Wildcat Nr. 49 - Februar 1990 - S. 21-26 [w49gewer.htm]


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¿Gewerkschaft?

In den Betrieben treffen wir oft auf Arbeitermilitante, die aus der Flaute im Klassenkampf die Konsequenz gezogen haben, daß die ArbeiterInnen sich nicht selbst organisieren und kämpfen können. Deshalb sehen sie in der gewerkschaftlichen Organisierung die einzige Möglichkeit, etwas für die ArbeiterInnen zu erreichen. Sie sind Betriebsräte oder Vertrauensleute geworden und reiben sich an dem Widerspruch auf, einerseits was tun zu wollen, andererseits aber in ihrer Funktion an den Rahmen von Arbeitsrecht und Betriebsverfassungsgesetz gebunden zu sein, also immer stellvertretend für andere zu handeln. Ganz oft jammern solche Leute dann darüber, daß die KollegInnen keinen Druck auf »ihre« Gewerkschaft ausüben und einfach passiv drauf warten, was die da oben machen - um hinterher zu meckern. Die ganzen Widersprüche, die sie selbst bei ihrer Arbeit in den Gewerkschaften haben, schieben sie auf die Gewerkschaftsbürokratie, auf die »Verselbständigung des Apparats«. Die Idee liegt dann meistens nicht fern, die Kollegen für die Veränderung der Gewerkschaft mobilisieren zu wollen - die Bewegungen der ArbeiterInnen also für die Reformierung des Apparats zu benutzen ... Ob so oder so, hinter solchen Vorstellungen steckt immer die Idee, daß die Gewerkschaften »früher mal« Kampforganisationen der Arbeiterklasse gewesen seien. Daß sie bei genügend Druck von der Basis sozusagen zu ihrer natürlichen Bestimmung zurückfinden würden. Gegen diese falschen Vorstellungen wollen wir ein wenig Licht ins geschichtliche Dunkel bringen.

1. Gewerkschaft heißt verhandeln und einigen.

Gewerkschaften sind gegründet worden, um bessere Bedingungen für den Verkauf der Arbeitskraft durchzusetzen. Verkauf ist immer ein Handel, der mit einem Vertrag abgeschlossen wird. Wenn so ein Vertrag von jeder einzelnen Arbeiterin ausgehandelt werden muß, dann sehen die Bedingungen höchst unterschiedlich aus. Die Folge ist, daß alle sich gegenseitig unterbieten, wenn viele einen Job suchen, daß der Boß sie gegeneinander ausspielen kann und so weiter. Die gewerkschaftliche Forderung, als Verhandlungspartner anerkannt zu werden, leitet sich also schon aus dem Vertragscharakter ab, dem die Arbeitskraft als Ware unterworfen ist.

Mit dem Gegner verhandeln schließt den Willen zur gütlichen Einigung ein. Die Gewerkschaft strebt einen Interessenausgleich mit dem Kapital an. Jede Seite hat ihre eigenen Interessen, zum Beispiel was den Preis der Arbeitskraft angeht. Gewerkschaftliche Forderungen werden in Verhandlungen mit den Unternehmern diskutiert und ausgelotet. Ob es dabei um höhere Löhne, um Arbeitszeitverkürzung oder um betriebliche Veränderungen geht - daß überhaupt gearbeitet werden muß, steht nie in Frage.

2. Gewerkschaften organisieren nicht den Haß auf die Arbeit, sondern das Sich-Einrichten in der Ausbeutung.

Gewerkschaftliche Zusammenschlüsse regeln ein lebenslängliches Dasein im Ausbeutungsverhältnis. Sie sind dazu da, den Preis der Ware Arbeitskraft zu erhalten und zu erhöhen. Die Gewerkschaft nimmt der einzelnen Arbeiterin das Aushandeln des Lohns ab, indem sie zyklisch »Lohnanpassungen« organisiert. Um Arbeitsbedingungen und soziale Absicherung kümmert sich der Staat mit Gesetzgebungen und Verordnungen, die Gewerkschaften haben das Recht auf Mitbestimmung. Im betrieblichen Alltag stehen Betriebsrat und Vertrauensleute zur Lösung von Konflikten, wie etwa Ärger mit dem Meister oder mit der Lohnabrechnung bereit. Bei Kündigungen muß der Betriebsrat informiert werden, bei arbeitsrechtlichen Auseinandersetzungen gibt's für Gewerkschaftsmitglieder nen Rechtsbeistand gratis. Bei Massenentlassungen hat der Betriebsrat mitzureden, ein Sozialplan muß aufgestellt werden. Das alles garantiert eine relative Absicherung des ArbeiterInnenlebens.

