Wildcat Nr. 55 - Mai/Juni 1991 - S. 2-6 [w56krieg.htm]


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Der Krieg

Strafaktion gegen die Arbeiterklasse im Nahen Osten

Drohung gegen das Weltproletariat

Aufatmen? Weil der Krieg begrenzt geblieben ist, weil er unseren Vorgarten nicht verwüstet hat, weil die ökologische Katastrophe uns kaum belästigt? Es ist den Herrschern der Welt gelungen, ihre Strafaktion in einer präzisen Weise durchzuführen, sie militärisch, regional und politisch sehr genau zu dosieren. Wahrlich kein Grund zur Beruhigung: Die Dosis besteht aus mehreren hunderttausend Toten, Millionen Flüchtlingen, geschlagenen Aufständen des Proletariats im Irak.

Saddam Hussein war nicht der Feind

»Eine Erhebung der irakischen Bevölkerung war vor der Kuwaitkrise denkbar; wenn überhaupt, dann lag sie zu diesem Zeitpunkt im Bereich des Möglichen. Das war auch einer der Gründe für die Kuwaitinvasion. Der Aufmarsch der ausländischen Truppen, die Drohungen gegen den Irak und der Angriff am 17.1. haben die Position von Saddam Hussein erheblich gestärkt. Die äußere Bedrohung drängt die inneren Widersprüche in den Hintergrund«. Soweit ein irakischer Oppositioneller im Februar '91.

Von Marokko bis Pakistan hat die Arbeiterklasse in den 80er Jahren ihre Ansprüche nicht nur angemeldet, sondern vielfach in Form höheren Lebensstandards durchgesetzt; sie hat einen größeren Teil am sagenhaften Ölreichtum gefordert. Das geschah selten in spektakulären Kämpfen, die dann allerdings sehr beeindruckend waren.

Angefangen von der iranischen Revolution 1979, über die Hungerrevolten in den Magreb-Staaten (Marokko, Tunesien, Algerien) und Ägypten, über die Intifada und Streikwellen in Israel (Juni 90: Generalstreik mit 800 000 Teilnehmern) bis zu Massenstreiks im Irak und im Iran im Verlauf des ersten Halbjahres 90.

Alle Regimes standen unter dem Druck der Klasse. Die einheimische Arbeitskraft in den Scheichtümern arbeitete so gut wie gar nicht mehr. Auch die eingewanderten arabischen Arbeiter erwiesen sich bald als »faul und ineffizient«. Seit Anfang der 80er wurden verstärkt Arbeitskräfte aus Asien angeworben, die zum Teil in dauernder Rotation gehalten werden mußten, um die Anpassung an die Verhältnisse zu verhindern. Dennoch wandelte sich die positive Leistungsbilanz der OPEC-Länder schon 1982 in ein Defizit. Libyen und die Scheichtümer konnten zwar nach wie vor Überschüsse im Staatshaushalt verbuchen, aber die bevölkerungsreichen Länder wie Nigeria, Venezuela, Algerien, der Iran wurden zu Schuldnerländer. Der Irak war Anfang 1990 so gut wie bankrott: erwarteten Ausgaben von 22 Milliarden $ standen Einnahmen von 13 Milliarden $ gegenüber. Selbst die »reichen« Ölländer wie Saudi Arabien gingen daran, die vielfältigen Subventionen des Lebensstandards der Bevölkerung abzubauen. Gleichzeitig fiel der Ölpreis: die OPEC war nicht mehr in der Lage, die Förderquoten zu senken. Dazu standen zuviele ihrer Mitglieder zu sehr unter dem Druck, den sozialen Frieden durch Zugeständnisse aufrechterhalten zu müssen. Diese Arbeiterklasse, die vor allem im Irak kurz davor stand, die Revolution zu wagen, war das eigentliche Ziel dieses Krieges.

