Thekla 6 - April 1985 - S. 15-27 [t06alqua.htm]


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Einführung von Romano Alquati zur Neuherausgabe der Texte 1974

aus: »Sulla FIAT e altri scritti«, Mailand: Feltrinelli 1974
(deutsche Übersetzung in Thekla Nr. 6, Arbeiteruntersuchung bei FIAT, 1985, S. 15-27)

Diese Anthologie von alten Texten einer politischen, vielleicht etwas eigenen Publizistik, wendet sich heute an die jungen Kader der sogenannten »Bewegung«: es handelt sich zum Großteil um Artikel, die Anfang der 60er Jahre in Zeitschriften wie »Quaderni Rossi« (»Rote Hefte«) und »Classe Operaia« (»Arbeiterklasse«) erschienen sind. Heute gibt es wohl mehr Leute als damals, die sie lesen und suchen: Studenten, die die übliche Dissertation über die Kämpfe der 60er Jahre schreiben müssen; junge Kader der Arbeiterbewegung, die nach den Quellen einer Reihe von herrschenden Ideologien suchen; Soziologen, Politik- und Sozialwissenschaftler, die das Bedürfnis haben, die Thematiken des letzten Jahrzehnts zu überprüfen; schließlich Jungunternehmer, die nach Anregungen für neue Strategien der kapitalistischen Entwicklung suchen.

Ich habe mir überlegt, nach über zehn Jahren die Texte neu zu veröffentlichen und zwar alle zusammengefaßt und jeden mit einer kurzen einleitenden Bemerkung versehen, die vor allem dazu dienen soll, sie in der (lokalen) Geschichte einzuordnen. Ich ziehe dabei nicht Bilanz über die partielle Erfahrung, zu der sie im heutigen Licht besehen gehören: ich beschränke mich darauf, einige Bemerkungen über die mikropolitischen Ereignisse und die der Gruppe zu machen, die unmittelbar mit den Texten zusammenhängen. Ich habe mich zuweilen auch über Miseren an der Grenze zum Privaten ausgelassen, weil ich glaube, daß sie einen Lichtstrahl auf die öffentlichen Miseren jener Jahre freilegen und weil ich hoffe, daß der junge Leser dazu angeregt wird, gerade von hier aus die Art jener Gruppe, Politik zu machen, die die Geschichte — originär — gestaltete, nochmals zu überdenken.

Jene alte, so ungenaue und ambivalente Erfahrung scheint, mehr oder weniger direkt, widersprüchliche Linien, Positionen und Haltungen hervorgebracht zu haben, die sich recht stark von heutigen Fragestellungen unterscheiden. Ich werde versuchen, nicht die Überlegungen einiger Erben gegen die der anderen zu verfechten. Dennoch muß ich sagen, daß ich immer mehr perplex bin über die Interpretationen und die Geschichten, die mehr oder weniger vorsätzlich von Genossen, an deren Seite ich damals arbeitete, über jene Ereignisse und ihre Bedeutung verbreitet werden: zuweilen scheinen sie mir ebenso willkürlich wie die Beurteilungen und Kritiken, die in 15 Jahren von externen Kommentatoren gekommen sind. Trotz der fortwährenden Linienänderungen und Korrekturen scheint mir, daß diese Materialien eine Einheit und eine Kohärenz bewahren, die vielleicht gebietet, daß man sie in einem bestimmten historischen Zusammenhang als Ganzes betrachtet. Man muß betonen, daß es sich nicht um Abschnitte einer theoretischen Essayistik handelt: einerseits verfügte ich nicht über publizistische Instrumente, die für ein höheres Abstraktionsniveau im Bereich jener besonderen Erfahrungen geeignet waren, andererseits und vor allem hatte ich mir andere Ziele gesetzt. Das bedeutet nicht, daß diese Materialien und die politische Aktion, deren Moment sie gewesen sind, nicht mit einer spezifischen theoretischen Ausarbeitung in Zusammenhang gestanden und daß ich sie nicht für eine Sache von erster Bedeutung gehalten hätte: aber diese theoretische Arbeit taucht hier nur andeutungsweise auf.

In den Artikeln versuchte ich, die Theorie in politische Organisierung umzusetzen, die fähig ist, sich zu vergesellschaften und subjektiv in der täglichen Praxis der Massenbewegung der Arbeiterklasse zu wachsen. Es handelt sich um einige Beispiele einer politischen Publizistik, die ihren Gesprächspartner erst sucht, im Bemühen, das eigentliche Subjekt zu entschlüsseln und zum Vermittler politischer Kommunikation zu machen; eine Erfahrung, die, obwohl sie massenhaft werden wollte, vor allem auf die Bestimmung der Haupthindernisse und -probleme gerichtet war, die sich stellten, wenn man erfolgreich in dieser Richtung vorstoßen wollte. Nichts anderes. In diesem Sinne ist sie eine »wissenschaftliche« Erfahrung gewesen. Sie war eine keinesfalls sekundäre Komponente beim Versuch, politische Wissenschaft vom Klassenstandpunkt aus zu realisieren in einem bestimmten historischen Augenblick, mit theoretischen und praktischen Instrumenten, deren Dürftigkeit wir uns, trotz allem, wohlbewußt waren. Die Kommunikationskanäle, für die die verschiedenen Texte bestimmt waren, wählten die aus, die mehr der Bedenklichkeit einer solchen wissenschaftlichen und politischen Arbeit entsprachen, wegen der Möglichkeiten, das Funktionieren des Ansatzes in der Bewegung zu überprüfen. Deshalb sollte die »Wissenschaftlichkeit« der gesammelten Materialien nicht im Abstraktionsgrad oder in der eventuellen Erhabenheit der Gedanken oder in der wenig wahrscheinlichen Profundität der individuellen Ausarbeitung gesucht werden, sondern in der mehr oder weniger vorhandenen Fähigkeit zu praktischem Aufbau und Organisation auf der Ebene und im Sinne des Ansatzes, auch wenn dieser Ansatz in Bewegung war und fortwährend vom Innern der Kampfbewegung heraus neu bestimmt wurde.