3. Gewerkschaften sind keine Organisationen der Arbeiterklasse.

Gewerkschaften sind der Arbeiterklasse nicht von außen aufgezwungen, sondern entsprechen der Hoffnung der ArbeiterInnen, sich unter den gegebenen Verhältnissen irgendwie absichern zu können. Sie sind die eine Seite des inneren Widerspruchs in der Klasse: einerseits ist sie Teil des Kapitals, produziert das Kapital, andererseits haßt sie die Arbeit und ist der gefährlichste Feind des Kapitals. In diesem Widerspruch bewegt sich jede einzelne Arbeiterin, aber er drückt sich auch als Spaltung der Arbeiterklasse in verschiedene Schichten aus. Diese verschiedenen Schichten haben unterschiedliche Möglichkeiten, sich in der Ausbeutung einzurichten, sie erträglich zu finden. In den Gewerkschaften sind immer diejenigen Klassenschichten am stärksten vertreten und tonangebend, die sich am ehesten mit einem lebenslangen Dasein als LohnarbeiterIn abfinden können. Vorarbeiter oder Meister sind heute in höherem Maße organisiert als Ungelernte, Frauen, Ausländer usw. Und die Gewerkschaften sind auch historisch aus diesen Schichten entstanden - oft in direkten Auseinandersetzungen mit ArbeiterInnen, die aufgrund ihrer Stellung im Produktionsprozeß kein Interesse an einem gütlichen Ausgleich mit dem Kapital haben konnte.

4. Der Einfluß der Gewerkschaften beruht auf ihrer Anerkennung und rechtlichen Stärkung durch Staat und Kapital.

Heute organisieren sich neben den bessergestellten ArbeiterInnen auch viele normale ArbeiterInnen in Gewerkschaften, was ihnen das Aussehen von »Klassenorganisationen« verschafft. Das liegt aber nicht daran, daß sich die ArbeiterInnen eigenständig für diese Form der Organisierung entschieden haben. Durch das Verhalten der Unternehmer und des Staates werden sie systematisch dazu gedrängt. Dabei geht's nicht nur um die offensichtlichen Fälle: daß dir z.B. der Betriebsrat sagt, er stimmt deiner Einstellung nur zu, wenn du in die Gewerkschaft eintrittst - und die Macht dazu hat er aufgrund der Mitbestimmungsgesetze. Ganz grundsätzlich werden alle anderen Formen der Organisierung unterdrückt und verfolgt. Allein die Betätigung in den Gewerkschaften, denen der Staat das Monopol auf die Interessensvertretung verliehen hat, wird geduldet.

Durch die weitgehende rechtliche Regelung aller Fragen der sozialen Absicherung (Arbeitsrecht, Sozialversicherung, Arbeitssicherheit usw.) werden die Themen, um die sich die Gewerkschaften kümmern sollen/dürfen, auf die bloßen Verkaufsbedingungen der Arbeitskraft, auf reine Lohnfragen reduziert. Alle anderen Fragen, die existenziellen Fragen des Klassenkampfs, sind in Rechtsfragen verwandelt worden. D.h. sie sollen keine Themen des Klassenkampfs, sondern der politischen Einflußnahme des vereinzelten Staatsbürgers im Rahmen der demokratischen Diktatur des Kapitals sein. Und die Gewerkschaften tun das Ihre, um diese »Enteignung« des Klassenkampfs zu unterstützen.

