wildcat.zirkular

31.01.2014

aus: Zirkular 1, Februar 1994

Entwicklung mit ­anderen Mitteln – Der Krieg in Somalia

aus: Wildcat (London) 1/1994

Die Niederlage, die das heroische Proletariat von Somalia den Todesschwadronen der Neuen Weltordnung beige­bracht hat, hat gezeigt, daß Warlord Clinton seine Revolverhelden nicht dort hin geschickt hat, um den Hungernden etwas zu essen zu geben, sondern um die proletarische Bevölkerung zu terrorisieren. Und zwar nicht, weil unerschrockene Journalisten die Kriegsziele der UNO enthüllt haben, sondern weil un­erschrockene Proleten Journalisten getötet haben.

Wir verfügen nicht über die Mittel, um direkt zu wissen, was los ist, aber die Revolte des Proletariats war mächtig genug, um Spuren in den bürgerlichen Medien in Form von Ereignissen zu hinterlassen, die sich einfach nicht erklären ließen, wenn der einzige Widerstand gegen die UNO von Armeen auf Clan-Basis und ihren Unter­stützern ausginge. Die Medien konnten nicht leugnen, daß an vielen Zusammenstößen zwischen UNO-Truppen und Somalis nicht die Soldaten General Aidids, sondern unbewaffnete Zivilisten beteiligt waren. Bei mehreren Gelegenhei­ten haben Bewoh­ner der Mogadischuer Arbeitervierteln Barrika­den gebaut und selbst Aidids Milizionäre nicht durchgelassen. Die Medien tun oft so, als gebe es nur blinde nationalistische oder sogar rassistische Wut gegen Ausländer − und gehen an der Tatsache vorbei, daß fast alle Ausländer in Somalia Journalisten, Soldaten oder andere direkte Teilnehmer der UNO-Kriegs­führung sind.

Zur größten Scheiße, die die Medien verzapfen, gehört die über den »Warlord« Ge­neral Mohammed Farah Aidid. Im Juni 1993 gab es eine UNO-Offensive, an­geb­lich als Reaktion auf den Tod von 24 pakistanischen UNO-Soldaten, die Aidids Ra­dio­sender hatten schließen sollen. Dabei wurden zahlreiche Gebäude in ganz Mo­ga­di­schu angegriffen. Als Ziel wurde angegeben, Aidid gefangenzunehmen und in für den Tod der Soldaten vor Gericht zu stellen. Das eigentli­che Ziel war klar − die Un­terstützung für Aidid so zu stärken wie die Unterstützung für Saddam durch die US-Bombenangriffe auf Bagdad. Zunächst begrüßte Aidid die amerikani­schen Invasoren, aber dann sah er, wie verhaßt sie waren, machte sich zum Vorkäm­pfer des Antiimperialismus und ließ Anti-UNO-Propaganda über seinen Ra­diosen­der laufen. Dadurch konnte er sein Ansehen beim Proletariat entscheidend ver­bessern.

Noch ein Krieg um Öl?

Die wirtschaftlichen und strategischen Gründe für die US/UN-Intervention in Somalia sind einigermaßen klar. Somalia hat riesige Ölreserven. Vier große ame­rikanische Ölgesellschaften (Conoco, Amoco, Chevron und Phillips) haben direkt vor Präsident Siad Barres Sturz 1991 Probebohrungsrechte für fast zwei Drittel der Fläche Somali­as erworben. Die Weltbank hat Somalia hinsichtlich der Erdölvorkommen als eins der vielversprechendsten Länder in Afrika eingestuft. Noch gibt es dort keine bedeutende Ölindustrie oder ein ölproduzierendes Proletariat, aber das wird in einigen Jahren mit großer Sicherheit anders sein. Die Schaf­fung sozialen Friedens durch Terror könnte sich für die Bourgeoisie durchaus auszahlen (ganz direkt für die Konzerne, die in Erdöl investieren). Die geographi­sche Lage des Landes ist auch wichtig, denn von hier aus lassen sich die Tankerrouten zum Roten Meer und zum Golf kontrollieren. Aber solche Gründe werden leicht überbewertet. Das Kapital hat auf der ganzen Welt strategi­sche Interessen − warum soll in dieser speziellen kleinen Ecke der Welt so ein riesiges militärisches Aufgebot nötig sein?

