonstrationen und einer Regierung von Fachleuten auf.
»Die ArbeiterInnen von insolventen Unternehmen, die seit Jahren ihre Rechte vor den kantonalen Institutionen eingefordert haben, und die Organisatoren der Proteste in Tuzla haben ein Bürger-Plenum organisiert, in dem sie alle Bürger aufgerufen haben, sich zusammenzuschließen, um sich zu stärken und zu entscheiden, welche Vorschläge an die Verwaltung des Kanton Tuzla gehen.
Die Organisatoren erklärten auf der Sitzung, dass der Kampf für ihre Rechte mit demokratischen Mitteln fortgesetzt werden, die Forderungen der Bürger müssen gehört werden. Mitglieder der akademischen Community in Tuzla haben ihre Unterstützung zugesagt.
Wir haben alle Bürgerinnen und Bürger von Tuzla eingeladen und ich bin froh, dass viele Anwälte, Professoren und gut ausgebildete Leute gekommen sind. Wir präsentieren hier drei Punkte, die wir vorschlagen. In einer solchen Situation können wir nicht übereilt vorgehen. Wir wollen, dass alles fachmännisch und gesetzmäßig durchgeführt wird.«18
Die Beschlüsse des Plenums lesen sich, als wären die kleinbürgerlichen Experten gekommen, um den ArbeiterInnen in ihrem Kampf zu helfen und ihnen zu sagen, was das Beste und Realistischste zu tun ist. Zusätzlich bekam das Plenum in Tuzla die Möglichkeit, eigene Leute vorzuschlagen, mit dem Mandat eine lokale Regierung zu bilden.
Wir müssen abwarten, ob einige diese Forderungen tatsächlich in die Tat umgesetzt werden. Bisher scheinen alle glücklich zu sein, dass die Gewalt aufgehört hat. Aber die Frage nach dem Verhältnis der Plena zu den anderen Auseinandersetzungen ist noch offen.
Die Forderungen sind weit verbreitet und drücken den Gegensatz zu den Politikern und den politisch-wirtschaftlichen Eliten aus. In ihnen klingen die Forderungen der Aufstände in Nordafrika und der Bewegung in der Türkei an. Solche Forderungen sind bei Protesten in Ex-Jugoslawien aber durchaus üblich. Etwa bei den kroatischen »bando lopovska«-Protesten 2008 20 oder den Protesten gegen die Regierung im März und April 2011. Solche Proteste waren schon immer ein Angriff auf die Arroganz, Korruption und Armut. Sie haben immer Rechtsstaatlichkeit und den Wohlfahrtsstaat gefordert – eine »gerechte Gesellschaft« innerhalb der bestehenden Gesellschaft. Manchmal klingt in diesen Forderungen die Sehnsucht nach dem alten Jugoslawien und seiner sozialen Sicherheit an. Es sind Forderungen des Kampfes für bessere Lebensbedingungen – für eine bessere Zukunft.
Doch die Leute sollten auch erkennen, dass alle diese Forderungen nie erfüllt werden. Selbst wenn der Druck auf die Bourgeoisie so hoch ist, dass sie sich den Wünschen der Massen beugen muss, wartet sie nur auf den Moment, in dem der Druck gelockert wird. Dann geht sie in die Gegenoffensive. Dennoch helfen solche Bewegungen, das Bewusstsein der ArbeiterInnen für zukünftige Kämpfe zu schärfen. Sie sollten darüber nachdenken, was zu tun ist, wenn die Bewegung zuende ist. Wie können sie ihre Kämpfe fortsetzen?
Wir sollten noch die Frage stellen, wie sich dieser Kampf auf die gesamte Region auswirkt. Sind ähnliche Kämpfe in Kroatien, Serbien, Montenegro, Albanien, Kosovo oder Mazedonien zu erwarten? All diese Länder sind in einer tiefen Wirtschaftskrise, und immer wieder entstehen Bewegungen, die sich gegen die politischen Eliten richten. Dass die Arbeiterklasse in anderen Ländern jetzt auf die Situation in Bosnien reagiert, ist eher unwahrscheinlich, aber für die Zukunft kann niemand gemeinsame Aktionen in ganz Ex-Jugoslawien ausschließen.
[1] Englische Übersetzung des Textes “Bosnia and Herzegovina: Workers and citizens’ proclamation after the resignation of the government of Tuzla Canton
[2] Kroatisch Demokratische Union (HDZ) ist eine große kroatische politische Partei in Bosnien. Es ist eine demokratische, christliche Partei der rechten der Mitte. Es gibt eine gleichnamge Partei in Kroatien, in den 1990ern waren beide noch eine Organisation.
[3] Die Partei der Demokratischen Aktion(SDA) ist eine große bosnische Partei in Bosnien. Sie ist der demokratische, muslimische Teil der rechten Mitte.
[4] »EU to Consider Intervention in Bosnia if Tension Escalates«, Novinite.
[5] »Demonstranti se razišli, uspostavljen saobraćaj«, Al Jazeera.
[6] »Vijeće federacije RF: Stav Europske unije prema Sarajevu je politika dvostrukih standarda«, Ruski Vjesnik.
[7] Dragan Markovinai, »Narodni bunt i medijska demagogija«, Abrašmedija
[8] Eine wichtige Quelle für englisch-sprechende Menschen ist die Website Bosnia-Herzegovina Protest Files, auf der eine Gruppe von Wissenschaftlern Texte der Bewegung übersetzt. Dort findet sich der nützliche Artikel von Jasmin Mujanović: »The Demands of People of Bosnia and Herzegovina«, der alle Forderungen der Menschen in den Protesten aufgelistet.
[9] Robert Bajruši, »VODEĆI HRVATSKI INTELEKTUALCI PREDLAŽU: ›Evo kako riješiti probleme u BiH‹« Jutarnji List.
[10] Serbcro. Jedinstveni matični broj građanina (JMBG).
[11] Andreja Živković, »The People’s Uprising: A Break with Dayton Bosnia?«, Lefteast.
[12] »Kaos i anarhija u BiH: GORILE ZGRADE VLADE: Gotovo 100 ozlijeđenih, uništeni brojni automobili, devastirane ulice…«, Jutarnji List.
[13] Marija Ristić, »Serbia, Croatia Meet Bosnian Leaders to›Calm‹ Unrest« Balkan Insight.
[14] »Statement by the Belgrade Police Union (Belgrade #1)«
[15] »Radnici ›Jumka‹ blokirali autoput kod Vranja«
[16] »Declaration by RS Veteran Union (RS #1)«
[17] Damir Arsenijević, »What is plenum?«
[18] Jasmin Mujanović, »The Demands of People of Bosnia and Herzegovina«
[19] Ibid.
[20] bando lopovska heißt Diebesbande