Wildcat-Sonderheft Krieg 2003 - März 2003 - S. B2 [wk3palm1.htm]


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Palästina: Zwei Staaten gegen das Proletariat

Mouvement Communiste

Die vielen tausend Toten, Verwundeten, Gefolterten und Gefangenen sind nur der Gipfel des Alptraums, unter dem die palästinensischen und israelischen Proletarier leiden. Durch einen endlosen Konflikt, der kaum ihre Sache ist, werden sie einander entgegengestellt. Diese erbitterte Konfrontation, diese Verdopplung aus Krieg zwischen zwei Staaten und Bürgerkrieg zwischen zwei Völkern ist selbst eingeklemmt in und Vorwand für alle ökonomischen, politischen, diplomatischen und militärischen Netze, welche die großen und kleinen Imperialismen seit dem Zweiten Weltkrieg in der Region spinnen.

Im Namen der palästinensischen Sache tragen die Gottesbesessenen des Westens und des Ostens das Schwert überallhin im Nahen Osten, in den kaukasischen Ländern, bis zum Fernen Osten. Die internationalen imperialistischen Koalitionen haben noch nie ernsthaft versucht, das Problem zu lösen, äußern oder enthalten sich aber immer lauthals. Und die zukünftigen Kriegsführenden behaupten, auch den nächsten Irak-Krieg in ihrem Namen zu führen.

Um was geht es da, und vor allem: was bedeutet der israelisch-palästinensische Krieg für das Proletariat der Region und im weiteren Sinne für die Arbeiterklasse der ganzen Welt? Bevor wir die aktuelle Situation betrachten und nach den Möglichkeiten einer proletarischen Erhebung suchen, müssen wir kurz auf die jüngere Geschichte seit der ersten Intifada eingehen.

Etwas neuere Geschichte

Das angekündigte Scheitern der Osloer Verträge

Die Osloer Verträge wurden 1993 nach dem Irak-Krieg unterzeichnet, die USA und das verbündete Israel hatten triumphiert, die PLO befand sich in äußerster Bedrängnis. Für einen Übergangszeitraum von fünf Jahren wurde eine Palästinensische Verwaltung (PA = Palestinian Authority) eingesetzt, die rechtliche Hoheit über das Westjordanland und den Gaza-Streifen haben sollte. Die heikelsten Probleme, vor allem das der Flüchtlinge, Jerusalems und der Siedlungen wurden auf die Schlussverhandlungen verschoben.

Zwei Jahre nach dem Beginn der Übergangsperiode, d.h. am 4. Mai 1996, sollten die Gespräche über den endgültigen Status des Westjordanlands, Gazas und Jerusalems beginnen. Aber von Anfang an sträubte sich die sozialdemokratische Regierung und bremste mit allen Vieren, um Zeit zu gewinnen, um unumkehrbare Machtverhältnisse zu schaffen und die PA vor vollendete Tatsachen zu stellen.

Zunächst wurden bestimmte Verpflichtungen nicht eingehalten, wie der Bau einer sicheren Verbindung zwischen dem Westjordanland und Gaza, die Freilassung palästinensischer politischer Gefangener und die Regelung der Forderung nach Rückkehrrecht für 1967 vertriebene Personen. Man hatte keinen Schiedsmechanismus für den Fall der Verletzung der Verträge durch eine der Parteien vorgesehen, und der gute Geist Amerika stellte sich letzten Endes immer auf die Positionen der sozialdemokratischen Regierung.

So verfolgte diese munter die Siedlungspolitik weiter; und die Rechte setzte sie fort, nachdem sie unter Benjamin Netanjahu im Mai 1996 an die Macht gekommen war. Von 1993 bis 1998 stieg die Zahl der Siedler im Westjordanland und dem Gaza-Streifen von 110 000 auf 169 000. Diese Siedlungen hat ganz klar der israelische Staat zu verantworten. Laut der Verträge von Oslo 2 vom 28. September 1995, die das Westjordanland in drei Zonen, A, B und C aufteilten, liegen sie alle in Zone C. Sie umfasst ungefähr 60 % des Territoriums, die gesamte israelische Bevölkerung sowie 10 % der palästinensischen Bevölkerung und steht unter vollständiger administrativer und militärischer Kontrolle durch Israel.

Die große Mehrheit der Wasserstellen befindet sich in der Zone C. Seit 1967 steht das Wasser in den besetzten Gebieten unter militärischer Kontrolle, und den ansässigen Arabern ist es verboten, neue Brunnen zu graben, während die jüdischen Siedlungen ohne Einschränkung bohren. Nach Angaben der Weltbank werden 90 % des Wassers im Westjordanland zugunsten Israels genutzt, die Palästinenser verfügen nur über die restlichen zehn Prozent.

Offiziellen Quellen zufolge nahm der »große Pazifist« Itzchak Rabin den Standpunkt der Militärs ein, wonach territoriale Zugeständnisse die Sicherheit des Landes und der Siedlungen nicht gefährden dürften und war nicht bereit, am Ende der Übergangsperiode der PA mehr als die Hälfte des Westjordanlands zu überlassen.

So kontrollierte die PA am Ende des Autonomiezeitraums (militärisch und administrativ) tatsächlich nur 10 % des Westjordanlands und zwei Drittel von Gaza. Für die israelische Regierung sind die Vorteile des Friedensprozesses beeindruckend. Sie muss sich im Wesentlichen nicht mehr um die Sicherheit in den palästinensischen Zonen kümmern, damit geben sich nun die Bullen Arafats ab. Und sie ist einen großen Teil der finanziellen Lasten der Okkupation losgeworden, weil die internationale Gemeinschaft mit einer massiven Kapitalzufuhr es den Palästinensern ermöglicht zu überleben und der Arafat-Clique, sich zu mästen. Und sie konnte die Besiedlung der strategischen Zonen des Westjordanlands und die »Judaisierung« Ost-Jerusalems fortsetzen.

Von Oslo 2 bis Camp David

Die Gipfelkonferenz in Camp David vom 11. bis 25. Juli 2000 sollte die wichtigsten israelisch-palästinensischen Streitpunkte angehen: die Flüchtlingsfrage, den Status von Jerusalem, die Siedlungen, die Festlegung der Grenzen. In Anwendung der Resolution 242 des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen verlangte die PA die Rückkehr des gesamten 1967 besetzten arabischen Teils von Ost-Jerusalem unter ihre Souveränität, wobei jedoch das jüdische Viertel innerhalb der Mauern ebenso wie die Klagemauer bei Israel bleiben sollten.

Die israelische Regierung ihrerseits wollte nur der Souveränität der palästinensischen Verwaltung über die peripheren Viertel und Dörfer zustimmen, ebenso wie einer Art Autonomie in den moslemischen und christlichen Vierteln der Altstadt und der Sektoren außerhalb der Mauer. Die PA hätte dort ihre Hauptstadt installieren können.

Darüber hinaus bot Israel die Rückgabe von mehr als 90 % des Westjordanlands an, der Rest, auf dem die meisten Siedlungen liegen, wäre annektiert geblieben. Die vom sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Ehud Barak vorgeschlagenen territorialen Konzessionen entsprechen einer reduzierten Version der 22 % des Landes, die nach dem Krieg 1948-1949 den Palästinensern überlassen worden waren.

