Die EinwandererInnen in Italien und die Entwicklung des antirassistischen Kampfes, a3f (Italien), Juni 2001 [m008a3fe.htm]


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Antirassistische Mobilisierung und
Selbstorganisation der MigrantInnen in Italien

Unter diesem Titel gab es Ende Juni, Anfang Juli 2001 in Bochum, Berlin, Köln, Hamburg und Amsterdam Veranstaltungen mit der antirassistischen Gruppe »3 Febbraio« aus Italien. Den einleitenden Beitrag über die neuere Geschichte des antirrassistischen Widerstandes in Italien und vor allem die Rolle der Migranten darin haben sie uns nun in deutscher Übersetzung zur Verfügung gestellt und wir dokumentieren ihn unten.

Zur Situation in Italien und der Gruppe »3 Febbraio« hieß es im Ankündigungsflugblatt zu den Veranstaltungen:

Als das ehemalige Auswanderungsland Italien sich 1998 ein Einwanderungsgesetz gab, war darin neben der quotierten Einwanderung von ArbeiterInnen und der verschärften Kontrolle und Repression der illegalisierten EinwandererInnen auch eine Legalisierungsmöglichkeit für »sans papièrs«, die sich seit dem März 1998 in Italien aufhielten, vorgesehen. Diese zunächst auf 37.000 Personen beschränkte Legalisierungsmöglichkeit wurde im Zuge von drei Jahren antirassistischer Mobilisierungen und spektakulärer Kämpfe der MigrantInnen immer wieder ausgeweitet, so dass schliesslich an die 200.000 EinwandererInnen einen legalen Aufenthaltsstatus erhielten. Wichtige Stationen waren der Kampf gegen die mit dem Gesetz von 1998 eingerichteten Abschiebeknäste, der in Mailand mit der Zeitweise Schließung des Haftzentrums »Via Corelli« einen wichtigen Teilerfolg erzielte, die antirassistische 1. Mai Demonstration im Jahr 2000 mit 60.000 TeilnehmerInnen und die Kämpfe der »sans papièrs« in Brescia, Rom und Neapel.

Die antrirassistische Gruppe »3Febbraio«, die in c.a. 15 Städten Italiens aktiv ist, existitiert seit dem 3 Februar 1996 (daher der Name), als 50.000 Menschen in Rom gegen die Dekrete zur Kontrolle der »clandestinen« Einwanderung der Regierung Dini protestierten. Seitdem nimmt sie sehr aktiv an den antirassistischen Mobilisationen teil, besonders an dem Kampf für die »Sanatoria generalizzata«, also die bedingungslose Legalisierung aller EinwandererInnen. Dem Anspruch nach ist die »a3f« eine »gemischte Gruppe« von EinwandererInnen, davon viele ohne Papiere, und italienischen GenossInnen. Und auch wenn sich an diesem Punkt Widersprüche und Auseinandersetzungen ergeben, so ist die »a3f« doch - oder gerade deshalb - eine sehr lebendige Gruppe, die eng mit der sozialen und politischen Lage der Communities verbunden ist. Neben dem politischen Kampf für die Rechte der EinwandererInnen organisiert die Gruppe auch Rechtsberatung und in einigen Fällen auch medizinische Unterstützung. Allerdings setzt man sich ab von den, oft staatlich unterstützten, Vereinigungen, die »nur helfen wollen« und hält sich stattdessen lieber an das italienische Sprichwort »solo la lotta paga« - nur der Kampf zahlt sich aus. Die »a3f« organisiert jährlich ein »interethnisches Festival«, eine antirassistische 1. Mai Demo und gibt die antirassistische Zeitung »il 3 febbraio« heraus, in der vierteljährlich Beiträge in vielen verschiedenen Sprachen erscheinen.