Wir hielten die Praxis der politischen Organisierung der Bewegung für das machtvollste Mittel der Erkenntnis im Innern dieses Keims einer alternativen Wissenschaft, diese Erkenntnis wurde ihrerseits als Macht benutzt in jenem partikularen politischen Sinn. Wir hielten es für ausgemacht, daß die »bürgerlichen« Sozialwissenschaften, die die Linke gerade in jenen Jahren mit einer unsäglichen Mühe und nach Jahrzehnten der moralischen Ablehnung neu entdeckte, bestenfalls »kritisch« benutzt werden könnten zur Einleitung dieser politischen Wissenschaft vom Arbeiterstandpunkt aus; dies führte zu einigen, wenn auch nicht allzu schwierigen Problemen. In dieser Richtung habe auch ich in jenen Jahren soziologische und interdisziplinäre Forschung, primär und sekundär, betrieben; sie hat jedoch keinen Niederschlag in den Artikeln gefunden; im Gegenteil. Ich habe die Ergebnisse jener originären Feldforschung nie irgendwo veröffentlicht; ich habe nicht einmal die Ergebnisse der soziologischen Untersuchung bei FIAT von 1960/61 veröffentlicht, die viele gelesen haben wollen! Jahre der, auch soziologischen, Arbeit, mit konventionellen Quellen und mit nicht konventionellen Erkenntnisquellen bleiben auf dem Buckel dieser »wissenschaftlichen« Publizistik, d.h. taktisch vermittelt und umgebogen nach dem Ziel jenes Augenblicks: ein ferner Augenblick, der nicht mehr wiederkehren wird. Und das ist mein erstes Motiv, wenn ich diese Anthologie den Jungen anbiete. Mir scheint, sie sind sich nicht darüber im klaren, wie alt eine ganze Reihe von vorgeblichen Neuheiten schon sind und daß sie ständig in Gefahr sind, alte Trampelpfade auszutreten!

Zudem sollen sie sich darüber klarwerden können, daß, selbst wenn die Suche nach einem Instrument und einem publizistischen Zuschnitt, der politisch und organisatorisch vom Arbeiterstandpunkt ausgeht, ein zentraler Knoten bleibt, organisatorische Ebenen wie die jener »historischen« Erfahrung schon damals nur die allernotwendigsten waren. Heute sind sie schon absolut inadäquat. Wir nahmen uns also vor, weit über dieses Minimum hinauszugehen; wir wußten nicht wie, wir konnten die Ebene nicht erreichen, die wir anstrebten, von der aus allein diese Art, wissenschaftliche Politik vom Klassenstandpunkt aus zu machen, auf einer weniger prekären Linie hätte ablaufen können. 1966 haben wir damit abgeschlossen: 1961 war diese Prekarität fast das historisch mögliche Maximum.

Aber das gilt nicht mehr für heute!

Deshalb betrübt es einen zu sehen, wie wichtigtuerisch und oberflächlich mittelmäßige Karikaturen dieser alten Erfahrung neu vorgeschlagen werden, die aber nicht einmal mehr die unmittelbare Stoßkraft heben wie in jenem historisch-politischen Augenblick, nämlich als volle Beherrschung von Strategie und Taktik, von Theorie und Organisation. Innerhalb eines anderen Zyklus, der wohl andere Möglichkeiten bietet, transformiert sich die Prekarität, die wir überwinden wollten, in ruhige und sogar zufriedene Partizipation am System, die sich von anderen Formen der Partizipation nur unterscheidet, weil man diese eher für untergeordnet und irrelevant hält, während man selbst überzeugt ist, einen revolutionären Kampf zu praktizieren.

Ich veröffentliche diese alten Sachen wieder, weil ich hoffe, so zur Entschlüsselung der neuen Charakteristiken des Kampfzyklus der 70er und 80er Jahre im Vergleich zum vergangenen beizutragen; es ist nötig, die Grundcharakteristiken dieses neuen politischen Zyklus erfassen zu können, ohne die alte Leier mit neuen Entdeckungen zu verwechseln.

Im übrigen könnte man dieser Anthologie den Titel »Fünf Jahre Einsamkeit« geben, denn ich habe immer wieder bestimmte Vorschläge gemacht, auf die es in jenem Augenblick fast kein Echo gab. Jahrelang habe ich anderen eine Untersuchung über die Zusammensetzung der Arbeiterklasse vorgeschlagen, und zwar aus dem Innern der Bewegung heraus und funktional für ihre subjektive Organisierung, aber dieser Vorschlag interessierte damals fast niemanden. So bilden die Texte eine Art Tagebuch, mal ein persönliches, mal eines der Gruppe. Der Diskurs windet sich in der Mitte zwischen Abstraktem und Konkretem, er erreicht die angestrebte Konkretheit im politischen Handeln nicht: sicher aus Mangel an politischen Instrumenten, die den Notwendigkeiten von Organisierung der Bewegung, in der man sich angesiedelt hatte, entsprochen hätten, aber auch aus Mangel an Linie. Deshalb oszilliert er zwischen den historischen Institutionen der Arbeiterbewegung und dem Versuch einer autonomen politischen Organisierung der Arbeiterklasse.

