Wildcat Nr. 68, Januar 2004, S. 53-54 [w68blackout.htm]


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Was ist ein Black Bloc gegen einen Blackout?

Auch im »hochindustrialisierten Westen« geht es den Stromnetzen an die Substanz.

Im Sommer 2003 verursachten »Blackouts« Chaos in mehreren Industriestaaten. Aufgeschreckte Expertenrunden plädierten meist auf »tragische Verkettung von unvorhersehbaren Ereignissen« und/oder »menschliches Versagen« und versicherten im selben Atemzug, in Deutschland seien solch flächendeckende Zusammenbrüche äußerst unwahrscheinlich. Dass man im Sommer 2002 nur knapp an einem Blackout im Südwesten der BRD vorbeigeschrammt war, wurde nicht erwähnt. Ähnlich selbstsicher war bis kurz vor dem britischen blackout auch auf der Insel argumentiert worden: Eine Sprecherin des Stromversorgungsunternehmens National Grid hatte nach dem großen Stromausfall in den USA verkündet, so etwas sei in Großbritannien »höchst unwahrscheinlich«.

Natürlich gibt es keine hundertprozentige Versorgungssicherheit, kurzzeitige Stromausfälle kommen hin und wieder vor. Allerdings häufen sich solche Vorfälle in jüngster Zeit. Und die vier großen Blackouts im Sommer 2003 kamen nicht so plötzlich und unerwartet, wie das Medienecho meinen lässt. Laut VDN (Verband der Netzbetreiber) war es bereits am 26.6.2003 zu »kontrollierte(n) rollierende(n) Abschaltungen von jeweils 1.500 MW in mehreren italienischen Städten« gekommen. Bei der Ursachenanalyse wird vornehmlich das veraltete Stromnetz (USA), zu geringe Kraftwerkskapazitäten (Italien) und allgemein eine mangelnde Koordination und/oder schlecht ausgebildetes Personal für den Ausfall der Energieversorgung verantwortlich gemacht.

Über die genauen Umstände halten sich zwar alle Betreibergesellschaften bedeckt. Aber allenthalben wird der Rückgang der Investitionen in die Infrastruktur beklagt. Der Zentralverband der Elektrotechnik und Elektronikindustrie (ZVEI) erklärte, dass seit Beginn der Liberalisierung des Strommarktes in Deutschland 1998 die »Investitionen in Kraftwerke, Stromnetze und Leittechnik um 50% zurückgegangen« seien (Strommagazin 29.9.03). Durch den erhöhten Durchleitungsaufwand infolge des grenzüberschreitenden Stromhandels – in den 1990er Jahren ist dieser um 60% gestiegen – wird das Problem noch verschärft.

Im Gefolge der Marktöffnungen kam es auch zu zahlreichen Fusionen und Unternehmensübernahmen. Dabei werden die Beschäftigten immer wieder systematisch durcheinandergewürfelt, ganze Bereiche der Energieversorgungsunternehmen (EVU) neu- bzw. ausgegliedert. Auch Bereiche, die technisch nicht sinnvoll zu trennen sind (so die Anlagentechnik und der Netzbetrieb – ähnlich wie bei der Bahn das Schienennetz und der Fahrbetrieb) werden aufgespalten und sind gezwungen, sich – behindert über gegenseitige Abrechnungsprozesse – wieder zu koordinieren. Viele KollegInnen müssen sich nach internen Versetzungen neu einarbeiten und dabei oft auch längere Anfahrtswege in Kauf nehmen.

Auf diese Weise wurde nicht nur die Arbeit der Rest-Belegschaften massiv verdichtet, sondern auch die »natürliche« Fluktuation erhöht. Bereits im Vorfeld der eigentlichen Liberalisierung ist die Anzahl der Beschäftigten im Bereich Energie- und Wasserversorgung in Deutschland zwischen 1994 und 1999 um fast 17% gesunken (Statistisches Bundesamt – neuere Werte sind nicht verfügbar). Seither gab es nochmal einen kräftigen Beschäftigungsabbau. Dabei wurden ältere Angestellte (oft schon mit 50) in den Vorruhestand geschickt. Begonnen wurde mit einem drastischen Stellenabbau im Osten Deutschlands, der mit ein paar Jahren Verzögerung dann auch im Westen angegangen wurde. Der steigende Konkurrenzdruck auf dem Strommarkt – die Strompreise für Industriekunden sind von 1995 bis 2000 in Deutschland um bis zu 50% gesunken – diente dabei zur Legitimation. (Inzwischen steigen die Strompreise wieder kräftig an, so dass sie bald wieder auf dem Niveau vor der Liberalisierung liegen dürften.)