In bezug auf die Flüchtlinge, die durch die zionistische Politik der ethnischen Säuberung von 1948 entstanden sind, als aus dem Mandats-Palästina nahezu die Hälfte der arabischen Bevölkerung vertrieben wurde, schlug Israel vor, über einen Zeitraum von zehn Jahren jährlich 5 000 bis 10 000 aufzunehmen, und verweigerte kategorisch sowohl ein Rückkehrrecht (Resolution 194 der Vereinten Nationen) wie auch die Anerkennung seiner historischen Verantwortung für das Flüchtlingsproblem.

Für Israel kommt nicht in Frage, dass palästinensische Flüchtlinge aus Gebieten, die vor 1967 zu Israel gehörten, auf ihren Boden zurückkehren. Das Scheitern dieses letzten amerikanischen Versuchs, die gefährlichste geostrategische Bombe im Nahen Osten zu entschärfen, geht zu gleichen Teilen auf die beiden direkt betroffenen Staaten zurück.

Einige informelle Gespräche und Gipfel nach Camp David (besonders Scharm el-Scheich am 17. Oktober 2000 und Taba Ende Januar 2001) führten nicht weiter. Einige Tage vor den israelischen Wahlen vom 6. Februar 2001 wurde jeder offizielle Kontakt zwischen den beiden Staaten unterbrochen.

Seither wird es für die palästinensische Seite jeden Tag offensichtlicher, dass die Konzessionen der PLO an Israel für die große Mehrheit der Bevölkerung im Westjordanland und im Gazastreifen nichts Konkretes gebracht haben. Im Gegenteil, ihre materielle Situation verschlechterte sich trotz der fantastischen Versprechungen am Tag der Unterzeichnung der Osloer Verträge, eine Ära des Friedens und der Prosperität für die Bevölkerung der Region zu eröffnen.

Sieben Jahre nach dem Abschluss dieser famosen Verträge müssen wir feststellen, dass sich für die große Mehrheit - mit Ausnahme der korrupten Minderheit, die vom Klientelismus der Fatah und von deren Verteilung der internationalen Hilfsgüter lebt - die Autonomie als immer mehr Siedlungen, steigende Arbeitslosigkeit und verschärfte Repression darstellt.

Die ökonomische Dimension des Konflikts ist zentral

Israel: Das Gespenst der Krise taucht wieder auf

Nach dem letzten Bericht der Zentralbank des Landes machte Israel 2001 die erste Rezession seiner Geschichte durch (-0,6 % des BIP). 2002 setzte sich das fort (-1 %) und die Vorhersagen für 2003 drehen sich um -1 %. Die letzte zyklische Krise in den Vereinigten Staaten, welche die Exportmärkte für israelische Informations- und Kommunikationstechnologie verengte, und der Krieg im Westjordanland und im Gazastreifen haben die israelische Ökonomie an den Rand des Abgrunds gebracht. Denn der Export macht die Hälfte des israelischen Bruttosozialprodukts aus, vor allem der Export von Hochtechnologieprodukten. Die Anzeichen künden eine größere Krise an. Die Industrieproduktion ist seit 2001 stark rückläufig (-4 % in den ersten acht Monaten von 2002), während die Preise 2002 in einer Größenordnung von 6 bis 8 % ansteigen dürften (im Vergleich dazu betrug die Steigerung 2001 1,4 %).

Wenn man den verstaatlichten Bereich ausnimmt, der von öffentlichen Ausgaben alimentiert wird, fiel das BIP nach Aussagen der Bank Leumi 2001 um 2,4 % und dürfte 2002 um 2,9 % fallen. Der Umsatz im Tourismus sackte 2001 auf 50 % (der erste Rückgang seit 1953) und dürfte 2002 noch einmal 80 % verlieren und reduziert so das BIP um 1,5 bis 2 %. Die Exporte dürften 2002 um 5 % zurückgehen nach einem Rückgang 2001 von 11,7 %. Das Handelsbilanzdefizit, das 2001 1,9 Milliarden Dollar betrug, wird 2002 auf 3,5 Milliarden steigen.

Die Arbeitslosigkeit erreicht schon 10,6 %, ein noch nie dagewesenes Niveau. Nach Schätzungen der Bank von Israel könnte sie 2003 12 bis 13 % erreichen. Eine Studie auf Basis der Kleinanzeigen zeigt, dass sich die Beschäftigungsangebote im letzten Quartal des Jahres 2002 im Vergleich zum Vorjahr um 30 % verringert haben. Nach einem offiziellen Bericht der Sozialversicherungsbehörde vom 4. November 2002 lebte im vergangenen Jahr in Israel jede fünfte Person, d.h. 1,17 Millionen, und jedes vierte Kind unterhalb der Armutsgrenze. Die Armutsgrenze wurde für ein Ehepaar ohne Kinder auf 2768 Schekel (ungefähr 550 Dollar) monatlich festgesetzt. Diesem Bericht zufolge lebten somit 2001 81 000 Israelis mehr unterhalb der Armutsgrenze als im Jahr zuvor. Außerdem wird klar, dass der Graben zwischen Armen und Reichen, der sowieso schon sehr tief war, sich 2001 weiter vertieft hat. Die Einkommen des ärmsten Drittels machten 2001 nur noch 3,5 % des Gesamteinkommens des Landes aus, gegenüber 4,5 % im Vorjahr. Im Gegensatz dazu entsprachen die Einkommen des reichsten Fünftels 54 % des Gesamteinkommens des Landes. Die Armut trifft besonders die arabische Minderheit (18 % der Bevölkerung) und die Bewohner der neuen Städte, »Entwicklungs«-Städte genannt, wo die neuen Immigranten wohnen.

Die nationale Währung ist auf den internationalen Devisenmärkten unter Druck geraten und hat seit 2000 16 % an Wert verloren. Die Börsenkurse sind seit dem 1. Januar 2002 um fast ein Drittel gefallen. Die ausländischen Investitionen sind zusammengeschmolzen. Während man im ersten Drittel des Jahres 2000 noch einen positiven Saldo von 3,3 Milliarden Dollar verzeichnete, war man Mitte 2001 zu einem Negativ-Saldo von 300 Millionen Dollar gekommen.

Die Krise äußert sich in verringerten Steuereinnahmen für den Staat und einer steigenden öffentlichen Verschuldung, die aufgrund der steigenden Zinsen für Staatsanleihen auf den internationalen Kreditmärkten eine sehr reale Bedrohung nach sich zieht. 2001 betrug die Staatsverschuldung 100 % des BIP und steigt seither an (Mitte 2002 waren es 103 % des BIP) besonders auf Grund der mit der zweiten Intifada zusammenhängenden Militärausgaben. Das Militärbudget - 9 Milliarden Dollar im Jahr, das sind 17 % der gesamten öffentlichen Ausgaben - hat seit Beginn der Zusammenstöße um 1,5 Milliarden zugenommen. Etwa 25 000 Reservisten wurden einberufen, was den Staat unmittelbar etwa 120 Millionen Dollar monatlich kostet. Nach Aussagen des Chefs der Forschungsabteilung der Bank von Israel belastete die Intifada während der ersten 15 Monate die Nationalökonomie mit insgesamt 2,5 Milliarden Dollar.

Zu einem weiteren Loch im Staatshaushalt haben inzwischen die Zahlungen geführt, die die religiösen Parteien für ihre Unterstützung der Regierungskoalitionen zugunsten ihrer Klientel abpressen. 221 000 Religionsstudenten, von denen jeder monatlich 150 Dollar erhält, kosten über 400 Millionen Dollar im Jahr, das waren 0,6 % des BIP im Jahr 2000 und bereits 4,5 % im Jahr 2001. Aufgrund ihrer zahlenmäßigen Entwicklung nimmt außerdem die Beschäftigungsquote ab; sie lag bei Erwachsenen zwischen 25 und 54 Jahren im Jahr 1970 bei 93,5 % und im Jahr 1993 bei nur noch 85,7 %. In den anderen industrialisierten Ländern liegt diese Rate um 94 %.

