Arbeiter und Bauern im modernen Mittleren Osten
Buchbesprechung
Beinin, Joel: Workers and Peasants in the Modern Middle East;
Cambridge University Press, 2001
ISBN 0521629039, 207 Seiten, ca. 20 EuroAuf der Suche nach Literatur über die Klassenkämpfe im Mittleren Osten sind wir auf dieses Buch des linken Sozialhistorikers Joel Beinin gestoßen. Der Titel ließ auf ein Werk hoffen, in dem die Grundtendenzen der gesellschaftlichen Entwicklungen dieser Region jenseits all der ideologischen Mythen von fanatischer Religiosität, »arabischer Identität« und »arabischem Sozialismus« dargestellt werden.
Dass Beinin diese Erwartungen nur teilweise erfüllen kann, ist ihm natürlich nur bedingt vorzuwerfen. Sein Blickwinkel ist zunächst der eines Historikers. Er spielt zwar auch eine politische Rolle in den momentanen akademischen Auseinandersetzungen um die Bewertung der Krise im arabischen Raum. In diesem Buch geht es aber vor allem um die historische Epoche der Herausbildung des Kapitalismus - und dabei besonders um die Frage, ob und warum die gesellschaftliche Dynamik, die zum Kapitalismus führte, allein in Europa ihren Ausgangspunkt nahm. Im Vorwort setzt er sich in erster Linie mit der Schule der »Orientalisten« und mit der Weltsystemtheorie Immanuel Wallersteins auseinander. Die »Orientalisten« stellen eine kulturalistisch geprägte Richtung der Geschichtswissenschaften dar. Sie behaupten, dass die Gesellschaften des Mittleren Ostens aufgrund ihrer traditionellen Kultur nicht in der Lage gewesen seien, sich zu »modernisieren«. Diese Hemmnisse bestanden bei den einen in der Uneindeutigkeit des arabischen Alphabets, bei den anderen mal im Fehlen eines dem Protestantismus vergleichbaren Arbeitsethos, mal in der Geographie der Region, die keinen Sprung in der landwirtschaftlichen Produktivität erlaubt hätte, oder sogar in der intensiven Sonneneinstrahlung, die ja bekanntlich träge macht. Den gerade oft von den Eliten (z.B. den Atatürks) verwendeten Begriff der »Modernität« denunziert er als »Diskursstrategie von Eliten und Mittelklassen zur Umformung ihrer Gesellschaften und zur Herausbildung neuer sozialer Hierarchien und eines Bereichs sozialer Kämpfe« (S. 9, eigene Übersetzung). Dem will Beinin die realen Bewegungen der »subalternen« Klassen entgegensetzen. Dabei weiß er um die Schwierigkeit, eine Bewegung, über die es kaum schriftliche (Selbst-) Zeugnisse gibt, in der Rückschau lebendig werden zu lassen. Sein anderer Gegenpart ist Wallerstein, der behauptet, dass der Kapitalismus von Anfang an eine globale Gesellschaftsform war und seinen Ausgangspunkt im Europa, speziell im England des 16./17. Jahrhunderts hatte. Beinin wirft ihm eine eurozentristische Sichtweise vor und versucht im Gegenzug nachzuweisen, dass es im selben Zeitraum auch im damaligen Osmanischen Reich eine Periode sozialen Aufbruchs gegeben habe. Diese sei aber durch die Eliten des osmanischen Zentralreiches unterdrückt worden.
Was ist dabei herausgekommen? Auf der einen Seite eine durchaus beeindruckende Materialfülle; den Anspruch einer Übersicht über den aktuellen Stand der Forschungen zur Geschichte der »unsichtbaren« Klassen im arabischen Raum löst er allemal ein. Wer sich weiter für bestimmte Bewegungen im Raum von Bosnien über die Türkei bis nach Marokko interessiert, oder wer die raren Selbstzeugnisse einer türkischen Gewerkschaftsmilitanten von Anfang des 20. Jahrhunderts oder eines rank-and-file-Aktivisten in der größten ägyptischen Textilfabrik in den 30er Jahren lesen will, der findet hier eine Unmenge an Verweisen.
