Autonome Gruppe 1. Mai Stuttgart
»Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem jeder anderen Ware, ist bestimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwendige Arbeitszeit.«
»Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebensmittel.«
»Der Eigentümer der Arbeitskraft ist sterblich. Soll also seine Erscheinung auf dem Markt eine kontinuierliche sein, wie die kontinuierliche Verwandlung von Geld in Kapital voraussetzt, so muß der Verkäufer der Arbeitskraft sich verewigen, wie jedes lebendige Individuum sich verewigt, durch Fortpflanzung«
(Petty)3
»Die durch Abnutzung und Tod dem Arbeitsmarkt entzogenen Arbeitskräfte müssen zum allermindesten durch eine neue Anzahl gleicher Arbeitskräfte beständig ersetzt werden. Die Summe der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel schließt also die Lebensmittel der Ersatzmänner ein, d. h. der Kinder der Arbeiter, so daß sich diese Race eigentümlicher Warenbesitzer auf dem Warenmarkt verewigt.«
(Karl Marx, Das Kapital, Bd.I, MEW Bd.23, S.184f, Berlin 1983)
»Die Konsumtion des Arbeiters ist doppelter Art. In der Produktion selbst konsumiert er durch seine Arbeit Produktionsmittel und verwandelt sie in Produkte von höherem Wert als dem des vorgeschoßnen Kapitals. Das ist seine produktive Konsumtion. Sie ist gleichzeitig Konsumtion seiner Arbeitskraft durch den Kapitalisten, der sie gekauft hat. Andererseits verwendet der Arbeiter das für den Kauf der Arbeitskraft gezahlte Geld in Lebensmittel: Das ist seine individuelle Konsumtion. Die produktive und die individuelle Konsumtion des Arbeiters sind also total verschieden. In der ersten handelt er als bewegende Kraft des Kapitals und gehört dem Kapitalisten; in der zweiten gehört er sich selbst und verrichtet Lebensfunktionen außerhalb des Produktionsprozesses. Das Resultat der einen ist das Leben des Kapitalisten, das der anderen ist das Leben des Arbeiters selbst.
Bei Betrachtung des "Arbeitstags" usw. zeigte sich gelegentlich, daß der Arbeiter oft gezwungen ist, seine individuelle Konsumtion zu einem bloßen Inzident2 des Produktionsprozesses zu machen. In diesem Fall setzt er sich Lebensmittel zu, um seine Arbeitskraft in Gang zu halten, wie der Dampfmaschine Kohle und Wasser, dem Rad Öl zugesetzt wird. Seine Konsumtionsmittel sind dann bloße Konsumtionsmittel eines Produktionsmittels, seine individuelle Konsumtion direkt produktive Konsumtion. Dies erscheint jedoch als ein dem kapitalistischen Produktionsprozeß unwesentlicher Mißbrauch.
Anders sieht die Sache aus, sobald wir nicht den einzelnen Kapitalisten und den einzelnen Arbeiter betrachten, sondern die Kapitalistenklasse und die Arbeiterklasse, nicht den vereinzelten Produktionsprozeß der Ware, sondern den kapitalistischen Produktionsprozeß in seinem Fluß und in seinem gesellschaftlichen Umfang. - Wenn der Kapitalist einen Teil seines Kapitals in Arbeitskraft umsetzt, verwertet er damit sein Gesamtkapital. Er schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. (...) Das im Austausch gegen Arbeitskraft veräußerte Kapital wird in Lebensmittel verwandelt, deren Konsumtion dazu dient, Muskel, Nerven, Knochen, Hirn vorhandener Arbeiter zu reproduzieren und neue Arbeiter zu zeugen. Innerhalb der Grenzen des absolut Notwendigen ist daher die individuelle Konsumtion der Arbeiterklasse Rückverwandlung der vom Kapital gegen Arbeitskraft veräußerten Lebensmittel in vom Kapital neu exploitierbare3 Arbeitskraft. Sie ist Produktion und Reproduktion des dem Kapitalisten unentbehrlichsten Produktionsmittels, des Arbeiters selbst. Die individuelle Konsumtion des Arbeiters bleibt also ein Moment der Produktion und Reproduktion des Kapitals, ob sie innerhalb der Werkstatt, Fabrik usw., innerhalb oder außerhalb des Arbeitsprozesses oder bestimmten Phasen desselben geschieht. Es tut nichts zur Sache, daß der Arbeiter seine individuelle Konsumtion sich selbst und nicht dem Kapitalisten zulieb vollzieht. So bleibt der Konsum des Lastviehs nicht minder ein notwendiges Moment des Produktionsprozesses, weil das Vieh selbst genießt, was es frißt. Die beständige Erhaltung und Reproduktion der Arbeiterklasse bleibt beständige Bedingung für die Reproduktion des Kapitals. Der Kapitalist kann ihre Erfüllung getrost dem Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb der Arbeiter überlassen.«
