Wildcat Nr. 84, Sommer 2009, [bossnapping]



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Bossnapping in Frankreich

»Wenn man sich einmal auf die Erpressung durch die Bosse eingelassen hat, ist es sehr schwer, das wieder umzudrehen.«

(Bericht eines französischen Genossen; stark gekürzte Fassung fürs Web)

Die Industrie Frankreichs leidet unter den Folgen der Krise. Die Kreditklemme hat kleine Firmen in den Bankrott befördert (unabhängig davon, ob sie vorher gut dastanden oder nicht). Für große Firmen ist die Krise eine gute Gelegenheit, ihre Produktionskapazitäten an den Markt anzupassen und damit die Produktivität ohne Investitionen zu erhöhen: Hier werden einige Abteilungen geschlossen, dort eine ganze Fabrik. Hier wird die Produktion gestoppt, dort werden ausgelagerte Produktionsschritte wieder zurückgeholt. Die Bosse versuchen generell, aus der aktuellen Krise den größtmöglichen Profit herauszuschlagen, indem sie die ArbeiterInnen erpressen, sich entweder mit verschärfter Arbeitshetze, mit Arbeitszeitverkürzung ohne Lohnausgleich, mit Entlassungen oder sogar Lohnsenkungen abzufinden. Letzteres hat es in Frankreich in über siebzig Jahren nicht mehr gegeben! Ein Zitat aus der Wirtschaftspresse: »Wir können jetzt Dinge tun, die vor einem Jahr noch unmöglich gewesen wären.« […]

Kämpfe

Seit vielen Jahren berichtet die Presse über Arbeiterkämpfe nur auf zwei Arten: Entweder zeigt sie bemitleidenswerte, weinende ArbeiterInnen, die ihren Job verloren haben (wie 2003 bei Moulinex), oder sie zeigt außer Kontrolle geratene wilde Tiere (wie im Sommer 2001 bei Cellatex. Aber sie zeigt nie organisierte ArbeiterInnen, die für ihre eigenen Ziele (was wir auch immer davon halten mögen) kämpfen wie 2000/2001 bei Unilever. Offensichtlich verstärkt die jetzige Krise diese Haltung noch. Regierung und Medien kommentieren Arbeiterkämpfe mit Begriffen wie »normal« und »verständlich«. Man signalisiert den betroffenen, verzweifelten ArbeiterInnen, dass etwas mehr für sie drin ist, damit diese nicht auf die Idee kommen, einen »harten Kampf« zu führen; andere, nicht betroffene ArbeiterInnen sollen sehen, dass ihre eigene Lage ja noch vergleichsweise gut ist, da es ja schließlich auch schlechter stehen könnte (soll heißen: »Ihr dürft jetzt keine Forderungen stellen!«).

In dieser Situation brachen nun Kämpfe gegen Entlassungen und Fabrikschließungen aus. Von Faurecia (in der Nähe von Étampes, südlich von Paris) über Fulmen (in Auxerre, Burgund), Caterpillar (Grenoble, Alpenregion), 3M (Pithiviers, in der Region Loiret) und einige andere bis hin zu Continental (in Clairoix, in der Picardie) … »Neu« daran war das von den Medien herausgestellte sogenannte ’Bossnapping‘, das zeitweilige Festsetzen von Firmenbossen. Insgesamt waren es aber nur elf Fälle, die zwischen zwei und vier Tagen dauerten, ohne Eingriffe der Polizei. Es war also weder eine riesige noch eine harte Welle. Das Festsetzen verlief meist ziemlich friedlich – keine Unterbrechung der Kommunikation mit der Außenwelt usw. »Unnormal« handelten einzig die ArbeiterInnen der Batteriefabrik Fulmen, die ihren Manager zwangen, auf den Straßen von Auxerre mit ihnen zu demonstrieren. In allen diesen Fällen ging es um nichts anderes als das aussichtslose, schmerzhafte Nicht-Kämpfen gegen Entlassungen und Fabrikschließungen, wie wir es so oft in den letzten Jahren gesehen haben. Die aktuellen Kämpfe stehen völlig unter gewerkschaftlicher Kontrolle.

Auch die Aktionen der ArbeiterInnen bei Continental Clairoix waren nach französischen Maßstäben die üblichen: Demonstrationen, einmal gewalttätig (gescheiterter Versuch, die Unterpräfektur von Compiègne zu besetzen), brennende Reifen, Aufrufe zu passiver Solidarität, Appelle an den Staat usw. Bis Mitte April gab es keine Versuche, zur anderen französischen Fabrik von Continental in Sarreguemines zu gehen oder zumindest ein paar Leute zur neuen Fabrik in Sibiu (Rumänien) zu schicken, wohin die Produktion von Clairoix verlagert werden soll. Am 23. April fuhren sie zur Demo nach Hannover. 1000 Leute kamen aus Clairoix, 100 aus Saargemünd und 1000 aus Deutschland, wo das Werk in Stöcken von Schließung bedroht ist. Eine solche Demo kann sicherlich die Kampfstimmung heben, aber es es gab überhaupt keine Idee für anschließende Aktionen.

