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19.02.2016

Ölpreis, Fracking, Banken – »die große Angst«

In der ersten Februarhälfte gab es Gerüchte, Chesapeake Energy, der nach eigenen Angaben zweitgrößte Erdgasproduzent der USA, sei pleite. Chesapeake ist auch einer der größten Fracker der USA. 2015 hatte der Konzern rund 15 Prozent seiner Arbeitsplätze abgebaut und allein im dritten Quartal einen Verlust von 4,7 Milliarden Dollar ausgewiesen. Laut FAZ sei »die große Angst« aber nicht, »dass Fracking-Unternehmen pleitegehen (und) es in dieser Branche zu einer Marktbereinigung kommt, sondern die Frage, ob die Banken viele Kredite an die Branche vergeben haben und deswegen selbst Schwierigkeiten bekommen könnten. Auch die Kurse vieler Bankaktien sind in den vergangenen Monaten merklich gefallen – sogar stärker als von vielen Energieunternehmen.«

Die Fracking-Industrie leidet; im letzten Halbjahr 2015 hatten mindestens 20 Firmen in den USA die Einleitung von Insolvenzverfahren beantragt. »Der Großteil der Kapitalentwertung steht noch aus« hatten wir aber in der Wildcat 99 vor anderthalb Monaten geschrieben. Die Branche klammerte sich an die Hoffnung, 2016 werde besser. Aber tatsächlich wurde es im Januar richtig schwierig. Am 18. Januar, nach dem Wegfall der Sanktionen gegen den Iran, rutschten die Ölpreise unter 30 Dollar. Der weltgrößte Bergbau-Multi BHP Billiton schrieb mehr als sieben Milliarden Dollar ab, die er durch Fracking in den USA einnehmen wollte; 2011 waren sie mit Investitionen von mehr als 20 Milliarden Dollar in den US-Markt für Schieferöl und -Gas eingestiegen. Anfang Februar meldete auch BP für 2015 ein Minus von 6,5 Milliarden Dollar, den höchsten Verlust seit 20 Jahren.

Mitte Februar veröffentlichte die Unternehmensberatungsfirma Deloitte eine Studie zur Krise in der Ölbranche und deren möglichen Auswirkungen auf die Banken. Die Bank Wells Fargo z.B. hat rund 17 Milliarden Dollar an Ölkrediten in den Büchern. Eine Pleite­welle in der Ölbranche würde die Banken insgesamt in große Schwierigkeiten bringen. Laut FAZ vom 18. Februar sind wir angesichts der vielen Insolvenzen in der Ölbranche im letzten Halbjahr vielleicht schon mittendrin. Die Deloitte-Studie weist daraufhin, dass mehr als ein Drittel aller börsennotierten Ölexplorations- oder Ölförderfirmen der Welt, das sind 175 Unternehmen, »mit mächtigen Problemen kämpfen«, 50 von ihnen könnten noch 2016 in die Insolvenz gehen.

Das Öl wird billiger, weil die Nachfrage zurückgeht und die Erdölproduzenten im Kampf um Marktanteile die Produktion hochgefahren haben; sinkende Ölpreise zeigen den wirklichen Zustand der Weltwirtschaft, das wiederum führt zu fallenden Aktienkursen – was wiederum den Banken zusetzt. Anfang Februar hatte die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) genau vor diesem Zusammenhang gewarnt: die Abwärtsspirale in der Ölindustrie könne einen globalen Schuldenkollaps auslösen. Aufgrund ihrer hohen Verschuldung seien die Öl- und Gas-Firmen gezwungen, bei sinkenden Preisen immer mehr statt weniger zu produzieren. Dazu passt die Meldung von 18. Februar, dass Saudi-Arabien nun doch nicht weniger Öl fördern wolle – nachdem die Ölpreise gerade mal ein paar Tage lang wieder angestiegen waren, nachdem sich Russland, Saudi-Arabien, Katar und Venezuela darauf verständigt hatten, ihre Produktion auf dem Januar-Niveau einzufrieren. Dieses sogenannte »Doha-Abkommen« greift aber nur, wenn auch andere große Öl-Länder mitmachen… Sollten die Ölpreise in nächster Zeit nicht deutlich steigen, würde die Krise gerade in dem Moment auf den Finanzsektor überschwappen, in dem »die Finanzmärkte erkennen, dass die Geldpolitik sie dieses Mal nicht retten wird.« (Das sagte zumindest der amerikanische Ökonom Kenneth Rogoff auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos; ja, der mit dem »Rechenfehler«!)