Historische Streiflichter

Die gewerkschaftliche Organisierung in der ersten Hälfte des 19. Jh. in Deutschland knüpft historisch an den mittelalterlichen Zünften (Bruderschaften) an, in denen sich Handwerker einer Berufsgruppe zusammenschlossen. Vier Fünftel der Bevölkerung der deutschen Länder waren Bauern und Landarbeiter, knapp ein Fünftel Handwerksmeister, deren Gesellen, Kaufleute, Beamte, Geistliche und Adel. Es gab bereits eine kleine Schicht von Arbeitern, die ihre Arbeitskraft frei anbieten konnten. Dies waren vor allem Handwerksgesellen. Solange das Zunftwesen intakt war, waren die Gesellen nur für eine Übergangszeit »freie Lohnarbeiter«, um danach selbst Meister zu werden. Die Zunftsatzungen regulierten den Nachwuchs in den Handwerkszweigen und garantierten den Gesellen einen sicheren Arbeitsplatz und einen »gerechten Lohn«.

Während um 1800 die Ansätze von Industrialisierung noch gering waren und agrarisch-handwerkliche und industrielle Lebens- und Produktionsformen noch eng miteinander verbunden waren, stieg die Zahl der reinen LohnarbeiterInnen zur Mitte des Jahrhunderts auf etwa eine Million. Mit der Mechanisierung der Produktion wurden massenhaft ungelernte ArbeiterInnen, darunter viele Frauen und Kinder eingesogen. Die Facharbeiter in der Industrie, von ihrem Wissen und Fertigkeiten den herkömmlichen Handwerkern vergleichbar und mit einer besonderen Verantwortung für den Produktionsprozeß, waren unter den industriellen ArbeiterInnen eine kleine Minderheit.

Um 1840 gab es zunächst Ansätze zu regionalen gewerkschaftlichen Verbänden von Handwerksgesellen mit dem Ziel kollektiver Vereinbarungen von Lohn- und Arbeitsbedingungen. 1848 wurden die ersten nationalen Zentralverbände von Buchdruckern und Zigarrenarbeitern gegründet.

Diese ersten Gewerkschaften organisierten fast ausschließlich die handwerklichen Arbeiter. Sie waren Zusammenschlüsse von Menschen, die den gleichen Berufsgruppen angehörten; sie wollten Einfluß auf die Arbeitsbedingungen, die Kontrolle über Einstellungen und Entlassungen, sie haben Kassen gegen Krankheit und Arbeitslosigkeit aufgebaut. Es ging ihnen darum, den Wert ihres beruflichen Könnens kollektiv zu sichern, ihre Stellung in der Produktion zu verteidigen, den Preis für den Unternehmer so weit wie möglich hochzuschrauben. Sie haben sich zusammengeschlossen, um sich nicht gegenseitig Konkurrenz zu machen und damit die Preise zu drücken. Gleichzeitig richteten sie sich gegen das Eindringen von Ungelernten in ihre Sphäre, um ihre Arbeitsplätze zu sichern.

Das Ziel dieser Zusammenschlüsse war also, die Macht dieser speziellen Arbeiterfigur zu erhalten, die zunächst als Handwerker selbständig und nun auf Rechnung eines Kapitalisten arbeitete. Sie knüpfen am besonderen Besitz dieser Ware Arbeitskraft an, ihrer Qualifikation, ihren speziellen Kenntnissen und Fähigkeiten. Diese Arbeiter identifizierten sich mit ihrer Arbeit; die Quelle aller Ungerechtigkeiten sahen sie in der falschen Verteilung der erarbeiteten Werte und in der Tyrannei ihres Kapitalisten und dessen persönlicher Habgier. Man müßte die Kapitalisten zwingen können, die Arbeiterschaft als gleichberechtigten Partner in alle Entscheidungen einzubeziehen, Verhandlungen zu führen wie mit Geschäftspartnern, »einen gerechten Lohn für ein gerechtes Tagwerk« zu zahlen. Wenn das nicht möglich ist, so sagten die Radikaleren unter ihnen, so müßte man einfach die Kapitalisten wegjagen und die Arbeit selbst und ihr Produkt gerecht unter sich aufteilen, dann wäre die Welt in Ordnung. Selbstverwaltung und Arbeiterkontrolle würden die Arbeit von der »Irrationalität des Systems befreien«.

