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1.08.2021

aus: Wildcat 108, Sommer 2021

Interview zur »Chip-Krise«

Im ersten Quartal 2021 wurden in der BRD eine Million Autos nicht gebaut, weltweit sollen es mehr als vier Millionen werden, weil Chips fehlten. Die Automultis – bzw. ihre Zulieferer – hatten ein Jahr zuvor wegen Corona ihre Bestellungen gedrosselt und sitzen nun auf dem Trockenen. Die Chip-Produktion kann nicht so schnell wieder hochgefahren werden; 70 Prozent aller Auto-Chips kommen von einem einzigen Hersteller aus Taiwan ... Dort herrscht Wassermangel, die Chip-Produktion verbraucht extrem viel Wasser und ist überhaupt eine sehr umweltschädliche Produktion. Dazu kommen Transportproble- me. Und vor lauter Lieferdruck kam es jetzt noch zu einem Covid-Ausbruch in der Chipindustrie in Taiwan, weil man die Quarantäne der Piloten auf drei Tage verkürzt hatte, damit die Chips so schnell wie möglich bei den weltweiten Abnehmern ankommen ...

In dem, was (nicht nur) die Autoindustrie »Chipkrise« nennt, bündeln sich so ziemlich alle Probleme des aktuellen Kapitalismus.

Nicht von ungefähr überschlagen sich derzeit die Nachrichten über »Auswege aus der Chipkrise«. Unter deutscher Federführung hat die EU Milliardeninvestitionen in die Chip-Fertigung angekündigt. Anfang Juni feierte Bosch die Inbetriebnahme der »modernsten Chipfabrik Europas« in Dresden – »nur« drei Jahre nach der dort erfolgten Grundsteinlegung! –, und »bereits« Anfang 2022 rechnet man mit ersten verkaufbaren Chips aus dieser Fabrik, vor allem für die Autoindustrie und Fabrikautomatisierung (die in den nächsten Monaten produzierten Chips werden in Bosch-Elektrowerkzeugen verbaut). Alles vollmundig, »voll digitalisiert und vernetzt«, der Bosch-Chef Denner sagte: »Mit Hilfe von künstlicher Intelligenz heben wir die Produktion von Halbleitern auf ein neues Level.«

Im folgenden Interview mit einem Genossen, der schon Jahrzehnte in diesem Bereich tätig ist, wird deutlich, dass hohe Automatisierung nur da möglich ist, wo sie auf alte, stabile Prozesse aufsetzt. In Dresden benutzen sie zwar 300-mm-Wafers (»Kekse« genannte Siliziumscheiben, auf denen die Chips entstehen), was der aktuelle Standard ist, aber die Chips werden im 90-nm-Prozess hergestellt – die neuen Fabriken in Taiwan produzieren in 5-nm-Prozessen.

Wo werden heute Chips produziert?

Siemens und Philips produzierten seit den 1950er Jahren Halbleiterbauelemente. Aus dem zu Philips gehörenden Valvo-Werk in Hamburg kamen 1966 die ersten Integrierten Schaltungen. 1985 begann der US-Hersteller LSI in Braunschweig mit der Produktion von Mikroprozessoren; 1992 machten sie zu: »zu hohe Löhne« angesichts des schwindsüchtigen Dollars machte die Produktion unrentabel.1

Die Halbleiterindustrie wurde nach und nach in den 1990ern nach Fernost (insbesondere Japan) ausgelagert. Infineon2 fertigt nach wie vor auch selbst in Dresden und erweitert gerade in Villach (Österreich) – daneben in Malaysia und China. 2005 erklärte der damalige Infineon-Chef, man werde nichts im Bereich unter 90 Nanometer produzieren – und das bestätigt ja gerade wieder die Bosch-Fabrik in Dresden. Fabrik in Dresden.

Auch in den USA begann das Outsourcing schon Anfang der 1990er Jahre; zu Beginn des Jahrhunderts standen in den USA noch 37 Prozent der Produktionskapazitäten für Halbleiter, heute sind es etwa zwölf Prozent der weltweiten Produktion. Die offizielle Begründung waren immer die Lohnkosten, obwohl das nicht das einzige Problem war. Zum Beispiel war auch die toxische Produktion in den USA unter Beschuss gekommen. Sie konnten sich nicht mehr erlauben, diese chemischen Prozesse in den USA zu machen.