(ebd., S.596ff)
Scharf analysiert Marx die Reproduktion der ArbeiterInnen als Teil der Reproduktion des Kapitals. Das "Leben" im entwickelten Kapitalismus ist vollständig durchdrungen von den Gesetzen des Wertes. Freiräume gibt es nicht. Bei näherer Betrachtung der Zitate und auch beim Studium anderer Quellen des Marxismus fällt jedoch die konsequente Ausblendung jener Art Arbeit4 auf, die zur Verarbeitung der Menge an Lebensmittel notwendig ist, in der sich der Wert der Ware Arbeitskraft vergegenständlicht. Die Reproduktionsmittel, die auf dem Markt vorgefunden werden, sind selten in einem Zustand, der den direkten Verbrauch erlaubt, bzw. bleiben nicht in einem solchen Zustand. Das Fleisch und die Kartoffeln müssen zubereitet werden, der Topf und die Teller gespült, Hosen und Hemden gewaschen, geflickt, gebügelt werden usw. Auch die Generationen neuer Arbeitskräfte entstehen nicht von allein aus dem "Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb der Arbeiter". Ihre Aufzucht und Konditionierung5 erfordern Dienstleistungen, die auch nach 150 Jahren entwickelter Warenproduktion nur zu einem Bruchteil am Markt erhältlich sind. Offensichtlich existiert neben der Lohnarbeit ein weiterer gesellschaftlicher Bereich, in dem gearbeitet wird, der aber den politisch-ökonomischen Analytikern bisher nicht der genauen Untersuchung wert war.
Die kommunistische Bewegung, zu der wir uns zählen, kommt nicht umhin, die Reproduktionsarbeit zu analysieren, die Lücken in der Politischen Ökonomie zu schließen. Das ist der eine Grund für unsere Diskussion, der andere liegt in der Notwendigkeit, den Begriff "Patriarchat" theoretisch zu fassen. Das ist bestimmt nicht getan mit dem Versuch, Hausarbeit in einen polit-ökonomischen Zusammenhang zu packen - ein Versuch, für den wir übrigens auch kein Welturaufführungsrecht besitzen - aber dieser Ansatz scheint uns für eine Kritik des Patriarchats von links unabdingbar. In Positionen, wie sie z.B. in dem Papier "3:1 Klassenwiderspruch, Rassismus und Sexismus" vertreten werden, wird der Versuch der Anwendung marxscher Kategorien auf den zu untersuchenden Gegenstand erst gar nicht unternommen. Im Gegenteil wird den AnwenderInnen von Kategorien wie Wert, Ware etc. ein "ökonomistisches" Weltbild unterstellt, das dem Wesen der Verhältnisse nicht näherkäme. Wir wollen es den "ÖkonomistInnen" und den "AntiökonomistInnen" (und den bürgerlichen Volkswirtschaftlern) überlassen, die Gesellschaft und die Ökonomie zu trennen, um sie anschließend wieder kunstvoll in Beziehung zu setzen. Wert, Ware und Kapital sind gesellschaftliche Kategorien.
Wir haben Getraude Kittlers "Hausarbeit - Zur Geschichte einer ,Natur-Ressource`" (Frauenoffensive, München 1980) gelesen. Unser Beitrag versucht, Thesen aus dieser Arbeit mit einigen eigenen Gedanken zu verknüpfen und versteht sich weniger als wissenschaftliche Analyse, denn als Diskussionsbeitrag. Beeinflußt wurde unsere Diskussion darüberhinaus von verschiedenen Texten aus der "Krisis"-Redaktion, die Teil eines Readers für ein Seminar zum Thema "Geschlechterspaltung und Wertvergesellschaftung" waren. Einige der Texte sind inzwischen in der Zeitschrift "Krisis" Nr. 12 (edition krisis, Horlemann Verlag, Erlangen 1992) veröffentlicht worden.
Hausarbeit ist jede Art von unentlohnter Tätigkeit der unmittelbaren Reproduktion und Produktion des lebendigen menschlichen Arbeitsvermögens. In diesem Sinne ist Hausarbeit direkt gesellschaftliche Arbeit. Die Produkte dieser Arbeit - Menschen - treten zwar als WarenbesitzerInnen auf den Markt, um ihre Arbeitskraft zu verkaufen, die Hausarbeiterin aber nicht. Sie hat keine Ware produziert, sondern Menschen, die sich selbst gehören und ihre Arbeitskraft auf eigene Rechnung verkaufen. Die Arbeitskraft scheint den Menschen immanent, scheint also naturwüchsig an ihnen zu kleben und nicht das Produkt der Hausarbeit zu sein. Die Hausarbeiterin tritt nicht auf den Markt, der Markt aber dient der warenproduzierenden Gesellschaft als Medium gesellschaftlicher Arbeit. Die Gesellschaftlichkeit der Hausarbeit - und damit die Hausarbeit als Arbeit an sich - bleibt so unsichtbar.