Hauptsächlich, weil die US-Regierung dachte, sie könnte ohne großen Aufwand siegen, eine somalische Re­gierung ihrer Wahl einsetzen und damit die nationale Einheit Amerikas nach den schweren Schlägen durch die Aufstände von Mai 1992 wieder reparieren. Gleichzeitig ließ sich das Image der UNO verbessern. Alle lieben Hungerhilfe-Organisationen­; was gibt es also Besseres, als zu zeigen, wie die UNO-Truppen sie beschützen? Man konnte ein paar tausend US-Soldaten in Somalia stationieren, um Aufstandsbekämp­fung zu üben. Somalia sollte für die USA mit anderen Worten dieselbe militärische Ausbildungsfunktion über­nehmen wie Nordirland für Britannien. Die US Army wird zur Zeit zu einer Streitkraft reorganisiert, die tatsächlich langfrisitg Territo­rien besetzen und dort Polizeiaufgaben übernehmen kann − und nicht nur alles kaputtbomben und sich aus dem Staub machen. Anders als britische Soldaten haben die meisten amerikani­schen Soldaten keine Ahnung von Bullenarbeit. Das ändert sich aber gerade.

Im Army-Ausbildungslager Fort Chafee in Arkansas durchlaufen jährlich 50 000 Sol­daten eine Sonderaus­bildung, bei der es um ein künstliches Land namens »Cor­tina« geht. Dort gibt es eine Guerillaarmee (die von einem US-Infanterie­battallion gespielt wird) und Polizei, Armee und Zivilbehörden, die von einer Verteidigungsberatungs­firma namens BDM International gestellt werden. Den Soldaten wird beigebracht, wie man mit den lokalen Behörden zusammen­arbeitet, welche Verdächtigen man laufen läßt und welche man gefangen hält. Sie werden ideologisch ausreichend darauf vorbereitet, Massaker durchzuführen − wütende Demonstrationen von Dorfbewoh­nernn schützen oft Guerillas. Nichts davon bereitete sie aber auf den Horror vor, den sie in Somalia erleben sollten.

Die US-Bourgeoisie muß gedacht haben, das somalische Proletariat sei nach jahrelan­gem Krieg so am Boden, daß es den US/UN-Invasoren keinen Widerstand ent­gegensetzen oder sie vielleicht sogar als Befreier willkommen heißen würde. Da täuschten sie sich.

Übergriffe

Die Übergriffe der UNO-Truppen sind etwas, was die Medien nicht einmal zu ver­stecken versuchen. Am 13. Juni kamen mindestens 14 Somalis ums Leben, als UNO-Truppen aus Pakistan mit einem schweren Maschinenge­wehr direkt in eine Men­schenmenge schossen, die gegen die amerikanischen Bombenangriffe auf Bezirke von Mogadischu (angebliche Waffenlager von General Aidid) pro­te­stierte. Die Worte, mit denen der Kommandant der pakistani­schen Truppen die Schüsse rechtfertigte, erinnerten fatal an die der britischen Militär­kommandanten nach dem Bloody Sunday in Nordirland und an die nach verschiedenen Massakern in Viet­nam. Er sagte, somalische »Revolver­helden« benutzten zivile Menschen­men­gen rou­ti­nemäßig als menschliche Schutzschilde. Bei keinem der Toten wurden ir­gend­wel­che Waffen gefunden. Der Leiter der UNO-Einsatzes zur Friedensbewahrung, Kofi Annan, sagte, der Vorfall zeige, daß die UNO-Streitkräfte besser mit Trä­nen­gas und anderen Aufstandsbekämpfungswaffen ausgerüstet werden müßten. Bei an­de­ren Gelegenheiten haben amerikanische Hubschrauber Artilleriege­schosse auf Kran­ken­häuser und sogar auf die Büros ihrer geliebten Hilfsorganisationen ab­ge­feuert.

