Die fröhlichen Rodeos von Königs-Wusterhausen
Thesen: Riots - Jugendbewegung - Klassenkampf
- Riots sind ein Schmelztiegel täglicher Kämpfe und Auseinandersetzungen, in ihnen explodieren die alltäglichen Widersprüche und Reproduktionsstrukturen. Dementsprechend vielschichtig und widersprüchlich ist es, was dabei passiert: Verallgemeinerung von Aneignung gegen individuelles Bereichern, soziale Autonomie gegen persönliche Fehden und Sexismus usw.
- Riots sind oft das »Abfall«produkt der Umstrukturierung, das Getöse, das die Krise begleitet. Für die Teile der Klasse, die »ausgehungert«, niedergedrückt und marginalisiert sind, sind sie der Versuch, politisch nicht kaputtzugehen, das Bedürfnis nach Leben aufrechtzuerhalten. Ein »kleiner« alltäglicher Anlaß genügt oftmals, um das Faß zum Überlaufen zu bringen.
- Auf der anderen Seite sind sie auch Punkte der Neuzusammensetzung: In der spontanen Revolte, im Ausbruch aus der Normalität gehen Leute aufeinander zu, zerbrechen alte Schranken, entsteht trotz der Abwesenheit von Macht und Organisierung Stärke als Klasse. Die Lust an der Zerstörung, an der großen Party verbindet!
- Oftmals waren Riots Vorboten von breiten gesellschaftlichen Kämpfen, der »Blitz vor dem Donner« des aufkommenden Kampfzyklus (z.B. die Straßenschlachten auf der Piazza Statuto in Turin 62 oder die Wattsunruhen 65 in Los Angeles). In ihnen kam schon diffus eine gesellschaftliche Aufbruchstimmung zum Ausdruck, die in ihrer Folge weite Kreise ziehen sollte. Zudem ermutigen die Aufmerksamkeit und die Zugeständnisse der Herrschenden andere, selber zu den »Waffen« zu greifen.
- Anfangs der 80er Jahre wurden die Riots »ideologisiert»: sie wurden als existenzielles Aufbegehren thematisiert, aus ihrem gesellschaftlichen Zusammenhang gerissen und zu Transporteuren von neuen gesellschaftlichen Werten hochstilisiert. Man sprach von einem neuen Zyklus von Sozialrevolten im nachkeynesianischen Staat, der sich jenseits von Arbeit und Ausbeutung entwickelt. Es gibt jedoch keine gesellschaftlichen Bereiche, die sich dauerhaft jenseits davon entwickeln könnten. Die Frage, die sich stellt, lautet eher: ist der Riot nur Nebenprodukt der kapitalischen Umstruktierung und endet er darin, daß sich die Leute wieder individuell durchschlagen, oder ist es tatsächlich das Vorzeichen einer neuen Klassenzusammensetzung, entstehen dabei bleibende politischen Strukturen etc.?
- Obwohl Riots im Gegensatz zu »zivilisierten« Politikformen sehr radikal erscheinen und dabei meistens keinerlei Forderungen aufgestellt werden, funktionieren sie oft wie ein Hilfeschrei, wie ein roher Appell. Ohne Mittel, das Aufbegehren offensiv fortzusetzen, werden »Forderungen« erfüllt, die nie formuliert wurden: sog. »Problem«viertel erhalten mehr Kohle, neue Sozialprojekte entstehen usw. Ob dann wieder Ruhe einkehrt, oder »Hunger nach mehr« entsteht, ist aber damit noch nicht entschieden.
- In vielen westeuropäischen Ländern gingen die Riots von den männlichen Migranten der 2. und 3. Generation aus, fanden in »ihren« Ghettostadtteilen statt. Was oft einfach aus der Wut auf die gesamte Lebenssituation entstand (Arbeitslosigkeit, Wohnsituation, Rassismus, Familiensituation usw.), wird von allen Seiten »ethnisiert«, auf die »Ausländerfrage« reduziert: der Staat spricht von neuen Randgruppen, ihre vermeintlichen Sorgen füllen die öffentliche Diskussion, Sozialprojekte zur sog. Ausländerintegration boomen ...
- Im Laufe der 80er Jahre ist die Integrationskraft der türkischen Familie in Deutschland in die Krise gekommen: Generationskonflikte und das Aufbegehren gegen die elterlichen Lebensperspektiven haben dazu geführt, daß die türkischen Jugendlichen auf der Straße sind und sich seit spätestens 87 auch in die Randale einklinken, bzw. inzwischen zu ihren eigentlichen Trägern geworden sind, während sie noch in der Häuserbewegung 80-82 völlig außerhalb geblieben sind. Die oben beschriebene »Ethnisierung« war ein Gegenangriff auf diese Prozesse, worauf die Jugendlichen selbst teilweise mit einer Selbstethnisierung antworteten (nationale Identität, Islam usw.)