Anfang Mai erhielten Versuche zur Kontaktaufnahme zu anderen Werken einen empfindlichen Dämpfer. 300-400 Arbeiterinnen aus Clairoix (ein Drittel der Belegschaft) waren auf dem Weg nach Aachen, um vor dem dortigen Reifenwerk gegen die Schließungspläne zu demonstrieren, als sie die Nachricht erhielten, dass sich vor dem Aachener Werk ein riesiges Polizeiaufgebot aufgebaut hatte und die deutsche Gewerkschaft die Protestkundgebung daraufhin abgesagt hatte. Daraufhin beschlossen sie, stattdessen das andere Continental-Werk in Frankreich (in Saargemünd, Moselle) heimzusuchen, wo 1250 Leute arbeiten. Sie verbrannten wie üblich ein paar Reifen vor dem Werkstor und stürmten dann mit Parolen wie »On est chez nous« (Wir sind hier zuhause) und »Continental Solidarité« aufs Betriebsgelände. Aber das große Problem war, dass sich ihnen nur 100 ArbeiterInnen aus Saargemünd anschlossen. Die meisten waren nur indifferent, aber einige reagierten feindlich und wollten sie aus dem Werk rausschmeißen. Die ArbeiterInnen von Saargemünd, die von den Entlassungen nicht betroffen sind, wollten ihren KollegInnen aus Clairoix nicht helfen. Das Problem liegt in der Strategie des Streiks: Man kann nicht einerseits »radikale Aktionen« versuchen und andererseits nach einem Boss rufen, der die Fabrik übernehmen soll, oder den Staat auffordern, Continental zu verstaatlichen.

Im Juni 1994 hatten die ArbeiterInnen von Continental (damals noch Uniroyal) einen interessanten militanten Streik geführt für die Festeinstellung von Befristeten, gegen Überstunden und für eine Lohnerhöhung von 1500 Francs (etwa 250 Euro). Nicht alle Streikziele wurden durchgesetzt (zwölf Befristete wurden fest eingestellt, und es gab keine Überstunden mehr), aber in den Augen der ArbeiterInnen war es ein Erfolg. Und so war Continental ein Vorbild für die ganze Region. Doch Ende 2007 willigten die ArbeiterInnen ein, statt 35 Stunden in der Woche 40 zu arbeiten, ohne mehr Lohn zu bekommen! Diese Übereinkunft war eine schreckliche Niederlage. Wenn man sich einmal auf die Erpressung durch die Bosse eingelassen hat, ist es sehr schwer, das wieder umzudrehen. Dafür gibt es in Frankreich in den letzten 30 Jahren eine Menge Beispiele.

Auch der Kampf bei Caterpillar in Grenoble, wo 763 Jobs bedroht sind, fand großes Medienecho. Hier richtete sich das Hauptaugenmerk auf das Bossnapping und die Art der Freilassung: Gewerkschaftsmitglieder schützten die Bosse vor wütenden ArbeiterInnen. Im Fernsehen konnte man sehen, dass außerhalb der Fabrik 150 CRS-Bullen warteten, während drinnen eine Atmosphäre des Hasses gegen die Bosse herrschte. Diesmal hatten ihnen die Streikenden die Handys weggenommen. Als die Bosse nach zwei Tagen wieder freigelassen wurden, geschah das wirklich unter dem Schutz der CGT. Streikende brachten ihre Wut und Ablehnung zum Ausdruck, Journalisten nahmen das auf. Na und?

Beim Festsetzen übernahm und behielt die CGT die Führung. Selbst diese »wütenden« ArbeiterInnen waren nicht in der Lage, darüber hinauszugehen. Ein Teil der ArbeiterInnen ist zufrieden mit dieser Sackgasse, sie begreifen nicht, dass der Angriff auf einen oder mehrere Bosse kein Angriff auf die Firma Caterpillar ist. Und auch hier wurde keine Initiative ergriffen, um etwa durch einfaches Besuchen anderer Fabriken den Horizont des Streiks zu erweitern.

Leute im Ausland könnten – verstärkt durch die mediale Darstellungn – solche Demonstrationen für einen großen Schritt in Richtung »Revolution« halten: Konfrontation mit der Polizei, Angriffe auf staatliche Gebäude (Präfektur, Arbeitsämter usw.), Straßen- oder Schienenblockaden, die Zerstörung von Industrieprodukten auf den Straßen (Reifen, Stahlrollen usw.). Der Rauch brennender Reifen unterstreicht die Qualität des Spektakels. Aber in Frankreich haben wir das in den letzten 30 Jahren oft gesehen, vom großen Stahlarbeiterstreik im Februar/März 1979 über die Bergarbeiterdemo in Metz im November 1995 bis zu Continental heute. Das soll nicht heißen, diese ganzen Aktionen seien an sich nutzlos. Sie werden es aber, wenn sie Ersatz für kollektiv organisierte Kämpfe sind, die die Bosse wirksam treffen. Es ist klar, dass die Gewerkschaften diese »gimmicks« gut finden, denn sie benutzen sie, um einerseits die Kampfkraft der ArbeiterInnen zu erschöpfen – und andererseits selbst wieder radikal zu erscheinen.

23.5.2009



aus: Wildcat 84, Sommer 2009



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