wildcat.zirkular

31.01.2014

aus: Zirkular 1, Februar 1994

Lu,18.2.94

Die Aktion vorm Ludwigshafener Arbeitsamt am Freitag, 11.2.94:

Initiator war ein ehemaliger Genosse, zu dem wir immer noch Kontakt haben. Er hatte aus der Lokalzeitung von der Tagung im Arbeitsamt (Arbeitsmarktpolitik und zweiter Arbeitsmarkt) erfahren und in der Szene mobilisiert (über persönliche Kontakte). Auf dem Treffen, bei dem die Aktion verabredet wurde, waren 8 Leute (davon 3 WCs). Man einigte sich auf Folgendes:

Flugblatt (im Anhang) – wurde in der Woche vor der Tagung an drei Tagen vorm Arbeitsamt verteilt (pro Tag 200-300 Stück in jeweils 2 Stunden). Beim Verteilen gabs keine besonderen Vorkommnisse, ich bin nur mit zwei Leuten in die Diskussion gekommen, beide fandens gut, einer versprach zur Kundgebung zu kommen, kam dann aber doch nicht.

Kundgebung – Nachdem das Flugblatt zwei Tage lang verteilt worden war, tauchte ein Typ vom Ordnungsamt bei unserem V.i.S.d.P. auf, und wies darauf hin, daß eine Versammlung angemeldet werden muß. Wir haben dann eine Kundgebung angemeldet, um uns Scherereien zu ersparen. Am Tag der Aktion waren fast mehr Bullen da als Demonstranten, auch im Foyer des Arbeitsamtes, wohl um uns am Eindringen zu hindern.

Wir haben unser Transparent entrollt: "Wohlstand für alle – Bosse ans Band aber zack" und haben über Mega durchgesagt, daß in 5 Minuten die Kundgebung losgeht. Ich hab die Rede (im Anhang) gehalten und zwanzig Minuten später nochmal. Es wurden Flugblätter verteilt, ein paar Leute sind stehengeblieben und haben zugehört. Die Kundgebung wurde offiziell beendet, jetzt hätten wir ins Arbeitsamt einsickern können, um dort was zu machen. Haben wir aber nicht, sondern die Aktivisten (plus einer interessierten Passantin) sind zusammen Kaffeetrinken gegangen. Die Stimmung unter uns war gar nicht so schlecht, obwohl die Aktion objektiv gesehen ein Kalter war. Jedenfalls ist niemand entmutigt, sondern weitere Einmischungen in die Wirklichkeit werden ins Auge gefaßt.

S.

Anhang:

Flugblatt

Am kommenden Freitag, den 11. Feb., um 10 Uhr treffen sich im Ludwigshafener Arbeitsamt Politiker aus der Region zu einer Arbeitsmarktkonferenz. Eingeladen haben als Verwalter der Ware Arbeitskraft der Direktor des Arbeitsamtes und der DGB-Kreisvorsitzende. Thema der Tagung: Neue Wege aus der Arbeitslosigkeit und zweiter Arbeitsmarkt. Wir als Betroffene nehmen dies zum Anlaß, uns zum selben Zeitpunkt vor dem Arbeitsamt zu treffen. Unser Motto:

Arbeitslos – jetzt geht's los!

Anfang des Jahres bekamen die Empfänger von Arbeitslosenunterstützung unerfreuliche Post vom Arbeitsamt: In Zukunft gibt es viel weniger Geld. Obwohl alles teurer wird. Kein Wunder, daß es haufenweise Einsprüche gegen diese Bescheide gibt. Auch andere Bestimmungen wurden geändert: Z. B. gibt es jetzt 12 Wochen Sperrzeit, wenn man eine zumutbare Arbeit ablehnt, Schlechtwettergeld gibt es nur noch von Dezember bis Februar, Arbeitslosenhil­fe, die nicht im Anschluß an Arbeitslosengeld bezahlt wird, nur noch ein Jahr lang ...

Diese Verschlechterungen konnten fast ohne Widerstand durchgesetzt werden. Deshalb diskutieren die Herren der Arbeit weitere Maßnahmen: Der sogenannte zweite Arbeitsmarkt soll ausgeweitet werden. Darunter versteht man Arbeitsplätze, die vom Staat subventioniert werden, um Arbeit statt Arbeitslosigkeit zu bezahlen. Die Bandbreite dieser Jobs reicht von Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger bis zu tariflich bezahlten ABM-Stellen.

