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20.10.2016

aus: Wildcat 100, Sommer 2016

Rechte Arbeiter in Österreich

1848 schrieb Engels einen schonungslosen Artikel über das reaktionäre Österreich. Versteckt hinter Bergen, gingen Revolutionen und die Zivilisation am Land vorbei, die feudale Barbarei konnte sich lange halten. 1 Später drängte der Wiener Conrad von Hötzendorf, Sozialdarwinist und höchster Militär Österreich-Ungarns, unnachgiebig für den Krieg gegen Serbien bis er diese Unterstützung schlussendlich bekam und die feudale Barbarbei in die des Ersten Weltkriegs mündete. Auch der Nationalsozialismus zog Kraft aus der zu diesen Zeiten noch immer ländlichen Struktur Österreichs (die Großfabriken wurden erst von den Nazis gebaut: Voest, Magna, usw.): Nicht nur der Führer, auch mehr als zwei Drittel des von Adolf Eichmann geleiteten Referats des Reichssicherheitshauptamtes waren Österreicher – das RSHA war zuständig für die Judendeportationen.

71 Jahre später, Grazer Messehalle, Conrad-von-Hötzendorf-Straße: FPÖ-Führer Strache verkündet einen Tag vor der Präsidentschaftswahl, dass FP-Kanditat Norbert Hofer, ein deutschnationaler Burschenschafter, der sich öffentlich gegen Nazis ausspricht, aber gerne mit Nazisymbolen schmückt 2, gegen den wirtschaftsliberalen Ex-Grünen Van der Bellen gewinnen wird und dann »Kontrolle über das System ausübt, von der Politik bis in den ORF« (Österreichischer Rundfunk, öffentlich-rechtliches Fernsehen und Radio). Zum Wahlsieg am 22. Mai 2016 kam es nicht, in den 72 Prozent Wahlbeteiligung, davon 50,35 Prozent für Van der Bellen, stecken massiv viele »Hofer-verhindern« Stimmen, und die kommen nicht vom Land, wo Hofer eindeutige Mehrheiten erreichte. Die FPÖ ficht die Wahl an, weil es einige formelle Unregelmäßigkeiten gab – und bekommt vom Verfassungsgerichtshof recht: Neuwahlen im Herbst.

Gleichzeitig marschieren die FPÖ-Straßentrupps, die Identitären, und greifen linke Räumlichkeiten und Uni-Veranstaltungen an. Sogar liberale Zeitungen drucken Artikel, die analysieren, FPÖ-Führer Strache verschmelze den Klerikalfaschismus der 30er mit dem Deutschnationalismus der 40er, viele folgen ihm; »kaum jemand« in Österreich mache »mehr einen Hehl daraus, die Flüchtlinge allesamt für Vergewaltiger oder Barbaren zu halten … die Identitären ziehen mit Bengalischen Feuern durch das nächtliche Wien«. Großbürgertum und Proletariat würden sich glänzend vertragen, im Internet wird zum Mord am neuen SPÖ-Kanzler Kern aufgerufen.3

Im Unterschied zur BRD, wo die AfD ein relativ neues Phänomen ist, begann der Aufstieg der FPÖ schon in den 80ern; die Partei bildete von 2000 bis 2006 sogar eine Regierungskoalition.

Nun wäre es falsch, die jüngere Entwicklung in Österreich auf die FPÖ und die Rechten zu reduzieren. Von 2009 bis 2014 gab es einige linke Mobilisierungen, Proteste und betriebliche Konflikte; im Juni 2016 trafen sich so viele Linke wie lange nicht mehr für ein neues Organisierungsprojekt.