Gegen diese ersten Zusammenschlüsse richtete sich auch die Repression des damaligen Staates, der feudalistisch geprägt war. Aufgrund der Unterdrückung, die immer wieder ihre Existenz bedrohte, tendierten diese Verbände zunächst zu einer radikalen Ideologie, deren Inhalt nur der Wunsch nach Anerkennung als Verhandlungspartner war.

Die Geschichte der ersten Gewerkschaften ist also nicht die Geschichte der damaligen Klassenkämpfe, sondern nur die Geschichte einer recht kleinen Schicht der Arbeiterklasse. Die Massen von unqualifizierten ArbeiterInnen, die mit den Industrialisierungsschüben des letzten Jahrhunderts in wachsender Zahl in die Bergwerke, Hafenanlagen, Fabriken usw. strömten, hatten ganz andere Vorstellungen und Interessen. Sie standen der Arbeit fremd gegenüber, sie war reiner Zwang, sich am Leben zu erhalten. Deshalb ging es in ihren Kämpfen auch kaum um den Erhalt eines Status quo, sie hatten nichts zu verteidigen, nur etwas zu gewinnen. Ihre Vorstellung vom besseren Leben schloß die lebenslängliche Arbeit aus. So hatten auch die Gewerkschaften ihnen nichts zu bieten, was sie veranlassen konnte, sich längerfristig in ihnen zu organisieren. Sie benutzten sie manchmal, um sich bei Streiks ein Einkommen zu verschaffen und verließen sie oft wieder, wenn die Aktion beendet war.

Ein Beispiel dafür ist die Mitgliederbewegung des Hafenarbeiterverbands in Deutschland vor der Jahrhundertwende: Während die Mitgliederzahl 1895 2100 betrug, stieg sie während der Massenstreiks der Hafenarbeiter und Seeleute 1897 auf 11 000 an. Das SPD-Zentralorgan »Vorwärts« schrieb dazu: »Massen, die trotz aller Anstrengungen der organisierten Arbeiter den Organisationen ferne bleiben, keinen Pfennig für dieselben aufgebracht haben, sich überhaupt nicht um die Arbeiterbewegung kümmern, kommen plötzlich in Bewegung, beherrschen durch ihre Zahl die Versammlungen und drücken Beschlüsse durch, für welche organisierte ... Arbeiter nie zu haben gewesen wären ... und es folgen ... die folgenschwersten Kämpfe. So ist es gewesen bei dem großen Bergarbeiter-Ausstand, so beim Berliner Bierboykott, so jetzt in Hamburg.«

Beim 1897er Hafenarbeiterstreik, der über mehrere Monate andauerte, dominierten die Hilfs- und Gelegenheitsarbeiter. Die »festen«, gewerkschaftlich organisierten Arbeiter beteiligten sich nur zum Teil und zögerlich und akzeptierten das Bemühen ihrer Gewerkschaft, den Streik auch ohne Zugeständnisse der Gegenseite möglichst schnell zu beenden. Der Grund dafür war einfach: während die Gelegenheitsarbeiter von einem Betrieb zum anderen gehen und überall Arbeit finden konnten, gab es für die »Festen« nur einen staatlichen Kaibetrieb in Hamburg. Wurden sie hier rausgeworfen, gab es für sie nur den Abstieg in die Reihen der Hilfsarbeiter. [1]

Die Aktionsformen der Ungelernten erschienen in den Augen der qualifizierten Arbeiter zerstörerisch, weil sie das Eigentum und die Arbeit nicht als »heilig« anerkannten, Maschinen und Werkzeuge zerstörten, der Verlust des Arbeitsplatzes ihnen kaum ein Risiko war. Diese unterschiedliche Interessenlage war der Grund, warum Gewerkschaften die Massenstreiks der nicht gewerkschaftlich organisierten ArbeiterInnen oft direkt bekämpft oder aber versucht haben, sich an ihre Spitze zu setzen und sie von innen auszuhöhlen.

Die Unternehmer haben ihre Kämpfe gefürchtet, weil sie vor nichts zurückschreckten, nicht verhandeln und sich gütlich einigen wollten. Über Jahrzehnte blieb dem Kapital nur der Terror und die militärische Gewalt, um ihre Streiks und Aufstände zu zerschlagen und sie wieder an die Arbeit zu bringen.