Dieser Krieg war geplant und gewollt

Alles, was inzwischen über die diplomatische Vorgeschichte des Krieges bekannt ist, belegt, daß er von den USA mit langer Hand vorbereitet und geplant war. Dem bankrotten Regime im Irak, das am 6.Januar 1990 nur knapp einen Militärputsch überlebt hatte, signalisierten die USA, daß es versuchen könnte, die Förderquotendisziplin zugunsten eines höheren Ölpreises auch mit militärischem Druck durchzusetzen. Das zielte gegen Kuwait, das im Februar '90 seine Fördermengen weit über seine OPEC-Quote erhöht hatte. (Der Ölpreis sank bis zu einem historischen Tiefstand am 27.7.90.) Diese scheinbar solidarische Haltung hielt die US-Regierung bis unmittelbar vor der Invasion Kuwaits bei. Im Verlauf des ersten Halbjahres hielt General Schwarzkopf eine Stabsübung mit dem Thema »Angriff des Iraks gegen Kuwait« ab. In den Monaten der Golfkrise gab es mannigfache diplomatische Versuche, den Krieg zu vermeiden. Ein Gipfeltreffen wurde von Jordanien kurz nach der Invasion angeregt und von Saudi Arabien nach einem Besuch des US-Außenministers abgesagt. Französische, iranische und sowjetische Vorschläge, denen der Irak schon zugestimmt hatte und die alle das angebliche Kriegsziel, die »Befreiung Kuwaits« beinhalteten, wurden von den USA abgelehnt. George Bush hatte am 8. November die Verdoppelung der Truppen befohlen - damit war der Weg in Richtung Krieg beschritten.

Im Grunde genommen waren wir alle davon überrascht. Wir dachten, daß es den USA auf die Dauerkrise ankam, als Vorwand für die Dauerstationierung ihrer Truppen. Es schien uns, als wäre die Vertreibung von mehr als einer Million Fremdarbeiter in der Vorkriegszeit schon der eigentliche Angriff auf die Lebensbedingungen des Proletariats gewesen. In diesem Punkt haben wir uns in zweierlei Hinsicht geirrt. Erstens wußten wir zu wenig über den Klassenkampf in der Region. Zweitens haben wir uns in der Frage verschätzt, für wie dramatisch die Planer des Kapitals die Situation hielten. Wir wußten nicht, daß es eine bevorstehende Revolution zu verhindern galt: die Revolution im zweitwichtigsten bevölkerungsreichen Land der Golfregion.

 

Landesweiter Streik der iranischen Ölarbeiter
 
Flugblatt der Campaign Against Repression in Iran (CARI)
BM Cari, London, WC1N 3XX vom 11.2.91
Der iranische Präsident ruft zum Frieden am Golf auf. Viele Iraner, besonders die iranischen Ölarbeiter, deren historischer Streik 1979 den Schah stürzte, glauben, Rafsandjani habe Angst, die Verlängerung des Krieges würde die Möglichkeit revolutionärer Erhebungen vergrößern. Die Herrschaft des »moderaten« islamischen Staates ist dann bedroht.
Während der Iran von der westlichen Militärallianz langsam als Partner bei der Neuordnung der Nachkriegsgolfregion akzeptiert wird, wachsen die Kämpfe im Land mit jedem Tag an. Nach einem langen und erfolgreichen Streik der Lehrer im Herbst, bedrohen die Ölarbeiter die islamische Führung mit einem koordinierten, landesweiten Streik. Das Folgende sind die ersten Informationen über den Streik, die von den Ölarbeitern aus dem Iran geschmuggelt wurden.
19. Januar 1991
 
Während dieser Bericht geschrieben wird, ist der Streik schon zwei Wochen alt. Er begann in der Ölraffinerie von Abadan, breitete sich nach Esfahan und von da aus auf die Raffinerien im ganzen Iran aus. In ihren Forderungen haben die Arbeiter folgende Gründe für ihren Streik aufgeführt:
* die schlechte rechtliche Absicherung der Arbeitsplätze und Löhne
* niedrige Löhne, besonders in Anbetracht der Inflationsrate
* Forderung nach Wohngeld und Wohnraum, und nach Neueinstufung bei den Lohngruppen
In Esfahan waren die Arbeiter zunächst drei Tage im Hungerstreik. Als das Management dem keine Beachtung schenkte, legten sie die Arbeit nieder.
Neueren Berichten zufolge begannen auch die Arbeiter der Ölraffinerie in Teheran mit einem Hungerstreik, der dann in einen Streik mündete. Während des Streiks kam ein Vertreter des Arbeitsministeriums in die Raffinerie und forderte die Arbeiter auf, wieder an die Arbeit zu gehen und einen Vertreter für Gespräche zu benennen. Die Arbeiter antworteten, sie hätten keine Vertreter und verlangten den Öl- oder Arbeitsminister zu sprechen. Als der Streik fortgesetzt wurde, kam ein Beamter der Geheimpolizei und teilte den Arbeitern mit, daß die Sicherheitskräfte jetzt die Kontrolle in der Raffinerie übernommen hätten. Falls die Arbeit nicht wieder aufgenommen würde, würden sich die Sicherheitskräfte der Arbeiter annehmen. Im Angesicht des Krieges sei es obligatorisch, die Regierung zu unterstützen.
Nach dem anfänglichen Erfolg des Streiks, erklärten sich die Arbeiter bereit, den Streik für zwei Wochen auszusetzen, um der Regierung Zeit zu geben, auf die Forderungen zu reagieren.
Obwohl die Regierung viele Forderungen der Arbeiter akzeptiert (besonders in der Zeit, in der die Öleinnahmen eine derart wichtige Rolle im politischen und wirtschaftlichen Leben des Landes spielen), deuten neue Nachrichten auf eine Fortsetzung des Streiks hin, da die Regierung nicht auf alle Forderungen reagiert hat.