Bewegungen, Mobilisierungen, Streiks 2009 bis 2014
2009 Mobilisierung der Kindergärtnerinnen in Wien, Streikbeschluss im Schmiermittelwerk von Shell in Wien (wurde dann aber abgebrochen)
2009/10 Uni-brennt Bewegung
2010 Betriebsversammlungen und Demos bei Austrian Airlines, 85 Prozent für Streik, danach Lohnerhöhungen und Erhöhung des Mindestlohns; 97 Prozent für Kampfmaßnahmen bei Siemens in Wien wegen Personalabbau, das mündete in einen Sozialplan
2011 Proteste gegen die Sparpolitik in der Steiermark, Demos der Krankenhaus-Arbeiterinnen in Wien, Metallerstreik österreichweit
2012 Kindergärtnerinnen-Demos, MigrantInnenbewegung (Marsch von Traiskirchen nach Wien, Besetzung der Votivkirche)
2013 10 000 streiken in acht oberösterreichischen Spitälern, Hungerstreik des Betriebsrats bei MAN in Wien, selbstorganisierter Streik der ErntearbeiterInnen in Tirol, SchülerInnenbewegung gegen die Zentralmatura, LehrerInnenbewegung gegen das neue Dienstrecht
2014 Streik beim Maschinenbauer KBA
Siehe dazu:
Wildcat 98: Widerstand gegen Abschiebungen in Alberschwende, Sommer 2015
Wildcat 96: Österreich: Krise, Korruption, Kämpfe, Frühling 2014 (hier auch eine genauere Geschichte des Aufstiegs der FPÖ)
Wildcat 90: Österreich – Proteste gegen die Sparpolitik, Sommer 2011

Wichtig war die Bewegung von MigrantInnen 2012/13, die mit Unterstützung von Linken und Katholiken Abschiebungen verhinderte, Demos organisierte und die Wiener Votivkirche besetzte; gleichzeitig streikten ErntearbeiterInnen in Tirol wild. Das bereitete den Boden für die Fluchthelfer-Initiativen ab 2015. Im Herbst 2011 streikte die Metallgewerkschaft österreichweit. In vielen Branchen kam es zu kleineren Abwehrkämpfen gegen Kündigungen und Betriebsschließungen. In dieser Phase wurde der Klassenfrieden aufgebrochen. Leider konnte die in der Flüchtlingsbewegung erfahrene Solidarität und Selbstorganisation nicht in die Betriebe vordringen – stattdessen wählen viele Arbeiter die FPÖ; die Nachkriegsherrscher SPÖVP kommen zusammen nicht mal mehr auf die Hälfte der Stimmen, bei den Präsidentschaftswahlen nicht mal mehr auf ein Drittel. Wie kommt´s dazu?

Die rechte Basis in den Betrieben

Es gibt Facharbeiter in österreichischen Betrieben, die in der FPÖ organisiert sind und nach Betriebsschluss ihre KollegInnen auf Sauftouren agitieren. Am nächsten Tag sitzen sie im Pausenraum und posen mit Gewaltfantasien gegen »Asylanten«, um Aufmerksamkeit und Gelächter zu erheischen, während sie am selben Tisch wie ihre »jugoslawischen« (Ex-AsylantInnen), ungarischen, türkischen/kurdischen, usw. KollegInnen sitzen und auf ihren Smartphones herum wischen. Hier ist einiges an heißer Luft dabei, aber entschiedene Zurückweisungen bleiben aus – eher tut man so, als ob man gerade nicht zugehört hat.

Die in der FPÖ organisierten Arbeiter kommen größtenteils aus den ländlichen Regionen. Sie kennen die Menschen, gegen die sie hetzen, nur aus Facebook-Meldungen oder der Kronen Zeitung, ein nationalistisch-patriotisches Boulevard-Blatt, das an jedem Sozialplatz ausliegt. Sind Ausländer arbeitslos, dann heißen sie »Sozialschmarotzer«; arbeiten sie, dann nehmen sie »uns« die Ausbeutungsplätze weg.

Die Vorgeschichte: 1989 – 1995 – 2004

Diese drei Jahre stehen für die intensivierte Ausbeutung und ein aufkommendes Gefühl von sozialer Unsicherheit – für Privatisierungen, Globalisierung und Angriffe auf sozialstaatliche Standards, aus denen sich der Aufstieg der FPÖ speist.

