Demos in Britannien
22.2.
Am letzten Samstag war die größte Demo, die wir je in Britannien erlebt haben. 1,5 Millionen Leute in London und 50 000 in Glasgow. Die Demo selbst war gemischt, lebendig und gutgelaunt. Wir waren so viele, dass wir die ganze Londoner Innenstadt einnahmen. Es gab zwei Demos, die an zwei verschiedenen Orten losgingen und sich im Hyde Park trafen. Wir wanden uns durch die Straßen wie zwei große Schlangen. Es gab einen Riesenjubel, als wir aneinander vorbeikamen und einen Eindruck davon kriegten, was für eine große Masse wir wirklich waren. Es gab keine Autos auf den Straßen, und alle Nebenstraßen waren voller DemonstrantInnen. Es gab absolut keine Spannung oder Gewalt oder Scherben. Es gab keinen »schwarzen Block«.
Bei der großen Kundgebung im Hyde Park gab es einen Autonomous Space mit einem offenen Mikro, einem Feuer, Bücherstand und Massen von AnarchistInnen.
Wir sind auch zur amerikanischen Botschaft gelaufen, wo die ganze Zeit über jeweils etwa 100 Leute waren, aber eigentlich passierte nichts, also gingen viele wieder weiter. Wir waren ungefähr eine halbe Stunde lang da. Im Laufe des Tages waren es sicher Tausende. Danach gingen wir zum Piccadilly Circus, wo eine geplante Sitzblockade war. Dort war es total voll von Leuten. Da Autos sowieso nicht mal in die Nähe kommen konnten, war die Sitzblockade eher symbolisch. Aber die Stimmung war gut. Wir liefen noch mal eine halbe Stunde bis zu einer Kneipe, fast die ganze Zeit auf der Straße.
Im Laufe der letzten Woche habe ich in London mehr politische Graffiti gesehen als jemals seit der Poll Tax. Die meisten sind ziemlich geradeaus: »Kein Krieg für Öl« usw. Aber sie sind überall! Es gibt einen Aufruf zu streiken, wenn der Krieg anfängt. Das wird auch von der No War Coalition aus CND [Campaign for Nuclear Disarmament, 80er Jahre Friedensbewegung], SWP [Socialist Workers Party, größte trotzkistische Gruppe], Gewerkschaften usw. unterstützt - die wollen aber den Segen der Gewerkschaftsspitze dafür. Ich sprühe: »Streikt gegen den Krieg, wilde Streiks jetzt« an die Wände. Wir werden sehen, ob die lokalen Antikriegsgruppen größer werden. Es gab eine Menge lokaler Transparente auf der Demo. Diesen Sonntag gibt es eine britannienweite Demo an einer NATO-Airbase in Fairford. Es ist auch geplant, da ein ständiges Camp einzurichten.
Was Verbindungen zu den laufenden Kämpfen im öffentlichen Dienst angeht, gibt es nicht viel Konkretes. Meiner Meinung nach schlägt die allgemeine Unzufriedenheit und die Armut der Leute in Misstrauen und Hass gegenüber der Regierung um. Bisher verbindet sich das noch nicht klar mit »Alltags«-Kämpfen, aber die Regierung war noch nie so unbeliebt wie heute. Die Auseinandersetzungen im öffentlichen Dienst gehen weiter, es gibt eine Reihe von eintägigen Streiks und massenweise Verhandlungen. Die Feuerwehrleute verhandeln. Wir werden sehen, was passiert. Wirtschaftlich ist die Heuchelei klar, wenn für den Krieg Geld da ist, aber für Löhne im öffentlichen Dienst nicht. Die Regierungspropaganda, die uns diesen Krieg verkaufen und mit dem Terrorismus usw. verbinden sollte, hat ganz einfach nicht funktioniert. Die Leute sind offensichtlich nicht ganz so dumm, wie die Regierung erwartet hatte.
Unter uns gibt es Weltuntergangsstimmung, auch Frustration, dass wir hier (die Klasse und die Bewegung) so unorganisiert sind. Manchmal kommt auch eine optimistische Stimmung darüber auf, dass die Dinge wenigstens laut herausgeschrien werden. Es gibt die vorhersehbaren Reaktionen wie »Direkte Aktionen«, um Straßen dichtzumachen, was ein Stück weit daran vorbeigeht, dass endlich mal Millionen von Leuten bereit sind, aktiv zu werden. Es gibt die Erwartung, dass, sobald der Krieg erstmal losgeht, einige Leute patriotisch draufkommen werden, und dass ein Großteil der Bewegung sich in den üblichen Bahnen von Gewerkschaft und Establishment bewegen wird. Was mich angeht: Ich sehe unheimlich gerne kleine wilde Plakate und Graffitis - das sind weder wir noch die Trotzkisten, sondern eine anonyme, autonome Stimme, die sich erhebt.