In ihrer Veranstaltung geben drei Mitglieder der »a3f« einen Überblick über die soziale und rechtliche Situation der »clandestinen« EinwanderInnen und die antirassistischen Kämpfe in Italien der letzten Jahre. Ebenfalls berichten sie überdie Kämpfe der Roma gegen die Räumung ihrer Plätze: Da auch in Italien die Einwanderung immer stärker nach Verwertbarkeitskriterien geregelt wird, wendet sich ein verstärkter Antiziganismus gegen die vermeindlich »unproduktiven« Roma. Trotzdem konnte die Selbstorganisation der Roma in einigen Fällen die Räumung besetzter Romaplätze verhindern und auch Zusagen für eine graduelle Verbesserung der Camps erstreiten. Die ReferentInnen aus der Redaktion der Zeitung haben aktiv an dem bisher erfolgreichen Kampf der Roma der Via Barzaghi, einem Platz mit c.a. 1000 BewohnerInnen, teilgenommen.


Die EinwandererInnen in Italien und die Entwicklung des antirassistischen Kampfes

Vorbemerkung

Wir haben diese Arbeit in der Hoffnung unternommen, dass sie dazu nützt, einige Elemente der Analyse und Einschätzung zu vermitteln, und auch dazu beiträgt, eine gemeinsame Perspektive für den Kampf gegen den Rassismus, besonders auf dem europäischen Kontinent und unter Berücksichtigung der Erfahrungen der vergangenen Jahre und der Dynamik, welche die kapitalistische Herrschaft nach und nach gegenüber der Frage der Einwanderung angenommen hat, zu finden.
Wir haben uns dabei für eine chronologische Rekonstruktion der wichtigsten Kämpfe und Mobilisierungen, die sich in Italien entwickelt haben, entschieden, mit ihren speziellen und allgemeinen Inhalten und ihren vielfältigen Organisationsformen.

Der Mord an Jerry Maslo: Die Morgendämmerung der antirassistischen Bewegung in Italien.

Nach einem Sommer mit vielen rassistischen Zwischenfällen, wird Ende August 1989 Jerry Essan Maslo in Villa Litorno (eine kleine Stadt in der Umgebung von Neapel) ermordet. Jerry Maslo war ein Tagelöhner, südafrikanischer politischer Flüchtling und engagierte sich für die Entwicklung eines politischen Bewusstseins von Hunderten afrikanischen Einwanderern, die, wie er selbst, einer hemmungslosen Ausbeutung auf den Latifundien unterworfen waren. Sein Tod wurde niemals aufgeklärt, es scheint jedoch, dass die Auftraggeber eine bevorstehende Revolte sämtlicher Tagelöhner, die auf eine halb-versklavte Existenz reduziert waren, fürchteten.

Das Ereignis ist aus drei Gründen von besonderer Bedeutung:

Es ist gerade diese Demonstration mit mehr als 50 000 TeilnehmerInnen, aus der die ersten antirassistischen Organisationsformen in Italien hervorgehen. Tausende von Personen engagieren sich aktiv in den folgenden Monaten. So findet im Dezember 1989 in Rom die erste italienweite, antirassistische Konferenz statt. Eine Konferenz, die den Vorteil hatte, verschiedene Erfahrungen zu vereinigen, die begonnen hatten, sich zu entwickeln, und die einen klaren Beginn für eine intensive politische Debatte zwischen den AntirassistInnen setzte. Ein Teil der TeilnehmerInnen unterstützte faktisch das Konzept der »flussi programmati« [etwa: gesteuerter Einwanderungsfluss, d.Ü.] und der festgelegten Quoten und gründete das »Rete Nazionale Antirazzista« (Italienweites Antirsassistisches Netzwerk). Ein anderer Teil vertrat die Position der freien Zirkulation der Personen aus einer klaren Gegnerschaft zum System und seinen Staaten und begannen mit dem Aufbau einer Strömun, die wir radikalen Antirassismus nennen.

Der Rassismus entwickelt sich. Die demokratische Mobilisierung antwortet.