Bis 1989 war der Ausländeranteil an der österreichischen Bevölkerung relativ niedrig, die Angst vor ausländischen Lohndrückern wenig ausgeprägt. Innerhalb der folgenden vier Jahre hat sich der Anteil von vier auf acht Prozent verdoppelt. In den Nachkriegsjahrzehnten hatte die SPÖ alles darangesetzt, das Arbeitskräfteangebot knapp zu halten, indem vor allem ausländische Arbeitskräfte benachteiligt und eine Kampfgemeinschaft mit österreichischen ArbeiterInnen sabotiert wurde. Die ÖVP war für Zuwanderung eingetreten, um die hohen Löhne des SPÖ-Klientels zu untergraben. Aus diesen zwei Lagern entstand ein juristischer Dschungel: Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz, Fremdenpolizeigesetz, Asylgesetz, Ausländerbeschäftigungsgesetz, usw.: alle regelmäßig novelliert, teilweise mehrmals pro Jahr, um der wachsenden Zuwanderung nach 1989 Rechnung zu tragen.

Der EU-Beitritt 1995 brachte zwei Entwicklungen: Exportorientierung und Expansion der Banken. Die Osterweiterung der EU 2004 verstärkte all diese Entwicklungen. Von 1995 bis 2014 wuchsen die Exporte fünfmal so schnell wie das BIP. Der Anteil der Bilanzsumme österreichischer Banken am BIP wuchs von 1991 bis 2008 von 213 auf 380 Prozent, ihre Gewinne haben sich von 1995 bis 2007 fast verdreifacht. Die riskante, teils von kriminellen österreichisch-deutschen Politiker- und Managerbanden organisierte Kreditvergabe in (süd-)osteuropäische Länder finanzierte den Exportboom der Industrie und den Bauboom in Slowenien und Kroatien (die nationalistischen Herrschercliquen dieser zwei Länder waren in den Jugoslawien-Kriegen von Österreich massiv unterstützt worden). Alle politischen Lager beteiligten sich am spekulativen Boom und waren Teil der Banden: die SPÖ mit der BAWAG, die FPÖ mit der Hypo Alpe Adria und die ÖVP, die seit 2007 ununterbrochen das Finanzministerium stellt, voran Josef »i brauch a Milliarden« Pröll und Maria »shortly without von delay« Fekter.

Verspätete Krise

Österreich überstand die turbulenten Jahre 2008/9 relativ gut, weil die Industrie im Windschatten der deutschen Multis produziert und die Exporte nach einem Einbruch schnell wieder stiegen. Industriell schwächer aufgestellte Länder haben in der Währungsunion keine Chance gegen die niedrigen Lohnstückkosten in der BRD und in Österreich. Die niedrigen Lohnstückkosten kommen zustande, weil der Klassenkampf über die Sozialpartner (Wirtschaftskammer und Gewerkschaften) moderiert wird und in den Exportfabriken relativ moderne Anlagen stehen. Für die österreichischen ArbeiterInnen bedeutet das nur, dass sie die Krise erst dann trifft, wenn die anderen Länder kaputt exportiert wurden. Es war eine Frage der Zeit.

Investitionsquoten 2014
China: 40 Prozent
Japan: 22
Österreich: 22 (1995: 27)
BRD: 20
Euroraum: 19,5
USA: 19,3
EU-28: 19,3
Spanien: 18,7
Italien: 17,3
Großbritannien: 17,1
Griechenland: 11,3

Trotz der steigenden Ausfuhren erholen sich die Wachstumsraten nicht, und die Investitionen sinken. Österreich konnte das bis etwa 2012 durch die weiter steigenden Exporte retuschieren. Seitdem wurden die Überschüsse aber weniger in neue Anlagen investiert, sondern in Form von Dividenden ausgeschüttet. Historisch einmalig ist, dass in den vergangenen vier Jahren das Wachstum nie über einem Prozentpunkt lag und die Investitionen bei stagnierendem BIP um zwei Prozentpunkte zurückgegangen sind. Damit ist Österreich keine Insel mehr, sondern mitten drin in der globalen Überakkumulationskrise. Das und ein Ansteigen des Arbeitskräfteangebots (plus acht Prozent seit 2011) erklären die Rekord-Arbeitslosigkeit, die seit 2012 um ein Fünftel stieg, von 390 000 auf 490 000. 2016 ist Österreich neben Estland das einzige EU-Land, in dem die Arbeitslosenrate steigt, wobei es ein Ost-West Gefälle gibt: Während die Arbeitslosigkeit in westlichen Bundesländern wie Vorarlberg und Tirol zumindest nicht wächst, nimmt sie in Wien und im Burgenland überdurchschnittlich zu – genau dort, wo sich auch das Arbeitskräfteangebot überdurchschnittlich erhöht.