 

Ein Krieg der USA?

Inwieweit »innerimperialistische« Differenzen, also Spannungen zwischen den USA, der EG und Japan bei der Politik der US-Regierung eine Rolle gespielt haben oder von vornherein die bekannte Arbeitsteilung gelaufen ist, ist schwer abzuschätzen. Tatsache ist, daß - außer Großbritannien - die EG-Staaten anfangs zurückhaltend reagiert haben. Um dann umso energischer mitzutun. Soviel scheint aber klar: Zu einer Neuverteilung der Einflußsphären im Nahen Osten ist es nicht gekommen. Kuwait und Saudi Arabien waren vorher schon eng (politisch und ökonomisch) mit den USA liiert. Auch zwischen dem Iran und den USA gibt es alte Freundschaften. In den anderen arabischen Ländern könnte der Einfluß der EG, vor allem der sozialdemokratischen Variante der Außenpolitik, nun gerade zugenommen haben. Nach wie vor wird das alte Spiel »böser Imperialismus USA - guter Imperialismus SPD« gespielt werden können. Das einzige, was sich wirklich verschoben hat, sind einige Milliarden Dollar, für die die US-Army ans internationale Kapital vermietet worden ist. Für die deutsche Regierung ein willkommener Vorwand, eine gewaltige Umverteilungsaktion mittels Steuererhöhungen anzukündigen.

Exkurs: Krieg, Imperialismus, Nationalstaat.

Kriege sind für das Kapital immer der letzte Ausweg aus dem Klassenkampf gewesen. Die bürgerliche und »marxistische« Geschichtsschreibung verschleiert das und spricht von kapitalistischer und imperialistischer Konkurrenz. Und diese Abziehbilder von Geschichte sitzen so tief in aller Köpfen, daß die geschichtliche Wahrheit als absurd abgetan wird. Das betrifft vor allem die beiden Weltkriege. Sie sind im Geschichtsbewußtsein zu Naturkatastrophen geronnen, die noch im Nachhinein die wirklichen Ereignisse überschatten und unsichtbar machen. So bleiben dann nur die Schüsse von Sarajewo oder die Figur eines durchgeknallten Führers übrig, um sich aus der Begriffslosigkeit zu helfen. Dem ersten Weltkrieg gingen die heftigsten und revolutionärsten Drohungen des Proletariats voraus, die das 19. Jahrhundert überhaupt erlebt hat. Angefangen von den großen Streikwellen der 90er Jahre über die ersten Revolutionen 1905 bis zu einem neuen Streikzyklus 1913/14, der den mühsam entwickelten ersten Vermittlungsversuchen (Gewerkschaften, Sozialstaat etc.) schon wieder aus dem Ruder lief. Und trotz des Abschlachtens hunderttausender von Proletariern standen am Ende dieses Krieges wieder Revolutionen. Die Arbeiterklasse und die aufständischen Bauern waren nicht besiegt.

