Wildcat-Sonderheft Krieg 2003 - März 2003 - S. 15-16 [wk3lindq.htm]


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A History of bombing

Buchempfehlung

Sven Lindqvist: A History of Bombing
2001, New York, New Press, 208 Seiten
ISBN 1565846257, ca. 25 Euro

Am 5. Februar 2003 trat US-Außenminister Powell im UN-Sicherheitsrat vor die Presse - hinter ihm ein verhängtes Bild: es war die Kopie von Picassos berühmtem Gemälde »Guernica«, das an den Luftangriff der Legion Condor gegen die spanische Stadt am 26. April 1937 erinnert.

Eine symbolhafte Aktion: auch der drohende Irak-Krieg wird ein »asymmetrischer«, aus der Luft geführter Krieg sein. An das Sterben unten wollte Powell die Weltpresse nicht erinnern.

Der deutsche Angriff auf die baskische Stadt Guernica war jedoch nicht der erste Bombenangriff aus der Luft, wie der schwedische Autor Sven Lindqvist in seinem Buch A History of Bombing betont. Auch war der Bombenkrieg nicht die Erfindung einer einzelnen Nation, sondern der gesamten industrialisierten Staatenwelt. In Jules Vernes Roman Robur der Eroberer von 1886 wird dargestellt, was später Wirklichkeit werden sollte. In einer Illustration gleitet ein Flugzeug majestätisch über Paris, der Hauptstadt Europas, und strahlt mit einem machtvollen Scheinwerfer die dunklen Gassen aus, was von den Bürgern entzückt wahrgenommen wird. Im nächsten Bild schwebt das gleiche Luftschiff genauso majestätisch über Afrika, hier allerdings drückt sich seine zivilisierende »Polizeifunktion« darin aus, dass es Bomben auf entsetzt davon preschende schwarze »Kriminelle« und »Wilde« schmeißt, um ein »Verbrechen« zu verhindern.

Das Bild des Wilden, den man von der Ferne und von Oben mittels Bomben »zivilisiert« bzw. vernichtet, sollte auch die Wirklichkeit des Bombenkrieges begleiten: der Gegner musste zum Barbaren, zum »anderen« stilisiert werden. Die ersten Bombenangriffe gehen so auch zurück auf den Kolonialismus. Lindqvist beschreibt, dass die erste Bombe der Geschichte am 1. November 1911 fiel: Ein italienischer Leutnant warf die Bombe nahe des libyschen Tripolis auf Araber, die sich gegen die Kolonialtruppen der Italiener erhoben hatten. In den folgenden Jahren und Jahrzehnten bombardierten nahezu alle Kolonialmächte und versuchten so Aufstände niederzuschlagen: Frankreich in Marokko, England in Indien, Ägypten, Afghanistan, Somaliland und Iran. Während des sog. »Dritten Afghanischen Krieges« 1919 wurden Bombenangriffe auf Dacca, Jalalabad und Kabul von einem britischen Bomberkommander namens Arthur Harris befehligt. Auch der Irak wurde schon damals Ziel der britischen Bomben. Die Strategie der Bombardierungen nannte sich Control without occupation: ein Land, das sich der türkischen Herrschaft entledigt hatte und die britische nicht annehmen wollte, sollte durch Bombardierungen mürbe gemacht werden.

Angesichts des bekannten Schicksals von Guernica fragt Lindqvist, wer die Stadt namens Chechaouen kennt, die sich in Marokko, nicht weit von Guernica, befindet. Sie wurde wie Guernica bombardiert, allerdings zwölf Jahre früher. Guernica wurde von deutschen Legionären angegriffen, die für den Faschisten Franco kämpften, Chechaouen von Amerikanern unter französischem Oberkommando, die dem Interesse der spanischen Kolonialmacht dienten.

Die Ungleichzeitigkeit der Erinnerung an diese beiden Städte zeigt, dass sich der bürgerliche Antifaschismus in der Mainstream-Geschichtsschreibung eher durchgesetzt hat als eine Kritik der barbarischen Kriegsführung der Kolonialländer. Warum das so ist? Lindqvist gibt eine einfache Antwort: Weil Guernica in Europa liegt. In Guernica waren WIR es, die gestorben sind.