Auch die Bankenbranche wird heute durch Automatisierung, Schließungen, Massenkündigungen, Abwicklungen und Fusionen umstrukturiert.

Ausbeutung migrantischer Arbeit

Österreich ist stark integriert in den globalen Kapitalismus – als Binnenland ein Logistikhub und Transitknoten zwischen den Nord- und Südhäfen, als Standort einiger Weltmarktführer in strategischen Bereichen wie Lagerautomatisierung oder Eisenbahnstahl abhängig vom internationalen Zyklus, als Tor zu den »Transformationsländern« in (Süd-)Osteuropa Profiteur und Opfer überausgebeuteter Arbeitskraft und als politisch schwankender Flaschenhals der Balkanroute unberechenbarer, launischer EU-Mitgliedsstaat, obwohl wirtschaftlich völlig abhängig von der BRD und dem EU-Binnenmarkt.

Die meisten MigrantInnen kommen aus Deutschland. Dann folgen die ex-jugoslawischen Länder (außer Slowenien, aber zusammengenommen machen die »Jugos« die größte Gruppe aus), die Türkei, Rumänien, Ungarn, Polen und Slowakei – wobei zu beachten ist, dass es eine erhebliche Pendelmigration gibt: im Burgenland und Wien aus Ungarn, in der Steiermark aus Slowenien. Wenn wir mal von der BRD absehen, so kommen genau aus jenen Ländern Menschen hierher zum Arbeiten, in die Österreich immer mehr exportiert und damit die jeweilige nationale Produktion niederkonkurriert.

Exportsteigerungen 20014 auf 2015
EU-27: 3 Prozent
MOEL-17: 5,8
Polen: 7,7
Slowakei: 4,2
Ungarn: 0,5
Rumänien: 5,9
Slowenien: 6,2
Kroatien: 14,1
Serbien: 10,5
Bosnien: -2,9
Kosovo: 33
Albanien: 20
Türkei: 16,2

Die meisten Flüchtlinge kommen aus Afghanistan, Syrien und dem Irak. Wenn die zurückgetretene Innenministerin Mikl-Leitner oder Außenminister Kurz über Flüchtlinge und die Schließung der Fluchtrouten reden, spricht aus ihnen der Klassenhass – wenn es nötig wird, werden sie dieselbe Hetze gegen österreichische oder »gut integrierte« migrantische ArbeiterInnen auffahren.

Die Macht dieser PolitikerInnen beruht darauf, dass in Österreich produzierte Waren auf dem Weltmarkt abgesetzt werden, dass illegalisierte Arbeitskräfte die Profite bestimmter Branchen aufrechterhalten und den Abstieg der österreichischen ArbeiterInnen bremsen. Auch die FPÖ würde niemals irgendwelche Exportfabriken schließen lassen, damit keine arbeitslosen (Süd-)OsteuropäerInnen mehr nach Österreich kommen – genau so wenig, wie sie illegale Bau-, Ernte-, Tourismus- und PflegearbeiterInnen am Kommen hindern oder abschieben werden, weil dagegen eine wesentliche Fraktion des Kapitals Sturm laufen würde, teilweise ihre eigene Wählerschaft.