Vor dem zweiten Weltkrieg war es nicht anders: In den 30er Jahren ging es rund. Die größten Massenstreiks in den USA, in Frankreich - sogar unter dem nationalsozialistischem Regime in Deutschland wuchsen die Lohnforderungen und die Aufsässigkeit. In Spanien war Bürgerkrieg, der auch der Sowjetunion recht kam, weil sie einen Krieg brauchte, um den Widerstand gegen die Zwangsindustrialisierung des Landes zu brechen. Gleichzeitig mit den Streiks in den Industriezentren revoltierte die bäuerliche Bevölkerung im Baltikum - bis hin zum Aufstand von 1936 in Palästina. Die Hauptlast des Krieges wurde in Kontinentaleuropa zumindest zeitweise von den Partisanen, von Norwegen, über die französische Resistance bis zu den Partisanen in Griechenland getragen. Von den USA aus mußte die Situation sehr nach Revolution aussehen. Das war der eigentliche Grund für ihren direkten Aufmarsch in Europa.

Die bürgerliche Geschichtsschreibung greift zur Erklärung dieser Tatsachen auf den dümmlichen Pluralismus zurück: natürlich, für das staatliche Handeln gebe es sowohl außenpolitische wie innenpolitische Ursachen. Aber was ist Außenpolitik? Warum gibt es überhaupt Nationalstaaten? Von einem rein ökonomischen Standpunkt des Weltkapitals scheinen sie längst überholt. Aber die Ökonomie des Kapitals ist immer die des Klassenkampfs: Die mit dem Weltmarkt gegebene wirtschaftliche Einheit des Kapitals darf sich niemals in einer politischen Einheit der Arbeiterklasse widerspiegeln. Die Nationalstaaten taugen noch immer dazu, die Klasse nach irgendwelchen ethnischen, sprachlichen, kulturellen etc. Gesichtspunkten zu spalten, und eine klassenunspezifische Einheit als Volk und Staat herzustellen. Es gibt also keine eigenständigen »außenpolitischen« Gesichtspunkte des staatlichen Handelns, die nicht auf die politische Herrschaft des Kapitals zurückzuführen wären. Die innerkapitalistische Konkurrenz ist letztlich der Kampf der Einzelkapitalisten darum, wie sich die Klasse am besten ausbeuten läßt. Ihnen ist klar, daß sich die Profitspannen nicht dadurch verändern lassen, daß sie den konkurrierenden Kapitalisten totschießen - was sie ja auch noch in keinem Krieg getan haben! - sondern nur dadurch, daß aus der lebendigen Arbeitskraft mehr Arbeit herausgeschunden wird. Imperialismus ist nicht, wie Lenins Epigonen vermutet haben, Ergebnis der Kapitalbewegungen. Es ist der Versuch, den Klassendruck der eigenen Arbeiterklasse auf die Arbeiterklasse anderer Nationalstaaten abzuwälzen - und dabei Entwicklung und Nichtentwicklung gegeneinander auszuspielen.

Der präzise Krieg

Nicht alle Fernsehbilder lügen auf dieselbe Weise. Es war ein sehr präziser Krieg. Die Militärs bewiesen in mehrfacher Hinsicht, daß sie auf der Grundlage einer enormen zahlenmäßigen und technologischen Überlegenheit in der Lage waren, ihren politischen Plan durchzuführen. Einen Krieg gegen die wehrlose irakische Bevölkerung (genauer: gegen die irakische Arbeiterklasse) zu führen, ohne das Baath-Regime ernsthaft in Frage zu stellen. Und die militärisch-politischen Voraussetzungen zu schaffen, damit dieses den Bürgerkrieg gegen eine bewaffnete Bevölkerung erfolgreich weiterführen konnte.

»Die eineinhalb Jahre nach dem Waffenstillstand mit Iran waren auch für die Machthaber in Bagdad eine schwierige Zeit. Die Inflation ließ sich nicht in den Griff bekommen. Löhne und Gehälter blieben im Keller, Preise Steuern und Mieten kletterten in die Höhe. Die Menschen mußten über 12 Stunden am Tag arbeiten und mehrere Jobs ausüben, um ihr Existenzminimum zu bestreiten. Diese Zustände führten zu starken sozialen Spannungen. Erstmal seit Mitte der 70er Jahre wurde 1990 berichtet, daß ArbeiterInnen in 26 irakischen Firmen erfolgreich für Lohnerhöhungen, Arbeitszeitverkürzung und mehr Wohnungen gestreikt haben. Ausgerechnet die Zementfabrik in Sulaimaniya, in der am 5.10.1990 [während der Krise! A.d.V.] erfolgreich gestreikt wurde, stand auf der Abschußliste der US-Militärs und wurde bereits in den ersten drei Tagen des Luftangriffs bombardiert.« (SOZ, 31.1.91)