Diese Fülle an Einzelstudien und Zeugnissen macht aber vielleicht auch eine Schwäche des Buches aus. Denn meist versäumt es der Autor, die Einzelbetrachtungen miteinander zu verbinden und sie politisch zu kommentieren und zuzuspitzen. So ergibt sich das Bild eines ausgeschütteten Puzzlespiels, dessen Rekonstruktion der Leserin überlassen bleibt. Zum Beispiel bei den für die heutigen Debatten interessanten Betrachtungen zum Konflikt in Palästina: Zunächst behandelt er den Aufstand 1936-39 im britischen Mandatsgebiet. Entgegen den meisten Interpretationen sowohl von israelischer wie auch von nationalistisch palästinensischer Seite stellt er die Dynamik dieser Bewegung als die einer bäuerlichen Aufstandsbewegung gegen ihre Vertreibung von ihrem Land dar. Diese Bewegung richtete sich zunächst nur indirekt gegen den Jewish National Fund als Aufkäuferin großen Landbesitzes. Ihr direkter Gegner war die palästinensische Elite, die in großem Maßstab Land verkaufte und damit die Bauern rechtlos machte: »Bauernrebellen erzwangen ein Moratorium aller Schulden, setzten die Mietzahlungen für alle städtischen Wohnungen aus und beschlagnahmten den Besitz reicher Stadtbewohner, die geflohen waren, und verkauften ihn auf einer öffentlichen Scheinauktion. Das brachte den britischen Hochkommissar zu dem Schluss, dass 'so etwas wie eine soziale Revolution in kleinem Maßstab beginnt'«. (S. 96, eigene Übersetzung) Diese angegriffene Elite und die Provokationen der Siedler-Milizen vermochten es, die Zielrichtung auf die »zionistische« Besetzung Palästinas zu lenken. Ist der damalige palästinensische Aufstand noch als regionales Ereignis zu begreifen, so ist er spätestens mit dem Krieg 1948 aus diesem Rahmen herausgetreten. Seitdem hat er wie kein anderer eine überragende Rolle für den Machterhalt auch der arabischen Eliten gehabt.
Alle Länderskizzen Beinins weisen für den Vorabend des Krieges massive soziale Revolten und Streiks auf. In Ägypten wurde zwei Tage vor dem Einmarsch in Palästina das Kriegsrecht ausgerufen, nachdem zehntausende von TextilarbeiterInnen in den Streik getreten waren. Im Irak kam es seit 1946 wiederholt zu Aufständen der städtischen Armen und zu Streiks vor allem im Ölsektor. Noch im April 1948 streikten mehrere tausend Ölarbeiter, nachdem es kurz zuvor zu mehrtägigen Unruhen in Bagdad gekommen war. Kurz vor dem Krieg 1967 verhielt es sich ähnlich; es gab wieder massive Streiks und Unruhen in Ägypten, Syrien und Irak. Die von Beinin zusammengetragenen Fakten verlangen förmlich nach einer politischen Schlussfolgerung, die er aber nicht gibt. So erreicht er auch sein sein selbst gestecktes Ziel in der Auseinandersetzung mit Wallerstein nicht. Dies schmälert den Wert seines Buches als überaus reichhaltige Materialsammlung über soziale Kämpfe allerdings nicht.
Beinin ist Professor an der Stanford Universität und Vorsitzender der US-amerikanischen Middle East Studies Association. In dieser Funktion ist er seit dem 11.9. ins Fadenkreuz konservativer Verbände geraten. Auf der einen Seite will die Bush-Administration viel Geld ausschütten, um sich in der Region zurechtzufinden, gleichzeitig ist die Forschung in den USA von linken Intellektuellen wie Beinin oder Edward Said besetzt, die z.B. das National Security Education Program (NSEP) ablehnen.