- Auch die Schule ist in den letzten Jahren in die Krise geraten: bei LehrerInnen wie SchülerInnen macht sich Unlust breit, die Schulabbrüche nehmen zu. Dennoch wird die Schule nach wie vor als Möglichkeit zum gesellschaftlichen Aufstieg betrachtet und hat ihren integrativen Charakter nicht vollständig verloren.
- In Deutschland ist es dem Sozialstaat meist gelungen, Riots von anderen Kämpfen zu isolieren: die Klasse ist nicht so »ausgehungert«, daß sie sich so einfach in den Bedürfnissen und Verhaltensweisen der Rioter wiedererkennt.
- Bis gegen Ende der 80er Jahre waren Riots zumindest in Deutschland links besetzt (Teilweise waren es »politische Riots«). Die Straßenkämpfe, die z.B. den Häuserkämpf Anfang der 80er Jahre begleiteten, waren von politisch Organisierten initiiert. Die Entwicklungen der letzten zwei Jahre vor allem in der ehemaligen DDR, die Aktionen der Hools, der rechten und faschistischen Jugendbanden haben die Vorstellung des »sauberen« Riot, des Riot als »linke« Politikform endgültig in die Krise gebracht.
- Viele Linke setzen auf eine Polarisierung: die Linken und die ausländischen Jugendbanden im antifaschistischen Kampf gegen die rechten deutschen Jugendbanden. Umgekehrt ist es aber auch nur zynisch, dagegen den allgemeinen »neutralen« Begriff der »sozialen« Revolte gegen die Verhältnisse zu setzen. Der Perspektive von Bandenkriegen und Partikularisierungen kann aber nur entgangen werden, wenn neue (»linke«) Jugendbewegungen entstehen, die diese Gegensätze in einen gemeinsamen Kampf umdrehen, der sich frei macht von nationalistischen und anderen Verengungen. Das schließt den Kampf gegen rassistische Übergriffe mit ein. Die ersten Anzeichen einer neuen Jugendbewegung in der DDR sind in dieser Hinsicht ein gutes Zeichen.
- Große Teile der (proletarischen) Jugendlichen, ob die Rocker Ende der 50er, die Punks ab Mitte der 70er Jahre oder die Tagger und U-Bahn-Surfer heute, finden immer Ebenen, das System herauszufordern, sich mit den Bullen zu konfrontieren. Jugendliche Rebellion ist eine historische Konstante, entscheidend ist, ob sie den Rahmen der Privatheit, der individuellen Kleinkriminalität verläßt, und im extremsten Fall eine blockierte gesellschaftliche Situation in Bewegung setzen kann. Die Rocker Ende der 50er Jahre z.B. waren, indem sie einfach ihre eigenen Bedürfnisse, ihre Provokationen gegen die spießige Umwelt und ihre Bandenzusammenhänge in den Mittelpunkt stellten, eine kalte Dusche für das Geschwätz von Kaltem Krieg, Wiederaufbau und Wirtschaftswunder und zugleich Vorläufer der aufkommenden politischen Bewegung.
- Die Antifa-Bewegung ist in dieser Hinsicht ambivalent: auf der einen Seite bietet sie eine reale Möglichkeit, sich politisch auszudrücken und was zu tun - und schränkt zudem faschistische Gruppen in ihrem Spielraum ein - , auf der anderen Seite verhindert sie, daß die Jugendlichen ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellen. Eine alleinige Anti-Haltung zieht der Jugendbewegung ihren Stachel. (Bestes Beispiel dafür war die Demo der Brandenburger HausbesetzerInnen im April in Strausberg, die eigentlich dazu gedacht war, die eigenen Besetzungen zu thematisieren, aber auf eine reine Antifa-Geschichte reduziert wurde.)
- Die Jugendbewegung wird dann eine Sprengkraft entwickeln, wenn sie jenseits der vermeintlichen Alternativen »Privatheit«, »Ideologie« und »Anschluß an eine politische Bewegung« ihre eigenen Ansätze von Selbstorganisierung findet und weiterentwickelt; und sich diese auch nicht mit ein paar ABM-Programm-Geldern einkaufen läßt. Dann wird der Krach des zusammenbrechenden Gesellschaftssystems noch lange nachhallen:
Die Revolution, sie lebe hoch!