Es gibt zwei Produktionsmodelle: IDM (Integrated Device Manufacturing) und das Foundry-Konzept (»Silizium-Schmelze«). Zuvor fertigten die Firmen selbst in ihren Fabriken. Anfang der 90er Jahre gewann das Foundry-Konzept, also die Trennung von Design und Fertigung, mehr und mehr an Boden. Der Gründer und langjährige Chef von AMD, Jerry Sanders, stemmte sich lange gegen diese Entwicklung und wurde 1992 mit seinem Spruch berühmt: »Real men have fabs!«3 Später hat auch AMD die Produktion ausgelagert; heute fertigt nur noch Intel in eigenen Fabriken. Mit dem Foundry-Modell entstanden die Fabriken in Südostasien. Heute gibt es nur noch in Südkorea (Samsung), Taiwan (TSMC und UMC) und Festlandchina (SMIC) große Foundries, die in Lohnfertigung für ihre Auftraggeber produzieren. Diese Halbleiterwerke (semiconductor fabrication plant, kurz »fab«) sind rein prozessorientiert; der Prozess wird definiert durch die kleinste Strukturgröße, die eine Fabrik herstellen kann, die wird seit 1999 in Nanometer angegeben.4

kann, die wird seit 1999 in Nanometer angegeben.Diese Fabriken haben Abnehmer in unterschiedlichen Branchen. Dabei ist die Nachfrage schon immer zyklisch: Mal hängt alles an der Server-Infrastruktur, den sogenannten Data Centers. Dann klemmt es an der Infrastruktur für Mobiltelefone, dann an Chips für die Mobiltelefone selber usw. Es gibt keine Firma, die alles abdeckt. Intel baut im Wesentlichen CPUs für PCs und Server. Samsung im Wesentlichen für Mobiltelefone.

Mitte 2018 erreichte die weltweite Autoproduktion ihren Höchststand. Seither gingen die Absätze stark zurück. 2019 litt die Autoindustrie unter Absatzproblemen. Trotzdem kam es bereits Ende 2019 – also vor Corona – zu Klagen über lange Lieferfristen bei Chips (von der Bestellung bis zur Lieferung teilweise ein knappes Jahr). Verrückterweise hat man dann mit Einsetzen der Pandemie die Bestellungen an Chips auch noch runtergefahren bzw. storniert – außer Toyota, die hatten aus dem Tsunami 2013 gelernt und diesmal anders gehandelt. Im Frühjahr 2021 kam es dann zu den bekannten Problemen: Ganze Werke wurden stillgelegt und die ArbeiterInnen in Kurzarbeit geschickt, weil Autos aufgrund von Chipmangel nicht gebaut werden konnten. Kannst du kurz erklären, welche speziellen Chips die Autoindustrie braucht?

Das wesentliche Bauteil sind die sogenannten MCUs (oder auch »Microcontroller«), die sind in jedem Steuergerät und jedem Sensor. Autos haben einen großen Bedarf an Speciality Chips, die sehr robust sind und sehr hohe Temperaturen und Spannungen aushalten. Während Computerchips für einen Temperaturbereich von 0 bis 85 Grad Celsius qualifiziert sind, ist hier die einfachste Anforderung -45 bis +125 Grad. Verbrennungsmotoren brauchen eine Zündung; diese arbeitet mit Kilovolt, so eine hohe Spannung findet man in dem anderen Bereich überhaupt nicht. Diese Chips werden auf alten Fertigungsstraßen produziert, die man nur dafür aufrechterhält. Das sind meist noch 200-mm-Fabs (die Produktion mit Silizium-Scheiben von 200 mm Durchmesser begann 1992). Seit 2002 ist der Standard 300 mm. Auch TSMC hat noch 200-mm-Straßen, und 70 Prozent aller Chips, die weltweit in Autos eingebaut werden, kommen von dort. Diese Fabriken können nicht so einfach die Produktion ausweiten; denn die Maschinen dafür findet man höchstens noch auf dem Gebraucht- oder Schrottmarkt (und dort explodieren gerade die Preise).