Ich bin mir bewußt, wie beschränkt dieser partielle Diskurs ist, der weder Fisch noch Fleisch ist, weil er zu viele Bereiche/Zusammenhänge und zu viele Verknüpfungen, auch für jene Jahre, ausläßt; gerade damals konnte vielleicht mehr noch als heute die Erfahrung der politischen Organisation diese Bereiche und diese Verknüpfungen nicht leugnen. Dies erklärt teilweise unsere Unfähigkeit, den Sprung zu realisieren. Im übrigen konnten diese Grenzen nicht einmal heute politische Kräfte überwinden, die zweifellos sachkundiger und reifer und auch theoretisch besser gewappnet sind. Bitterkeit kommt auf bei der Feststellung, wie zehn Jahre des Wachstums der internationalen subjektiven Kräfte auf dem Terrain, auf dem sich trotz allem der Diskurs bewegt, den ich hier wieder veröffentliche, recht wenig beigetragen haben: sie haben vor allem dazu beigetragen, es zu verlassen!

Die Tatsache, daß man sich heute auch innerhalb der historischen Institutionen der Arbeiterbewegung auf diese Erfahrung beruft und sie bisweilen fast als entscheidendes Moment der eigenen theoretischen und praktischen Schulung übernimmt, freut mich nicht.

Auch mächtige Parteien und Organisationen hätten trotz ihres kostspieligen Forschungs- und Bildungsarsenals bei weitem die Entdeckungen dieses Kleinhandwerks nicht übertreffen können, das es nicht geschafft hat, die eigenen engen Grenzen zu überwinden.

Oft wird auf den Seiten dieser Anthologie auf das zweideutige Thema der »Mituntersuchung« (conricerca) angespielt, in der Folge werden andere von »Arbeiteruntersuchung« sprechen und so einige Verwirrung in die Sache bringen, wo sie schon im Überfluß vorhanden war; ich möchte deshalb vorsichtshalber etwas präzisieren. Die politischen Ereignisse, die man erahnen kann beim Lesen dieser Materialien, folgen alle auf eine ursprünglich soziologische Untersuchung, die eine heterogene Gruppe bei FIAT durchgeführt hat und die hier mit verschiedenen Methoden der Feldforschung experimentierte. Dabei griff man sogar auf Techniken der »Selbstuntersuchung« (autoricerca) zurück, wenn auch nur zaghaft und sporadisch: man ließ sich zur Selbstanalyse in der Gruppe inspirieren etc., aber man machte es innerhalb einer soziologischen Untersuchung, die nur dazu verwendet wurde, eine erste Beziehung zum Terrain aufzubauen. Es handelte sich um unterschiedliche Momente einer einleitenden Erkundung des Felds, aus dem sowohl wir als auch die Arbeiterbewegung »draußen« waren und das nicht leicht zu betreten war; unnötig zu sagen, daß es ein der italienischen Linken unbekanntes Terrain war; und solange man außerhalb stand, hatte die (französische, englische und amerikanische) Industriesoziologie einige Hypothesen anzubieten.

Es handelte sich um eine Untersuchung über die Arbeiterklasse des rationalisierten Unternehmens und für ihre Durchführung ließen wir uns von verschiedenen Vorgehensweisen inspirieren. Hätte es sich um Selbstanalyse oder traditionelle Forschung gehandelt, hätte es Untersuchungssubjekte oder -objekte gegeben; zu präzisieren ist der Punkt, daß man sich doch immer auf einzelne Arbeiter oder Arbeiterkerne bezog, die die Untersuchung flüchtig durchliefen als einzelne Produzenten, als individuell im Arbeitsprozeß präsente Arbeiter, die Informationen lieferten,, die wir in der einen oder anderen Weise aufarbeiteten. Wenn am Anfang zuweilen Militante der Gewerkschaften dabei waren, so geschah dies nur, weil wir die Gewerkschaftskanäle benutzten, da es äußerst schwierig war, anders an die FIAT-Arbeiter heranzukommen; auch die Gewerkschaftsmitglieder hatten oft Angst, über die Fabrik und über die Arbeit zu sprechen. Jedenfalls nahmen wir oft über den Militanten Kontakt mit dem einzelnen Arbeiter auf; in der Folge hängten wir uns wieder an den Gewerkschafter, aber erst nachdem wir die ersten Charakteristiken der neuen Gesamtsituation der Fabrik begriffen hatten.

Auf dieser Ebene machten wir daraus trotz allem keine »Arbeiteruntersuchung«. Wir machten hingegen eine soziologische Untersuchung über die Arbeiterklasse, weil die einzelnen Arbeiter wieder einmal nur als Quelle von ersten Informationen in der Untersuchung auftraten, die wir dann außerhalb ausarbeiteten. Aber der Übergang zur zweiten Phase bedingte eine Beziehung zum kollektiven Arbeiter und das Zielen auf den subjektiven Augenblick!

Wir werden sehen, daß nur ein Teil der Gruppe sich diesen Ablauf vornahm und somit die soziologische Untersuchung als provisorisches und Hilfsmoment betrachtete. Für die anderen war sie das Gegenteil: die politische Beziehung zum kollektiven Arbeiter und zu seiner anstehenden autonomen Organisierung war ein Mittel, um die soziologische Untersuchung zu realisieren.

Das ist der entscheidende Punkt: eine »Arbeiteruntersuchung« als Selbstuntersuchung von Zusammenhängen von einzelnen Arbeitern oder als Selbstuntersuchung von irgendwelchen Gruppen von einzelnen Arbeitern, die die Soziologen zusammenstellen, war damals keine geringe Sache, insbesondere in einem Land, in dem niemals jemand Feldforschung betrieben hatte und in dem man von Soziologie soeben zu reden anfing. Dennoch wollte auch die »Untergruppe«, die dies vertrat, aus der soziologischen Untersuchung eine politische Arbeit auf Klassenebene machen und verwechselte sie nicht mit diesem subalternen Stadium des Gebrauchs der soziologischen Untersuchung, der nur eine erste Annäherung an die »Autoricerca« (Selbstuntersuchung) war begriffen als Moment der politischen Organisierung der Arbeiterklasse.