Schon gleich bei ihrer Ankunft machten die UNO-Soldaten deutlich, daß sie als Bullen agieren sollten. Als die US-Marines in Mogadischu eintrafen, trafen sie auf überhaupt keinen Widerstand, und die ersten Gewalttätigkeiten, an denen sie beteiligt waren, gingen von ihnen aus: Sie schlugen einige unbewaffnete Somalis zusammen, die in einem Hangar am Flughafen schliefen! Eine Welle von brutalen »Durchsuchun­gen nach Waffen« folgte. Manchmal gingen die Jungs sogar ein bißchen zu weit für die Toleranz ihrer Herren. Im März wurde ein somalischer Zivilist totge­schlagen, der im kanadischen UNO-Stützpunkt in Belet Huen festgehalten wurde. Vier Fallschirmjäger bekamen ein Verfahren wegen Folter und Totschlag − das erste Mal, daß irgendeinem kanadischen Soldaten wegen eines UNO-Einsatzes solche Vorwürfe ge­macht wurden.

Die meisten dieser Übergriffe sind aber eine direkte Reaktion auf die Militanz der Ar­beiterklasse. Am 24. Februar gab es weitverbreitete Riots gegen die UNO. Tau­sende von unbewaffneten Somalis − laut Presse »Unter­stützer von General Aidid« − kämpften gegen UNO-Truppen, griffen die US-Botschaft mit Messern und Stei­nen an und riefen antiamerikanische Parolen. Auf sie wurde aus amerikanischen Co­bra-Hub­schrau­bern mit Maschinengewehren geschos­sen. Die UNO hat nie zugegeben, wie viele sie umgebracht hat. Auch die französischen Botschaft wurde ange­griffen. Am 9. September wurden neun pakistanische UNO-Soldaten von einem Mob von hunderten somalischer Männer, Frauen und Kinder angegriffen. Etwa hundert von ihnen wurden getötet, als UNO-Hubschrauber das Feuer eröffneten.

Geräuchertes Schweinefleisch...

Bei einer Auseinandersetzung am 3. Oktober, die im Bakara-Markt in Mogadischu anfing, wurden minde­stens 500 Somalis getötet. Zwei US-Hubschrauber stürzten ab. Wenn man bedenkt, wie wichtig die Hub­schrauberpiloten bei der Durchführung von Massakern sind, überrascht es kaum, daß die verkohlten Körper einiger dieser Schweine von einer jubelnden Menschenmenge durch die Straßen von Mogadischu geschleift wurden. Einen weiteren schützten Aidids Männer vor dem berechtigten Zorn der Proleten und beschworen damit das Gespenst einer »Geiselkrise« für die US-Regierung herauf. Was die örtliche Bevölke­rung dachte, illustriert sehr schön das folgende Zitat aus dem Guardian (5. Oktober 1993):

»Im Hubschrauber waren sechs Amerikaner. Ich sah, daß er getroffen war, und dann stürzte er auf sechs Kinder her­unter, die gerade aus der Koranschule kamen«, sagte Hassan Issa Ahmend, dessen Haus sich fünf Meter neben der Absturzstelle befand. »Die Amerikaner verteidigten sich, indem sie nach allen Seiten das Feuer eröffneten. Daher gingen die Leute in ihre Häuser, um ihre Gewehre zu holen. Wir haben drei der Amerikaner getötet, und einer ist weggelau­fen

Bei anderen Gelegenheiten wurden UNO-Soldaten bei Essensausgabezentren in Menschenmengen hin­eingezogen und zerstückelt. Und nicht nur mit den Soldaten wird brutal umgegangen. Beim Eintreffen der Amerikaner im Dezember 1992 waren etwa 600 Journalisten dabei, darunter über 100 Fotografen und Kameraleute. Jetzt gibt es nur noch acht westliche Korrespondenten. Die Fernsehbilder der letzten Zeit wurden mit einer Minivideokamera gemacht, die man dem somalischen Fahrer des Reuter-Teams in die Hand gedrückt hatte. Dieser massenhafte Rückzug der Medien erfolgte nach dem Tod von drei Reuters- und einem AP-Journalisten, die alle vorsätzlich von wütenden Mobs getötet wurden. Im Juli 1993 wurden drei Fotografen und ein Tonmann getötet, nachdem amerikanische Hubschrauber eine angebliche »Kom­mando- und Kontrollbasis« General Aidids in einem Gebiet voller Zivilisten mit Raketen beschossen und dabei mindestens 30 Menschen getötet hatten. Nach Aussagen von Scott Peterson (Daily Telegraph, 13. Juli 1993), eines Journalisten, der gerade noch mal mit dem Leben davon kam, standen die Übergriffe <hacks> damals unter dem Schutz von Aidids Männern. Ein anderes überlebendes Journalistenschwein, Mohamed Shaffi von Reuters, beschrieb, wie er, um zu fliehen, in ein nahegelegenes Wohngebäude stürzte und von einer dort lebenden Frau wieder auf die Straße zurückgejagt wurde (Independent, 13. Juli 1993). Wegen dieses Vorfalls forderte die italienische Regierung, den militärischen Einsatz abzublasen. Die wenigen Medienwichser, die noch dort sind, haben meist zu viel Angst, um ihre Hotelzimmer zu verlassen.