Als General Ludendorff 1935 Der totale Krieg schrieb und ihn propagierte, gingen in seine Vorstellungen die Erfahrungen der totalen Kolonialkriege gegen die Völker Afrikas und Asiens ein. Lindqvists Verdienst ist es, die koloniale Kriegsführung mittels Bomben ins historische Bewußtsein zu rufen.

Auch in den jüngst wieder aufflammenden Debatten über den »Bombenkrieg« spiegelt sich ein Eurozentrismus, gemischt mit nationalistischer Vergangenheitsbewältigung und passend zur künftigen Außenpolitik. In Deutschland pendelt diese bürgerliche Geschichtspolitik zwischen der Selbststilisierung »der Deutschen« zum »Opfer« (Dresden usw.), um für heute eine »Friedensdiplomatie« gegen England und die USA historisch zu unterfüttern, und dem neueren Bekenntniskult, »Täter« zu sein (Goldhagen- bzw. Wehrmachtsdebatte), um nach 1945 bzw. mit der heutigen »sauberen Truppe« als geläuterte Nation dazustehen. So konnte dann die vergangenheitsbewältigte rot-grüne Regierung den Krieg gegen Jugoslawien ohne größere Widerstände durchziehen.

Bei der jüngsten Debatte um »die Deutschen« als Opfer der Luftangriffe, die durch das Buch Der Brand von Jörg Friedrich angefacht wurde, muss der Klassencharakter der Bombardierungen ausgeblendet werden, um die Nazi-Ideologie der »Volkgemeinschaft« bürgerlich-demokratisch zu verlängern.

Doch Luftangriffe trafen nicht eine »Nation« oder »die Deutschen«, sondern gerade die Arbeiterwohnviertel Die Bombardierungen von Arbeitersiedlungen hatten das Ziel, die Fehlzeiten in den Fabriken zu erhöhen und die Fabrikarbeiter und ihre Familien zu demoralisieren. Lindqvist gibt zwar an, dass Arthur Harris, Kommandant der britischen Angriffe auf deutsche Städte, an einen Aufstand der deutschen Arbeiterklasse gegen den Nazismus glaubte, aber tatsächlich bewirkten die Bombardierungen das Gegenteil. Bis heute führt diese Kriegsführung dazu, die Proletarier und Armen zu demoralisieren; die Bomben wirken einschüchternd und halten sie klein. Diese Kriegsführung sieht in der »Zivilbevölkerung« das Rohmaterial des Krieges und versucht darüüber, eigenständige Klassenfronten im Kriegsverlauf, die für die Herrschenden auf beiden Seiten der offiziellen Front gefährlich werden könnten, zu unterbinden.

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde die Atombombe zur wichtigsten Machtdemonstration im sich anbahnenden Kalten Krieg. Der Abwurf der ersten A-Bomben auf Hiroshima und Nagasaki durch die USA erfolgten im Hinblick auf die Sowjetunion, hinzu kam später noch die »gelbe Gefahr«, also das kommunistische China. Die ehemaligen Kolonialmächte wie Frankreich bombten weiter, z.B. in Algerien. Die USA warfen viermal so viele Bomben auf Indochina ab wie im Zweiten Weltkrieg: 8 000 000. Tonnen. Während des Zweiten Weltkriegs flog die US-Luftwaffe 30 Prozent Flächenbombardements, im Vietnamkrieg 80 Prozent. Lindqvist zitiert gegen Ende seines Buches den französischen General Pierre Gallois, der den Irak unmittelbar nach dem Golfkrieg 1991 besuchte und den jüngsten großen Bogen der Bombardierungen beschreibt: »Ich fuhr 2500 Meilen in meinem Wagen herum. In den Dörfern war alles zerstört. Wir fanden Bombenteile von 1968, die wohl vom Vietnam-Krieg übrig geblieben waren. Es war die gleiche Art des Bombardierens, die ich vor einem halben Jahrhundert im Zweiten Weltkrieg betrieben hatte.«


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