Die Stätte der Hausarbeit ist die Familie, die zu bearbeitenden Gegenstände in Lohnarbeit stehende Männer und für Lohnarbeit zu konditionierende Kinder, in Fällen von Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter auch aus dem Produktionsprozeß Ausgeschiedene.
Die Anforderungen an eine Hausarbeiterin sind hoch. Die materiellen Tätigkeiten, die zur Reproduktion einer modernen Arbeitskraft nötig sind, erfordern auf Seiten der Hausarbeiterin Kenntnisse der Ernährungsphysiologie, der Betriebswirtschaft und der Medizin. Die Tätigkeiten sind im Bereich der Krankenpflege, Hygiene, des Einkaufs von Waren, der Verarbeitung und Verfeinerung dieser Waren zum menschlichen Konsum usw. angesiedelt. In der entwickelten kapitalistischen Gesellschaft treten die immateriellen Tätigkeiten der Hausarbeiterin zunehmend in den Vordergrund. Kenntnisse der Pädagogik und Psychologie werden vorausgesetzt. Die Hausarbeiterin berät, erzieht, therapiert und liebt die Reproduktionsgegenstände.
Die erfolgreiche Verrichtung sowohl der materiellen als auch der immateriellen Seite der Hausarbeit fordert von der Hausarbeiterin ein Höchstmaß an Bereitschaft zu persönlichem Verzicht, selbst im Hintergrund zu bleiben und zur Unterordnung.
Diese Eigenschaften werden der Hausarbeiterin biologistisch und ideologisch als "natürlich" zugeschrieben. Schwadronen bürgerlicher "Wissenschaftler" erklären die Weichherzigkeit, die Güte, die Unterordnung und dergleichen aus biologischen Dispositionen6. Teile der Frauenbewegung ("neue Mütterlichkeit", "Frieden ist weiblich") schließen sich an. Tatsächlich ist jedoch eine im Säuglingsalter beginnende Konditionierung von Frauen notwendig und ursächlich für die durchgesetzte Hausfrauisierung jeder Frau, deren Verbindlichkeit sich auch nicht durch drastische Veränderungen im häuslichen Umfeld erschüttern läßt. Berufstätige Frauen, die ihre arbeitslosen Männer von der Hausarbeit fernhalten oder zumindest klaglos deren Nichtstun dulden und Wohngemeinschaften, die ohne Frauen zumeist im Dreck erstiken würden, sind zwei Seiten derselben Medaille.
Bei allen schichtspezifischen und regionalen Unterschiedlichkeiten entwickelt sich die Trennung von Haus und Produktion - deren bis heute nahezu absolute Durchsetzung sich in dem Terminus "Arbeiten gehen" ausdrückt - Mitte des 18. bis 19. Jahrhunderts zur gesellschaftlichen Norm. Bis dahin war eine solche Trennung gesellschaftlich marginal. Eine der daraus erwachsenden Notwendigkeiten ist die bis dahin bei der Masse der Menschen unbekannte Kindererziehung. Kinder werden nicht länger in den Produktionsprozeß hineingeboren und dort für kommende Tätigkeiten konditioniert. Man kann sich vorstellen, daß die Kinder der bäuerlichen Familie oder der gern zur Illustration benutzten Weberfamilien sehr früh praktisch mitarbeiten mußten, sinnlich erleben konnten und ständig vor Augen hatten, welche Überwindungen, welche Plackerei der Produktionsprozeß den Menschen abverlangt. Die Erziehenden müssen jetzt im entfremdenden Vorgriff auf künftige Erwachsenenmühen die Kinder in ihren Trieben unterdrücken, sie disziplinieren und vorgelagert ausbilden.
Die Hausarbeit als Reproduktion menschlichen Arbeitsvermögens entsteht unter der sich entwickelnden kapitalistischen Produktionsweise in den letzten Jahrzehnten des 19. und in den ersten des 20. Jahrhunderts.
Im bürgerlichen Haushalt vor der Jahrhundertwende ist der Frau die Verrichtung materieller Arbeit verboten. Alle körperliche Arbeiten werden von Dienstboten verrichtet. Die Tätigkeit der bürgerlichen Frau umfaßt neben der Darstellung des Luxus und des Reichtums der Bourgeoise die Leitung und Organisation des Haushaltes und die Überwachung der Erziehung der Kinder. Die Verdammnis zum "Nichtstun" wird von einer Welle "wissenschaftlicher" Erklärungen, Frauen seien schwächlich, schutzbedürftig usw., begleitet.