Erst die großen wilden Streikbewegungen der Ungelernten gegen Ende des Jahrhunderts, z.B. der große Bergarbeiterstreik von 1889, auf den Gewerkschaften keinen Einfluß hatten, bewirkten eine Meinungsänderung bei den Unternehmern. Unternehmerverbände wurden gegründet, die ein Interesse daran hatten, dauerhafte Lösungen für das Problem zu finden, daß sie immer wieder mit der kollektiven Artikulation des Arbeiterhasses auf die Arbeit konfrontiert waren. Die ständige Fluktuation der Ungelernten, ihre Arbeitsscheu, Sabotage und wilde Streiks, auf die niemand einen Einfluß hatte, brachten die Kapitalisten ins Schwitzen.

Die Unternehmerverbände setzten sich gegen die alte patriarchalische Schicht von Kapitalisten durch. Sie akzeptierten die Gewerkschaften als Verhandlungspartner, schlossen Tarifverträge ab und setzten auf gewerkschaftliche Vermittlungsfähigkeit. Erst dadurch erreichten die Gewerkschaften allmählich Stabilität und konnten auch Teile der Ungelernten organisieren.

So weit erstmal zu den historischen Anfängen, die dem Bild widersprechen, Gewerkschaften seien irgendwann mal als Kampforganisationen der Klasse entstanden. Zum weiteren Verlauf der Geschichte wäre noch viel zu sagen: im ersten Weltkrieg werden die Gewerkschaften in die Kriegspolitik des Staates einbezogen, sollen den Arbeitsfrieden gerantieren. Als nach dem Krieg revolutionäre Kämpfe die Welt erschüttern, der Kapitalismus nochmal gerade davonkommt, werden die Gewerkshaften offiziell in das staatliche Rechtsgefüge eingebaut. Die genauere Untersuchung würde auch ein anderes Licht auf die nationalsozialistische Phase werfen, zeigen, welche Kontinuitäten es bei allen Widersprüchen zwischen der Gewerkschaft vor 1933, der nationalsozialistischen »Deutschen Arbeitsfront« und dem heutigen DGB gibt. In diesem Teil ging es uns nur darum, mal ein paar geschichtliche Mythen über die Gewerkschaft beiseite zu räumen, damit wir die genauere Untersuchung anpacken können.

5. Revolutionäre Organisierung fängt da an, wo sich die ArbeiterInnen zusammentun, um mehr Macht zu haben und endlich den ganzen Scheiß hier wegzuhaun!

Gewerkschaften erscheinen als Kampforganisationen der Klasse, weil sie auch gelegentlich zum Mittel des Streiks greifen. Und sie können deswegen auch manchmal von den ArbeiterInnen beutzt werden. Aber für die Gewerkschaft ist der Streik nur das letzte Druckmittel. Kann mit den Unternehmern keine Einigung erzielt werden, dann soll durch den Streik die eigene Verhandlungsposition verbessert werden. Der Wille und der Zwang zur Einigung ist die Grenze gewerkschaftlicher Streiks. Das was dabei herausspringt, ist oft selbst den betrieblichen Gewerkschaftsfunktionären zu wenig, aber »mehr war nicht drin«, ohne die »Sozialpartnerschaft« aufs Spiel zu setzen. Und das liegt eben nicht im Interesse der Gewerkschaft, die lange Jahre an dieser Errungenschaft mitgestrickt hat.

Und nur wenn die Gewerkschaften selber Streiks führen, können sie diese wichtigste Waffe des ArbeiterInnenkampfs kontrollieren und ihr die Schärfe nehmen. Die gewerkschaftliche Mobilisierung verhindert die Selbsttätigkeit der Klasse: »Anarchie und Chaos« müssen verhindert werden, sonst gibt's keine Garantie dafür, daß eine Einigung zustande kommt und alles in den altbewährten und geordneten Bahnen weiterläuft. Deshalb wird delegiert und geregelt, die Masse wird manövriert, Kontakte unter den Streikenden und zu anderen Betrieben laufen über gewerkschaftliche Funktionäre. Gefährlich wird's erst dann, wenn die ArbeiterInnen den Kampf selbst in die Hand nehmen und sich um die Interessen ihres Feindes einen Dreck scheren. Weder das Kapital noch die Gewerkschaft hat länger die Fäden in der Hand. Wilde Streiks sind schon rechtlich illegalisiert, ein »Streikrecht« hat nur die staatlich anerkannte Gewerkschaft.