Diese großen ständigen Abflüsse aus dem Staatshaushalt machen den israelischen Staat zum permanenten Bittsteller. Er empfängt pro Jahr um die 6 Milliarden Dollar verschiedener ausländischer Hilfe (Vereinigte Staaten, Zuwendungen aus der Diaspora und deutsche Reparationen). 2002 setzte sich die Hilfe der Vereinigten Staaten zusammen aus 720 Millionen Dollar Wirtschaftshilfe und 2 Milliarden Militärhilfe.

Die schlechte Situation der Staatsfinanzen zwang im Mai 2002 die Regierung Sharon, einen ersten Sparplan zu verabschieden: die öffentlichen Ausgaben wurden pauschal um 2,5 % gesenkt, die Mehrwertsteuer um einen Punkt erhöht, passend zur Erhöhung der Einkommenssteuer, das Kindergeld um 4 % abgesenkt (um 24 % für diejenigen, deren Eltern nicht in der Armee gedient haben, d.h. die israelischen Araber und die orthodoxen Juden), der Mindestlohn wurde eingefroren, der Zugang zum Arbeitslosengeld wurde erschwert und die Diäten der Volksvertreter um 5% gesenkt.

Eine Krise mit vertrauten Zügen

Die aktuelle Krise erinnert an die von 1984. Damals wurde die Inflationsrate dreistellig und die Auslandsschulden stiegen auf 23 Milliarden Dollar. Gleichzeitig wandten die Unternehmen des Staats oder der Einheitsgewerkschaft Histadrut (40 % der Arbeitenden des Landes sind hier beschäftigt) noch die betriebswirtschaftlichen Kriterien des »Realsozialismus« nach russischer Art an. Die Arbeitsproduktivität blieb unzureichend, denn die produktiven Investitionen wurden immer weniger. Denn die Staatseinnahmen wurden vor allem für die Armee, den Schuldendienst und das Sozialsystem ausgegeben.

Angesichts der durch die Regierungstätigkeit des Likud - welcher im Wesentlichen an der Aufrechterhaltung der Kontrolle über den Staatsapparat interessiert war - verschärften ökonomischen Krise waren dann die ergriffenen Maßnahmen drakonisch. Die neue Regierung der Nationalen Einheit verabschiedete einen harten Austeritätsplan: Reduzierung der Subventionen für Basis- und Agrarprodukte, Abwertung, Senkung der Reallöhne, Einfrieren der Preise und höhere Zinsen. Die Armee zog sich aus dem Libanon zurück, und die Vereinigten Staaten fügten zu den üblichen 3 Milliarden jährlicher Zuwendungen nochmal 1,5 Milliarden hinzu. Die großen staatlichen Unternehmen wurden zerschlagen, umstrukturiert oder privatisiert.

Von 1985 bis 1996, eine schnelle Entwicklung

Auf diesen neuen Grundlagen stieg die industrielle Produktion zwischen 1985 und 1989. Das Produktivitätswachstum der Arbeit in Verbindung mit den Effekten der Restrukturierung des staatlichen Sektors führte zu einem signifikanten Anstieg der Arbeitslosigkeit von 6 auf 9 %. In dieser Zeit war die Rüstungsindustrie die einzige bedeutende Exportbranche, mit einem Viertel der Verkäufe ins Ausland lag sie weit vor dem Agrarsektor.

Die massive Zuwanderung aus Rußland und die Öffnung neuer Märkte in Folge der Osloer Verträge führten zu einem Wachstum des BIP um 6 %, und 2,4 % pro Kopf. Die öffentlichen und privaten Investitionen stiegen um fast 15 % jährlich, die Inflation fiel 1996 auf 9 %. Trotz eines durchschnittlichen Wachstums der Exporte um über 7 % stieg das Handelsbilanzdefizit und erreichte 5 % des BIP. 1997 verlangsamte sich die Aktivität, das jährliche Wachstum des BIP fiel auf 2 % und die Arbeitslosigkeit stieg wieder von 6,3 % auf mehr als 10 %. Gleichzeitig stiegen die Industrieexporte um 10 %, wovon ein Drittel auf die High-Tech-Industrie entfiel. Israel rangierte direkt hinter den Vereinigten Staaten hinsichtlich der Anzahl der »start-ups« (neue kleine und mittlere High-Tech-Betriebe).

Israel erfuhr auch eine tief gehende Veränderung seiner produktiven Struktur. Industrien mit niedriger Kapitalintensität, wie Nahrungsmittel, Bekleidung, Schuhe usw., wurden aufgegeben. Die massenhafte Ankunft von Juden aus Russland, darunter viele hochqualifizierte Arbeitskräfte, ließ das durchschnittliche Bildungsniveau der Beschäftigten im Land weiter ansteigen, das schon vorher sehr hoch war. Israel gibt 7 % des BIP für Bildung aus, die USA 5 %, Schweden 6,6 %. Weil Israel so reich an diesem wertvollen menschlichen Kapital war, setzte es auf die Entwicklung der innovativsten Branchen. Bedeutende Investitionen in Forschung und Entwicklung sollten diese Bemühungen unterstützen. 1990 kamen 60 % der Exporterträge aus dem Verkauf von Software, medizinischen Ausrüstungen, Solarenergie, Bewässerungstechnik und agrochemischen Produkten.

Das BIP stieg jährlich um 6 % und erreichte 1994 74 Milliarden. Parallel dazu wurden die Militärausgaben wieder auf weniger als 10 % des BIP gesenkt. Im Jahr 2000 erbrachten 8 % der im privaten Sektor Beschäftigten, die im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie arbeiteten, d.h. ungefähr 150 000 Personen, ein Fünftel des Gesamtumsatzes des privaten Sektors. Zwischen 1990 und 2000 bewegte sich das durchschnittliche jährliche Wachstum des Umsatzes der Informations- und Kommunikationstechnologie in einer Größenordnung von 16 % gegenüber 6 % in der übrigen Wirtschaft. Im Verlauf dieses Jahrzehnts nahm die Produktion pro abhängig Beschäftigtem um 6 % in der gesamten israelischen Wirtschaft, um 13 % im privaten Sektor und um 68 % in der Informations- und Kommunikationstechnologie zu. Als positiver Hauptbestandteil der Zahlungsbilanz des Landes hat dieser Bereich im Jahr 2000 für 14 Milliarden Dollar exportiert (30 % des Gesamtexports) und für 7 Milliarden Dollar importiert.

Im selben Zeitraum zerstörte zunächst der Bürgerkrieg, dann die syrische Besetzung den Finanzplatz Libanon; somit wurde Israel zum wichtigsten offshore-Finanzplatz (Steuerparadies) der Region und darüber hinaus. Als Konsequenz daraus konnten sich Staat und Bourgeoisie Israels in ökonomischer Hinsicht vom Westjordanland und dem Gazastreifen völlig unabhängig machen und aus demselben Grund die arabisch stämmigen Arbeiter mit israelischer Staatsbürgerschaft marginalisieren.