Von einer Reproduktion der ArbeiterInnenklasse kann zu Beginn der Kapitalisierung nicht gesprochen werden. Das Kapital bedient sich eines vorerst unerschöpflich scheinenden ArbeiterInnenreservoirs vom Lande. ArbeiterInnen bleiben in der Regel ledig, sie leben großteils nach Geschlechtern getrennt in Wohnheimen, als KostgängerInnen oder wandern von Arbeitsstelle zu Arbeitsstelle. Frauen arbeiten häufig als Dienstbotinnen. In Südafrika können heute konservierte Formen solcher Verhältnisse betrachtet werden. Unehelich gezeugte Kinder werden von den Fabrikherren in Bergwerken, Spinnereien und ähnlichen Anstalten vernutzt. Mit der Proletarisierung wird die alte großfamiliäre Struktur zunächst weitgehend ersatzlos zerschlagen. Diese Vorgänge vor Augen, entwikeln Marx und Engels ihre Betrachtungen über die antifamiliäre Tendenz des kapitalistischen Progresses. Der idealtypische Familientypus proletarischer Art - männlicher Lohnarbeiter und tendenziell nicht arbeitende Frau und Kinder - folgt dieser für den großen Teil der ProletarierInnen "familienlosen" Phase nach.
Der proletarische Haushalt ist zunächst noch geprägt von landwirtschaftlichen Tätigkeiten der Frauen, die so oder durch monetäre Nebeneinkünfte aus dem Verkauf des landwirtschaftlichen Überschusses zum Lebensunterhalt beitragen. Veränderungen der Lebensbedingungen, wie Urbanisierung ganzer Landstriche, Landflucht, Verbilligung der Konsumgüter durch industrielle Fertigung, verdrängen die Subsistenzproduktion7. Phasenhaft sinkende Löhne zwingen immer mehr Frauen zur Aufnahme von Lohnarbeit und tun ein Übriges zur Zerstörung dieser Produktionsweise.
Trotz dieser schlechten ökonomischen Ausgangslage strahlen die Idealvorstellungen der bürgerlichen Familie in die ArbeiterInnenklasse. Jede Verbesserung der ökonomischen Lage der ArbeiterInnenklasse wird genutzt, um die Frau von Lohnarbeit freizustellen. Klassenkämpfe haben zum Ziel, der Kinder- und Frauenarbeit ein Ende zu setzen. Das objektive Interesse der ArbeiterInnenklasse, sich möglichst ausreichend zu reproduzieren, "besser zu leben", unterstützt die Verbringung der Frauen an Heim und Herd.
Die ArbeiterInnenbewegung benutzt das Idealbild der bürgerlichen Familie - die nichtarbeitende Frau - als moralische Waffe gegen die Ausbeutung aller Familienmitglieder und die damit einhergehende Lohnsenkung. Die Lohnarbeit weiterer Familienmitglieder führt tendenziell nicht zur Verbesserung des Reproduktionsniveaus, sondern zur Verteilung des Einkommens auf mehrere Köpfe. Die idealtypische proletarische Familie und der "Familienlohn" sind Folgen von Klassenkämpfen. Das Proletariat entzieht dem Kapital Arbeitskräfte. In einem verteilungskämpferischen Sinne wird so die Familie funktional fürs Proletariat.
Das proletarische Klasseninteresse der Selbsterhaltung stellt sich gegen die Tendenz des Kapitals, die ArbeiterInnen durch Überausbeutung auszurotten. Damit wird der Klassenkampf selbst zum Instrument der Kapitalisierung. Der Schutz der Grundlage der Kapitalakkumulation - verwertbare Arbeitskraft - mag zwar den Profit individueller Kapitalisten mindern, bleibt aber notwendiges Moment der Reproduktion des gesellschaftlichen Gesamtkapitals. Klar, daß sich der Staat als ideeler Gesamtkapitalist mit Arbeitsschutzgesetzen auf die Seite der ArbeiterInnen schlägt. Klar auch, daß zwischen Reproduktion des lebendigen Arbeitsvermögens der benötigten Arbeitskräfte und 'nem schönen Leben für Alle ein Widerspruch bestehen bleibt, dessen Auflösung Generationen von bewegten ArbeiterInnen als der eigentliche Schritt ihrer Emanzipation erscheinen muß.
Die Erkämpfung der Familie stellt sich für die Frauen ungleich unvorteilhafter als für die Männer dar. Den Frauen wird postwendend die volle Verantwortung für das Glück der männlichen Massen übertragen - nicht zuletzt auch von der ArbeiterInnenbewegung selbst. Jedem männlichen Lohnarbeiter wird eine Frau zur "freien Verfügung" (s. u.) überstellt. Dieser "historische Kompromiß" wird natürlich nicht kampflos erreicht. Fortan ist Bestandteil des Klassenkampfes der Kampf um die Zeit, die die Frau im Haus oder in der Fabrik arbeitet. In diesem Kampf sitzt das Kapital klar am längeren Hebel. So zwingt es in der Phase der Krise mit hoher Arbeitslosigkeit die Frauen an Heim und Herd, mobilisiert aber ihre Arbeitskraft in Zeiten der Hochkonjunktur.