In Florenz begannen die staatlichen Institutionen (in expliziter Übereinstimmung zwischen öffentlicher Verwaltung, Polizeikräften und rechten Parteien) die Initiative zu übernehmen, indem sie die kleinbürgerlichen und rassistischen Vorurteile entfesselten und die ausländischen ArbeiterInnen, durch Angriffe, die sich zumeist gegen die mobilen Straßenhändler richteten, in eine Art Belagerungszustand versetzten. Und es waren gerade die senegalesischen Straßenhändler, die, indem sie in den Hungerstreik traten und das Stadtzentrum für eine Woche besetzten, die antirassistische Bewegung mobilisierten und zu einer Demonstration am 22. März 1990 in Florenz aufriefen. Die institutionelle Linke war gezwungen, sich zu solidarisieren; zehntausend Personen gehen auf die Straße und stoppen, für diesen Augenblick, den gewalttätigen Angriff.

Jedoch folgt 1991 und 1992 die Ausweitung des Krieges gegen die Einwanderung mit rassistischen Übergriffen, die nun schon überall in Italien vorkommen, gegen die Roma, gegen die Fensterputzer (die an den Ampeln die Windschutzscheiben waschen), gegen die Prostituierten, die ihren Höhepunkt im Mord von Malick N'Diaye und Cheik Babou finden. Dem volkstümliche Rassismus, der sich leider auch unter den ArbeiterInnen verbreitet (in diesem Zusammenhang sei an den Streik der Transportarbeiter gegen die Roma in Mailand, im Mai 1991 erinnert), gesellt sich der staatliche Rassismus hinzu (im Sommer 1991 finden die ersten Abschiebungen albanischer Flüchtlinge statt) und derjenige der Chefs (überall sprießen Tausende kleine Unternehmen aus dem Boden, in denen legalisierte Überausbeutung herrscht und automatisch die Entlassung für diejenigen erfolgt, die eine gewerkschaftliche Antwort organisieren wollen) und der Rassismus der Rechten (es tauchen die Symbole des Neo-Faschismus aus er Versenkung auf, und ihre öffentlichen Aufläufe wachsen).

Die neugegründete antirassistische Bewegung sieht sich so vor einer nicht unvermeidlichen Aufgabe: Und so findet am 25. Januar 1992 in Mailand eine italienweite Demonstration gegen die rassistische Gewalt, für das freie Aufenthaltsrecht und für volle Rechte für alle statt. 20 000 Personen durchqueren eine bewaffnete Stadt, in der einige Naziskin-Banden ein Klima der Provokation verbreiten, indem sie versuchten, die Demo zu verhindern. Der Erfolg der Demonstration ist ein klares Signal, dass es Teile der Gesellschaft gibt, die bereit sind zu kämpfen. Doch die Abwesenheit der institutionellen Linken, ihre ambivalente Haltung gegenüber der demokratischen Apartheid, die durch die Beschränkung der Einwanderung eingeführt wird, schwächt die Möglichkeit, eine wirklich erfolgreiche Antwort zu geben.

Die faschistischen Angriffe und die Abschiebepolitik der Regierung gehen so auch in den folgenden Jahren weiter. Und die antirassistische Bewegung wählt dagegen weiter die Strategie großer Demonstrationen, so etwa in Rom und Mailand im November 1992 und wieder in Rom am 25. Februar 1995.

Der direkte Anteil von MigrantInnen an dem Geschehen scheint für einen Moment schwächer zu werden, wahrscheinlich aufgrund der Spaltungen, die durch die Politik der Vergabe von Aufenthaltserlaubnissen an wenige »Privelegierte« zwischen den EinwandererInnen selbst hervorgerufen wurde. In dieser Phase kommt es zur Verbreitung der Selbstorganisation innerhalb der nach Herkunft unterschiedenen Communities, die eine Form der Erhaltung der eigenen Kultur und der elementaren gegenseitigen Unterstützung darstellen. Die Communities werden in den folgenden Jahren die wesentlichen Trägern der Mobilisierungen, weisen aber auch starke Anteile an politischem Opportunismus gegenüber den italienischen Institutionen und oft eine durch wenige beherrschte interne Organisationsstruktur auf. Dies geht auf Kosten der Fähigkeit, eine vereinigte und interethnische Bewegung von unten ins Leben zu rufen.