Während wir dies schreiben, ist immer noch geplant, daß die US-Truppen bis zum 31. März 1994 und die Franzosen und Belgier schon vorher das Land verlassen. Die Hälfte der in Somalia stationierten US-Trup­pen werden weit von jeder Gefahr ferngehalten − sie befinden sich auf See. Die übrigen befinden sich zum größten Teil in dem riesigen befestigten UNO-Quartier in Mogadischu und können nicht mal das UNO-Eigentum verteidigen. Nach Aussage eines UNO-Beamten »schleichen sich die Somalis bei Tag und Nacht über die Mauer und klauen alles, was sie können. Uns kommen Fahr­zeuge aus dem Hafen schon abhanden, bevor wir sie inventarisieren können«. (Guardian, 27. No­vember 1993). Keine Polizei kann völlig ohne Kooperation der Bevölkerung arbeiten; das gilt auch für UNO-Truppen.

... und Milchpulver

Die US-Invasion in Somalia nannte sich ursprünglich »Operation Restore Hope« und sollte angeblich den verhun­gernden Kindern Nahrungsmittelhilfe leisten, deren Bilder die Fernsehbildschirme der westlichen Länder geziert hatten. Das stimmt insoweit, als »Hungerhilfe« ein gern benutztes kapitalistisches Codewort für die Benutzung von Nahrung als Waffe gegen das Proletariat ist. Das Kapital schafft Hunger. In Afrika geschieht das meist durch die Zerstörung nichtkapitalistischer Nahrungsbeschaffungsweisen − Subsistenz­landwirtschaft, Herdenviehhal­tung, Jagen und Sammeln. Das kann durch einen (in Afrika extrem üblichen) erklärten Krieg zwischen Staaten oder durch »friedliche« Entwick­lung geschehen − einen blutigen Krieg gegen die unabhängigen ProduzentInnen! In anderen Teilen der Welt, wo es schon ein Proletariat gibt, wird der Hunger vielleicht absichtlich durch Sanktionen geschaffen, um den proletarischen Widerstand zu zerschlagen. So oder so wird den Hungernden das Essen vors Gesicht gehalten, damit sie auf die Bedingungen des Kapitals eingehen. »Food for Work«-Programme − die Sozialhilfe-Zwangsarbeit für die Dritte Welt − zeigen das nur am krassesten.

Nahrungsmittel»hilfe« wird durch die UNO oder durch Hilfsorganisationen organisiert, die auch als NGOs (Nicht-Regierungs-Organisationen) oder als PVOs (private Freiwilligenorganisationen) bekannt sind. Wie jeder Zyniker weiß, sind Hilfsorganisationen Geschäftsunternehmen − aber nicht bloß, weil sie für fette Gehälter und Kon­ferenzen in Rom mit großzügigen Spesen sorgen. Hilfsorganisationen müssen der Logik des kapitalistischen Wachstums gehorchen, sie müssen Geld benutzen, um mehr Geld zu machen und das kapitalistische Reich des Bösen der entfremdeten Arbeit ausdehnen. In den westlichen Ländern, wo sie sitzen, heißt das zum Beispiel, daß sie für mehr Werbung mit verhun­gernden Kindern bezahlen, daß sie den Werbeagenturen, PR-Gesellschaften und Zei­tungsbesitzern Geld in den Rachen werfen und daß sie mehr Hilfsfilialen aufmachen, wo gutgläubige Idioten umsonst arbeiten. Hilfsorganisationen müssen miteinander um das vorhandene Geld konkurrieren und sind daher gezwungen, sich auszuweiten und umzustrukturie­ren. In den vom Hunger betroffenen Gebieten, wo sie arbeiten, heißt das, daß sie für Vertreibung und die Mittel zu ihrer Aufrechterhaltung sorgen, so mehr »Klienten« (Hun­gernde) für die Hilfsorganisation schaffen und damit mehr Hilfsgelder anziehen.