Während Gewerkschaften das lebenslängliche Dasein im Ausbeutungsverhältnis und damit das Auskommen zwischen Kapital und Arbeit organisieren, besteht die Autonomie proletarischen Strukturen darin, daß sie sich nicht darum scheren, ob sich das Kapital gerade die Erfüllung von Arbeiterforderungen leisten kann. Sie halten sich nicht an die Spielregeln, erkennen die »Friedenspflicht« ebensowenig wie staatliche Schiedssprüche an. Meist sind es die un- oder angelernten, jungen ArbeiterInnen, die sich nicht mit »ihrer« Arbeit, »ihrem« Betrieb identifizieren. Ihnen kann man mit Produzentenstolz und Arbeitsfreude nicht kommen.

Wilde Streiks, von den ArbeiterInnen selbstorganisierte Kämpfe ohne institutionelle Vermittlung, ziehen sich durch die ganze Geschichte der kapitalistischen Entwicklung. Immer wieder zwingen sie das Kapital zur Suche nach neuen Spaltungs- und Integrationsmöglichkeiten.

Langsamarbeiten, Arbeitsniederlegungen, Aktionen, mit denen die ArbeiterInnen gemeinsam für bessere Bedingungen kämpfen, sind noch keine Revolution. Das, was sie in ihren Kämpfen erreichen, verbessert ihre Bedingungen als ArbeiterIn, es ändert nichts daran, daß sie weiterhin arbeiten müssen. Bessere Arbeitsbedingungen können auch bessere Kampfbedingungen sein. 6 Stunden am Tag statt 14 Stunden zu arbeiten, schafft mehr Möglichkeiten, um zu diskutieren, sich zu treffen, zu organisieren usw. Aber das Wichtigste ist, daß die ArbeiterInnen dies als Ergebnis ihrer eigenen Stärke erleben, daß sie dies aufgrund ihrer Macht in der Produktion durchgesetzt haben - und daß es sich nicht um Dienstleistungen der Gewerkschaft oder des Sozialstaats handelt.

Wenn die ArbeiterInnen selber für bessere Bedingungen kämpfen, geht es nie nur um das Ziel, sondern auch immer um den kollektiven Kampf an sich, um den Spaß dabei, das gegenseitige Kennenlernen, nicht arbeiten müssen. Es geht ihnen darum, ihre Macht zu entwickeln. Deshalb lernen die ArbeiterInnen in solchen Situationen sehr schnell die Gewerkschaft als eine Institution kennen, die sie entweder im Regen stehen läßt, oder sich um jeden Preis an die Spitze ihrer Bewegung setzen will - Hauptsache, selbständige Aktivitäten der ArbeiterInnen werden abgewürgt.

Denn Voraussetzung für den Umsturz der Gesellschaft ist die Selbsttätigkeit der Klasse. Und der Anfang sind autonome Kampferfahrungen in erster Person. Erfahrungen, in denen die ArbeiterInnen ihre Sache selbst in die Hand nehmen, selbst Ziel und Richtung bestimmen, selbst mit ArbeiterInnen aus anderen Betrieben diskutieren. Und wo sie beginnen zu verstehen, daß sie gegen das ganze System kämpfen müssen, wenn sie Schluß mit der Scheiße machen wollen.


Fußnoten:

[1] Zu den Kämpfen der Hamburger Hafenarbeiter gibt es ein sehr informatives Buch: Michael Grüttner: Arbeitswelt an der Wasserkante. Sozialgeschichte der Hamburger Hafenarbeiter 1886-1914, Göttingen 1984. Dort wird deutlich, daß die Hafenarbeiter lange Zeit gerade deswegen kämpfen konnten, weil sie sich nicht in Gewerkschaften organisierten!


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