Hier müssen wir nochmal kurz zurückblicken und daran erinnern, dass die besetzten Gebiete in den 70er Jahren nach den USA der zweitgrößte Absatzmarkt für israelische Exporte geworden waren. 1972 exportierte Israel ins Westjordanland und den Gazastreifen dreimal soviel Waren, wie es von dort importierte. Die Araber mit israelischer Staatsbürgerschaft waren in großem Umfang in den Branchen, die nichts mit der Verteidigung zu tun hatten, beschäftigt (Bau, Tourismus oder Bekleidung). Die großen Textilunternehmen verlagerten sich in den Norden des Landes, in die Nähe der arabischen, vorwiegend weiblichen Arbeitskraft (um die 15 % der jungen arabisch-israelischen Frauen hatten einen Arbeitsplatz und die Hälfte davon schufteten in der Bekleidungsindustrie).

Mitte der 70er Jahre bildeten die israelischen Araber (Nachkommen der 160 000 Palästinenser, die nach der Schaffung des Staates Israel, 1948, auf ihrem Land geblieben waren und die jetzt 19 % der israelischen Bevölkerung ausmachen, d.h. mehr als eine Million Menschen bei einer Gesamtbevölkerung von 6 592 000) und die Palästinenser der besetzten Territorien fast ein Viertel der Arbeitskraft Israels; auf dem Bau und bei den Dienstleistungen (vor allem Gastronomie, Autowerkstätten und Putzen) machten sie die Hälfte aus. Dass sie sich während der ersten Intifada an Streiks beteiligten, besiegelte das Schicksal dieser Arbeiter. Ihre Weigerung, sich zu unterwerfen, kam sie sehr teuer zu stehen. Die herrschenden Klassen Israels machten eine strategische 180° Kehrtwende in Bezug auf die palästinensischen Proletarier im israelischen Kernland, die sie gegenüber den Palästinensern aus den besetzten Gebieten noch radikaler durchzogen. Das hatte sowohl ökonomische wie politische Gründe. Der Staat und die Bourgeoisie Israels waren endlich im Stande - vor allem dank der Weiterentwicklung der beruflichen Bildung des Landes -, sich der Dienste der Palästinenser zu entledigen, die zu gefährlich und nicht genug qualifiziert für die ökonomischen Spitzenbereiche waren.

So konnte Rabin im Frühjahr 1993 relativ schmerzlos für die israelische Wirtschaft eine Totalblockade der besetzten Gebiete verhängen. Die aus Asien, den Ländern des Ostens und aus Lateinamerika eingewanderten Arbeitskräfte ersetzten schnell die palästinensischen Proletarier. Heute leben in Israel etwa 300 000 Arbeitskräfte aus Rumänien, Thailand, den Philippinen, China, der Türkei, Lateinamerika usw..

Dennoch ist es in den letzten fünf Jahren ungefähr 100 000 palästinensischen Arbeitskräften gelungen, illegal nach Israel zu gelangen. Die Geldüberweisungen dieser illegalen Einwanderer sind absolut vorrangig für das Überleben ganzer Teile der armen Bevölkerung in den besetzten Gebieten. Das gilt nicht in gleichem Umfang für mehrere tausend Palästinenser aus dem Gazastreifen und dem Westjordanland, die noch die Erlaubnis hatten, nach Israel arbeiten zu gehen.

Palästina: eine Wirtschaft ist dabei zu verschwinden

Seit der Besetzung des Westjordanlands und Gazas 1967 wurde deren Wirtschaft immer abhängiger von der Wirtschaft Israels. Besonders im Bekleidungssektor wurden Zulieferunternehmen geschaffen. Vor dem September 2000 importierte Palästina Waren im Wert von 3,5 Milliarden Dollar, wovon Waren für 2,5 Milliarden Dollar aus Israel kamen. Und von insgesamt 800 Millionen Dollar palästinensischer Exporterlöse kamen 500 Millionen Dollar aus Israel.

Viele PalästinenserInnen hatten einen Arbeitsplatz in Israel gefunden. Nach Gil Bufman, dem Chefvolkswirt der Bank Leumi, waren 1991/92 etwa 200 000 palästinensische Arbeitskräfte als legale Immigranten in Israel und vermutlich genauso viele als illegale Einwanderer. In den 90er Jahren hingen ungefähr 65 % der palästinensischen Familien vom israelischen Arbeitsmarkt ab. Die Lebensbedingungen in den besetzten Gebieten liegen zwar eindeutig unter denen in Israel, aber erheblich über denen in anderen Ländern der Region.

Die Situation der palästinensischen Wirtschaft hat sich seit den Osloer Verträgen verschlechtert, vor allem, weil die israelischen Behörden nicht mehr so viele Grenzgänger als Arbeitskräfte ins Land lassen. Deren Zahl betrug 1996 28 100, im Herbst 2000 52 000, Ende 2000 nur noch 4 000, Ende 2001 wieder 39 000, im September 2002 nur noch 15 000 und aktuell 25 000.

Noch mehr als die israelische hing die palästinensische Wirtschaft immer am ausländischen Tropf. Seit Schaffung der PA 1994 und bis 2000 erhielt diese durchschnittlich 500 Millionen Dollar jährlich an unterschiedlicher ausländischer Hilfe. Diese Summe stellte ungefähr ein Achtel des BIP des Westjordanlands und Gazas dar und machte ein Drittel der Einnahmen der PA aus. Diese Abhängigkeit von ausländischer Hilfe ist seither gewaltig angewachsen. 2002 beliefen sich die Zuwendungen der USA, Europas und der arabischen Länder auf 900 Millionen Dollar. Die übrigen Subventionen aus dem Ausland - 1,2 Milliarden Dollar in 2002 -, waren ursprünglich als Wirtschaftshilfe gedacht, sind aber inzwischen reine soziale Hilfslieferungen.

 

Die palästinenische Bevölkerung (2001, nach UNWRA)

Land PalästinenserInnen insges. Flüchtlinge Anteil der Flüchtlinge an den Flüchtlingen insgesamt (in %) Anteil der Flüchtlinge an der Bevölkerung des Landes (in %) Anzahl der Flüchtlinge
außerhalb von Lagern in Lagern
Libanon 501 431 168 245 246 755 10 31 415 000
Syrien 463 227 174 258 240 752 10 2,6 415 010
Jordanien 2 560 267 1 351 767 391 233 42 33,69 1 743 000
Westbank 2 057 245 398 154 239 092 16 31 637 246
Gaza 1 167 359 392 595 548 296 22 80,6 940 891
Israel 1 131 211 0 0 0 0 0
and. arab. Länder 588 638 0 0 0 0 0
USA u.a. Länder 486 319 0 0 0 0 0
insgesamt 8 955 697 2 485 019 1 666 118 100 --- 4 151 137

 

Während der ersten Monate der zweiten Intifada gab es in den besetzten Gebieten zwischen 290 000 und 320 000 Arbeitslose. In letzter Zeit sind es 370 000, etwa die Hälfte der Arbeitskräfte. Die Armutsrate erreichte 60 %. Das BIP pro Einwohner ist unter 800 Dollar gefallen. Die Weltbank schätzt die Verluste für die palästinensische Wirtschaft in den ersten sechzehn Monaten der Intifada auf insgesamt 2,4 Milliarden Dollar. Allein die 130 000 Beamten der Autonomie-Behörde (davon 50 000 Angehörige der Ordnungskräfte) kosten 60 Millionen Dollar im Monat. Ende 2001 hatte die Autonomie-Behörde 430 Millionen Dollar Rückstände. Überdies muss dieser Quasi-Staat jeden Monat an Israel 50 Millionen Dollar für Zölle auf Importprodukte und Überweisungen der in Israel arbeitenden Palästinenser zurückzahlen. In der Konsequenz ist die palästinensische Behörde bankrott: ihr im März 2001 verabschiedeter Sparhaushalt benötigt monatlich 90 Millionen Dollar, aber sie nimmt weniger als 20 Millionen Dollar im Monat ein.