Nahrungsmittelhilfe ist oft nur eine versteckte Form der Subventionierung an die jeweilige Regierung an der Macht, die damit die Armee ernährt − das gilt für Bosnien ebenso wie für Somalia. In Angola in der zerstörten Stadt Kuito verteilt das Militär auf beiden Seiten UNO-Hilfe, obwohl es auf der UNITA-Seite keine Zivilisten gibt. In Kurdistan werden Hunger und Nahrungshilfe dazu benutzt, die kurdischen Natio­nalisten zu stärken und die Erfolge des Aufstands von 1991 rückgängig zu machen, indem die hungernden Aufständischen dazu gezwungen werden, ihre Gewehre, Anti-Panzer-Raketen und Druckerpressen ver­kaufen müssen.

Essen, das nicht direkt an die Soldaten geht, wird schließlich durch örtliche Händler verkauft, und Gebäu­de und Fahrzeuge müssen von anderen Unternehmern gemietet werden, die dadurch Dollar-Millionäre werden. Durch das Vorhandensein all dieses Geldes und dieser warenförmigen Nahrung beschleunigt die Zerstörung der Subsistenz-Lebensmittelproduktion und ermutigt zur Produktion von cash crops. Somalia z.B. versorgte sich noch Anfang der 70er Jahre selbst mit Nahrung und wurde bis Mitte der 80er Jahre zum nahrungsabhängigsten Land in Afrika.

Viele große Häuser in Mogadischu, die an Hilfsagenturen und Medien vermietet wer­den, gehören Osman Atto, einem der reichsten Männer im Land. Früher war er Ver­treter der US-Ölgesellschaft Conoco, deren Büro, das der US-Sondergesandte in Somalia, Robert Oakley, benutzt, ihm ebenfalls gehört. Atto ist auch General Aidids Hauptfinanzier. Jedesmal, wenn ein mit Nahrung beladenes Flugzeug auf dem Flug­hafen landet, muß die betreffen­de Hilfs­agentur mehrere tausend Dollar für Landerechte und Sicherheit an somali­sche Mittelsmänner zahlen. Atto wurde mehrere Tage in Vorbeugehaft genommen, aber die UNO hat nichts unternommen, um seine legitimen Geschäftsaktivitäten ein­zuschränken.

Entwicklung

Die Somalis sind eine eigenständige ethnische Gruppe und waren vor dem Kapi­ta­lis­mus im Süden des heutigen Somalia meist Farmer und im Norden meist Hirtennoma­den. In der Kolonialzeit herrschten im Norden die Briten und im Süden die Ita­liener. Zum Glück für die Nomaden im Norden taten die Briten dort nicht viel. Im Süden fing die Entwicklung an − das beste Land schnappten sich italienische Bauern, die cash crops wie Baumwolle und Zuckerrohr anbauten. Für die Nomaden war das Leben nie leicht, aber vor dem Kapitalismus kam es selten zu massenhaftem Hunger. Wenn der Regen ausblieb, konnten sie über große Entfernungen migrie­ren − was mit der Schaffung von Nationalstaaten und Privateigentum an Boden unmöglich wurde.

Die kapitalistische Entwicklung in Somalia begann ernsthaft mit Siad Barres Militärputsch 1969. Das Land wurde dem »wissenschaftlichen Sozialismus« unterworfen, die wenige existierende Industrie wurde natio­nalisiert, mit der UdSSR wurden enge Beziehungen aufgenommen, und eine massive Aufrüstung begann. Im Namen der »Ausrot­tung von Clanismus und Tribalismus« wurde die Verwaltung zentralisiert. Barre glaubte an eine Entwicklung durch Krieg und Militarisierung der Gesellschaft. Durch den schon existieren­den Hunger konnte das Regime seine Pläne zur Seßhaftma­chung der Nomaden, die damals 80 Prozent der Bevölkerung stellten, beschleunigen. Sie mußten landwirtschaftlichen »Kommunen« beitreten, wo sie unter militärischer Disziplin arbeiten sollten. Das gehörte zu einem Trend in der ganzen Region. Das nomadische Leben von Millionen von AfrikanerInnen bereitete und bereitet dem Kapital ziemliche Kopfschmerzen, weil Nomaden keine nationalen Grenzen anerkennen, keine westliche Hilfe anziehen und es fast unmöglich ist, sie zu besteuern, zum Kriegsdienst einzuziehen oder zu kon­trollieren.