Tesla hat dieses Problem weniger, die verwenden für ihre E-Autos weitgehend Chips, die auch in Handys sind. Diese Chips gehen in Richtung normaler Computerchips; wenn ein Auto keine Zündung mehr hat, fällt schon mal diese Störquelle weg. Allerdings bekommen sie mit diesen Standardchips in der elektronischen Steuerung teilweise Qualitätsprobleme.

Als die Autoindustrie ihre Bestellungen runtergefahren hat, hat TSMC die Fertigungskapazitäten für andere Kunden verwendet. Bis zu einem gewissen Herstellungsschritt schmeißen sie die Scheiben weg und starten einen neuen Prozess für einen anderen Auftraggeber, der zahlt. Runterfahren geht schnell! Und während Corona gab es einen unvorhersehbaren Bedarf von Leuten, die nun von zuhause arbeiteten oder an virtuelle Konferenzen teilnahmen. TSMC hätte das Doppelte verkaufen können! Grafikkarten sind sehr viel teurer geworden.

Die Just-in-time-Strategie der Autoindustrie ist an die Wand gefahren. Einerseits weil die Autoindustrie gegenüber den Chipherstellern bei weitem nicht so viel Macht wie gegenüber ihren anderen Zulieferern hat – sie sind einfach kein wichtiger Kunde! Andererseits haben sie viel zu viele Funktionen auf ihre direkten Zulieferer abgewälzt: Lagerhaltung, Technologie-Entwicklung, aber auch das unternehmerische Risiko – und das können kleinere Firmen gar nicht mehr schultern. VW verklagt nun seine Zulieferer, sie hätten im Frühjahr 2020 mehr Chips bestellen – und im Voraus bezahlen – müssen, und das ohne Abnahmegarantie!

Und drittens dauert es mindestens 13 Wochen, eher 26 Wochen, bis Chips den Produktionsprozess durchlaufen haben. So kann JiT nicht funktionieren! – Übrigens geht es gar nicht um »auf Lager legen« im physikalischen Sinn. Die bestellten Chips werden bei TSMC aufbewahrt, in einer sogenannten die bank [die: englisch für Würfel, Plättchen. Gemeint ist der einzelne Chip]. Das heißt: Der Kunde bezahlt im Voraus, bekommt aber die Ware erst bei Bedarf.

Wie läuft nun der Herstellungsprozess konkret?

Es ist ein fotochemischer Prozess. Speicherbausteine haben ca. neun Belichtungsschritte, Logik-Chips 13 bis 15. Die Wafer kommen vom Zulieferer. In der Fabrik werden sie zunächst behandelt, um sie leitfähig zu machen (Dotierung), dann werden die ganzen feinen Ätzstrukturen aufgebracht, die eigentlich Metalllagen sind. Inzwischen sind das dreidimensional geätzte Strukturen. Man erzeugt Belichtungsmasken und bringt die auf die Scheiben auf, die werden belichtet, dann wird die Beschichtung wieder heruntergewaschen. Dann kommt der nächste Prozess, es wird geätzt usw. So läuft die ganze Fertigungskette durch bis zum Schluss. Das ist die Zentrallinie mit den Belichtungsautomaten. Der Durchlauf dauert mindestens zwölf Wochen, mit jedem Schritt wird die Scheibe spezieller und teurer. Am Schluss werden die Fähigkeiten ausgetestet und dann entschieden, ob der Chip in ein Auto oder nur in eine Waschmaschine kommt.

Kommen bei TSMC die fertigen Chips raus oder nur die elektrisch kompletten Wafers?

TSMC ist in erster Linie eine Wafer-Fabrik, die Weiterverarbeitung (Zersägen der Scheiben in einzelne dies, Assembling und Packaging) machen andere bzw. sie machen das in einer eigenen Fabrik. AMD kauft zum Beispiel die komplette Scheibe. Für andere Kunden macht TSMC aber auch Packaging.

Wie weit ist TSMC der Konkurrenz voraus, und wer kauft welche Chips?

Im Moment verbaut nur Apple 5-nm-Chips, Nvidia 7 nm. Die Prozesse sind ein bis zwei Jahre auseinander. TSMC bietet seinen Kunden 3nm im zweiten Halbjahr 2022 an. Die erste Fab dafür wird gerade hochgezogen. Und Apple hat diese 3-nm-Chips schon lange gebucht!