Für uns war also »Arbeiteruntersuchung« ein provokatorischer Slogan gegen die versteinerten historischen Institutionen. Sie war also in der Tat kein Ausgangsinstrument, im Gegenteil, sie war ein weit entferntes Ziel; denn sie bedeutete Untersuchung, in der die Arbeiterklasse als solche das Subjekt war: was ein sehr hohes Niveau von Bewußtsein und von schon realisierter politischer Arbeiterorganisation voraussetzte! Die Mituntersuchung auf Arbeiterebene (oder besser die Selbstuntersuchung) gab es nur als Vorsatz in diesem ersten rudimentären Anhängen an einzelne Arbeiter mit dem Ziel., die ersten einleitenden Informationen von außerhalb zu bekommen. In Wirklichkeit setzte sie ein weit entferntes Ziel, weil sie schon die kollektive politische Arbeiterorganisation verlangte und nicht nur die Ausweitung und das Wachstum der »autonomen« Organisierung (übrigens eine andere gigantische Aufgabe 1960 bei FIAT). Wir nahmen uns dieses zweite Ziel vor, das sicher nicht das nächstliegende war, und wollten praktisch die ersten Schritte in dieser Richtung realisieren. Wir glaubten, daß dies der Weg der politischen Wissenschaft vom Arbeiterstandpunkt aus wäre, als deren Funktion wir diese Publizistik versuchten. Wir verstanden »Arbeiter-« in einem Sinn, den wir als neo-leninistisch definieren könnten, der also die politische Avantgarde und die politische Organisation von der Massenavantgarde der Arbeiterautonomie und von der Masse der Werktätigen und der Produzenten als aktive Arbeitskraft unterschied. Doch nicht zufällig vermittelten wir sie mit Luxemburgianischen Elementen. Wir glaubten, daß die ersten Schritte wären: einerseits Entwicklung von irgendwelchen Interessenzusammenhängen von einzelnen Arbeitern zu Kernen der »permanenten autonomen« Organisation — innerhalb der spezifischen politischen Zusammensetzung, die die Klasse innerhalb ihrer Kampfbewegungen realisierte —; andererseits die auch praktische Realisierung einer dialektischen Interaktionsbeziehung zwischen autonomer Organisation des kollektiven Arbeiters und den Kernen der organisierten politischen Avantgarde, die uns interessierten, sowohl, weil sie in der autonomen Organisation präsent waren (in Rollen, die noch alle aufzudecken waren), als auch als reale Basis der institutionalisierten Arbeiterbewegung, in die wir die Kapazität der Bewegung der Arbeiterklasse erweitert einbringen wollten, um hier Prozesse der Neubegründung zu eröffnen.

Auch in diesem Fall handelte es sich um ein schrittweises Vorgehen. Die »Mituntersuchung« mit der Arbeiterklasse war ein weit entferntes Ziel: in der kurzen Zeit in jenem historischen Augenblick ergab sich die einzig praktikable Mituntersuchung mit Kernen der historisch existierenden politischen Organisation innerhalb der Fabrik.

Ich habe also Erfahrungen mit der Mituntersuchung gemacht und in diesen Artikeln daran erinnert und zwar mit Kadern, mit Militanten der realen und formalen Basis der Arbeiterbewegung, in dem Maß, wie sie institutionelle und außerinstitutionelle politische Organisation war, die sich auf die Klasse berief , zuweilen auch nur ideologisch, und indem sie in der Fabrik präsent war; in dem Rahmen, wie diese Mitglieder absolut spezifische Knotenpunkte des kollektiven Arbeiters in der Phase seiner Neuzusammensetzung waren!

Es handelte sich dabei um winzige Minderheiten in einer gärenden Masse.

Auch innerhalb eines einzelnen Unternehmens, wie wichtig es auch sein mag, auch innerhalb nur einiger Werkshallen dieses Unternehmens zum Wachstum der autonomen Organisation beizutragen, war eine gigantische Aufgabe für die paar isolierten Individuen, die wir damals waren: ohne eine Lira und aus der gesamten historischen Linken stammend: aber »die Arbeiterklasse« bewegte sich auf einer qualitativ — und nicht nur quantitativ — viel weiteren und höheren Ebene! Die Mituntersuchung auf der Ebene allein der »Autonomie« war schon ein höchst schwieriges Unternehmen, das eine politische Organisation erforderte, die sich zumindest im nationalen Rahmen auf Massenebene bewegen kann: schon dies war notwendigerweise ein 1960 sehr weit entferntes Ziel. Sich die politische Organisation der Arbeiterklasse vorzustellen, die Bedingung war für eine Arbeiterselbstuntersuchung!

Für einige von uns hieß deshalb im Frühjahr 1960 »Klassenuntersuchung« zu sagen schon ein bißchen wie Revolution oder revolutionärer Prozeß zu sagen, weil es bedeutete, die richtige (welche?) Beziehung zwischen der Theorie und der politischen Organisation und der Kampfbewegung zu realisieren, nachdem man schon die angemessenen (welche?) Instrumente entwickelt hat. Andersrum war die »Mituntersuchung«, an die wir in den hier gesammelten Texten bisweilen erinnern, nur eine besondere Beziehung zwischen mir und einigen anderen Genossen der externen politischen Avantgarde und einigen Militanten in der institutionellen Arbeiterbewegung, die im allgemeinen, aber nicht immer, dem Apparat und den Leitungen kritisch gegenüberstanden: mir scheint der abgrundtiefe Unterschied zwischen den beiden Bedeutungen evident. Was mich betrifft, so habe ich in der Folge eher den institutionellen Aspekt dieser »Mituntersuchung« betont, indem ich sie auf eine mittlere Ebene verschoben habe.