Im Juli 1977 unternahm Barre eine großangelegte Invasion der Ogaden-Region in Äthiopien − deren Ein­wohnerIn­nen ebenfalls »Somalis« waren. Er besetzte schnell das gesamte Gebiet und steigerte die Unter­stützung für sich dramatisch. Äthiopen war kurz zuvor auch ein Klient der UdSSR geworden, und die UdSSR beschloß, Äthiopien mit 18 000 kubanischen Truppen zu unterstützen. Barre wandte sich den Amerikanern zu, und schon 1981 war Somalia ein Klientelstaat der USA geworden, und die Wirtschaft wurde privatisiert. Die somalischen Truppen wurden aus dem Ogaden verjagt, aber die von Barres Regime organisierte Guerilla der westsomalischen Befreiungs­front (WSLF) setzte den Krieg fort. Das Leben für die Nomaden in der Region wurde unerträglich, und Hundert­tausende landeten in Flüchtlingslagern in Soma­lia. Da sie in Trockengebieten konzentriert wurden, übernutzten die Tiere, die sie noch hatten, das Weide­land. Westliche Hilfsagenturen kamen mit Nahrung an − weit mehr, als nötig war. Die meiste Nahrung ging an die somalische Armee, um den Krieg aufrechtzuerhalten, um die Nomaden zu vertreiben, um mehr Flüchtlinge zu schaffen... Viele Lagerkommandanten waren WSLF-Offiziere, und die WSLF und die somali­sche Armee kamen in die Lager, um männliche Jugendliche zur Armee einzuziehen. Genau wie in Barres prosowjetischer Phase wurden die LagerbewohnerInnen von »Politiker« genannten Staatsbeamten in politischer Ideologie unter­wiesen − diesmal sollten sie den Russen und Kubanern die Schuld an ihrem Elend geben. Die Hilfe verwandelte die »leere« Wüste in blühende Städte. Barres Programm der militärge­stützten Akku­mulation wurde enthusiastisch von Horden junger westlicher Weltverbesserer aus der Mittelschicht unterstützt, die die Infrastruktur aufbauten und versuchten, ehemaligen Nomaden beizubringen, wie man Nahrung anbaut, damit sie seßhaft werden und Bauern und Landarbeiter werden konnten. Wer konnte schließlich etwas gegen den Bau von Straßen haben − selbst wenn sie hauptsächlich von Soldaten, Bullen und von einem Ort zum anderen getriebe­nen Flüchtlingen benutzt wurde? Die Lager sollten nur vorüberge­hend sein. Viele gibt es immer noch. Aus einer Studie von 1981 ging hervor, daß die Hilfsindustrie zwei Drittel der somalischen Wirtschaft ausmachte. Zum Ende seiner Regierungszeit hin bekam Barre außerdem jährlich 100 Millionen Dollar Militär- und Wirtschaftshilfe von den USA, womit Somalia zum drittgrößten Empfänger ameri­kanischer Auslandshilfe nach Ägypten und Israel wurde. Es hat ihm nicht viel genützt.

In den 80er Jahren gab es noch mehr Krieg als vorher, und nationalistische Bewegungen machten sich immer größere Teile des Landes untertan − im Nordwesten (dem ehemaligen Britisch-Somaliland) das Somali National Movement, in der Mitte und im Westen der United Somali Congress und im Süden das Somali Patriotic Move­ment. Im Juli 1989 gab es zwei Tage lang regierungsfeindliche Demos und Riots in der Hauptstadt. Barres Tage waren gezählt. Washington entdeckte plötzlich, daß er die Menschenrechte verletzte und setzte die Hilfe aus. Ende 1990 nahm der USC die Hauptstadt ein. Im Januar 1991 floh Barre und überließ die Hauptstadt einem instabilen Bündnis von Regional- und Clanführern. Dieses brach schnell zusammen, und im folgenden Krieg starben hundert­tausende. General Aidid war der militärische Befehls­haber des USC und ehemaliger Botschafter in Indien unter Barre.