Faschistische Politik Österreichs

Ein Teil der Flüchtlinge ist im Krieg sozialisiert, hat die islamistische Konterrevolution in den 70ern/80ern miterlebt, zumindest deren reaktionäre Werte indoktriniert bekommen und wird nicht durch einen geografischen Wechsel plötzlich zum anderen Menschen werden – die FPÖ versteht nichts von dem und von der Welt, aus der sie kommen: prätentiös-derb im Angriff, gegen fremde Derbheit hysterisch empfindsam. Natürlich ist die österreichische Flüchtlingspolitik unmenschlich. SPÖVP führen das durch, wonach die FPÖ schreit und wofür ihr außerparlamentarischer Arm die Identitären seit Monaten auf die Straße geht. Diese Politik, z. B. die Kürzung der Mindestsicherungen für anerkannte Flüchtlinge in Oberösterreich, bringt das hervor, was sie zu verhindern vorgibt: »kriminelle Ausländer«. Das ist von der FPÖ und ihren Schlägern gewollt und normale faschistische Politik. (Wobei auch viele »Inländer« es sich nicht länger leisten können, sich an Gesetze zu halten.)

Die Identitären kopieren von der Antifa ihren black bloc Style und ihre schizophrene Haltung zur (Gegen-)Gewalt – einerseits den politischen Gegner verprügeln, andererseits sich als totales Opfer darstellen, wenn man selbst was abbekommt.

Trotz allem schafft es die FPÖ, als »Protestpartei« dazustehen, weil sie auf verbaler Ebene sehr aggressiv gegen das Establishment von SPÖVP wettert und gegen den globalen Wettbewerbsdruck den Nationalstaat als Schutzmacht für seine BürgerInnen heraufbeschwört. Dass sich in den »wissenschaftlichen« Publikationen der FPÖ, z. B. vom Atterseekreis, Forderungen finden, dass etwa mehr Geld in Rüstung anstatt ins Sozialsystem gesteckt und der erste Krankenstandstag als Urlaubstag gelten soll, wissen die wenigsten.

Aufbruch?

Anfang Juni trafen sich 1000 Linke in Österreich unter dem Motto »Aufbruch – so wie bisher kann es nicht weitergehen«, »für einen Kurswechsel, für soziale Sicherheit und eine neue Art des Wirtschaftens, für ein menschenwürdiges und gutes Leben für alle«, »bauen wir die neue Kraft auf«. Kurswechsel und Aufbau – altbekannte Worthülsen aus dem Politikerkasten. Realpolitisch haben diese linken SPler, SJ, Junge Grüne, SLP, Funke, usw. gute Erfolgsaussichten: der Machtverlust der SPÖ hinterlässt ein Vakuum; der Unmut an den herrschenden Zuständen ist mit Händen zu greifen. Die Integration in den globalen Kapitalismus war verspätet, die Krise kam in Österreich verspätet an, so kommt das Land nun auch den Pesthauch der neuen Linkspartei zu spüren. Syriza, Podemos und andere haben bereits bewiesen, dass nationale Strategien aussichtslos sind und Organisierungskampagnen, die nicht aus konkreten Kämpfen entstehen, schnell zu parlamentarischen Parteien werden 4. Wille und Bewusstsein allein sind flüchtige Verbündete im Kampf.

Politik von unten = Untersuchung der Klassenzusammensetzung

Gefragt sind linke Basismilitante in den strategischen, bedeutenden Betrieben, wo sie zuhören, die Ängste der ArbeiterInnen ernst nehmen, nicht moralisieren und die verlogene Argumentation der rechten Blender durch den Kakao ziehen. Dabei dürfen wir uns nicht abschrecken lassen von rassistischen Sprüchen/Meinungen oder davon, dass so viele ArbeiterInnen im Wählen der FPÖ eine Option sehen. Es gibt auch ArbeiterInnen, mit denen man gut reden kann über die neoliberale Konstruktion der EU und die Parteien, die das politisch durchsetzen.