Am Ursprung der zweiten Intifada

Zum ersten Mal seit langer Zeit wurde das letzte Hochkochen der bewaffneten Konfrontation zwischen diesen zwei Völkern und ihren Staaten nicht durch das Eindringen imperialistischer Interessen ermutigt oder bestimmt. Im Gegenteil kommt er ausschließlich aus dem gleichzeitigen Krisenprozeß der beiden Zentren, die den permanenten Krieg zwischen den beiden Völkern schon immer am Köcheln halten. Gemeinhin wird der Beginn der zweiten Intifada als zeitgleich mit dem Abstecher Ariel Sharons, der damals nur Chef der rechten Opposition war, am 28. September 2000 auf den Vorplatz der Felsendom-Moschee in Ost-Jerusalem, dem dritten heiligen Ort des Islam, datiert. Dieser Ort, den die Juden Tempelberg nennen, ist auch für sie der heiligste Ort ihrer Religion. In der Altstadt griffen palästinensische Demonstranten mit Steinen die israelischen Polizisten an, diese schossen mit Hartgummi zurück. Bilanz: vier verletzte Palästinenser.

Die Provokation des heutigen israelischen Premierministers war eine Reaktion auf die Explosion von zwei Bomben, die am 27. September im Gazastreifen einen Soldaten aus einem vorbeifahrenden Militärkonvoi töteten. Der Gesandte Clintons, Dennis Ross, schaffte es nicht, Ehud Barak zu überzeugen, den Spaziergang des Schlächters der Palästinenserlager von Sabra und Schatila (Libanon) von 1982 zu verbieten. Barak hatte seine Weigerung, dem amerikanischen Befehl nachzukommen, damit gerechtfertigt, dass diese Frage »in die innenpolitische Zuständigkeit des Landes falle«.

Sharon versuchte mit dieser Aktion, das, was von den vorherigen Verträgen zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Staat übrig geblieben war, endgültig auszuhebeln und sich als einzigen Kandidaten seiner Partei, des Likud, gegen Netanjahu durchzusetzen. Diese Unternehmung mit hohem symbolischem Gehalt zielte darauf ab, die in Agonie liegende Regierung Barak wenige Meter vor den Parlamentswahlen zu destabilisieren und die Unterstützung der Armee zu gewinnen, die nach dem Flop des vom US-Präsidenten Bill Clinton geleiteten Gipfels von Camp David im Juli 2000 noch zögerte.

 

Einige Daten über die Palästinenser und die besetzten Gebiete (Westjordanland und Gaza)

In den 90er Jahren trug die Industrie mit 9% zum BIP der besetzten Gebiete bei, die Landwirtschaft mit 14%, die Bauwirtschaft mit 16% und die öffentlichen Dienstleistungen mit 12%. Die restlichen 50% kamen aus dem Handel, dem Transport und persönlichen Dienstleistungen, d.h. von sehr kleinen Unternehmen. Übrigens kam mehr als 95% der Industrieproduktion von kleinen und mittleren Unternehmen. Laut Büro für Statistik betrug das BIP im Jahr 2000 4 Milliarden Dollar, aufgrund verschiedener Grenzschließungen 580 Millionen weniger als erwartet. Die meisten arabischen Länder erheben Zoll auf palästinensische Exporte, ebenso wie die USA und Europa. Die Familien mit den höchsten Einkommen sind in abnehmender Reihenfolge diejenigen, deren Oberhaupt in einer öffentlichen Funktion arbeitet, in Familienunternehmen, als Immigrant oder Grenzgänger, im Privatsektor und schließlich diejenigen, die von Sozialhilfe leben.

Kindersterblichkeit 1997: In Israel 6 auf 1000 Geburten, in den besetzten Gebieten 15, in Jordanien 20, Ägypten 54, durchschnittlich 64 für die Gesamtheit der sogenannten Entwicklungsländer. Die Lebenserwartung erreicht 73 Jahre gegenüber 78 in Israel, 72 im Libanon, 70 in Jordanien und 66 in Ägypten. Die Jahre des Schulbesuchs betragen durchschnittlich 8,1, 5,5 in Ägypten, 6,9 in Jordanien. 89% der Bewohner der besetzten Gebiete haben Elektrizität und 85 % fließendes Wasser. Etwa 90 % der Palästinenser sind Besitzer ihres Hauses oder bewohnen es, ohne Miete zu zahlen. In der ersten Hälfte des Jahres 2000 wurde das gesamte tägliche Einkommen der 125 000 legalen Grenzgänger auf 3,4 Millionen Dollar geschätzt, d.h. fast 30 % des BIP der besetzten Gebiete.

1998 waren die palästinensischen Arbeitskräfte folgendermaßen aufgeteilt:

  • 21,7 % arbeiteten in Israel oder in den Siedlungen,
  • 16,4 % im öffentlichen Sektor (in Gaza beschäftigt der öffentliche Sektor zweimal mehr Lohnempfänger als im Westjordanland),
  • 12,1 % in der Landwirtschaft (von 1948 bis 1967 hat sich die Bevölkerung verdoppelt, während der Anteil derjenigen, die den Boden bearbeiten, sich von 70 auf 35 % halbiert hat; in den 80ern lag der Prozentsatz unter 10 %),
  • 15,9 %. arbeiteten in der Industrie
  • die Frauen machten weniger als 14 % der entlohnten Arbeitskraft aus.

 

Seither hatten beide Parteien den aktuellen Konflikt vorbereitet, wie die Erklärungen des damaligen palästinensischen Kommunikationsministers, Imad al-Falouji, gezeigt haben, sein Lager habe die neue Intifada seit Mitte 2000 vorbereitet. Die ersten Zusammenstöße fanden am 29. September auf dem Vorplatz der Felsendom-Moschee statt. Diesmal schoss die israelische Polizei mit scharfer Munition auf die palästinensischen Demonstranten, tötete sieben und verletzte mehr als 200.

Die PA rief sofort zu einem Protest-Generalstreik am folgenden Tag, dem 30. September, im Westjordanland und im Gazastreifen auf. Dieser Streik wurde in hohem Maße befolgt und es gab gewaltsame Zwischenfälle, die mit fünfzehn palästinensischen Toten endeten. Das Weitere ist bekannt: Die Straßenschlachten mit Steinwürfen wendeten sich schnell zum Vorteil der israelischen Armee; die Tausende von Polizisten, über welche die palästinensische Behörde verfügte, werden schnell verjagt; die Phase der blinden Attentate gegen die in Israel wohnende Bevölkerung beginnt, ohne die Ausweitung und Verewigung der Besetzung der in den Osloer Verträgen den Palästinensern zugestandenen Gebiete durch die israelische Armee zu verhindern.

Ende August [2002] hatten um die 1 700 Palästinenser ebenso wie 450 Einwohner Israels, 137 israelische Siedler und einige Dutzend Soldaten der israelischen Armee in diesem Konflikt ihr Leben verloren. Nach einer makabren Rechnung, die immer wieder von der israelischen Armee aktualisiert wurde, forderte die erste Intifada 1162 Opfer auf palästinensischer Seite gegenüber 174 Israelis, das entspricht einer Rate von 6,7 Palästinensern für jeden getöteten Israeli. In den ersten sechs Monaten der zweiten Intifada war dieses Verhältnis 5,1.

