Bericht aus Down Under
Viele Leute auf der ganzen Welt waren überrascht über die Größe und den Umfang der Antikriegsdemonstrationen Mitte Februar 2003, nicht zuletzt die TeilnehmerInnen selbst. In Australien, wo an diesem Wochenende etwa drei oder vier Prozent der Gesamtbevölkerung auf die Straße gegangen sind, hat das Ausmaß der Antikriegs-Stimmung einen langen Schatten auf die Howard-Regierung geworfen, die sich alle Mühe gibt, als einer der engsten US-Verbündeten aufzutreten. Und wenn man einigen Kommentaren glauben darf, dann werfen die Demonstrationen auch breitere Fragen über das auf, was sich in der Gesellschaft in den letzten Jahren an offener Fremdenfeindlichkeit zusammengeschoben hat.
Die Reaktionen der »Linken« auf die Demos sind gemischt. Die größte der leninistischen Gruppen reagiert ziemlich euphorisch, auch wenn die Größe der Demos bloß ihre eigene Marginalität bestätigt. Viel mehr Einfluss auf den Verlauf der Dinge haben die Grünen, die sich in der letzten Zeit zu einer wichtigen parlamentarischen Kraft entwickelt haben. Je nachdem, welche SprecherIn gerade am Mikrophon steht, reicht die Rhetorik der Grünen von einem allgemeinen Pazifismus bis zu der Aussage, dass ein Krieg mit dem Irak »nicht im nationalen Interesse« liege (der Obergrüne Senator Bob Brown). Demgegenüber äußern einige GenossInnen aus der Bewegung gegen die Flüchtlings-Internierungslager die Befürchtung, dass sich hinter einem Großteil der Stimmung gegen einen Krieg im Irak nur ein tiefsitzender Nationalismus verbirgt, der darauf abzielt, sich um die näher an Australien gelegenen »echten« Gefahren für die nationale Sicherheit zu kümmern.
Diese Befürchtung sollte man schon ernst nehmen. Aber es gibt auch Anzeichen dafür, dass das Bild vielleicht komplizierter ist. Als der führende Labor Party-Politiker Simon Crean auf der Kundgebung in Brisbane sagte, dass ein Krieg gegen den Irak nur mit Zustimmung der UNO akzeptabel wäre, wurde er ausgebuht. Und in dem Teil der Kundgebung in Melbourne, wo ich war, gab es den lautesten Jubel für die Redebeiträge, die sagten, dass überhaupt kein militärischer Konflikt akzeptabel wäre, mit UNO-Mandat oder ohne.
Wie verbindet sich all das mit dem Alltag im Stadtteil oder bei der Arbeit? Das ist immer noch das größte Rätsel. Der Gesellschaftskommentator Hugh Mackay meint, die Antikriegsdemonstrationen seien »ein Auslöser für das Aufbrechen von Frustrationen, Unsicherheiten und Ängsten, die sich seit vielen Jahren aufgestaut haben«:
»Wann hat man uns je nach der Moral des Präventivschlages gefragt?« ist eine Frage, die im heutigen Klima in einem Atemzug mit anderen Fragen gestellt wird, die nichts mit dem Krieg zu tun haben, aber alles mit einer zunehmenden Unruhe über die Art und Weise, wie sich die australischen Werte verändern: »Wie kommt es, dass ein Manager 33 Millionen Dollar Abfindung bekommt? Ist kein Arbeitsplatz mehr sicher? Warum wird die Kluft zwischen arm und reich immer breiter? Vernachlässigen wir nicht die Schwächsten in unserer Gesellschaft - die Alten, Gebrechlichen, Kranken, Behinderten, Verwirrten?«
Solche Fragen ergeben sich aus einem tiefsitzenden Unbehagen über die Aussicht, dass unsere Gesellschaft herzloser, skrupelloser, konkurrenzbetonter, weniger mitfühlend ... und weniger stabil wird.
Was in der Zeit um die Kundgebung in Melbourne am 14. Februar spürbar war, war die elektrisierte Stimmung in den öffentlichen Verkehrsmitteln und in Cafes über den Krieg ganz allgemein und die Demo im besonderen. So eine Stimmung gab es in dieser Stadt zuletzt Ende 1992/Anfang 1993, als eine konservative Landesregierung [des Bundesstaates Victoria] beschloss, das hergebrachte Arbeitsrecht abzuschaffen und daraufhin eine ähnlich große Menschenmenge auf die Straße ging - auch damals war es unmöglich, in ein Restaurant oder einen Pub zu gehen, ohne Gespräche mitzuhören, in denen es darum ging, wie man etwas gegen diese Maßnahmen unternehmen könnte. Was vor zehn Jahren eine interessante Bewegung hätte werden können, versandete, als den Spezialisten der Arbeiterbewegung und der Linken die Führung überlassen wurde. Ob es sich diesmal wieder so entwickelt, ist noch nicht klar.
St., Melbourne
P.S.: Am Mittwoch, dem 5. März gab es in vielen australischen Städten beeindruckend große Mobilisierungen von SchülerInnen und StudentInnen gegen den Krieg. Vielleicht das Interessanteste daran war der hohe Anteil von SchülerInnen. Während früher in Australien hauptsächlich UniversitätsstudentInnen an Protesten teilnahmen, gibt es heute immer mehr SchülerInnen, von denen viele in den letzten Jahren wegen einer Reihe von Themen Schulstreiks organisiert haben.
Berichte über die SchülerInnen- und StudentInnen-Demos finden sich bei indymedia.