Ich habe die Mituntersuchung ausprobiert auf der Leitungsebene der historischen Institutionen und schließlich der Apparate; um später diese Verwechslung zwischen Klassenselbstuntersuchung und Mituntersuchung zu entmystifizieren .

Diese offensichtliche Abweichung wird um so notwendiger erscheinen, wenn man daran denkt, daß das Terrain unserer Intervention vor allem FIAT in Turin war und davon Mirafiori. Also eine Arbeiterkonzentration von solchen Dimensionen und einer Zusammensetzung, daß sie immer auch unmittelbar, massenhaft und vergesellschaftet erscheint; die auch in den Bewegungen ihrer Avantgarde eine gesellschaftliche Masse darstellte, die gegliedert war von einer fließenden und anfangs fast unangreifbaren Organisation; wo die gewerkschaftliche Organisation sehr schwach war (und nicht einmal heute hoch ist) und wo die Aktiven wenige versprengte Genossen waren, oft unfähig, die Knotenpunkte der autonomen Organisation zu erkennen, die rings um sie aufgebaut wurde. Hier erscheint das Subjekt als eine gesellschaftliche Masse, die als solche schon autonom organisiert ist, aber in nichtinstitutioneller Weise, in einer verborgenen Weise, nämlich fließend, immer in Bewegung: und es ist bis heute so, auch nach den Fabrikrepräsentanzen und den Delegierten! Hier war die Mituntersuchung entweder eine erst in der Zukunft realisierbare Forderung oder sie war eine mystifizierte und recht kurze Beziehung zwischen irgendwelchen Forschern und einzelnen Arbeitern!

Die Neuentdeckung vom Marx des Kapitals am Ende der 50er Jahre verbindet sich mit der Wiederaufnahme einer soziologischen Forschung auch seitens von Marxisten, die sie zum einen mit einer neuen und ausbrechenden sozialen Unmittelbarkeit (Spontaneität) konfrontierte, zum andern veranlaßte sie die Forscher, etwas Konkretes, auf der Höhe der neuen Erfahrungen, einzuatmen. Man strebte eine neue, wirksamere Theorie an, gegründet auf die neuen Bestimmungen, die sich im Unmittelbaren der Bewegungen einer erneuerten Arbeiterklasse boten, und man theoretisierte viel über »bestimmte Abstraktion«. Unser Ausgangspunkt war die Entdeckung und Verwertung neuer und politisch recht relevanter Charakteristiken von jungen Avantgarden der Massenarbeiterklasse in den dynamischen Großunternehmen, Avantgarden, die schon potentiell die Hegemonie hatten und noch am Anfang einer vorhersehbaren Phase von qualitativer Ausweitung standen: ihr Anwachsen wurde als Druck auf die historischen Organisationen der Arbeiterbewegung benutzt, außerhalb derer diese Arbeiterklasse gerade anschwoll und ihre eigenen charakteristischen Kampfbewegungen neu zusammensetzte.

Einerseits problematisierten wir die Arbeiterklasse neu. Die begriffliche Umsetzung ihrer besonderen Erscheinungsformen nach einem politischen Schlüssel ist noch heute das schwierigste theoretische Problem: es ist vielleicht sogar das größte noch ungelöste theoretische Problem. Andererseits behaupten wir auch, daß die Arbeiterklasse sich nur aus dem Innern ihres Systems von Kampfbewegungen heraus erkennt und organisiert. Obwohl das freilich schon eine ideologische These sein kann, zählt für die Geschichte jener subjektiven Kräfte die Tatsache, daß es, um innerhalb der Bewegung zu sein, und zwar auf eine Weise, die ihrer Ebene und ihrem Wert als Klassenbewegung entspricht, nicht ausreicht, innerhalb von Teilabschnitten (wie wichtig sie auch seien) der Gesamtklasse eingeschlossen zu sein, sondern man muß praktisch sofort über eine politische Organisation verfügen, die ihre eigene Rolle und ihre eigene Arbeitsweise auf der gesamten Ebene wahrnimmt oder ihre Realisierung in Angriff nimmt, nachdem sie diese Funktion auf einer ausreichend national breiten und wie auch immer »sozialen« Ebene eingenommen hat.

Wir waren uns darüber bewußt, daß wir entweder diesen Sprung realisierten oder die Klassendimension nicht mehr erfaßten. D.h. man erfaßt die Klasse von innerhalb der Bewegung heraus, aber nur, wenn man dabei aus dem Innern ihrer Organisation heraus vorgeht: also »ihrer«; und die gab es nicht und gibt es bis heute nicht.

Die Wahl fiel auf FIAT gerade wegen der Besonderheit, daß sich der Kampf dort unmittelbar verallgemeinerte und vergesellschaftete. Damals war die Situation der Arbeiterbewegung und der traditionellen subjektiven Kräfte so erstarrt, daß es möglich war, eine Aktion in Gang zu bringen, die vielleicht gerade in ihrer Unmittelbarkeit politisches Gewicht hatte, weil sie sich auf die Besonderheit jenes noch einmal tragenden Klassensegmentes stützte.