Die Rassisten organisieren sich in den Vierteln

Obwohl die Diskriminierung und Gewalttaten nie unterbrochen wurden, steigt die Zahl der von der sich im Süden der Welt ausbreitenden Misere getriebenen und von den dringenden Anfragen der Industriellen angezogenen EinwandererInnen. Die Einwanderercommunties beginnen die großen Metropolen des Nordens und Nordostens zu bevölkern, wo kleine und mittlere Unternehmen 30% der Wirtschaft ausmachen. Diese Unternehmen stellen bevorzugt eingewanderte ArbeiterInnen ein, weil sie Arbeitskräfte zu niedrigen Kosten darstellen, die mit Sicherheit leichter kontrollierbar und erpressbar sind, als die italienischen.

Die Auswirkungen der Politik der demokratischen Apartheid, die die Regierung seit Anfang der 90-er Jahre betreibt, werden nunmehr spürbar, und Tausende Personen machen nunmehr ihre Erfahrungen mit den Lebensbedingungen der »Illegalität«. Die Unmöglichkeit eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten und regulär zu arbeiten wird zu einer neuen Misere. Eine Misere, die Hunderte von EinwandererInnen in die Arme der organisierten Unterwelt treibt, was zum Kontext weiterer xenophober Kampagnen und rassistischer Übergriffe wird.

Es beginnt in im Frühjahr 1995 in Turin, wo sich erste Stadtviertelkomitees bilden. Es handelt sich hierbei um Zusammenschlüsse aus der Bevölkerung, die das Eingreifen der Polizei fordern, um die EinwanderInnen aus dem Vierten zu vertreiben. Diese Gruppierungen werden getragen von der populistischen und rassistischen Propaganda der Rechten, die für fast zwei Jahre die Regierung stellte und ein Klima der Intoleranz und rassistischer Gewalt verbreitete. In den Vierteln »San Salvario« und »Porta Palazzo« überstürzen sich die Ereignisse. Die Angriffe verbreiten sich in jede Ecke der Viertel und sind ein praktisch tägliches Phänomen. In genau dieser Zeit werden fünf Nigerianische Prostituierte ermordet. Die Antwort lässt nicht auf sich warten: Zunächst die der nigerianischen Community, welche die Komplizenschaft der Polizei öffentlich denunziert. Danach die der antirassistischen Gruppen und der Vereine der EinwanderInnen, die eine Antwort organisieren, deren Höhepunkt die italienweite Demonstration am 19. November 1995 darstellt. Gleichzeitig finden auch Mobilisierungen in Rom, Caserta und Genua statt.

Die Mobilisierung konzentriert sich auf drei Inhalte: 1) Der Widerstand gegen die rassistische Gewalt der Stadtteilkomitees, 2) der Kampf gegen die Dekrete der Regierung Dini, die Elemente einer legalisierten Repression gegen die EinwandererInnen festlegen, etwa die Voraussetzung eines gültigen Arbeitsvertrags für den Erwerb einer Aufenthaltserlaubnis, 3) die Notwendigkeit, dass die EinwanderInnen wieder zu den ProtagonistInnen der Bewegung werden, ein Prozess, der tatsächlich schon mit einer gewissen Kraft eingesetzt hat.

Die antirassistische Bewegung vor einer Wende: Der 3. Februar 1996

Diesmal wurden die Demos des Herbstes zu einem Trampolin für die Organisation einer großen Demonstration, die am 3. Februar 1996 in Rom stattfindet. Auf den Vorschlag der [trotzkistischen Partei, d.Ü.] Socialismo Rivoluzionario (SR) bildet sich ein offener Koordinierungskreis, an dem sich antirassistische Gruppen, centri sociali, die humanistische Partei, Basisgewerkschaften und ausländische Communities beteiligen. Die Stärke der Mobilisierung ergibt sich vor allem aus der langen Vorbereitungszeit (über zwei Monate) und einem vereinten Vorgehen, Stadt für Stadt, Viertel für Viertel, Community für Community.