Weitere Quellen für diese Streiks und ihren Umfang waren nicht zu finden. Aber sie könnten die Frage beantworten, warum bis Mitte Oktober alles darauf hindeutet, daß die USA keinen Krieg wollen und warum die US-Streitmacht Anfang November verdoppelt wurde Ä eine Entscheidung, nach der (von heute aus betrachtet) klar war, daß es einen Angriffskrieg geben würde. Es sieht so aus, als ob den US-Strategen im Laufe des Oktober klar wurde, daß sie den drohenden Aufstand des irakischen Proletariats nur durch Massaker, Einladung/Aufstachelung zum Aufstand und arbeitsteilige Niederschlagung desselben in den Griff kriegen konnten.

Es war das Massaker als Strafaktion. Das wirkliche Ausmaß des Blutbades läßt sich nach wie vor nur erahnen. Täglich wurden Bomben mit einer Sprengkraft vergleichbar der beiden Atombomben des Zweiten Weltkriegs abgeworfen. Die Treffgenauigkeit dürfte aufgrund der schwachen oder fehlenden Luftabwehr ziemlich hoch gewesen sein. Die Zerstörung des Luftschutzbunkers in Bagdad mit über 400 Toten war ebenso beabsichtigt wie das Abschießen der jordanischen LKWs. Ebenso alle Treffer, die, umschrieben mit »Zerstörung der Infrastruktur«, die Arbeiterklasse direkt zum Ziel hatten. Der Bodenkrieg endete ebenfalls mit einem Massaker an 80 000 (an Wievielen wirklich?) fliehenden Soldaten, die sich nicht mehr wehren konnten oder nicht mehr wehren wollten. Die Verluste der Alliierten waren gleich Null. 150 Tote: das ist die Zahl, die an Unfallfolgen bei einem Manöver dieser Größenordnung zu erwarten ist.

Der politische Krieg

Trotz langer Vorbereitung und großer militärischer Präzision scheint die Durchführung dieser Strafaktion nicht unbeeinflußt von den internationalen Protesten gewesen zu sein. Auf der einen Seite erwies sich die Antikriegsbewegung in den Metropolen als unerwartet schwach. Das betrifft gar nicht so sehr die Zahl der Teilnehmer an Aktionen der ersten Kriegstage. Die Bewegung war politisch schwach, was sich in der Nichtbeteiligung der Arbeiter einerseits und andererseits am schnellen Zusammenbruch unter dem ideologischen Trommelfeuer der Medien zeigte. Die politische Friedensbewegung setzt an der Angst der Menschen hier an, daß dieser Krieg auch sie betreffen könne. Und sie instrumentalisiert die moralische Empörung über den Krieg. »Mit dem Kriegsausbruch hat unser Leben seine Normalität verloren« (PDS), »wir sind entsetzt über das Massaker, das die Erde in ein globales Schlachthaus verwandelt« (Berliner Frauen aus Frauenprojekten). Vertuscht wird damit gerade der reale Angriff des Kapitals (auf den Lohn, Steuererhöhungen, Mietnotstand usw.). Diese Verbindung zu den alltäglichen Problemen und Kämpfen der Menschen wurde nicht hergestellt, und ihre legitime moralische Empörung (»gegen jeden Krieg«) wurde in eine Betroffenheit umgelogen. Einem Teil der Antikriegsbewegung ging es nur darum, sich die Probleme vom Leib zu halten: die Welt sollte kein »Schlachthaus« werden - daher auch die Popularität der Parole »Embargo ja - Bomber nein«. Sie mobilisierte sich also für etwas, das sowieso die Absicht des US-Regimes war: den Krieg begrenzt zu halten. »Als Krieg« hat uns der Golfkrieg nicht betroffen - und in dem Moment, wo das klar war, schrumpfte die Bewegung zusammen.

Anders die Reaktion in den islamischen Ländern. Auch wenn die Religion einen lockeren Bezug vermittelte - die Proteste waren Ausdruck sozialer Revolte. Die Bewegung, die vom Maghreb bis nach Indonesien mehrere Millionen umfaßte, überwand die Grenzen der Schia (Spaltung des Islam) ebenso mühelos wie ethnische Differenzen.