Derweil kommt die Fracking-Industrie in den USA noch aus einer ganz anderen Richtung unter Feuer: In Oklahoma hat sich seit 2012 die Anzahl der Erdbeben von wenigen Dutzend im Jahr auf 907 im Jahr 2015 erhöht. Verantwortlich dafür ist offenbar, dass die Frackingfirmen die riesigen Mengen dreckigen Wassers, die beim Fracking anfallen, mit sogenannten »Injektionsbohrungen« in tiefe Gesteinsschichten pumpen. Umweltorganisationen und AnwohnerInnen gehen mit Massenklagen dagegen vor.

aus: Wildcat 99, Winter 2016

Wenn die Kohlenstoffblase platzt

Wir haben in der Wildcat 971 über die Blase im Shale-Öl- und Gassektor in den USA geschrieben. Sie war der wesentliche Grund für das Wirtschaftswachstum in den USA – ohne dass sie für eine Re-Industralisierung genutzt werden konnte. Bereits vor dem Ölpreis-Absturz, der in der zweiten Hälfte 2014 einsetzte, waren die Kapitalaufwendungen sehr viel höher als die Erträge aus dem Verkauf von Shale-Öl und -Gas. Deshalb war nicht absehbar, dass die Fracker so lange durchhalten und Saudi-Arabien in ernsthafte Schwierigkeiten bringen würden. Ein update..

Die Krise der Shale-Industrie und die Auswirkungen auf den Finanzsektor

Seit einigen Monaten kann die Shale-Industrie nicht mehr für genug Kapitalzustrom sorgen, einige Firmen sind in die Insolvenz gegangen. Bisher konnten jedoch Auswirkungen auf den Finanzsektor abgemildert werden.

Eine Reihe großer Anleihe-Fonds und private Anlage-Firmen haben ihren Alt-Investitionen weiteres Geld hinterher geworfen. Sie wollten damit ihr investiertes Kapital retten und so strukturieren, dass sie durch Eigentum an den Shale-Firmen abgesichert sind. Dieser weitere Zustrom (etwa 50 Milliarden US-Dollar), der zum großen Teil für die Bedienung von Alt-Schulden verwendet werden musste, wurde mit weiteren Schulden auf dem Junk-Bond-Markt und aus Verkäufen finanziert. Er geschah in der Hoffnung auf einen schnellen Wiederanstieg des Ölpreises, und weil die Industrie versicherte, effizienter geworden zu sein. Tatsächlich wurde die Anzahl der aktiven Bohrtürme auf unter 40 Prozent zum absoluten Hoch in 2014 reduziert, ohne dass die Ölproduktion stark zurückging. Das lag zum einen tatsächlich an einer Produktivitätssteigerung, die dadurch erreicht wurde, dass mehr Frackingmittel, vor allem Sand, in die Bohrlöcher gedrückt wird. Zweitens an der Nutzung bereits gebohrter, doch noch nicht »gefrackter« Bohrlöcher. Der Hauptgrund war aber, dass man die langsamen Bohrtürme außer Betrieb nahm und die schnellsten an den ertragreichsten Gebieten der Felder – den sogenannten sweet spots – konzentrierte. Viertens werden Service-Firmen auf Verschleiß gefahren und Zehntausende Arbeiter wurden entlassen. Trotz all dieser Maßnahmen haben die Shale-Ölfirmen im ersten Quartal 2015 pro eingenommenem Dollar rund drei Dollar ausgegeben – 2014 waren das noch über das Jahr (einschließlich der Einnahmen in der langen Hochpreisphase) durchschnittlich 1,5 Dollar. Die Nettoverluste der 48 großen US-Gas und Ölfirmen haben sich allein im ersten Halbjahr 2015 auf über 30 Milliarden US-Dollar summiert. Im dritten Quartal beliefen sie sich allein auf 26 Milliarden US-Dollar.

Die Shale-Blase wurde mit der Liquidität aufgepumpt, mit der die Finanzinstitute nach 2008 geflutet wurden, um über eine extreme Kredit-Ausweitung die globale Krise beherrschbar zu machen. Ein Teil der Schulden des Shale-Sektors von etwa 250 Milliarden US-Dollar ist ähnlich »kreativ« verpackt wie die Subprime-Titel zur Zeit der Immobilienblase. Die bisherigen Abschreibungen stellen nur einen kleinen Teil der in der Shale-Blase aufgelaufenen Verlustsumme aus der defizitären Gas- und Ölproduktion dar. Der Großteil der Kapitalentwertung steht noch aus. Aktuell fahren die großen Banken die übliche Doppelstrategie, einerseits die eigenen großen Investitionen schützen, indem sie die Kreditlinien der Shale-Firmen verlängern, andererseits jede Umschuldung dafür nutzen, die »heißen Kartoffeln« an andere weiter zu reichen.

Die US-Ölproduktion bliebe auch bei deutlich höheren Ölpreisen als den jetzigen defizitär. Womöglich ist somit nicht nur ein einmaliges direktes staatliches Eingreifen, der offene Bail out der Branche, erforderlich, sollten die faulen Shale-Finanztitel doch akut werden, sondern eine längerfristige offene Stützung der US-Shale-Industrie.