Aber nicht nur die ArbeiterInnen der Energieversorger – auch die EVU-Ausrüster werden unter Druck gesetzt. Sie hatten zunächst mit einem beträchtlichen Auftragsrückgang zu kämpfen, da die meisten EVUs ihre Investitionen auf das absolut notwendige Minimum zurückfuhren. Auch laufende Wartungsarbeiten wurden minimiert und oft auch an kleinere Installationsfirmen vergeben, die durch die allgemeine Krise am Bau nun verstärkt in den Hochspannungssektor drängen. Im Bereich der Neuinvestitionen hat sich zudem die Konkurrenz durch die EU-weiten Ausschreibungen verschärft. Zunächst wurde versucht, dem Druck durch Entwicklungsvorsprünge gegenüber der Konkurrenz zu begegnen, was aber letztlich nur zu einer Beschleunigung der Produktzyklen führte. Wie aus der Softwareindustrie bekannt, werden nicht voll ausgereifte Produkte auf den Markt gebracht, und faktisch die Erprobungsphase – selbst in sicherheitstechnisch sensiblen Bereichen – zum Kunden hin verlagert. Langjährige Beziehungen zu Zulieferfirmen wurden aufgekündigt und die preisgünstigsten Bauelemente und Materialien weltweit eingekauft, gleichzeitig wurde die Qualitätskontrolle abgebaut.

Die verbliebenen Belegschaften haben mit einer enormen Leistungsverdichtung zu kämpfen, die durch die beschleunigte technologische Erneuerungswelle (vor allem im Bereich der Kommunikations- und Schutz-/Steuerungstechnik) noch verschärft wird. Außerdem wurden die Montageabteilungen der Elektrokonzerne drastisch ausgedünnt, notwendige Arbeitskräfte werden nach Bedarf bei Leihfirmen zugekauft. Im Ergebnis sollen überforderte Bauleiter schlecht bezahlte Leiharbeiter zum Malochen bringen. Selbst die zuständigen Stellen bei den EVUs sind inzwischen kaum noch in der Lage, die korrekte Ausführung der Arbeiten zu kontrollieren. Viele neuerrichtete Anlagen bringen alle Voraussetzungen mit, um im Falle eines Falles ein Glied in der berüchtigten »Verkettung widriger Umstände« zu werden.

Schutz- und leittechnische Einrichtungen sind inzwischen so komplex und vielfältig, dass sie – unter dem herrschenden Zeitdruck – kaum mehr ausreichend geplant bzw. erprobt werden können. Im Fehlerfall kommt es dann zu längeren Ausfällen, weil die Anlagen oft nicht so ohne weiteres wieder in Betrieb genommen werden können. Außerdem führt die gestiegene Vielfalt der Anlagen bei gleichzeitig verringerter Ersatzteilvorhaltung zu längeren Ausfallzeiten. Immer wieder schalten überforderte Energiewerker bei Bauarbeiten mal eben ganze Betriebe oder Stadtteile »schwarz«. All diese Entwicklungen haben zu einem Verlust an technischer Kompetenz auf beiden Seiten geführt. Für notwendige Schulungen steht weder Zeit noch Geld zur Verfügung. Eine Weitergabe von Wissen ist durch die vielen Frühverrentungen verunmöglicht worden.

Auch aus den Windkraftanlagen erwachsen viele neue Probleme. Ihre Abhängigkeit von der Windgeschwindigkeit macht den Netzbetrieb komplexer. Schwerer wiegt die Tatsache, dass diese Anlagen oft von branchenfremden Firmen errichtet und betrieben werden. Da sie die Anlagen nicht selber steuern können, werden Fremdfirmen beauftragt. Zum einen sind das die jeweiligen Energieversorger, zunehmend aber auch kleine mittelständische Unternehmen ohne jeden Erfahrungshintergrund. Aufwendige aber sichere Formen des Netzbetriebes werden dann schon aufgrund fehlenden Know hows gar nicht mehr in Erwägung gezogen. Auch die vielen Industrieunternehmen mit eigenem Hochspannungsnetz sparen immer mehr ein und lassen z.B. Aufgaben, die in der Vergangenheit von speziell ausgebildetem Fachpersonal erledigt wurden, von anderweitig Ausgebildeten machen.