Wie viele Leute arbeiten in einer Chip-Fabrik?

Die Hälfte der Beschäftigten einer Fab ist in Marketing und Prozessvorbereitung. In der Produktion sind nochmal etwas mehr als die Hälfte hochqualifizierte Prozessingenieure, auch die arbeiten bei TSMC in Zwölf-Stunden-Schichten; dort gibt es nichts anderes als Produktion rund um die Uhr. Einstiegsgehälter liegen bei ungefähr 100.000 USD, also hoch für Taiwan. Ein Viertel von allen sind Arbeiterinnen, also fast ausschließlich Frauen in der direkten Produktion. Die bedienen Maschinen und transportieren die Produkte, greifen bei Störungen ein. Denn das sind alles höchst anfällige Prozesse. In Taiwan arbeiten in zehn TSMC-Fabs 5428 »Manager«, 24.809 »Professionals« (das sind die Ingenieure), 17.414 »Technicians« (auch »operators« genannt; das sind im Folgenden die Arbeiterinnen) und 4394 »Assistants« (also Büro und Putzfrauen).5

Das sind alles stark automatisierte Prozesse – trotzdem arbeiten also pro Fab unmittelbar im Reinraum etwa 1700 ArbeiterInnen?

Stabile Prozesse lassen sich theoretisch hervorragend automatisieren. Aber denk nur mal an die ganzen Probleme mit der Robotik, wo sich Ingenieure wie ein Kind drüber freuen können, wenn ein Roboter mal ein Ei aufnimmt, ohne es zu zerdeppern – was für einen Menschen überhaupt kein Problem ist. Die Produkte sind hochempfindlich, und diese neuen Prozesse sind so kurzlebig, dass sie aus der Optimierung überhaupt nicht mehr rauskommen. Alles muss hochflexibel sein, die sind ständig in der Entwicklung.

Die Belichtungsprozesse laufen natürlich automatisiert, weil das manuell überhaupt nicht möglich ist. Die Maschinen dafür sind extrem teuer. Bei allem anderen ist die Frage: Kann man das mit Software lösen? Denn bis die fertig ist, sind zwei Generationen Apple-Telefone durch. Da sind Menschen einfach schneller und viel flexibler. Bei der Produktion läuft eigentlich dauernd irgendwas schief. Die Leute klettern tatsächlich in die Maschinen rein, um Störungen zu beheben.

Schon die rohen Scheiben sind hochempfindlich. Die Wafer werden von Hand getragen, das geht besser als mit dem Roboter, weil die Leute wissen, wie man die wie ein rohes Ei bewegt, von A nach B transportiert. Und zudem hast du bei Robotern immer das Problem mit Abrieb – das geht im Reinraum gar nicht! Also möglichst keine bewegten Teile. Es ist ein riesiger Aufwand, überhaupt ein Gerät in so einen Reinraum reinzubringen, das kann Wochen dauern. In einen Reinraum mit Massenproduktion kommst du nach 15 Schleusen, das dauert eine Stunde, bis du den nötigen Reinheitsgrad hast. Du kannst nicht einfach raus, musst eine Zwölf-Stunden-Schicht durchhalten, ohne zu essen oder zu trinken – ich kann mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen, wie das geht!

Die Prozessingenieure müssen nur selten in den Reinraum, überwachen sie die Prozesse von außen?

Man kann es grob so zusammenfassen: Die Aufgabe der Arbeiterinnen »an der Front«, also im Reinraum, ist es, den Ausstoß an Chips unter allen Widrigkeiten sicherzustellen; akute Probleme müssen sie soweit möglich direkt beheben, dafür sind sie ausgebildet. Die Aufgabe der Prozessingenieure ist es, Störfälle in Zukunft zu verhindern. Also zum Beispiel Maschinen so umzuprogrammieren, dass man in Zukunft weniger eingreifen muss. Die Arbeit der Prozessingenieure und der Arbeiterinnen im Reinraum geht Hand in Hand, die Erfahrungen und Erkenntnisse werden in ständige Prozessverbesserungen, Nachjustieren und Neuprogrammierung der Maschinen usw. gegossen.