Die häuslichen Arbeitsbedingungen verändern sich. Die Haushalte werden, bedingt durch die Mobilität der "freien Lohnarbeiter", kleiner. Die Kinder fallen wegen höherer Anforderungen an ihre Ausbildung als Mitarbeitende im Haushalt - natürlich geschlechtsspezifisch unterschiedlich - zunehmend weg. Kinder, die in ländlicher Umgebung sich selbst überlassen waren, müssen jetzt beaufsichtigt werden. Ihre Erziehung wird - siehe oben - notwendig und im sich entwickelnden Kapitalismus immer aufwendiger. Die vormals in Subsistenz produzierten häuslichen Rohstoffe müssen auf dem Warenmarkt beschafft werden. Die Urbanisierung erhöht die hygienischen Anforderungen. Der Arbeitsmarkt saugt die Dienstboten aus den kleinbürgerlichen Familien, die Kleinbürgerinnen und sogar manche Bourgeois-Frauen müssen immer größere Teile der Hausarbeit selbst übernehmen. Ein Teil der Hausarbeit wird durch Einführung von Haushaltsmaschinen rationalisiert, ein anderer in (Frauen-) Lohnarbeitsverhältnisse umgewandelt. Die dadurch freigesetzten Potentiale der Frauen werden von steigenden Ansprüchen an Haushaltsstandards sofort wieder belegt. Die Durchsetzung dieser Standards wird nicht den nörgelnden Männern überlassen. Zahlreiche entstehende Hausfrauenvereine, Hausarbeitsschulen für junge Frauen (vgl. auch die heute aus den Regalen quellenden, sich vornehmlich an Frauen richtenden, Haushalts-, Garten-, Wohn-, Mode-, Kosmetik- und Elternzeitschriften) zeugen von der erforderlichen Vermittlung.
Weibliche Lohnarbeit ist nie Ersatz, sondern regelmäßig nur Ergänzung der Hausarbeit. Aus Lohnarbeit erwächst den Hausarbeiterinnen eine zusätzliche Belastung, die meist auch als solche - seltener als Befreiung - empfunden wird. "Qualifizierte Berufe" für Frauen sind meist vergesellschaftete, ins Lohnverhältnis übernommene Reproduktionsjobs wie Krankenschwester oder Lehrerin. Die Konditionierung für die Hausarbeit macht Frauen aber auch wie geschaffen für Arbeitsstellen, die ein hohes Maß an persönlicher Unterordnung bedingen - die Sekretärin ist die Hausfrau, die dem männlichen Vorgesetzten in der öffentlichen Sphäre zur Seite gestellt wird. Die Hausfrau als Zuverdienerin trägt in Zeiten finanzieller Schwierigkeiten der Familie zum Erwerb bei - ihre schlechte Bezahlung ist Ausdruck des Wertgesetzes. Lediglich der Lohnteil des Mannes, der zur Erreichung des Wertes seiner Arbeitskraft (den Reproduktionskosten8 der Familie) fehlt, soll ersetzt werden. In vielen Familien sind die Zeiten mit finanziellen Schwierigkeiten Dauerzustand.
Lediglich in Zeiten der männerlosen Kriegswirtschaft wird den Frauen die alleinige Verantwortung für die Produktion übertragen. Dabei werden regelmäßig ideologische Kopfstände unternommen, um der Situation gerecht zu werden. Im Anschluß müssen Frauen ebenso regelmäßig wieder an "ihren Platz" getrieben werden. Gerade im Krieg wird die "Natürlichkeit" der geschlechtlichen Arbeitsteilung in ihrer Absurdität entlarvt.
Die zur Reproduktion der ArbeiterInnenklasse aufzuwendende Arbeit teilt sich in bezahlte Arbeit, wie sie von LehrerInnen, Pflegepersonal oder SozialarbeiterInnen geleistet wird, und in unbezahlte Arbeit, wie sie von Hausarbeiterinnen verrrichtet wird.
Bezahlte Reproduktionsarbeiten erhöhen den Wert der Arbeitskraft - die ArbeiterInnen müssen die warenförmig auftauchenden Produkte kaufen - oder tauchen als gesellschaftliche Kosten auf, wie im Falle von staatlich geführten Schulen oder des über Krankenversicherungen finanzierten Gesundheitswesens.
Die Hausarbeit dagegen ist wertneutral. Die Hausarbeiterin verwandelt am Markt vorgefundene Waren in Produkte des täglichen Konsums, ohne daß diesen Produkten etwas warenförmiges anhaftet. Die einzige Ware, die die Hausarbeit produziert - die Arbeitskraft - bleibt aber im Wert lediglich durch die in ihr vergegenständlichten Waren bestimmt. Die Arbeit der Hausarbeiterin ist mit Wertkategorien nicht zu erfassen.