Eigentlich ist es verwunderlich, dass die Infrastruktur im Großen und Ganzen noch immer funktioniert. Aber in jüngster Zeit häufen sich kleinere und mittlere Ausfälle. Und dahinter stecken nicht immer »Kompetenzdefizite«! Inzwischen ist auch bei vielen Spezialisten die Frustration groß genug, als dass man noch mit der erwarteten Motivation an die Arbeit ginge. Die Computersicherheit dieser Unternehmen wird nicht so sehr von Hackern bedroht – die meisten Attacken gehen von frustrierten (Ex-)Angestellten aus. Und da oft selbst bei der Sicherheit der Computernetze gespart wird, haben es diese auch nicht allzu schwer, sich bei ihren Ausbeutern zu rächen.

Noch ist die Situation in Deutschland durch die noch vorhandene Substanz, gut vermaschte Netze usw., vergleichsweise gut. Deutschland hat das »wohl beste Netz in Europa«, meint jedenfalls Dieter Rumpel, Ex-Prof. für Elektrische Anlagen und Netze an der Uni Duisburg im Focus (41/03). Das führt er aber hauptsächlich darauf zurück, dass hier die »Deregulierung noch nicht so weit vorangeschritten ist«. Das mit der Liberalisierung verbundene »kommerzielle Modell« sei jedenfalls »meilenweit vom physikalischen entfernt« und wird mittelfristig zu ähnlich desaströsen Entwicklungen auch hierzulande führen.     lu.

Timetable

Okt. 2003 In Berlin, Lüne-burg, Ludwigshafen und Mannheim ereignen sich größere Stromausfälle, die jeweils 10.000 bis 100.000 Haushalte betrafen.

28.9.03 Nahezu ganz Italien ist ohne Strom. Es dauert fast einen Tag, bis die Versorgung wieder her-gestellt ist.

23.9.03 In Dänemark und Südschweden sind ca. 4 Mio Menschen mehrere Stunden ohne Elektrizität.

28.8.03 Ein einstündiger Blackout legt den Nah-verkehr Londons flach.

14.8.03 USA/Kanada. Fast 60 Mio Menschen sind bis zu 30 Stunden ohne Ener-gieversorgung.

21.7.03 Bis zu zwölf-stün-diger flächendeckender Stromausfall auf Mallorca und Menorca.

26.6.03 Flächendeckende Abschaltungen für zig-tau-sende von Unternehmen und mehr als sechs Mil-lio-nen Haushalte in Italien.

8.10.00 Die City von Chica-go ist sechs Stunden ohne Strom.

22./23.7.00 Auf der Insel Fehmarn sind rund 12000 Bewohner und Tausende von Urlaubern zehn Stun-den lang ohne Strom.

9./10.5.00 In der gesamten Südhälfte Portugals, ein-schließlich der Hauptstadt Lissabon, fällt der Strom mehrere Stunden aus.

12/99 Nach einem Orkan am 27.12. sind 3,4 Mil-lio-nen in Frankreich ohne Strom. Erst Mitte Januar 2000 ist die Strom-ver-sor-gung in allen Teilen wieder hergestellt.

8.12.98 Fast eine Million BewohnerInnen von San Francisco müssen sieben Stunden lang ohne elektri-sche Energie auskommen.

Jan. - März 98 Die neusee-ländische Metropole Auck-land wird durch andauer-n-de Stromausfälle in ein wo-chenlanges Chaos ge-stürzt. Ende März, nach-dem die endgültige Wieder-herstellung der Stromver-sorgung verkündet worden ist, bricht das Netz in der Innenstadt erneut zusam-men.

Jan. 98 Wochenlanger Strom-ausfall in Kanada nach Eisregen auf Frei-leitungen. Nach zwei Wo-chen sind von den an-fangs betroffenen 750 000 Haushalten noch immer 240 000 ohne Strom.

20.06.97 Stromausfall legte Washingtons City für eine Dreiviertelstunde lahm.

2.7.96 Bis zu 7stündiger Stromausfall in 14 Bun-des-staaten der USA sowie Teilen Kanadas und Mexi-kos nach einem Blitz-ein-schlag in einem 345-kV-Mast.

Feb. 96 Die Stromver-sor-gung der Ukraine steht in-folge winterlichen Belas-tungsspitzen und einem Bergarbeiterstreik kurz vor dem Zusammenbruch. Rund 5000 Fabriken müs-sen ihren Betrieb wegen Strommangels einstellen.

30.8.95 Einstündiger Strom-ausfall im Bahnnetz von Bayern, Sachsen und Thüringen sorgt für ein Ver-kehrschaos.

Diese und weitere Mel-dungen finden sich auf: Udo Leuschners website



aus: Wildcat 68, Januar 2004


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