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aus: Wildcat-Zirkular Nr. 2, März 1994 Zur Bellofiore-Diskussion:Ich möchte nochmal n paar Takte zu dem Bellofiore-Text im letzten Zirkular loswerden, weil ich aus anderen Städten den Eindruck gekriegt habe, daß dieser Text etwas untergegangen ist. Vorwegschicken muß ich, daß wir den Genossen Bellofiore nicht direkt kennen, aus dem Text selber hatten wir den Eindruck, daß er etwas unreflektiert auf "Demokratie" steht. Möglicherweise hat es auch was zu bedeuten, daß er von einem "Alternativmodell" spricht (meint er, wir müssen unsere Utopie von einer freien Gesellschaft wieder deutlicher machen? dem wäre sicher zuzustimmen – oder meint er, wir müßten ein "Modell" der zukünftigen Gesellschaft ausarbeiten??). Schließlich ist auch zu bedenken, daß der Text mindestens zwei Jahre alt ist, also geschrieben wurde zu einer Zeit, als noch die kapitalistisch/imperialistischen Trimphfanfaren vom "Ende der Geschichte", "neuer Weltordnung" usw. in allen Ohren schepperten - dagegen schreibt er an, und das kommt uns heute schon wieder leicht verstaubt vor. Aber ansonsten liefert der Text fundiertes Handwerkszeug. Er macht einen Grobdurchgang durch die (bürgerliche) Nationalökonomie des 20. Jahrhunderts − und davon versteht er was (der Text hebt sich in dieser Hinsicht sehr positiv etwa von den Strehle'schen Schlampereien ab – siehe dazu die Kritik an anderer Stelle). Seine Schumpeter-Kritik sollte nicht zu schnell untergehen, deshalb wiederholich nochmal die grundlegenden Gedanken: Er hebt hervor, daß Schumpeter sich von seinen Adepten darin unterscheidet, daß er den treibenden Motor der Geschichte nicht verkürzt in der "Technik" oder gar dem modern gewordenen "technischen Fortschritt" (was'n das??) sieht, sondern in der »kapitalistischen und ununterbrochenen Umwälzung der Produktionsweise« (S. 68). Schumpeter kritisiert die liberalen Vorstellungen vom freien, harmonischen Markt vernichtend; er spricht von der Wirtschaft in militärischen Begriffen (z.B. seine Theorie sei der des unschuldigen Marktes überlegen wie Bombardement dem Einbruch). In diesem Sinn steckt in Schumpeter viel mehr Realität als in den klassischen Vorstellungen; diese funktionieren nämlich nur, wenn die Märkte im Gleichgewicht sind - also nie! Aber Schumpeter muß materialistisch gewendet werden: Ursprung der Entwicklung - und mithin Ursprung der möglichen Krise, des Bruchs - ist der Klassenantagonismus (der laut Bellofiore antagonistisch bleibt, weil die Verwandlung des Proletariats in Arbeitskraft kein natürlicher Vorgang ist - Kampf gegen die Arbeit wird es so lange geben, wie es die Arbeit gibt, würden wir das vielleicht ausdrücken). Bei Marx ist die Entwicklung mehr den Kämpfen als der Konkurrenz zwischen Firmen geschuldet. Konkurrenz ist Erscheinungsform und Vermittlungsinstanz des Klassenkampfs. Bereits mit diesen Bemerkungen wäre die ideologische Gleichsetzung von Kapitalismus und "freiem Markt" abgehakt, aber die Verwirrung geht wesentlich tiefer, deshalb kommt er nochmal auf Marx zurück: Kapitalismus ist nicht wesentlich Privateigentum, sondern Trennung des Arbeiters von der Arbeit. Marx bedeutet Kritik an der kapitalistischen Ökonomie und nicht die Behauptung, zentrale Planung bringt's. Bellofiore entwickelt also zunächst die Kläglichkeit der liberalen Gleichgewichtsvorstellungen. Sodann zeigt er auf, daß die Vorstellungen von "sozialistischem Plan" sich lediglich auf dieser Ebene als Konkurrenz sahen (also sogar hinter das Verständnis von Schumpeter zurückfielen), insofern aber degenerierter Markt, dem kapitalistischen Markt in ihrer Entwicklungsfähigkeit sogar unterlegen waren (Umgang mit Ressourcen usw.). Das Scheitern des Realsozialismus bedeutet also nicht das Scheitern kommunistischer Vorstellungen ... (hier ist ne ganze Menge Material aufzuarbeiten, das jetzt so langsam rauskommt: Seidman, Arbeiterkampf im Sozialismus ...). Der Plan in der SU war degenerierter Markt; aber der Markt ist mehr als das Gegenstück vom Plan, er ist dem Plan überlegen, insofern er entwicklungsfähig ist. Deshalb wendet er sich der Analyse des Kapitalismus zu und betrachtet zunächst das Verhältnis Kapital-Demokratie: er arbeitet raus, daß die Menschen (als Klasse) sowohl als Konsumenten wie als Produzenten nicht frei sind und folgert daraus, daß Kapitalismus und Demokratie antagonistisch sind. Zwar gibt es nur im westlichen Kapitalismus Demokratien, aber nicht der Kapitalismus hat diese hervorgebracht, sondern sie sind den Kämpfen geschuldet − diese Kämpfe bringen aber auch die "Krise" hervor. Denn die kapitalistische Antwort auf die Arbeiterkämpfe war immer, den Arbeitercommunities den Boden unter den Füßen wegzuziehen und sie auf neue Art unters kapitalistische Kommando zu integrieren. Aber mit der Antwort auf die Kämpfe der 60er und 70er Jahre scheint eine Schwelle überschritten zu sein: die Umstrukturierungsantwort ist von solcher Tragweite, daß sie das Verhältnis von Ökonomie und Gesellschaft überhaupt in Frage stellt. (Derselbe Befund wie Piore/Sabel oder wie die Regulationisten - nur daß Piore/Sabel: "die Rückkehr der Ökonomie in die Gesellschaft durch flexible Spezialisierung" versprechen; und viele "Regulationisten" in der zweiten Hälfte der 80er ebenfalls das Tolle am "Postfordismus" [Begriff von Sabel, übrigens] entdecken ...). Bellofiore behauptet, daß die kapitalistische Antwort auf die Arbeiterkämpfe Ende der 60er, Anfang der 70er so tiefgreifend war, daß damit der "circulus virtuosus" zwischen Entwicklung der Produktion und Entwicklung der Gesellschaft in Frage gestellt wird (S. 61), die kapitalistische Reaktion hat die Bedingungen der eigenen Reproduktion untergraben. Was die Kapitalisten der Welt heute als "Entwicklung" anbieten, heißt: blutige Konkurrenz zwischen Betrieben (Standortdiskussion) und einzelnen Arbeitern (Gruppenarbeit) und den Export der Ungleichheit oder das "chinesische Modell" (schärfste Ausbeutung in den Entwicklungszonen, die "Entlassung" von 25 Mio. Bauern). Was folgt daraus: Krieg? Entwicklung auf Kosten der drei Kontinente (»Ungleichheiten in ihrem Innern zu reduzieren, insofern sie sie nach außen exportiert« S. 76)? Bellofiore kommt zu dem Schluß, daß nur der Kommunismus, als reale Bewegung uns "retten" kann - und dazu müssen wir selber praktisch beitragen! Hier bricht der Text ab und hier hat er eine weitere Grenze: er kriegt nicht die realen Bewegungen in der Klasse in den Blick, auf deren Grundlage unsere Aktion überhaupt nur Früchte tragen kann. Aber das können wir ihm nicht vorwerfen, an diesem Punkt sind wir selber seit Jahren heftigst am Diskutieren. Meiner Ansicht nach also ein solider Diskussionsbeitrag, allerdings keine politische Handlungsanleitung .... aber wer hat die schon?? Gut fänd ich's, wenn Gruppen, die über diesen Text diskutiert haben, ihre Kritik und Ergebnisse vielleicht mal fürs nexte Zirkular aufschreiben täten. J. |
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