Meiner Meinung nach war das ein außergewöhnlicher Augenblick und er dauerte nicht lange; in der Folge, schon von Beginn der zweiten Hälfte der 60er Jahre an, war er zu Ende; die Wiederholung einer analogen Erfahrung hätte heute politisch recht wenig Sinn. Damals war die Entscheidung zur Intervention in den großen dynamischen — privaten wie öffentlichen — Unternehmen (auch wenn sie sich offensichtlich nicht in den Sprung zur politischen Organisation umsetzen ließ) keine operaistische Wahl; es war die Wahl eines Terrains, von dem aus man im politisch-institutionellen Moment (also den traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung, d.Ü.) eine vertikale Krise der Strategie und Taktik eröffnen konnte. In der Gewerkschaft war dies sofort augenfällig: in der Partei ist es das in Wirklichkeit erst heute. Es ist später merkwürdig, wie sich — von einem Kampfzyklus zum anderen — die Haltung der Arbeiterbewegung gegenüber FIAT verändert hat.

Damals war der Vorstand von FIAT der Anführer einer kapitalistischen Offensive, innerhalb derer versucht wurde, die in der Folge eines großen technologischen Sprungs veränderte Arbeitskraft zu integrieren. Deshalb erschien FIAT als Feind Nr. 1 der Arbeiterklasse, auch weil das Unternehmen als Chef der Regierung erschien, mit einer direkten Kontrolle über einen Großteil des politischen Systems und weil FIAT endlich im Zyklus der 60er Jahre die effektivste politische Verbindung von Profit, Rendite und Interesse repräsentierte, die den Kapitalisten in jenen Jahren gelungen war: und die DC bezog sich darauf.

Heute (1974) erscheint FIAT vielen als progressiver Alliierter der Industriearbeiterbewegung gegen die Rente (gemeint ist hier die Front der »Produktiven«, also Industriekapital und Arbeiterschaft, gegen die »Unproduktiven«, die vom Staat finanzierten Bereiche, die Bürokratie etc., d.Ü.), die auch in der Arbeiterbewegung in ihren tertiären Komponenten stark ist; ein Alliierter, der offen ist für die industrielle Produktion »sozialer Dienstleistungen«, (auch wenn dies der Mehrwertproduktion dient, da FIAT sie der kybernetischen Maschine unterwirft), der die öffentlichen Dienste abschaffen will , und nicht nur sie, die nur darauf ausgerichtet sind, die Rente umzuverteilen und zu vermehren im Namen des gesellschaftlichen Lohns und verbunden mit dem »angemessenen Profit«. Trotz der Allianz mit Cefis und der Führung der Confindustria.

Wir wählten FIAT, weil es seit 50 Jahren die Massenavantgarde der wachsenden Autonomie war und diese Fabrik, wie wir voraussahen, vielleicht in der neuen Beziehung, vielleicht in der neuen Zusammensetzung, auch für die 60er Jahre Massenavantgarde geblieben ist. Die »jungen Kräfte« waren die neuen Avantgarden der erneuerten Arbeiterklasse. Sie tauchten auf aus der neugegliederten atomisierten und dequalifizierten Arbeitskraft in einem nun ausbrechenden Prozeß der Mechanisierung und gleichwohl Vergesellschaftung der Arbeit.

Die Entdeckung, daß sie die innere Avantgarde eines neuen Moments der Zusammensetzung waren, begünstigte das Zusammenkommen von Genossen, die die Erfahrung durchführten: der Ausdruck »Klassenzusammensetzung« selbst wurde zum ersten Mal benutzt im Lauf einer solchen Erfahrung und er war vielleicht das »Schlüsselterrain«, von dem aus die theoretische Ausarbeitung, die politische Linie und auch der methodologische Vorschlag ausgingen, aber ohne sehr weit zu gehen. Ohne so weit zu gehen, wie es unabdingbar war, deshalb wandte man sich in der Folge anderen Dingen zu und ließ jene »politische« Leere zurück.

Obwohl die theoretische Ausarbeitung über die entstehende Klassenbewegung zu Beginn des Zyklus der 60er Jahre , zumindest auf mittlerer Ebene, einer von wenigen Versuchen geblieben ist und — trotz allem — bis zum heutigen Tage vielleicht die ist, die am wenigsten hinterherhinkt, muß man doch einsehen, daß es sich um eine Zusammensetzung, um Bewegungen eines Zyklus handelt, die schon überwunden sind, die wir bereits hinter uns haben.

Seit gut fünf Jahren hat ein neuer Zyklus begonnen. Der ganze Diskurs über die Klasse fängt wieder von vorn oder fast von vorn an, und so wird auf der Höhe des Zyklus der 70er Jahre der ganze Rest des Diskurses von neuem angegangen, einschließlich des Sprungs zur revolutionären politischen Organisation.

Die augenfälligste politische Komponente war zu Beginn der 60er Jahre nach dem Zusammenzucken des VIII. Parteitages die Rückkehr der Kommunistischen Partei in eine diskrete Unbeweglichkeit. Sie war starr verschanzt und auf der Suche nach Gehör bei ihren alten Alliierten (Gewerkschaften, Parteien, d.Ü.), die schon nach und nach ausgegrenzt waren; sie befand sich in einer Phase des Mitgliederrückgangs und der qualitativen Umstellung, während die Christdemokraten Boden gewannen bei den neuen Ganglien der dynamischen kapitalistischen Sektoren, in der veränderten Struktur des Finanzkapitals und in den neuen Interessengruppen innerhalb des alten Staates. Gerade deshalb war es also entscheidend, erfolgreich das Auftauchen eines Willens zur Macht zu lenken, den die Klassenbewegungen an die geschlossene und unbewegliche historische Partei der Arbeiterklasse herangetragen hatten, Hier traf man sich zu wenigen, um den Versuch zu machen und zwar mit geradezu entgegengesetzten Zielen: einige Sozialisten und einige Gewerkschafter, besonders von der KPI, und einige junge Intellektuelle. Es war ein zwar, wie wir sehen werden, belastetes Zusammenkommen, das aber in bestimmten außergewöhnlichen Augenblicken unglaublich effektiv war, gemessen an unseren geringen Kräften. Die außergewöhnliche und nicht wiederholbare Bedingung war, daß das politische System und die institutionelle Arbeiterbewegung auf keine Antwort vorbereitet waren: ihre brüchige Starrheit machte sie sehr verwundbar.