Der Krieg in der Hauptstadt halbierte ihre anderthalb Millionen-Bevölkerung. Das Land im Süden wurde von Soldaten so weitgehend ausgeplündert, daß ganze Dörfer mitten in der Trockenzeit keine Nahrung und keine Tiere mehr hatten. Im ganzen Verlauf des Krieges schützten Truppen die Luxushäuser der Haupt­stadt und die Agrobusi­ness-Plantagen. In Qorioli verhungerten Dorfbewohner direkt neben riesigen Bana­nenplantagen. Wenn sie auch nur Gras zum Essen sammelten, riskierten sie, daß ihnen die Hände zu­sammengebunden und eine Kugel durch die Handflächen geschossen wurde.

Die Somalis verloren also den Kampf gegen die Vertreibung durch Krieg, ein Prozeß, gegen den die Highland Clearances1 eine Teeparty im Pfarrhaus wa­ren. Proletarier (außer den weni­gen, die bürgerliche Generäle und nationalistische Führer wurden). Aber was für Proletarier sind sie geworden? Ein Großteil der Männer ist zu Soldaten in den verschiedenen nationalistischen bzw. Clan-Armeen geworden und kennt sich mit dem Gebrauch von Schußwaffen aus. Im allgemeinen hat die weitge­hende Verfügbarkeit von Gewehren sich verheerend auf die Solidarität in der Arbeiterklasse ausgewirkt, indem sie den Krieg aller gegen alle intensiviert hat. In anderen Teilen des Horns von Afrika können sich traditionelle Stammesstreitigkeiten um Naturressourcen, die sonst vielleicht zu ein paar Toten durch Speer­würfe geführt hatten, jetzt in Massaker verwandeln. Auf den Straßen von Mogadischu ist Raub an Mit­proleten durch bewaffnete Männer recht verbreitet. Gleichzeitig werden die Gewehre oft von Arbeitern gegen ihre Arbeitgeber benutzt. Diese sind heute meist die Hilfsorganisationen und die UNO, die den Lohn zu drücken versuchen, wie jeder andere Chef. Nach dem Verschwinden mehrerer Laster mit Nahrungs­mitteln im November 1992 schickte das World Food Program z.B. seine langgedienten somalischen Fahrer für drei Monate nach Hause und holte Äthiopier, die für den halben Lohn arbeiteten. Es kam heraus, daß Manager von Hilfsorganisationen als Reaktion auf solche Angriffe von ihren eigenen Wach­schutz­leuten, die mehr Lohn forderten, in ihren Unterkünften belagert wurden. Ende 1992 kam ein UNI­CEF-Hausmana­ger fast ums Leben, als er versuchte, ein paar Arbeiter rauszu­schmeißen.

Das somalische Proletariat empfindet auch einen unstillbaren Haß auf die UNO und alles was sie tut, der zweifel­los noch durch das Wissen wächst, daß UNO-Generalsekretär Boutros-Ghali ägyptischer Außen­minister war, als Ägypten Siad Barre unterstützte. Daß es die mächtigste Nation auf der Erde dazu ge­zwungen hat, ihre Außen­politik radikal zu ändern, sollte die Militanten im Klassenkampf auf der ganzen Welt inspirieren. Wir können viel von ihnen lernen − nicht zuletzt, daß Terror gegen Journalisten dem internationalen Kapital echt das Spiel verdirbt. Der Kampf unserer Klasse in Somalia kann unser Ver­ständnis von und unseren Haß auf Nahrungsmittel-Hilfs­organisationen nur schärfen − diese fiesen kapitalistischen Banden, die an fast jeder Hauptstraße in jeder Stadt in Westeuropa und Nordamerika Läden und Büros unterhalten.

Ein sehr nützlicher, von einem unzufriedenen Hilfsarbeiter geschriebener Artikel über Nahrungshilfs­organisationen steht in der Village Voice vom 19. Januar 1993. Ein wichtiger Artikel über den Einsatz von Nahrung als Waffe gegen das Proletariat steht in Zerowork (TheKla 10).

 
 
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