Können weniger Waren am Markt erstanden werden, muß die Hausarbeiterin mehr arbeiten, um die billigeren, unfertigen Waren in konsumierbare Lebensmittel zu verwandeln. Fällt der Lohn, der Geldausdruck der in der Arbeitskraft vergegenständlichten wertbildenden Arbeit, steigt der Anteil nicht wertbildender, unbezahlter Arbeit an der Reproduktion. Die Menge der in der Arbeitskraft vergegenständlichten nicht wertbildenden Arbeit verhält sich also zur wertbildenden im umgekehrten Verhältnis.
Eines der traditionellen Mißverständnisse, dem die Linke in der Betrachtung der Welt aufsitzt, besteht in der Zuordnung aller "Ausgebeuteten" zum Proletariat.
Dieses Mißverständnis führt über Umwege zur Auffassung, daß "die Arbeiterklasse aufgehört hat zu existieren". Ausbeutung meint, daß sich ein anderer als der Arbeitende das aus der Arbeit resultierende Mehrprodukt aneignet. In diesem Sinne werden viele der in der BRD angeheuerten Arbeitskräfte nicht ausgebeutet. Ausgebeutet werden kann nur die produktive Arbeitskraft. Produktiv meint Reproduktion des vorgeschossenen Kapitals und darüber hinaus Produktion des Mehrwerts. Im sich entwickelnden Kapitalismus verschwindet zunehmend produktive Arbeit zugunsten eines unproduktiven Wasserkopfes in der Zirkulationsspäre, dessen Wirken der reinen Formverwandlung von Waren in Geld - und umgekehrt – dient9. Kein Brösel Mehrwert entsteht hier.
Unproduktive Arbeitskraft wird nicht ausgebeutet, eher angewendet. Für die angewendeten ArbeiterInnen besteht kein Unterschied zur Ausbeutung der anderen. Für die klassenmäßige Bestimmung kann das Begriffspaar produktiv/unproduktiv keine Rolle spielen. Die Reinemachefrau, die in der Putzkolonne die Werkshalle oder das Elektroniklabor säubert, arbeitet produktiv; während ihre reinigende Tätigkeit auf der Automobilausstellung oder im Börsenmaklerbüro so unproduktiv bleibt wie das Spülen zuhause nach Feierabend.
Es nutzt also nichts, der Hausarbeiterin, wie auch immer definiert, produktive Arbeit anzudichten. Wenn die Arbeit der Hausarbeiterin wertneutral ist, kann kein Mehrwert entstehen. Wenn mensch davon abstrahieren mag, daß die Hausarbeiterin ihr Produkt nicht besitzt, weil die Arbeitskraft nun mal an den von der Hausarbeiterin (re)produzierten Menschen klebt, könnte man die Hausarbeiterin auf den Warenmarkt begleiten. Wenn dann dort der Kapitalist das indirekte Produkt der Hausarbeit, die Ware Arbeitskraft (tendenziell) zu ihrem Wert kauft, eignet er sich kein Mehrprodukt an.
Uns leuchtet eine andere Einordnung der unproduktiven Hausarbeit eher ein: Die Arbeitszeit der produktiven ArbeiterInnen teilt sich in die notwendige Arbeitszeit, in der das Produkt des Arbeitsprozesses den variablen Kapitalteil (den Lohn) darstellt und in die Mehrarbeit, in der Mehrwert produziert wird. So wie sich deshalb jede Minute in notwendige Arbeit und Mehrarbeit aufteilen läßt, läßt sich auch die Lebensarbeitszeit der ArbeiterInnen aufteilen.
In einer weiteren Abstraktionsstufe lassen sich alle ArbeiterInnen einer Fabrik aufteilen: in welche, die lediglich notwendige Arbeit verrichten und welche, die lediglich Mehrarbeit leisten. Das ist im Prinzip natürlich auch für die ganze Gesellschaft möglich, wenn von den Einzelinteressen der jeweiligen Kapitalisten zugunsten der Kapitalistenklasse abstrahiert wird.
Wird in dieses Modell die unbezahlte Reproduktionsarbeit, die Hausarbeit, miteinbezogen, erscheint diese Arbeit keinesfalls länger als etwas dem Verwertungsprozeß Fremdes, sondern als Teil der notwendigen Arbeit. Die Arbeit die notwendig ist, um das lebendige Arbeitsvermögen zu reproduzieren, setzt sich zusammen aus der im Lohn vergegenständlichten Arbeit und der unentgeltlichen Hausarbeit. Die Hausarbeit ist notwendige Arbeit im Reproduktionsprozeß des Kapitals.
Die Hausarbeiterin ist Teil der ArbeiterInnenklasse, sie ist nicht länger eingeheiratetes Anhängsel, dessen klassenmäßige Bestimmtheit aus der Stellung des Mannes im Verwertungsprozeß abhängt.