Obwohl das mittelfristige Ziel fast für alle eine »vertikale Krise« zur Neubegründung der KPI war, fand sie den promptesten und augenfälligsten Widerhall in der Gewerkschaft. Es ergab sich in der Tat schon damals und noch einmal eine Konfliktsituation zwischen der Gewerkschaft, die genötigt war, eine wenn auch nur institutionelle Beziehung zu jener Arbeiterklasse aufzubauen die gerade in den höchsten Punkten der Entwicklung zur Bewegung wurde, und der Partei der werktätigen Bürger. Eingeschlossen im politischen System und abgetrennt von der Klasse, strebte diese eine schwierige Vermittlung an: eine Vermittlung mehr innerhalb dar Partei als zwischen den Parteien des Staates, eine Vermittlung zwischen entgegengesetzten Interessen, was zum Großteil Ausdruck von rückständigen Momenten des Kapitals selbst und der bürgerlichen Gesellschaft war, aber niemals auf die Bewegung der Arbeiterklasse zurückzuführen war. Das brachte die Gewerkschafter (besonders in den Arbeitskammern [Sitz der CGIL, d.Ü.] der territorialen und sektoralen Knotenpunkte, in denen der Prozeß der Neuzusammensetzung weiter gediehen war) dazu, innerhalb des »Transmissionsriemens« Druck zu machen, um autonome Räume zu bekommen, die unerläßlich waren, um sich an die Autonomie der Bewegungen dieser jungen Arbeiterklasse anzuhängen, Räume, um dann aber wieder unmittelbar »innerhalb und gegen« die Partei zu spielen, um ihre Taktik und Strategie neu zur Diskussion zu stellen.

Der versuchte Dialog mit Sozialisten, Gewerkschaften und kommunistischen Kadern auf verschiedenen Ebenen war jedoch von Anfang an ein Kraftakt und brach bereits kurz darauf ab: die Arbeiterklasse und ihre autonome Avantgarde trieben die Bewegung auf Kampfebenen, die sogar für jene innovatorischen Minderheiten der institutionellen Arbeiterbewegung zu weit vorgeschoben waren, und zwang so die Gruppen, die »vermitteln« wollten, und obgleich sie der Klassenautonomie verbunden blieben, in eine Situation des Bruchs und der Isolation. Die Unmöglichkeit der Vermittlung leitete sich meiner Meinung nach weniger aus einem einfältigen und deshalb unpolitischen Extremismus ab, als von der Rückständigkeit der politischen Grundlinie der gesamten institutionellen Arbeiterbewegung, die in der Tat arbeiterfeindlich war, auch in ihren linken, operaistischen und technokratischen Bestandteilen, weil sie zu sehr zurück war hinter der in diesen Kämpfen entstehenden politischen Forderung. Seit Mitte der 60er Jahre und innerhalb des alten Kampfzyklus hatte der auf die Industriearbeiter bezogene Teil der Gewerkschaft schon einen Gutteil unseres Diskurses aufgenommen und über das Terrain der Tarifverträge und der Konfliktualität hinausgebracht, aber das war nicht das grundlegende Moment, das der Kampfzyklus der 60er Jahre den subjektiven Kräften aufzwang. Die »politische Gewerkschaft« füllte die Leere nicht, im Gegenteil! In der ersten Hälfte der 60er Jahre wurde die neue horizontale und vertikale Gliederung der Arbeitskraft sichtbar, die — dank einer Mobilität ohne Beispiel — von der neuen Ordnung der Produktionsverhältnisse gezogen wurde, die in den großen Unternehmen der dauerhaften Konsumgüterproduktion realisiert worden war und von der neuen Rolle, die sie in der erweiterten Reproduktion des Kapitalverhältnisses einnahmen; eine solche Gliederung der Arbeitskraft bewegte sich also in einer »Fabrik«, die sich stark von der der ersten Nachkriegszeit unterschied, und in einer Gesellschaft, die sich gerade auf ihre Weise tiefgreifend veränderte, indem sie spezifisch kapitalistische Formen annahm.

Die Triebkräfte einer potentiell oder von der Intention her revolutionären Bewegung wurden in diesen Artikeln zum ersten Mal ausgemacht, und zwar nicht unter den alten Genossen, die in den mehr statischen Situationen überlebt hatten, sondern in dem jungen Nachwuchs von individuell dequalifizierten und entprofessionalisierten, neu eingewanderten oder neu in die Stadt gekommenen Arbeitern, die mit dem Vorantreiben der Mechanisierung zur Masse und vergesellschaftet worden waren, innerhalb einer »Fabrik«, die schon Jahrzehnte mehr oder weniger tayloristischer Arbeitsorganisation und funktioneller Unternehmensorganisation auf dem Buckel hatte. In ihr drinnen mußte man die organisierende Aktion der neuen ziehenden Minderheiten, der, wie wir von nun an sagten, »Arbeiterautonomie«, politisch verwerten können. In diesem alten Zyklus, der sich ganz auf die technologische Revolutionierung der großen Unternehmen stützte, war die globale gesellschaftliche Tragweite des Kampfes gerade von der Rolle gesichert, die das Großunternehmen in der Reproduktion des Gesamtverhältnisses zwischen den beiden gesellschaftlichen Klassen und in der kapitalistischen Organisation der Beziehung zwischen Fabrik, Gesellschaft und Staat einnahm. Man kann nicht oft genug betonen, bis zu welchem Punkt eine Reihe von Zusammenhängen über die stürmische Entwicklung der Kapitalbeziehung, die von der traditionellen Arbeiterbewegung, die ihr gegenüber völlig machtlos war, nur einseitig und moralisch bekämpft wurde, in Wirklichkeit wir der erneuerten Arbeiterklasse angeboten haben, die trotz ihrer Ambivalenz die hauptsächlichen und tödlichsten Waffen ihres antagonistischen Kampfes waren.