Hast du einen Überblick über die Löhne in Taiwan?

Der Durchschnittslohn bei TSMC in Taiwan betrug 2019 ca. 59.000 USD – das durchschnittliche Haushaltseinkommen betrug 14.331 USD pro Jahr. Die Arbeiterinnen verdienen etwa das Dreifache eines taiwanesischen Durchschnittslohns, ihr Lohn ist allerdings variabel, 2019 bekamen sie 26 Monatslöhne! Dafür müssen sie in Zwölf-Stunden-Schichten arbeiten. Meist sind es junge Frauen, die nach einem qualifizierten Schulabschluss dort anfangen und dann nach vier, fünf Jahren aufhören und heiraten. Während in der Produktion größtenteils sehr junge Frauen arbeiten, sind die Prozessingenieure meist alte Säcke wie ich.

Woher kommt eigentlich dieser wahnsinnige Druck, die Chips immer nochmal kleiner zu bauen und noch stärker zu integrieren? Wer macht diesen Druck? Die Konkurrenz ja nicht.

Es sind ja Lohnfertiger. Der Druck kommt vom Auftraggeber. 51 Prozent der Produktion von TSMC geht in Smartphones. Samsung baut seine eigenen Chips.

Wenn Apple sagt: »Wir wollen kleinere Chips«, könnte TSMC sagen: »Das rechnet sich nicht«?

Wieso sollte ein Unternehmer sagen, er könne etwas nicht? Die kriegen alle Subventionen, wie früher die Atomindustrie, das gehört zum Geschäftsmodell. Halbleiter-Anbieter versuchen, zu den gleichen Kosten auf derselben Chip-Fläche immer mehr Funktionalität unterzubringen, und das heißt eben jedes Jahr weniger Nanometer. Für die Foundries ist das auch lukrativer. Apple seinerseits steht unter Druck, seine Kunden dazu zu bringen, alle zwei Jahre ihr Handy wegzuwerfen und sich ein neues zu kaufen.

Wird also mit wahnsinnig viel Geld »vom Steuerzahler« eine technologische Entwicklung über einen Kipppunkt hinaus weitergedrückt?

Es gibt zusätzlichen Druck von einer anderen Seite her: Amazon lagert seine Rechenzentren schon nach Alaska aus, weil sie Probleme mit der Kühlung haben. Kleinere Chipstrukturen brauchen viel weniger Strom und erzeugen weniger Hitze bei gleichzeitig höherer »Performance«! Und der kapitalistische Hunger nach mehr ist ungebremst: Kryptowährungen, immer mehr Pixel auf immer größeren TV-Schirmen, Virtual Reality und Gaming in Echtzeit für die zu Hause Beschulten, selbstfahrende Riesen-LKWs auf schwedischen und anderen Straßen usw. usf. – Deshalb 3 nm statt 5 nm statt 7 nm – und die 2 nm sind bereits erkennbar ...

Allerdings sind solche Chips mit immer feineren Strukturbreiten auch viel empfindlicher – das merken selbst die Betreiber großer Rechenzentren, wo nun vermehrt »launenhafte« Prozessorkerne auftreten, die falsch rechnen.

Bis die auf den Markt kommen, hat sich die Serverkapazität verdoppelt oder verdreifacht ...

Ja, vom Gesamtkapital aus ist das keine stabile Situation. Aber die Halbleiterei ermöglicht schnelleren Umstieg – zum Beispiel vom Verbrenner zum ­E-Motor – da braucht es »nur« noch Software. Das ist das Versprechen. Und das schnelle Wachstum von Firmen wie Apple oder Amazon war bei einem mechanischen Prozess nicht denkbar.

Geopolitisch hat das zu der Situation geführt, dass nicht nur 70 Prozent aller in Autos verbauten Chips von ­einem einzigen Hersteller in Taiwan kommen, sondern dass momentan auch nur dort der 3-nm-Prozess ­indus­triell beherrscht wird ...