Seit Anfang der achtziger Jahre ist die Arbeitslosenquote hoch. Damit haben sich auch die Ansichten über Arbeits­losigkeit geändert. Arbeitslosigkeit gilt seitdem nicht mehr als "Faulenzerei", "Schande" oder "menschliches Drama". Viele Arbeitslose stellten fest, daß die Pause von täglicher achtstündiger Arbeitsqual nicht so schlimm war, wie es immer dargestellt wurde, und ließen sich deshalb auch nicht jeden beliebigen Scheißjob zumuten. Deswegen konnte die hohe Arbeitslosigkeit auch nicht benutzt werden, die Arbeitenden zu erpressen, z.B. um die Löhne zu senken. Gleichzeitig sagten immer weniger Beschäftigte von sich, daß sie gerne arbeiteten. Was natürlich auch was damit zu tun hat, daß die Arbeit immer stressiger wurde.

Die Herren der Arbeit haben das Verhalten der Arbeitslosen als "Ausruhen in der sozialen Hängematte" bezeichnet. Sie haben viele Ideen, wie die Arbeitslosen zur Arbeit genötigt werden können: häufigere Vorladungen zum Arbeits­amt, niedrigere Arbeitslosenunterstützung, Verschärfung der Zumutbarkeitsregelung, Zwangsarbeit für alle Sozial­hilfeempfänger, etc. Die neueste Idee ist, Bezieher von Arbeitslosenhilfe als Saisonarbeiter zu vermitteln. Wenn sie sich weigern, sollen sie Sperrzeit kriegen. Weil der Lohn in der Landwirtschaft viel niedriger ist als die Arbeits­losenhilfe, soll der Staat 25 DM/Tag zuschießen.

Die grundsätzliche Bereitschaft zur Arbeit läßt sich nicht mit Zwang steigern. Die Betroffenen reagieren mit Lang­samarbeiten, Krankfeiern, Verweigerung. Alle Erfahrungen zeigen, daß Zwangsarbeit unproduktiv ist. Aber die Maßnahmen und vor allem die damit verbundene öffentliche Diskussion sollen den Druck auf ALLE erhöhen. Nicht-Arbeit soll wieder zum Makel werden. Damit wird es leichter, Arbeitende und Arbeitslose gegeneinander auszuspielen.

Dagegen können wir uns wehren. Wenn wir das zulassen, gibt es nach unten keine Grenze mehr. Sich als Arbeits­loser zu wehren, scheint jedoch schwierig. Beim Arbeitsamtbesuch trifft man immer wieder andere Leute. Und das Warten drückt die Stimmung. Man wird aggressiv, und die Wut auf die Verhältnisse steigt. Doch die Verantwortli­chen dieser Mißstände sind nicht da. Gerade jetzt gilt es Ruhe zu bewahren und diese Wut bei den Richtigen ab­zulassen. Dazu ist es notwendig, sich zusammen zu tun.

(Hier folgt noch mal ein Aufruf zu dem Treffen am Tag der Tagung. Layout-Material waren seltsame Stellenange­bote für Nacktputzen, Dressman, oder "Prospektverteiler gesucht".)

Rede:

Ich heiße Susanne Baumgärtel und bin seit fast einem Jahr arbeitslos. Seit Januar bekomme ich über 80 Mark im Monat weniger als vorher. Das war keineswegs überraschend, die Kürzungen waren ja lange genug bekannt.

Ich hab mich trotzdem geärgert, vor allem, weil ich, mir das hab gefallen lassen, ohne mich zu wehren, genauso wie die meisten anderen auch. Die ganzen Einsprüche, die es jetzt gegen die Änderungsbescheide hagelt, kommen wohl zu spät.