50 000 Personen gingen gegen das Regierungsdekret vom Vorjahr auf die Straße. Der radikale Antirassismus erringt einen klaren Sieg (während die offizielle Linke diese Demonstration boykottierte) und die Regierung sieht sich gezwungen, eine neues, wenn auch an Bedingungen geknüpftes, Legalisierungsgesetz zu verabschieden.

Ausgehend von dieser Demonstration beschließt der italienweite Vorbereitungskreis, auf der Basis eines Vorschlages von SR, dieser Erfahrung eine Kontinuität zu geben. So entsteht zunächst im Mai 1996 das italienweite Koordinierungskomitee »3 febbraio« [3. Februar, d. Ü.] und dann, im September 1996, die antirassistische Gruppe »3 febbraio«. Nicht alle Kräfte, die an der Organisation der Demonstration teilgenommen hatten, stimmen diesem Vorschlag zu, was von Anfang an eine Schwäche bedeutet. Trotzdem garantiert die Schaffung der neuen Organisation eine Kontinuität und Engmaschigkeit der antirassistischen Arbeit, die es bisher im radikalen Antirassismus nicht gegeben hat.

Die Kämpfe breiten sich aus: Die EinwandererInnen tragen die Bewegung.

Das Echo der Kämpfe der »sans papièrs« in Frankreich verbreitete sich auch auf der europäischen Ebene. Die ImmigrantInnen werden zu den ProtagonistInnen des Kampfes für ihre sozialen und politischen Rechte und übernehmen die Führung im Kampf gegen den Rassismus und organisieren ihn in erster Person. Nach der Demonstration vom 3. Februar 1996 ist die Situation der antirassistischen Bewegung auch in Italien nicht mehr dieselbe. Die Kämpfe beginnen sich zu verbreiten und sind vor allem nicht mehr nur eine Antwort auf die rassistische Gewalt, sondern stellen einen Versuch dar, neue Räume des Lebens und neue Rechte zu erobern:

Die Selbstorganisation der MigrantInnnen macht so ihre ersten wichtigen Schritte in Richtung eines direkten Protagonismus in den Kämpfen. Die Kämpfe erreichen keine beachtlichen Erfolge, aber zeigen der antirassistischen Bewegung einen neuen Weg.

»Mitte-Links« gegen die EinwandererInnen: Das Gesetz »Prodi-Turco-Napolitano«

Eine neue und vielleicht größere Gefahr zeigt sich auf der Bildfläche: Die Mitte - Links Regierung. Während die Rechtsregierung von den großen Streiks der ArbeiterInnen 1995 und der Demonstration vom 3. Februar 1996 gestoppt wurde, ist es nun das Mitte-Links Bündnis, welche nun die Aufgabe übernimmt, dieselbe Politik voranzutreiben. Die Vorschläge der Regierungen Berlusconi und Dini finden so Eingang in ein staatliches Gesetz (dem Gesetz Napolitano vom Juli 1998) , das Massenabschiebungen und vor allem spezielle Haftzentren für EinwandererInnen ohne Papiere vorsieht. Auf der anderen Seite garantiert es nicht einmal minimale Rechte und erlaubt nur der Hälfte der ausländischen BürgerInnen, ihre Papiere in Ordnung zu bringen. Auf besonderen Wunsch der Bourgeoisie werden jährlich gesetzliche Zuwanderungsquoten für AusländerInnen festgelegt, wodurch ein starker Schwarzarbeitsmarkt aufrechterhalten wird, der Erpressbarkeit und Angst unter den EinwanderInnen verstärkt.