Aber seit dem Beginn der blinden Attentatswelle im März 2001 ist dieses Verhältnis deutlich »zugunsten« der Anhänger dieses abscheulichen Kampfmittels umgeschlagen: 1,7 verstorbene Palästinenser für jeden ermordeten Israeli. Dieser abscheulichen Taktik wurde durch eine der angesehensten imperialistischen Institutionen im Bereich der Militärtheorie, dem Londoner Internationalen Institut für Strategische Studien (IISS) Effizienz bescheinigt. »Die leicht zu organisierenden und schwer zu verhindernden Selbstmordattentate sind sehr effizient dabei gewesen, innerhalb der israelischen Bevölkerung Unsicherheit zu erzeugen und psychologischen Schaden herbeizuführen und damit ihre Moral empfindlich zu untergraben«, bemerkte das Institut in seinem Bericht 2002-2003 über die Streitkräfte der Welt.

Die blutige Sackgasse des Nationalismus

Bei den Palästinensern

Der dürftige Charakter des palästinensischen Nationalismus hat seinen Ursprung zu Beginn des letzten Jahrhunderts. Damit ein neuer souveräner bürgerlicher Staat entstehen kann, müssen die sozialen Kräfte, die dieses Projekt tragen, mit der internationalen Arbeitsteilung brechen, die ihnen durch die koloniale oder imperialistische Herrschaft auferlegt worden war. Sie müssen diese Arbeitsteilung modifizieren, damit ein wirklicher Binnenmarkt entstehen kann.

Die bisher von den einheimischen herrschenden Klassen unterhaltenen Abhängigkeitsverhältnisse, die sich in den Zwischenräumen der kolonialen oder imperialistischen Kette entwickelt haben, müssen notwendigerweise zugunsten des abhängigen Landes erweitert werden. Ansonsten würde es sich um kaum mehr als die Fortführung der Fremdherrschaft unter oberflächlich veränderten Bedingungen handeln.

Zusammengefaßt bedeutet das, dass eine nationale Befreiungsbewegung nicht nur gegen die herrschenden äußeren Kräfte kämpfen muss, sondern auch gegen die eigene herrschende Klasse, die von ersteren gemästet wird. Darüber hinaus ist es für diese Bewegungen angesichts des modernen Imperialismus - dessen Vorherrschaft sich vor allem durch ungleichen Tausch mit den beherrschten Ländern ausdrückt, der auf einer höheren gesellschaftlichen Arbeitsproduktivität basiert - von entscheidender Bedeutung, einen ausreichenden Teil der gesellschaftlichen Produktivkräfte zu repräsentieren und damit in der Lage zu sein, die Entwicklung eines Binnenmarktes voranzutreiben.

Die nationale Befreiung ist insofern nicht hauptsächlich eine militärische Angelegenheit (auch wenn diese Ebene nicht zu vernachlässigen ist), sondern eher eine Frage der Struktur der entstehenden wirtschaftlichen Formation. Das erklärt, warum die Kämpfe um nationale Befreiung, trotz der zahlreichen nationalistischen Ausbrüche in Ländern, die in der weltweiten Arbeitsteilung auf den hinteren Plätzen zu finden sind, insgesamt gescheitert sind, selbst da, wo sie zur Entstehung von juristisch unabhängigen Staaten geführt haben.

Diesbezüglich ist das Beispiel der palästinensischen nationalen Befreiungsbewegung sehr aufschlussreich. Nach vielen gescheiterten Versuchen, sich der Herrschaft des Osmanischen Reiches zu entledigen, das sein Ende mit dem Zusammenbruch zwischen 1919 und 1921 fand, schlossen sich die herrschenden arabischen Klassen in Palästina und die nationale Befreiungsbewegung unmittelbar dem neuen englischen Herrn an. Als Dank für diese uneingeschränkte Treue hat das Vereinigte Königreich seinen palästinensischen Unterstützern zu keinem Zeitpunkt etwas zugestanden. Dennoch haben diese zwischen 1921 und 1947 die britischen Besatzer mit zahlreichen rassistischen und antisemitischen Aktionen bei deren Projekt unterstützt, die Einwanderung von Juden und ihren Kampf für die Gründung einer »jüdischen Heimstätte in Palästina« zu unterdrücken. Als es zwischen Mai 1936 und April 1937 zu einem arabischen Aufstand kommt, der sich mehr gegen die Juden als gegen die Briten richtet, unterstützen die herrschenden palästinensischen Klassen diesen zaghaft. Die britischen Besatzer, Anhänger des Konzeptes »Teile und Herrsche«, rekrutieren daraufhin mehrere tausend Juden als Hilfskräfte ihrer Polizei.

Jeder praktische Einigungsversuch zwischen palästinensischen und jüdischen Arbeitern wie in der großen Ölraffinerie von Haifa 1946-47 wird von den offiziellen palästinensischen Repräsentanten, die im Dienste der Engländer stehen, bekämpft. In dieser Angelegenheit finden sie wertvolle Verbündete unter den Zionisten der Rechten und extremen Rechten. Die historische Möglichkeit eines gemeinsamen Kampfs der palästinensischen Massen und jüdischer 'Proletarier' [frz. 'sans réserves'], die vor den schrecklichen Verfolgungen geflohen sind, deren Opfer sie in Mittel- und Osteuropa ebenso waren wie in vielen arabischen Ländern, wird niemals wirklich ergriffen - mit den schrecklichen Folgen, die wir noch heute sehen.

Während der ersten Schlacht gegen die jüdischen Milizen 1948 zeigte die palästinensische Bewegung, die von Landbesitzer-Clans und mit den Briten verbündeten arabischen Händlern dominiert war, ihre ganze innere Schwäche: Ihre wesentliche militärische Kraft, die Armee von Abdallah, lavierte mit den zionistischen Gegnern herum, um im Gegenzug das Versprechen zu erhalten, in ihrem Hinterland Jordanien in Ruhe gelassen zu werden.

Die alten herrschenden palästinensischen Klassen werden endgültig in Mißkredit gebracht und vor allem auf ökonomischer Ebene von der siegreichen modernen jüdischen Bourgeoisie vertrieben. Ab 1960 werden sie zusehends von der Generation aus den Lagern und aus dem Exil ersetzt. Diese ist vor allem aus der verarmten kleinen und mittleren palästinensischen Bourgeoisie hervorgegangen, die vom neuen zionistischen Staat systematisch diskriminiert und verfolgt wurde. Die PLO wird zum zentralen politischen Ausdruck dieser verarmten, verfolgten und vom Staat Israel vertriebenen Mittelschichten.

Diese Schichten sind unfähig, ein irgendwie geartetes Programm der nationalen Befreiung zu entwerfen, das diesen Namen verdient, sie zielen mit der PLO und anderen Teilen der neuen palästinensischen Nationalbewegung einzig und allein auf die Eroberung eines Gebiets ab, wo sie ihre Polizei, ihre Justiz und ihre Klientel auf Kosten des palästinensischen Proletariats installieren können.

In vollständiger Fortführung der alten palästinensischen Nationalbewegung schließen die neuen Führer jedes Projekt der Vereinigung mit der Arbeiterklasse jüdischer Herkunft aus und knüpfen an einen althergebrachten, nur mühsam kaschierten Antisemitismus an. Im Gegenzug begünstigen sie die Arbeit für die Sowjetunion und vor allem für die verschiedenen arabischen Staaten in der Region.