Bei der Tagung da drinnen wird über den nächsten Angriff auf unseren Lebensstandard diskutiert. Die Politiker, die sich im Arbeitsamt treffen, beraten den sogenannten Zweiten Arbeitsmarkt. Damit meinen sie Jobs, für die der Staat Geld zuschießt, um Arbeit statt Nicht-Arbeit zu finanzieren. Das gab es bisher auch schon, z.B. ABM-Maßnahmen oder Aufwandsentschädigung bei Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger. Jetzt soll dieser Zweite Arbeitsmarkt ausgedehnt werden. Gab es bisher für einen ABM-Job noch Tariflohn, so ist das in der ehemaligen DDR schon nicht mehr so. Da gibt es nur noch maximal 90% des Tariflohns. Wohlgemerkt: Mit Billigung verschiedener Ge­werkschaften.

In Zukunft soll jeder Sozialhilfeempfänger, dem das nur irgendwie zuzumuten ist, zur Arbeit herangezogen werden. Gegen eine Aufwandsentschädigung von 2 bis 3 Mark pro Stunde. Dieser Arbeitszwang gilt auch für Flüchtlinge, die als Asylbewerber hier sind. Ihnen wurde die Sozialhilfe gleich ganz gestrichen. Statt dessen bekommen sie Kost und Logis gestellt. Das heißt: Kasernierung in Sammellagern und Verpflegung durch Essenspakete. Außerdem gibts 80 Mark im Monat, wovon dann alles andere, was der Mensch so braucht, bezahlt werden muß. An einigen Orten haben die Flüchtlinge sich das nicht so einfach gefallen lassen, sondern Aktionen dagegen organisiert. In Freiburg beispielsweise. Bravo, das kann man nur unterstützen!

Kann man die Arbeit in Knästen und Klapsmühlen als Beispiele für den Zweiten Arbeitsmarkt nennen, oder ist das schon der dritte Arbeitsmarkt? Und dem wievielten Arbeitsmarkt gehören die Polnischen Erntearbeiter an, die die pure Not zwingt, hier wochenlang in ihrem Auto zu übernachten?

Und von solchen schlechtbezahlten Scheißjobs soll es bald noch viel mehr geben. Klar, das dabei kein einziger Arbeitsplatz geschaffen wird. Die zwangsarbeitenden Soziempfänger dienen nur zum Stellenabbau beim Grünflä­chenamt und anderswo. Und vielleicht werden demnächst Arbeitslose zur Saisonarbeit in der Landwirtschaft ver­pflichtet. Dort gibts Löhne von 6 bis 8 Mark in der Stunde. Dazu solls dann noch ein paar mark vom Staat geben. Und die Grenzen für das, was einem zugemutet werden kann an Lohn und Arbeitsbedingungen ist nach unten offen. Es gibt in der BRD keinen Mindestlohn. Die einzige Grenze nach unten ist die, die wir durch unseren Widerstand setzen.

Daß wir den zweiten Arbeitsmarkt ablehnen, bedeutet nicht, daß wir so große Fans des ersten Arbeitsmarktes sind. Den Leuten, die noch einen festen Arbeitsplatz haben, wird auch immer mehr angetan: höhere Steuern, fallende Löhne, Arbeitshetze, Flexibilisierung, Druck. Und auch dort gibt es immer nur die Grenzen, die die Betroffenen selber setzen. Und auch dort lassen sie sich viel zu viel gefallen.

Es ist an der Zeit, sich zu wehren, es ist immer Zeit sich zu wehren, aber es ist keine Zeit zu warten, bis dies andere für einen tun, Gewerkschaften oder Politiker beispielweise. Auch Wahlen ändern nix!

Die Kundgebung heute haben z.B. nur wenige Leute vorbereitet. Nutzt sie, um zu bereden, was ihr weiter machen wollt. Redet miteinander, unterstützt euch gegenseitig und laßt euch auch als Einzelne nichts gefallen. Der Reichtum dieser Gesellschaft ist groß genug, als daß alle davon gut leben können. Ob sie jetzt arbeiten oder nicht. Ob sie arbeiten können oder nicht. Ob sie arbeiten wollen oder nicht.

Setzen wir uns dafür ein, daß der Fluß des Reichtums nicht mehr von uns weg zu den Geldsäcken geht, sondern umgekehrt. Holen wir uns daß zurück, was sie uns unter dem Vorwand der Krise weggenommen haben, und noch mehr dazu!

Machen wir unsere Parole wahr:

Nicht immer mehr Arbeit und Armut, sondern Wohlstand für alle!
 
 
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