Wieder einmal führt das Gesetz Turco - Napolitano zu Problemen unter den EinwandererInnen und zu der Illusion, sie könnten schließlich doch eine Aufenthaltserlaubnis erhalten. Doch die Eröffnung des mailänder Abschiebeknastes in der »Via Corelli«, dem kurz danach »Ponte Galeria« in Rom, »Corso Brunescelli« in Turin, »Serraino Vulpitta« in Trapani und weitere drei Knäste in Apulien und Sizilien, folgen, führt zu dem sofortigen Effekt der Inhaftierung Tausender MigrantInnnen und der Abschiebung von über 20 000 Personen in weniger als zwei Jahren, zum Teil verbunden mit regelrechten Razzien in den Vierteln. Dies lässt die antirassistische Mobilisierung auf lokaler und nationaler Ebene wiederaufleben. Es beginnt mit dem Aktionstag am 24. Oktober 1998 in verschiedenen italienischen Städten, der zur Voraussetzung für die große Mobilisierung am 17 Januar 1999 in Mailand wird, die sich ein Jahr später, am 29. Januar 2000 mit zwei Demonstrationen in Mailand und Florenz wiederholen. Die wiedergewonnene antirassistische Initiative stärkt auch den internationalistischen Kampf, der in den Kundgebungen zum 1. Mai (die immer stärker von antirassistischen Inhalten geprägt sind) und in den »interethnischen Festivals« (organisiert vom »3febbraio« um den auf Krieg basierenden Charakter des kapitalistischen Systems zu denunzieren und die interethnische Solidarität zu entwickeln) einiger seiner bedeutendsten Momente erlebt. Aber sie führt auch zum Neubeginn des Protagonismus der EinwandererInnen, welche ihre Kämpfe mit Nachdruck wieder aufnehmen. Dabei kommt es zu einer wichtigen Neuerung: Die Kämpfe beginnen erfolgreich zu verlaufen.

Der Kampf für die Papiere

Die neue Welle der Kämpfe erreichte ihren Höhepunkt im Juni 2000 in einer italienweiten Mobilisierung für die Bleiberechtsforderung. Die Legalisierung von 1998 entpuppt sich als eine Enttäuschung. Bei Zehntausenden EinwandererInnen verfliegt der Traum, doch noch eine Aufenthaltserlaubnis zu erhalten. Die staatliche Bürokratie gewährt ihnen keinen Ausweg. Der Ermessensspielraum der Polizeipräsidien bei der Vergabe der Aufenthaltserlaubnisse ist quasi total.

Diese Wiedersprüche kommen in Brescia, eine Stadt des Nordens mit großer Industriedichte, zur Explosion, wo die Pakistanische Community zum Epizentrum einer italienweiten Bewegung für das Aufenthaltsrecht wird. Die Entschiedenheit und die Selbstorganisation der pakistanischen Community, unterstützt durch das centro sociale »Magazino 47«, halten die Machthaber für über einen Monat im Schach. Der Hauptplatz der Stadt wird besetzt. Innerhalb von 20 Tagen finden drei Demonstrationen statt. Allein am 17. Juni gehen 10 000 Personen auf die Straße.

Inzwischen hat sich die Bewegung für die Aufenthaltserlaubnis auch auf Rom und Neapel ausgedehnt und die Regierung wird gezwungen, mit den Streikenden zu verhandeln. Paradoxerweise können die staatsnahen Gewerkschaftsbürokratien (CGIL-CISIL-UIL) die Situation ausnützen, um ihren Kredit unter den ImmigrantInnen zu erhöhen, indem sie den Platz eines Garanten für die Verhandlungen übernehmen, die auf abgeschwächten Forderungen, nunmehr perfekt vereinbar mit der Logik des rassistischen Gesetzes Turco-Napoletano, beruhen. Leider hat dies den Effekt, den strategischen Kampf für das Aufenthaltsrecht für alle zu schwächen und neue Spaltungen zwischen die kämpfenden MigrantInnen zu tragen.