Unsere abschreckendste Waffe war gewiß, daß wir diese elementaren Dinge verstanden hatten und deshalb ihre wachsende Bedeutung für die historischen Organisationen der Arbeiterbewegung voraussehen konnten. Wir versuchten also, eine dialektische Beziehung zu den Avantgarden innerhalb der Kampfbewegung und innerhalb der institutionellen Arbeiterbewegung aufzubauen, aber wie gesagt blieb sie auf halber Strecke stehen, zwischen dem Experimentieren mit neuen Annäherungsmodellen an die Lösung der Frage der politischen Organisation und dem einfachen Druck auf die historischen Parteien. In Wirklichkeit gelang es nicht einmal, eine mittlere Lösung zu realisieren, weil die »Fabrikkommunisten«, die wir zu Anfang der 60er Jahre und im gesamten Zyklus als Knotenpunkte zwischen Klasse und historischen Parteien ausgemacht hatten, sich mehr als ein Moment der Neuzusammensetzung der Klasse innerhalb der Autonomie erwiesen, denn als relevantes Moment im Körper der historischen Parteien; diese hatten es gelernt, ohne deren Basis- und Mitgliederarbeit auszukommen, die bis dahin die einzige Stärke der KPI gegenüber den anderen Parteien war . Die KPI war aus der Krise gegen Ende der 50er Jahre hervorgegangen als Repräsentantin vieler Interessen innerhalb des Staates, aber nicht der entstehenden Arbeiterklasse als solcher; auch deshalb gab es nicht viele offene Kommunikationskanäle in ihrem Innern zwischen der Basis und der Partei als institutionelles Moment des demokratischen Staates.

Die Frage, die man sich also stellen kann, ist, ob sich Klasse und Partei noch verändert haben und ob deshalb nicht eine neue Beziehung zwischen Klasse und historischer Partei der werktätigen Bürger funktioniert; ob diese nicht solcher Art ist, daß eine Linie, wie wir sie im Zyklus der 60er Jahre nicht zum Funktionieren gebracht haben, im Zyklus der 70er Jahre nicht funktionieren kann, selbst wenn sie taktisch angepaßt worden ist, oder ob die Partei nicht definitiv das Interesse verloren hat. Ich meinerseits möchte die ersten beiden Fragen ohne weiteres bejahen. Im Zyklus der 70er Jahre verändert sich die Arbeiterklasse merklich im Vergleich zu der von damals und sie tendiert zu einer weiteren und anderen Neuzusammensetzung, indem sie sich auf eine veränderte Gliederung der Arbeitskraft innerhalb des Produktionsverhältnisses und innerhalb des neuen erweiterten Reproduktionszyklus des internationalen kapitalistischen Systems stützt. Aber innerhalb des neuen Zyklus verändert sich noch stärker das Verhältnis zwischen Fabrik und Gesellschaft und die zwischen Fabrik und Staat, und so nimmt eine neue Ordnung des politischen Systems und des »demokratischen Parteienstaates« in unserem Land Gestalt an; man kann deshalb auch die Hypothese aufstellen über eine neue Art und Weise, in der die Parteien funktionieren, was auch die historische Partei der werktätigen Bürger interessieren muß. Meiner Meinung nach ist ein neues Verhältnis zwischen Arbeiterklasse und historischer Partei mühsam im Entstehen; welches Aussehen es haben wird, seine politische Wertigkeit, sind noch offene Fragen. Die Antwort wird man in der Perspektive des neuen Zyklus finden: aber in seiner Perspektive und in seinem Innern. Außer man macht den Charakter des neuen Zyklus in der Eliminierung eines der beiden Beteiligten des Verhältnisses oder gar beider aus. Aber dann dürfte uns von dieser alten Erfahrung vom Beginn der 60er Jahre nichts mehr interessieren, außer man hätte den sadistischen Geschmack, sich ein »notwendiges« Scheitern zu dokumentieren, oder schlimmer, allein das Interesse eines Geschichtsschreibers, ein altes Ereignis auszugraben.

Heute sind die »Quaderni Rossi« berühmt und gefeiert, aber aus unterschiedlichen Gründen erinnern sich nur wenige der an dieser Initiative Beteiligten daran mit Stolz und Freude; auch ich rechne mich zu diesen. Von den drei »Gruppen« von Texten, die ich hier vorlege, halte ich zweifellos die beiden letzten für wertvoller, besonders die aus »Classe Operaia«. Ganz allgemein halte ich die Erfahrung »Classe Operaia« für sehr viel wichtiger als die der »Quaderni Rossi«: sie war vielleicht weniger erfolgreich, aber sie war eine viel ehrgeizigere und schwierigere Erfahrung, die meiner Meinung nach diejenigen, die dabei mitgemacht haben, einiges gelehrt hat und wohl auch stärker verfolgt hat als die Beteiligung an den »Quaderni Rossi«.

R.A.

 


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