Nur die Grenzen zwischen Arm und Reich, Herrschern und Beherrschten wollte sie nicht überwinden. Von den 300 000 Demonstranten in Marokko bis zur Freiwilligen-Rekrutierung von 100 000 in Pakistan (worunter auch viele afghanische Kämpfer, alte Freunde des CIA, waren). Saddam Hussein wurde zum Star der Massen. Damit wurde er - und vor allem das, was er verkörperte - für das internationale Kapital eine Nummer zu groß. Die Propaganda der Medien machte die Notwendigkeit der »Demütigung« und blanken antiarabischen Rassismus zum neuen Inhalt. Jeder Krieg kann sich zur Revolution wenden - das schien für den Irak im Griff, aber für Marokko, Algerien oder Pakistan?

Die Falle

Der erfolgreiche Vernichtungsfeldzug gegen die Aufstände im Süden und im Norden beweist, daß trotz gegenteiliger Behauptung die Elitetruppen des Baath-Regimes nicht wesentlich beschädigt worden waren. Die irakische Revolution ist in die Falle gelockt worden. Die scheinbar hohen Verluste der irakischen Militärmaschine, deren vorübergehende Desorientierung nach der Niederlage; Ermutigung oder besser, offene Aufforderung in den internationalen Medien; mit hoher Wahrscheinlichkeit auch direkte Zusagen durch die USA oder durch die UNO; möglicherweise ein Mitwirken Teherans im Süden, jedenfalls Absprachen mit Ankara im Norden ließen die Oppositionsgruppen und -Parteien zum offenen bewaffneten Sturz des Regimes blasen. Die schnelle Ausbreitung des Aufstandes, die hohe Zahl der Teilnehmer und der Verluste belegen, daß dies keine willkürliche Entscheidung war, sondern mindestens breite Zustimmung fand. Inwieweit es sich im Süden um einen »schiitischen« und im Norden um einen »kurdischen« Aufstand handelte ist unklar. Die Gleichzeitigkeit und Verbreitung der Aufstände (bis nach Bagdad) spricht dafür, daß die soziale Situation ausschlaggebender war, als die ethnische oder religiöse Zugehörigkeit.

Vielleicht war der »bewaffnete Aufstand« aber auch nur der Versuch, bereits stattfindende revolutionäre Prozesse wieder einzufangen. Darüber wissen wir im Moment aber so gut wie nichts.

Die für den Bürgerkrieg erforderlichen Truppen und Waffen waren dem Baath-Regime geblieben. Vielleicht, um es auch dem letzten Ignoranten klar zu machen, welche Rolle sie spielen, schossen die Alliierten zwar noch ein irakisches Jagdflugzeug ab, ließen aber die Kampfhubschrauber und leichten Jagdbomber unbehelligt.

Neue Ordnung in der Golfregion

Der Krieg hat einen Prozeß der weitgehenden Neuzusammensetzung der Arbeiterklasse in der Golfregion und in den Heimatländern der Fremdarbeiter eingeleitet. Die Zahl der Flüchtlinge übersteigt inzwischen gewiß die 2 Millionen-Grenze. Die Wanderungen sind aber nur ein Aspekt der Neuzusammensetzung. Es geht um die Neuverteilung der Arbeit insgesamt. Kuwait ist dafür das deutlichste Beispiel. Die ArbeiterInnen aus Asien sind weg; die Palästinenser, die früher sowas wie eine »Mittelschicht« gestellt haben, sind zum Teil ebenfalls geflohen. Die noch da sind, werden von den Sicherheitsbehörden verfolgt, verhaftet, mißhandelt. Sie sollen für niedrigere Stellungen in der kuwaitischen Gesellschaft »weich« gemacht werden. Dies hat nichts mehr damit zu tun, daß die PLO im Krieg die irakische Seite eingenommen hat. Auch Ägypter werden verfolgt, verhaftet und gefoltert.

Auch wenn es banal klingt: Die Menschen sollen wieder zum Arbeiten gebracht werden. Über die Folgen der Vertreibungen für die Heimatländer (Ägypten, Jemen, Phillippinen, um nur die wichtigsten zu nennen) läßt sich zur Zeit wenig sagen. Viele der Vertriebenen sind um Ersparnisse, um ihren letzten Lohn und um jede Aussicht auf soziale Sicherheit betrogen worden. Saudi-Arabien z.B. hat den Jemeniten alle Rechte entzogen und allein dadurch lockere 10 Milliarden Dollar gespart. Für den neuen Investitionsboom beim Wiederaufbau Kuwaits werden ganz neue Arbeitskräfte angeworben: die Arbeitsämter der Türkei suchen Arbeiter für die kuwaitischen Baustellen.