Die gesamte Halbleiterindustrie ist in drei Ländern konzentriert. Und es gibt zum Beispiel weltweit nur eine (niederländische) Firma, die Belichter für diese neuen Prozesse baut! Sie selber hat wiederum 5000 Zulieferer ... Das schafft extreme Abhängigkeiten. Wenn in der ganzen Kette irgendwas schiefgeht, fehlen Teile. Pandemie, Schiff im Suezkanal, Wasserknappheit ... gar nicht zu reden von einem größeren Unfall oder Krieg ... Die Fragilität der Globalisierung, die sie bisher einfach ignoriert hatten, ist schon beeindruckend! Deshalb jubeln die Strategen jetzt über Bidens aggressive Chinapolitik. Denn was passiert, wenn Taiwan ein Teil Chinas werden sollte? Die taiwanesische Regierung hat vor zehn Jahren gesagt: TSMC ist unsere Lebensversicherung. Jetzt will TSMC sechs Fabriken in den USA bauen! Mit Subventionen natürlich.

In Arizona stellen sie schon Leute für die neue 5-nm-Produktion ein und 3 nm ist für 2022 projektiert. Interessant wird sein, was für Leute sie da einstellen! Geht es um niedrige Lohnkosten oder Leute mit gutem Schulabschluss, die die Arbeit ein paar Jahre machen? Und wo finden sie solche Arbeiterinnen? Frauen in den USA, die gut ausgebildet sind, brauchen einen Karrierepfad. Die müssen denen was bieten. Viel kann man da über die Lohnhöhe regeln, aber eben nicht alles! Und TSMC kann in den USA nicht das Dreifache des Durchschnitts lohns bezahlen, wenn sie konkurrenzfähige Chips auf den Markt bringen wollen! Vielleicht bringen sie ja auch einfach die Leute mit? Das weitere Pro blem ist die hohe Toxizität der Chip-Produktion...

Wo fällt der Wasserverbrauch an? Kann das Wasser wieder gereinigt werden?

Während des gesamten Prozesses. Eine Fab in Taiwan braucht 15 Millionen Liter Wasser pro Tag. In Taichung hat die Regierung für TSMC 88 neue Brunnen gebohrt, damit die dortige Fab genügend Wasser hat. Die Taiwanesen mussten in den letzten Wochen im Haushalt Wasser sparen, an zwei Tagen in der Woche wird ihnen das Wasser abgestellt, damit die Fabriken laufen können. [Inzwischen wurde aufgrund des Wassermangels auch die Chipproduktion gedrosselt.] Erst jetzt hat TSMC damit begonnen, eine Reinwasseraufbereitungsanlage in Taiwan zu bauen, die Ende des Jahres in Betrieb gehen und mittelfristig die Hälfte des Wasserbedarfs aus Abwässern decken soll (die Anlage wird natürlich exklusiv für TSMC zur Verfügung stehen – die Menschen vertragen ja auch unreineres Wasser als die Chips!). Außerdem brauchen die Chip-Fabriken drei Prozent des Gesamtstrombedarfs Taiwans. Die Aluminiumindustrie ist in der BRD die Industrie mit dem höchsten Stromverbrauch: 8,1 Terawattstunden braucht die gesamte Aluminiumindustrie in der BRD pro Jahr. Aber 6,3 Terawattstunden eine einzige 3-nm-Fab von TSMC. Die neuen Belichter haben den 20-fachen Stromverbrauch der alten Maschinen.

Wir haben in der Corona-Krise gelernt, dass in der BRD weder Masken noch Impfstoffe noch Halbleiter produziert werden können. Wie realistisch sind neue Chip-Fabriken im niedrigen Nanometer-Bereich in der BRD?

Ich glaube nicht, dass die EU zehn Milliarden in die Hand nimmt – diese Zahl hat Intel genannt; TSMC hat sich noch nicht geäußert, ohne Subventionen im zweistelligen Milliardenbereich bauen die keine Fabrik. Und abseits der Subventionsfrage: Lassen sich diese Produktionsprozesse in der BRD heute noch hochziehen und produktiv beherrschen?