Angefangen mit dem September 1970, als die PLO von Arafat die revoltierenden palästinensischen Proletarier von Irbid zugunsten von König Hussein im Stich lässt, über 1976 und 1982, jedes Mal ist der PLO die Anerkennung durch die Weltmächte wichtiger, als die kämpfenden Proletarier ['sans réserves'] zu unterstützen. Genau aufgrund dieser Politik stimmt die PLO den Osloer Verträgen zu, einschließlich der aufoktroyierten faulen Autonomie. Ein letztes Zeichen des guten Willens und der Folgsamkeit wird ihnen als Gegenleistung für ein kleines Gebiet abverlangt, wo sie sich austoben können: der offizielle Verzicht auf das Rückkehrrecht der Flüchtlinge aus dem Libanon, die ein zu großer Unruheherd sind.

Leider haben sich die palästinensischen ProletarierInnen ['sans réserves'] - wie so oft in vergleichbaren Situationen, wenn eine starke internationale proletarische Bewegung fehlt - zuerst dem PLO-Clan oder der Hamas angeschlossen (die Hamas war zunächst ein uneingestandener Partner Israels, solange es darum ging, der PLO das Wasser abzugraben), und dann der im Gazastreifen und im Westjordanland installierten PA. Die Hoffnungen der palästinensischen Proletarier und armen Landbevölkerung wurden sehr schnell enttäuscht. Die PA schwamm bald in Korruption, Vetternwirtschaft und Arroganz und lenkte die vielen Hilfszahlungen aus dem Ausland, v.a. aus den arabischen Ländern, der Europäischen Union, den Vereinigten Staaten und sogar von Israel, in die eigenen Taschen.

Um die 50 000 Aufsteiger - bei ca. drei Millionen Bewohnern der Gebiete - gehören den bewaffneten Einheiten der PA an (unter ihnen zahlreiche Kämpfer der ersten Intifada). Sie werden mit opulenten Mahlzeiten, mit Luxusgütern (Autos, etc.) und mit Wohnungen, die mit den miserablen Behausungen der großen Masse der Palästinenser in keinster Weise vergleichbar sind, entschädigt für ihren Beitrag zur Unterordnung und Unterdrückung der enterbten palästinensischen Massen - inmitten des riesigen Flüchtlingslagers namens Gazastreifen. Als einige von ihnen während der zweiten Intifada sich der Armee mit solch offensichtlicher Unfähigkeit entgegenstellten, kam der unnütze, schädliche und parasitäre Charakter der Milizen Arafats vollends an den Tag.

Es ist dieser Ekel vor dem Pseudo-Staat, zusammen mit der militärischen Stärke der israelischen Besatzer, der - jenseits von persönlicher Rache und der Verlockung des Geldes - im allgemeinen Kontext der Verzweiflung die hohe Zahl der Informanten der Besatzungsarmee begreiflich macht (auch in einem Lager mit großer kämpferischer Tradition wie Djenin).

Weiterhin einen eigenen Staat für die Palästinenser zu fordern mit der nichtssagenden Formel des »Rechts eines Volks auf Selbstbestimmung« verschleiert die Tatsache, dass sich - auch in den selbstverwalteten Gebieten - Klasseninteressen gegenüberstehen. Was nützt den palästinensischen Proletariern im Endeffekt ein Staat, der unfähig ist, Bedingungen zu schaffen, unter denen die Bevölkerung würdevoller überleben kann, der nicht mal in der Lage ist, die Zerstörung von Häusern durch die israelische Armee und das Abstellen von Wasser und Strom zu verhindern, der seinen Bürgern keinerlei Bewegungsfreiheit und die Möglichkeit in Israel zu arbeiten garantiert? Die Besatzung erklärt nicht alles. Das schwerste Vergehen der PA ist, dass sie die Illusion nährt, ein palästinensischer Staat im Rahmen der Übereinkünfte von Oslo sei überlebensfähig und könnte das Los der entrechteten Massen verbessern.

Es gibt wenig Grund für die Annahme, ein Ersatzstaat stelle einen größeren militärischen Schutz gegenüber der israelischen Aggression dar. Während der ersten Intifada, als der Staat Arafats noch nicht existierte und von daher die Grenzen noch nicht genau definiert waren, brachten riesige Streiks mit bis zu 60 000 palästinensischen Arbeitern israelische Baustellen und die israelische Landwirtschaft zum Erliegen. Die Produktion einiger ziviler Industrieunternehmen war ebenfalls betroffen. Im ersten Jahr der Intifada gab es einen Exportausfall von 650 Millionen Dollar. Weder der bewaffnete Kampf, noch Zugeständnisse an die imperialistischen Mächte können die Waffe des Klassenkampfs ersetzen.

Bei den Israelis

Der israelische Staat ist widersprüchlich. Einerseits ist es ein weit entwickeltes demokratisches und parlamentarisches Regime. Ein arabischer Deputierter kann in der Knesset auf arabisch die Selbstmordattentate unterstützen. Kleine Parteien können Regierungen zu Fall bringen. Die freie Meinungsäußerung, auch von Positionen, die von der Regierungspolitik der ethnischen Säuberungen abweichen, ist weitgehend garantiert. Wer desertiert, kann entlassen und in den Knast gesteckt werden, aber er wird (noch?) nicht getötet oder systematisch gefoltert. Andererseits schließt der israelische Staat die Vertreter einer großen Minderheit seiner Staatsbürger - der israelischen Araber und der Drusen - aus den Entscheidungszentren aus und organisiert die räumliche Abtrennung der Palästinenser.

Der dauerhafte Kriegszustand kommt auch in der Gewöhnung der herrschenden Klassen an das gewaltförmige Austragen von Konflikten zum Ausdruck (vgl. die Hinrichtung von Rabin 1995 oder das Feuergefecht zwischen Delegierten auf dem letzten Likud-Kongress). Die verschiedenen Fraktionen der herrschenden Klasse haben nie gezögert, außerhalb des institutionellen Rahmens zu agieren, um etwas zu erreichen, man denke nur an den »Spaziergang« Sharons zur Moschee von Jerusalem, der die zweite Intifada ausgelöst hat.

Das »normale« Funktionieren der modernen bürgerlichen Demokratie ist letztlich durch bestimmte soziale und politische Grundlagen des israelischen Staats, die Religiösen und die Siedler, eingeschränkt. Es gibt ungefähr 221 000 Tora-Studenten. Mit ihren vielköpfigen Familien (die Geburtenrate der Religiösen entspricht der der armen Palästinenser, sieben Kinder pro Haushalt) repräsentiert die »Welt« der Religionsschulen fast eine Million Israelis. Abgesehen davon, dass sie eine wichtige ideologische und soziale Stütze der rassistischen und religiösen Diskriminierung gegenüber den Palästinensern im Inneren wie nach außen sind, verursachen sie enorme Kosten, da die Mehrzahl von ihnen sich ebenso weigert zu arbeiten, wie zur Armee zu gehen.