Der Krieg hat zu einer radikalen Senkung des Lebensstandards im Nahen Osten geführt. Aber er hat damit auch die »soziale Sprengkraft« der Verhältnisse vervielfacht. Arabien ist alles andere als befriedet - auch wenn die irakische Revolution erst mal geschlagen scheint.

Die neue Weltordnung

Nach dem verlorenen Vietnam-Krieg stützte sich die kapitalistische Weltordnung auf den Aufbau imperialistischer Subzentren: Phillippinen, Südkorea, Südafrika, »Persien«. Diese Entwicklung hat allerdings auch die Entwicklung der revolutionären Macht der Arbeiterklasse in diesen Ländern vorangetrieben. Die iranische Revolution 1979 zeigte eigentlich das Scheitern dieser Weltordnung an, aber der Irak konnte den ausgefallenen Partner Persien ersetzen. Nun ist klar, daß diese »kleinen Imperialisten« die Revolution nicht aufhalten können. In dem Maße, wie sie unter dem Druck ihrer Bevölkerung ökonomische und politische Forderungen an die zentralen Institutionen des internationalen Kapitals stellen, werden sie zum Vorwand einer ganz neuen Art von Kriegen: Strafaktionen, wie die vor zwei Jahren in Panama (wo die US-Army in ein paar Tagen 10 000 Leute umbrachte) oder, im großen Maßstab, jetzt im Irak. Das erfordert auch eine neue Art militärischer Vorbereitung. Seit Vietnam führen die USA (und andere) einen, meist verdeckten, low intensity war, den »Krieg geringer Intensität« gegen die kommunistische Guerilla. Jetzt sieht der »Gegner« anders aus: es sind die regulären, modern ausgerüsteten Armeen der Unterzentren in der »Dritten Welt«. Die neue Militärdoktrin heißt folgerichtig mid intensity war. Genau das, was wir grade erlebt haben: Strafaktionen unter Einsatz der geballten militärischen Feuerkraft des internationalen Kapitals. Mögliche Partner für dieses Spiel sind schon viele benannt: alle Länder der Südhalbkugel, die angeblich oder tatsächlich über große »konventionelle« oder ABC-Waffenarsenale verfügen.

Militarisierung

Um die Kriegsmüdigkeit und Friedensehnsucht der Menschen nach dem zweiten Weltkrieg zu überwinden, inszenierte die US-Regierung (auch damals mithilfe der UNO) den Korea-Krieg. Die kommunistische Gefahr wurde drei Jahre lang der westlichen »Welt-

öffentlichkeit« vorgeführt. Durchaus erfolgreich, denn die umfassende Remilitarisierung im Rahmen des »Kalten Krieges« wurde akzeptiert. Ganz ähnlich jetzt: Nach dem Wegfall der »Bedrohung aus dem Osten« wird die Bedrohung durch die Hussein-Ghaddafi-Noriega-Hitlers, durch die »irren Machthaber« der Subzentren aufgebaut.

Aber das ist nicht alles. Der antiarabische Rassismus der Medien während des Golfkrieges zeigt, daß eine Grundeinschätzung der Weltlage in die Hirne der Prolis eingehämmert werden soll: die Armen der Welt wollen »unseren« Reichtum, »unseren« Lebensstandard. Und sie wollen das alles ohne Arbeit, während »wir« dafür schuften müssen.

Der Golfkrieg schafft für derartige Propaganda aber nur Voraussetzungen. Funktioniert hat es in einem entscheidenden Punkt (noch?) nicht. Zwar akzeptieren die Proletarier der Metropolen weitgehend das Blutbad am irakischen Proletariat (wie auch am panamesischen Proletariat), aber es gibt keine Anzeichen dafür, daß sie bereit wären, sich selber für die Neue Weltordnung zur Disposition zu stellen. Die panische Angst der US-Regierung vor großen eigenen Verlusten ist bekannt. In diesem Sinne hat das Kapitals sein Vietnamtrauma noch nicht überwunden - sondern seine Lehren gezogen. Gegen die bewaffnete Bevölkerung können weder die Rambos noch die imperialistische Armee gewinnen.


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