Der 89-jährige Gründer und frühere Chef von TSMC, Morris Chang, hat im Frühjahr in einem Interview mit der Asia Times die »Arbeitstier-Mentalität« der taiwanesischen ArbeiterInnen gefeiert – und geätzt, die USA hätten zwar keinen Mangel an »billigem Land und Strom«, aber an »kompetenten Technikern und Arbeiterinnen«, »denn seit Jahrzehnten sind Industriejobs bei US-Amerikaner­Innen nicht mehr populär«. Man könne zwar Manager nach Arizona schicken – aber diese allein seien nicht in der Lage, dort eine ähnliche Produktivität zu erreichen.6

In dem Interview machte Chang auch deutlich, dass das gegenwärtige globale technologische Wettrennen in der Chip-Produktion ausschließlich zwischen Südkorea (Samsung) und TSMC laufe, China sei trotz milliardenschwerer Subventionen mindestens fünf Jahre zurück – und werde weiter zurückfallen, wenn es versucht, eine eigenständige Technologie zu entwickeln.

Angesichts dieser Probleme bezweifle ich, dass die europäischen Kapitalisten diese »Rückverlagerung« überhaupt anstreben. Infineon war hier ja recht deutlich; sie würden (bei ausgiebig sprudelnden Subventionen) auch in weitere 300-mm-Fabs investieren, aber eben ausdrücklich nicht im einstelligen Nanometer-Bereich.

Fußnoten:

* Vor 36 Jahren hatten wir in der Wildcat (sie hieß damals noch Karlsruher Stadtzeitung) Heft 34, Januar 1985 einen Artikel aus Processed World übersetzt: »Chips of our lives«, der sich mit der Elektronikindustrie bzw. der Arbeit im Silicon Valley beschäftigte – vom Systemanalytiker über den Programmierer bis zur Leiterplattenbestückerin im Reinraum. Er zerpflückt die Mythen über die Mikroelektronikindustrie als sauber und wies drastisch auf die Vergiftung der ArbeiterInnen, die Umweltzerstörung und vor allem die Arbeit für das Pentagon hin. Verankert war das Zeitschriftenprojekt eher im Tech-workers-Milieu und setzte auf deren Radikalisierung. In den folgenden Heften kamen Berichte über unsere eigenen Versuche militanter Intervention in der Leiterplattenbestückung bei Siemens. In Heft 40, November 1986, war ein weiterer Artikel aus Processed World: »Chemikalien laufen Amok im ›Clean Room‹« über die gesundheitsschädliche Arbeit in der Halbleiterindustrie. Auffällig ist, dass damals die Computerindustrie Thema in vielen linken Zeitschriften war – kurz bevor viele Linke selbst in der Software-Industrie landeten. Alle Ausgaben von Processed World sind auf libcom.org nachzulesen.

[1] »Produktivitätsmindernde Arbeitsgesetze und hohe Lohnkosten«, so der US-Hersteller LSI Logic Corp., zwingen zur Schließung der Chip-Fabrik in Braunschweig; damit ist das Konzept des Herstellers, seine 32-Bit-RISC-Mikroprozessoren, ASICs, ICs für die Bild- und Signalverarbeitung sowie PC-Chip-Sets und -Grafikprodukte marktnah zu produzieren, gescheitert. Die Wafers mit den Chips kamen damals allerdings aus den USA. Der Aufbau eines eigenen Lithographie-Prozesses hätte die Kostenstruktur möglicherweise verbessert.

[2] Infineon wurde 1999 aus dem Siemens-Bauelementewerk ausgegliedert und an die Börse gebracht.

[3] Interessant: John East, »Real Men Have Fabs Jerry Sanders, TJ Rodgers, and AMD«, semiwiki.com, 29. Juli 2019

[4] Früher hatte das mal eine echte Bedeutung, konnte also nachgemessen werden. Heute ist das eine »virtuelle Größe«; siehe hierzu z.B: https://en.wikichip.org/wiki/ technology_node.

[5] Alle TSMC-Fabs: 300 mm: Fab 12 (Hsinchu), Fab 14, Fab 18-1, Fab 18-3 und Fab 18-4 (Tainan), Fab 15 (Taichung), Fab 16 (Nanjing, VR); 200 mm: Fab 3, Fab 5 und Fab 8 (Hsinchu), Fab 6 (Tainan), Fab 10 (Shanghai, VR), Fab 11 (Camas, US), SSMC (Singapur, mit NXP).

[6] Asia-Times, »TSMC founder doubts US competence in chip-making«, asiatimes.com, April 2021

 
 
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