Die Mobilisierung von Hausarbeit trägt dreifach zur Produktion des relativen Mehrwerts bei.
a) Die in allen Bereichen der Produktion fortwährend gesteigerte Arbeitsintensität und die der Produktivitätssteigerung geschuldeten verkürzten Qualifikationszyklen können von den Opfern dieser Maßnahmen nur zum Teil durch Klassenkampf kompensiert werden. Die vermehrte Abnutzung der Arbeitskraft, die psychische und physische Erschöpfung oder gar Erkrankung muß durch vermehrte materielle und immaterielle Reproduktionsanstregungen ausgeglichen werden. Die Konditionierung und Disziplinierung der Kinder für einen Arbeitsmarkt, auf dem nur die "Besten und Stärksten etwas werden", erfordert große Anstrengungen. Von der Bedeutung dieses Teil der Reproduktionsarbeit sprechen die zahllosen Fernsehsendungen, Zeitschiftenbeiträge und Bücher zum Thema Erziehung.
b) Die Masse der Hausarbeiterinnen stellt den größten Teil der (inländischen) industriellen Reservearmee. In den Angriffswellen des Kapitals auf Löhne, kollektive Rechte und Zusammensetzung der ArbeiterInnenklasse spielt die Mobilisierung billiger und flexibler Hausarbeiterinnen eine zentrale Rolle. "Hausfrauenriege" nennen die Weißkittel kurzfristig heuerbare Arbeitskräfte, die helfen sollen, Kapazitätspitzen aufzufangen, Produktionsfehler auszugleichen, Löhne zu drüken, Streiks zu brechen... Daß die Lohnarbeit der Reserve auf Kosten der eigenen Reproduktion geht, versteht sich von selbst. Schließlich weisen alle Anstrengungen in die Richtung "Familie und Beruf vereinbaren zu können".
c) Vermehrte Hausarbeit fängt sinkende Löhne traditionell bis zu einem gewissen Grad ab. Die Hausarbeiterin wendet sich, im Bestreben den ausfallenden Warenteil zu ersetzen, der Subsistenzproduktion zu. Sie näht und flickt, gärtnert, schneidet den Kindern die Haare. Der Aufwand, den Familienmitgliedern das Ausbleiben gewisser Reproduktionsgüter schmackhaft zu machen, oder diese Waren anderweitig "günstig" zu beschaffen, ist beträchtlich. "Meine Mutter hat auch im Krieg immer dafür gesorgt, daß es uns Kindern an nichts gefehlt hat." Wie sie das bloß geschafft hat?
Hausarbeit senkt die durch den normalen und außergewöhnlichen kapitalistischen Geschäftsverlauf entstehenden gesellschaftlichen Kosten.
Die Hausarbeiterin absorbiert alle arbeitsunfähigen Gesellschaftsmitglieder - Alte, Kranke, Krüppel, Kriegsversehrte, Drogenopfer, Lernbehinderte, ... -, deren Leben andernfalls gesellschaftliche Kosten in solcher Höhe verursachen würden, denen das Kapital mit ihm immanenten Lösungen11 entgegenträte, die so den Opfern seiner Produktionsweise erspart bleiben. Der Bodensatz der Leistungsgesellschaft bleibt das individuelle Problem der Mütter und Ehefrauen. Die Diskussionen der letzten Jahre über die menschenunwürdige Verbringung dieser Opfer in staatliche Verwahranstalten, Euthanasie eingeschlossen, dienen zur Verschärfung des Drucks auf Frauen, ihrer "angeborenen" Güte und Warmherzigkeit Taten folgen zu lassen.
In Betrachtung der entwickelten Hausarbeit, der erreichten Standards für Hygiene, Kochkunst, Schönsein, sexueller Bereitschaft... drängt sich der Verdacht auf, daß diese Standards über das vom Wertgesetz vorgeschriebene Maß an Reproduktion der Arbeitsfähigkeit hinausgehen. Der Alte ist sicherlich fähig, anderntags zur Arbeit zu schlappen, ohne am Abend vorher mit seiner Titelseiten-Brigitte Wachtelnierchen an Mandarinensorbet vom blitzblank polierten Designertellerchen gespeist zu haben, ohne sich danach den Mund an einer weißer als weißen, nach Oleander, Javendel, Yasmin duftenden Serviette abgewischt, ohne in ein durch die Kraft des Domestos oder des entsprechenden Ökomittels keimfrei gehaltenes Klo zu defäkieren, ohne das Gespräch über drei Titel aus der Spiegelbestsellerliste und ohne den RTL+ verstärkten Megaorgasmus. Auch die Kinder würden groß (und arbeitsfähig) werden, selbst wenn sie einmal im Leben spüren würden, daß, sobald in die Windel gepißt, der Arsch naß wird.