Zu derselben Zeit geht auch die zahlreiche marokkanische Community in Turin gegen die Polizeigewalt auf die Straße und denunziert gleichzeitig das Verhalten des lokalen Imams.

Am Ende werden in den Städten, welche diese Initiativen getragen hatten, Tausende von Aufenthaltserlaubnissen bei den staatlichen Institutionen herausgeholt. Die Idee, einen Kampf für die Aufenthaltserlaubnis für alle zu entwickeln, gewinnt im September wieder an Stärke, als die pakistanische Community eine Karawane organisiert, die in den wichtigsten Städten Italiens Station macht, um eine ohnehin beachtete Erfahrung weiter zu »exportieren«.

Zum Schluss

Der erfolgreiche Verlauf einiger gerade vergangener Kämpfe, die Entwicklung der Selbstorganisation der EinwanderInnen, um eine größere öffentliche Präsenz zu erzielen, oft gefördert durch ethnische Zugehörigkeiten, die nunmehr hinreichend gesammelten Erfahrungen der Gesamtheit der antirassistischen Kräfte trifft auf die anwachsenden sozialen und wirtschaftlichen Widersprüche, die an Brisanz zunehmen, und die das System scheinbar nicht auflösen kann. Nicht die Rechte ist dazu in der Lage, die weitere Militarisierung der Grenzen befürwortet und neue Elemente der Repression, und damit auch neue Widersprüche, vorschlägt. Ebenso wenig ist das Mitte-Links-Bündnis dazu in der Lage, das für eine Integration gemäß der kapitalistischen Ausbeutungslogik steht, die zweifellos intelligenter, aber gleichermaßen diskriminierend und ausschließend auf das Phänomen der Einwanderung reagiert, welches aufgrund der Verarmung und der Kriege auf großen Teilen des Planeten exponentiell anwächst.

Unsere Überzeugung ist es deshalb, dass sich diese Kämpfe mit wachsender Beteiligung der MigrantInnen auf allen Ebenen und überall wiederentzünden werden.

Kämpfe und Mobilisierungen haben praktisch während der gesamten 90-er Jahre des vergangenen Jahrhunderts stattgefunden, doch sie haben einen gespaltenen und fragmentarischen Charakter nicht überwunden. Um es anders zu sagen: Noch existiert keine wirkliche Bewegung der EinwandererInnen und auch keine stabile Front der antirassistischen Kräfte. Nur eine konsistente Erweiterung der sozialen Kräfte, die den Kampf wählen um eine Wende zugunsten der unterdrückten Klassen, und also der EinwandererInnen, nur eine wahre Einheit von unten, die auf direkten Erfahrungen beruht, kann zum Eintritt in eine neue Phase führen. Es gibt einige Zeichen, die in diese Richtung deuten und die uns dazu auffordern, hier zu insistieren.

Das Forderung einer Legalisierung ohne Bedingungen ist gegenwärtig sehr lebendig unter den MigrantInnen und den ernsthaften AntirassistInnen. Wir wollen uns für den Aufbau einer wirklichen italienweiten Kampagne einsetzen, um dieses Ziel zu erreichen. Wir beginnen neue Formen der politischen Arbeit und einer minimalen Organisation der Arbeit zu untersuchen. Wir denken auch an die vielfältigen Erfahrungen der Selbstorganisation, welche diese Kampagne bestärken könnte.

Wir sind überzeugt, dass es wichtig ist, die nationalen Beschränkungen in dieser Arbeit zu überwinden.

Eine gemeinsame Plattform, die auf den realen Kämpfen der letzten zehn Jahre aufbaut, eine gemeinsame Methode, die auf der vollen Unabhängigkeit von den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Institutionen des Kapitalismus beruht sowie auf dem Willen, einen Austausch der Erfahrungen und der Ideen zu beginnen, ist mit Sicherheit einer der möglichen Ausgangspunkte für den Aufbau einer starken Bewegung in Europa und in jedem einzelnen Land.

Fabio Zerbini (a3f Mailand)


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