Manche ArbeiterInnen wählen die FPÖ nicht aus positiver Überzeugung, sondern weil die Linken – parlamentarische und außerparlamentarische – nichts übrig haben für ihre Themen und nur von Moral und Bewusstsein(saufbau), in noch schlimmeren Fällen von ideologischen Verschleierungen ausgehen (Kognitariat, Prekariat, Cybertariat, kreative Klasse, …) anstatt sich an eine ernsthafte Untersuchung der Klassenzusammensetzung zu machen. Diese ArbeiterInnen sind nicht dumm, sondern sie durchschauen die Rhetorik der Mittelklasse-Linken (»Gutmenschen«), für die Political correctness das Wichtigste ist und die die Probleme der ArbeiterInnen übergehen, indem sie sie ständig vor sich selber warnen: Ursache des Rechtsrucks sei, dass sie so ungebildet seien. Die kleinste Infragestellung der »refugees welcome«-Parole wird als Rassismus abgetan.

Es ist ein reales Problem, dass die weißen Arbeiter-Männer, die in Österreich nach wie vor die Mehrheit der Arbeiterklasse ausmachen, verunsichert sind und in den letzten Jahren relativ am meisten Einbußen hingenommen haben – dies auszuklammern und die Spaltung der ArbeiterInnen bzw. das FPÖ-Wählen rein mit Rassismus bzw. mit individuellen moralischen Verfehlungen zu erklären bedeutet, den Kapitalismus aus der Anklage zu entlassen. In dieser Hinsicht lohnt sich sogar ein Blick in die USA, denn bei allen Unterschieden, den zwei völlig verschiedenen Sozialsystemen, finden sich wesentliche Gemeinsamkeiten (manche Kommentatoren sehen den Wahlkampf Hofer gegen Van der Bellen als Test für Trump gegen Clinton).

In beiden Ländern hat sich der Anteil der ausländischen Bevölkerung seit den 90ern auf 15 Prozent verdoppelt, die Sozialdemokratie hat Reformen gegen die ArbeiterInnen durchgeboxt, die Rechten bedienen sich an MigrantInnen und Flüchtlingen für ihre Sündenbock-Politik, einige Arbeiter ziehen mit, wählen rechts und werden von den meisten Linken abgeschrieben.

Der Unterschied zu Österreich und zu Europa ist, dass sich der Wind betreffend des letzten Punktes zu drehen scheint – es gibt mittlerweile eine breite Diskussion unter Linken zur neuen Arbeiterklasse, mit sehr guten Beiträgen 5, die die oben genannten ideologischen Verschleierungen aus dem Weg räumen und konkrete Kampfmöglichkeiten in der jetzigen Klassenzusammensetzung aufspüren: neue Arbeiterkonzentrationen bilden sich in angeblich deindustrialisierten Regionen, immer mehr Leute fühlen sich »der« Arbeiterklasse zugehörig, die MigrantInnen bringen frischen Wind in die Organisierung, usw. Vor allem die deutschsprachige Linke kann hier viel lernen!

Was die österreichische Arbeiterklasse angeht, so wird sie in Zukunft ohnehin und unabhängig davon, welcher Bundespräsident und welche Partei an der Regierung die Krise verwalten, etwas internationaler zusammengesetzt sein – die vielen KollegInnen aus dem Ausland werden den Österreichern Möglichkeiten aufzeigen, ihre Fremdenangst zu überwinden.

Fußnoten

[1] Friedrich Engels: Der Anfang des Endes in Österreich, 27.01.1848, MEW 4

[2] Er steckt sich öfter die »blaue Kornblume« ans Revers, das Symbol der unter dem Austrofaschismus illegalen Nazis 1933 bis 1938.

[3] Michael Scharang: Zur Lage der Nation, Die Presse, 17.06.2016; David Schalko: Aufstand der beleidigten Massen, FAZ, 26.06.2016

[4] Für einen internationalen Vergleich zu dieser Entwicklung siehe: Susan Watkins: Oppositions, New Left Review 98, März/April 2016.

[5] Siehe die BB zu Sleeping Giant in diesem Heft und zwei aktuelle Aufsätze im Jacobin Mag: Connor Kilpatrick: Burying the White Working Class, 13.5.2016 und Kim Moody: The State of American Labor, 21.06.2016; www.jacobinmag.com

 
 
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