Um die 380 000 Siedler (207 000 im Westjordanland, 7 000 in Gaza, der Rest in Ost-Jerusalem) sind in vielerlei Hinsicht in derselben Situation. Ihre unersetzliche Rolle bei der sozialen und militärischen Kontrolle der besetzten Gebiete ist allzu offensichtlich. Sie sind ein wirklicher Stachel im Fleisch der Palästinenser und dauerhafter Konfliktherd zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen, sie besetzen 42 % des Westjordanlands. Andererseits stellen sie ein Haupthindernis bei der Errichtung einer ausreichend geschlossenen Grenze zwischen den Autonomiegebieten und Israel dar, und ihre Verteidigung verursacht mit die größten militärischen Kosten für den Staat. Die Siedlungsprojekte sind zusehends schwieriger zu handhaben, da - vor allem im Großraum Jerusalem - die neuen Siedler kaum bereit dazu sind, ihre repressive Aufgabe wahrzunehmen und sich stattdessen vor allem für die Privilegien interessieren, die an ihre Bedingungen geknüpft sind (1 000 bis 2 000 Dollar finanzielle Unterstützung pro Jahr pro Siedler, Wohnhilfen, verbilligte öffentliche Dienstleistungen, Arbeitsbeschaffungsprogramme etc.). Eine Umfrage der pazifistischen israelischen Gruppe »Frieden jetzt« brachte zutage, dass nur 6 % der Siedler sich weigern würden, ihr Grundstück zu verlassen und nur 2 % bereit wären, Gewalt anzuwenden. Im Gegenzug betrachten 59 % der Befragten einen finanziellen Ausgleich als die beste Lösung.

In Zukunft wird die Lösung dieser Fragen für die herrschenden Klassen Israels mit Sicherheit schwieriger werden als die - bisher im wesentlichen militärische und diplomatische - der Autonomiegebiete unter Verwaltung der Palästinenser. Es ist allzu offensichtlich, dass der Einfluss der Religiösen und der Siedler auf die Wirtschaft, auf die Armee (heutzutage sind fast die Hälfte der mittleren Offiziere religiöse Juden), das politische Leben und die herrschende israelische Ideologie mit der der Palästinenser nicht vergleichbar ist.

Die israelischen Regierenden - größtenteils selbst Ausdruck und Ergebnis des endlosen sozialen und Bürger-Kriegs mit den Palästinensern - schwanken ständig hin und her. Die Möglichkeit, »die palästinensische Frage friedlich zu lösen«, die die sozialen und politischen Stützen des Staats ebenso beschäftigt wie die wirtschaftlichen Kreise des Landes, wird fortwährend durch den Willen, den Status quo aufrecht zu erhalten, untergraben. Die großen Risiken einer Destabilisierung der Grundlagen Israels in Verbindung mit einer grundsätzlichen Neustrukturierung der Zivilgesellschaft des Landes stellen heute das wesentliche Hindernis bei einer Verhandlungslösung mit der PA dar.

Die Selbstmordattentate, die Forderungen der PLO nach einem Rückkehrrecht für die Flüchtlinge und nach einem Zipfel von Jerusalem spielen in diesem Kontext die Rolle eines Vorwands - auch wenn sie nicht zu vernachlässigen sind -, um an der Situation nichts zu ändern. Sie sind jedenfalls nicht der eigentliche Grund.

Angesichts der Krise stellt die Kampfbereitschaft eines bedeutenden Teils der israelischen Arbeiterklasse (140 000 Staats- und Verwaltungsangestellte im Streik für mehr Lohn seit Mitte Oktober) - und das trotz des enormen Drucks zur nationalen Einheit angesichts der terroristischen antiproletarischen Massaker in Israel - eine weitere bedeutende Komplikation für die israelische Bourgeoisie dar. Leider können die palästinensischen Arbeiter nicht mehr ihren Teil zum Klassenkampf in Israel beitragen, da sie größtenteils inzwischen ohne Arbeit sind und abgeschoben in die Autonomiegebiete. Eine räumliche Abtrennung, die durch die Errichtung einer dichten Trennmauer zwischen Israel und den Autonomiegebieten noch verstärkt wurde.

Die Arbeiter im Zangengriff zweier Schreckensherrschaften

Vorweg wollen wir klarstellen, dass wir jegliche bürgerliche Lösung des sozialen und Bürger-Kriegs in Palästina grundsätzlich ablehnen. Das schließt sowohl die Schaffung eines binationalen Staats (was angesichts der tiefen Spaltung zwischen den Bevölkerungsgruppen ziemlich unwahrscheinlich ist) als auch die Zwei-Staaten-Lösung (die wahrscheinlichere Variante) ein. Nichtsdestotrotz sollte man angesichts des Fehlens einer vereinigten proletarischen Bewegung nicht verhehlen, dass ein Ende der Feindseligkeiten dem Entstehen - als nächster Schritt - eines entschiedeneren Klassenkampfs in beiden Lagern förderlich wäre.

In diesem Sinne kann ein Ende der Kämpfe in ihrer Form, ihrer Organisation und in ihren aktuellen Zielen als für die proletarische Sache vorteilhaft betrachtet werden. Aus diesem Grund sollten Revolutionäre jegliche Desertion und Defätismus in beiden Lagern unterstützen, ohne dabei auf die notwendige Kritik der pazifistischen und demokratischen Illusionen zu verzichten, die unweigerlich damit einhergehen.

Der Widerstand gegen die Besatzung und räumliche Abtrennung durch Israel stellt aktuell das zweite Element einer proletarischen Politik in der Region dar. Aber dieser Widerstand sollte nicht wie bisher geführt werden. Er sollte die Anti-Kriegs-Aktionen der israelischen Opposition, der israelischen Araber und der Palästinenser in den Lagern in Forderungen und Kampfformen bündeln, die so weit wie möglich von allen geteilt werden. Die blinden Terroranschläge stellen heute das Haupthindernis bei der Ausweitung der Kampffront aufs ganze Land dar. Die Unterdrückung jeglicher Opposition gegen den Krieg in Israel wird vor allem durch diese schrecklichen anti-proletarischen Attacken legitimiert.

Aber all das bleibt nur eine Linderung der Probleme, wenn die Proletarier beider Lager nicht zusammen den Weg des Klassenkampfs finden. Erst wenn die ausgebeuteten Palästinenser die Nationalisten und Religiösen jeder Seite wirklich verjagt haben, die im Namen ihrer jeweiligen herrschenden Klasse handeln, und wenn ihre israelischen Klassenbrüder es genauso gemacht haben, erst dann werden Krieg, Diskriminierung und Ausbeutung zurückgedrängt werden können. Eine solche Hypothese klingt aktuell wie ein frommer Wunsch. Aber sie ist der einzige realistische Ausweg aus dem endlosen Zusammenstoß zweier Bevölkerungsgruppen, dessen Fortdauer nichts anderem dient als der Machterhaltung der Herrschenden auf beiden Seiten.

Im historischen Rückblick gab es auch Versuche zur politischen Einigung der Proletarier beider Lager. In den 70er Jahren begehrten die Schwarzen Panther (eine Bewegung junger sephardischer Juden) gegen den israelischen Staat auf, indem sie ihren palästinensischen Brüdern die Hand reichten. 1982 trugen mehr als 300 000 israelische Pazifisten ihre Wut gegen die Massaker von Sabra und Schatila auf die Straße, die von der christlichen Phalange unter dem Schutze Sharons verübt worden waren. Auch in diesem Jahr sind mehrere hundert israelische Soldaten und Reserve-Offiziere desertiert und haben sich geweigert, »Befriedungs«-Aktionen gegen palästinensische Zivilisten durchzuführen. Außerhalb dieser Entwicklungen gibt es für die Ausgebeuteten der Region, wer sie auch sein mögen, nichts als Blut und Artilleriebeschuss.

Brüssel-Paris, 9.11.2002


Siehe auch:

Hintergründe der Intifada im 21. Jahrhundert (Aufheben), Beilage zum Wildcat-Zirkular Nr. 62

Der Zionismus, Mißgeburt der Arbeiterbewegung (aus Le Brice-Glace, Frühjahr 1989), Thekla 14


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