Den Ölstaaten geht das Geld aus

Im Kampf um Marktanteile wurde die weltweite Ölproduktion hochgefahren – ein koordiniertes Rückfahren ist aber nicht möglich. Die USA können keine Reduktion der weltweiten Öl-Fördermenge zu Lasten der Marktanteile anderer Staaten durchsetzen. Auch die OPEC ist dazu nicht mehr in der Lage. Die Lagerkapazitäten sind bis an den Rand gefüllt. Die Nachfrage geht aufgrund der ökonomischen Stagnation weltweit zurück. Der Klimagipfel in Paris wird den Abzug von Geldern aus dem Kohle-, Öl- und Gasgeschäft zumindest vorübergehend beschleunigen. Selbst die Rockefeller-Stiftung hat vor einem Jahr den Ausstieg aus dem Ölgeschäft verkündet…

Die großen Ölkonzerne fahren hohe Verluste ein und sind gezwungen, die Erschließung kostenintensiver Fördergebiete einzustellen – in die sie teilweise bereits viele Milliarden hineingesteckt hatten. Chevron hat bis Ende 2015 rund 10 000 Leute entlassen und plant für 2016 eine Kürzung der Investitionen einschließlich Exploration um 25 Prozent. Shell ist aus zahlreichen Projekten ausgestiegen, u. a. aus einem Öl-Sand-Projekt in Kanada. Dazu beigetragen hat offensichtlich auch der Widerstand gegen den Ölsand-Abbau.

Kanada ist mit dem Abschmieren des Ölsektors in die Rezession gegangen. Am kritischsten ist die Situation in Venezuela; 2016 können möglicherweise Auslandsschulden nicht mehr bedient werden. Sinkende Einnahmen aus Ölverkäufen stellen auch für andere erdölexportierende Länder nicht erst mittelfristig ein Problem dar. Da ihr Sozialstaat an diesen Einnahmen hängt, versuchen viele, angesichts der niedrigen Ölpreise die eigene Produktionsmenge mindestens zu halten oder auszuweiten, um noch genügend Einnahmen zu erzielen.

Saudi-Arabien bräuchte für ein ausgeglichenes Budget einen Ölpreis von über 100 US-Dollar je Barrel, andere Länder des Golfkooperationsrats sind teilweise auf noch höhere Ölpreise angewiesen – aber Ende Dezember lag der Preis unter 40 Dollar, einem Viertel des Höchststandes aus dem Jahr 2008. Der saudische Staatshaushalt 2015 schloss mit einem Rekorddefizit von umgerechnet rund 90 Milliarden Euro. Der IWF hatte bereits im Oktober ein »Umsteuern« angemahnt, andernfalls seien Saudi-Arabiens Devisenreserven in fünf Jahren aufgebraucht.

Die saudische Herrscherclique sichert sich im Inneren durch hohe Sozialausgaben und ein Repressionsregime gegen Arbeitsmigranten, nach außen durch indirekte und direkte militärische Interventionen in den Nachbarländern, d. h. mit der Hege und Pflege von Daesh & Co im Irak und Syrien und offenen militärischen Interventionen wie in Bahrain und aktuell im Jemen. Dieser Krieg ist keine kurze militärische Intervention geblieben. Das militärische Eingreifen Russlands in Syrien trifft Saudi-Arabien. Die Aufhebung der Sanktionen gegen den Iran, die Obama gegen andere Teile des US-Staatsapparats durchgesetzt hat, begrenzt die saudischen Handlungsmöglichkeiten noch weiter.

Saudi-Arabien und andere ölexportierende Staaten haben massiv Kapital aus Anlagefonds im Ausland abgezogen und begonnen, Anlagen aus ihren Reservefonds zu verkaufen, u. a. US-Staatsanleihen, um die Haushaltsdefizite auszugleichen. Sie stehen mit dem Rücken zur Wand und werden noch mehr in den direkten und indirekten militärischen Terror pumpen. Gleichzeitig machen sie erste Versuche, laufende Investitionen außerhalb des Ölsektors und auch Sozialausgaben zurückzufahren. Damit riskieren sie, Loyalität zu verlieren.

Die wegbrechenden Einnahmen zwingen die Ölfirmen weltweit – nicht nur im Shale-Sektor und anderen kostenintensiven Fördergebieten – zu massiven Kosteneinsparungen. Sie müssen zwangsläufig auch versuchen, die Arbeit zu verdichten und Löhne zu drücken. Die Ölindustrie greift die Ölarbeiter entlang von Spaltungslinien an und muss gleichzeitig versuchen, das Produktionswissen zu sichern. Sie müssen den Angriff führen, sind aber gleichzeitig extrem verwundbar durch Arbeiteraktionen. Das zeigt etwa der Streik bei Petrobras im November 2015 mit den Forderungen nach 18 Prozent mehr Lohn, Rücknahme von Kündigungen und Stopp des Verkaufs von Erdölfeldern. Es war der größte Streik seit 20 Jahren und hat in Brasilien zu einem Produktionsausfall bei Öl und Gas von fast 15 Prozent geführt.

Es ist bitter, dass sie es derzeit schaffen, die Ölproduktion im Nahen Osten durch und im Terror zu sichern. Aber gerade die Ölarbeiter haben die Möglichkeit, den Terror zu beenden.

Fußnoten:

[1]Wildcat 97, Grüne Visionen oder Fracking-Blase – Update; Wildcat 95, Grüne Visionen: Es wird keinen Green New Deal geben.

 
 
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