Das Geheimnis dieser überhöhten und dennoch steigenden Reproduktionsstandards - und damit der Anspruch an die Hausarbeiterin - folgt der Annahme, daß die "beste" Versorgungsarbeit am meisten psychische Zuwendung, "Liebe", transportiert. Die Verausgabung der Hausarbeiterin, ihr Verzicht auf Freizeit, ist Maßstab für die Menge an Liebe, die sie ihren Arbeitsgegenständen entgegenbringt.
Die Familie, das Zuhause sind der Versuch des Aufbaus einer Gegenwelt zur entfremdeten Arbeit, ein fest zusammenhaltender, von gewollter gegenseitiger Abhängigkeit geprägter Zusammenhang als Bollwerk gegen die kapitalistische Wolfsgesellschaft, deren Bestialität nur so erträglich scheint. Das Gerede - gerade auch in Kreisen der Linken – vom "ständig steigenden Lebensstandard" leugnet die der gesteigerten Arbeitsintensität und den stets kürzer werden Qualifikationszyklen geschuldeten höheren Ansprüche der Arbeitskraft an ihre Regeneration.
Die immateriellen Aspekte der Hausarbeit überwiegen also zunehmend. Die materiellen Aspekte der Hausarbeit werden von den immateriellen Ansprüchen überlagert und befördert.
Hierin liegt unseres Erachtens auch der Fehler in der marxschen Annahme vom Verschwinden der Hausarbeit und der Auflösung der Familie. Alle Reproduktionsdienste würden kapitalisiert, nahm Marx an. Aber bestenfalls die materiellen Bestandteile der Hausarbeit ließen sich kapitalisieren12.
Selbstverständlich kann die Familie keine Gegenwelt zur durchkapitalisierten Gesellschaft sein, klar sind auch die die Familie bildenden Subjekte Objekte der warenproduzierenden Gesellschaft mit all den Deformierungen, die diese Gesellschaft mit sich bringt. Diese Erkenntnis macht die Analyse schwierig. Selbst Objekte der Warenwelt, wird für uns die Unterscheidung von Ideologie und Fiktion familiärer Reproduktion und den real gesteigerten Ansprüchen der Lohnabhängigen an ihre Reproduktion unmöglich.
Unsere Betrachtungen, mag der Eine oder die Andere einwerfen, blieben auf dem Stand der 50er Jahre, in denen zumindest in der BRD die proletarische Familie ihre Blüte erlebte, stehen. So sprechen inzwischen die Statistiken von 50% Singles in den Großstädten. Das Proletariat mit deutschem Paß reproduziert sich nicht mehr, fallende Geburtenrate, geringe Heiratsbereitschaft, steigende Scheidungsraten sorgen für ein negatives Bevölkerungswachstum. Ohne die Migrationsbewegungen wäre die Akkumulationsressource lebendige Arbeitskraft schon heute ein knappes Gut.
Aber auch die wiederholte Zerschlagung historischer Familienformen befreit die Frauen nicht von ihrer "angestammten" Rolle. Neben dem richtigen Einwand, daß sich der Reproduktionszusammenhang, wie es seit seiner Entstehung ständig zu beobachten war, tatsächlich verändert, können Hinweise auf z. B. steigende Scheidungsraten und geringe Heiratsbereitschaft nicht belegen, daß Frauen nicht länger die Hauptlast an der Reproduktion tragen würden. Unverheiratete Paare leben zumeist in den erlernten Rollenmustern, der Trend zu mehreren Beziehungen im Verlauf des Lebens ist einer zur "seriellen Monogamie": Das Ende der einen Beziehung ist der Beginn der nächsten, zumindest der Beginn der Suche danach.
Die vollständig warenförmige materielle Reproduktion gelingt dem beachtesten Segment der kleinbürgerlichen Zwischenschicht: den Yuppies oder genußsüchtigen Citoyens, wie sie je nach Geschmack genannt werden. Sie gelten als Prototypen des Singles.
Die "Krisis"-AutorInnen haben ihren Blick wohl hauptsächlich auf diese Schicht gerichtet, als sie den Begriff "Geldmonade" für jene Individuen, die zur Außenwelt ausschließlich durch Geld-Waren-Beziehungen Kontakt halten, prägten. Die Wohnung des Ideal-Yuppies wird von der Putzfrau in Ordnung gehalten, häufiges Essengehen löst sich mit Pizzaservice ab, die Wäsche kommt in die Reinigung, den Umzug macht die Spedition und die Inneneinrichtung wird von der Designerin durchgestylt.
Aber auch in diesen Kreisen bleiben die immateriellen Aspekte der Reproduktion von Bedeutung. Eben weil die Geld-Ware-Beziehung völlig entfremdet, absolut sinnentleert ist, wächst der Anspruch an die "Qualität" der psychischen Regeneration. Die Sinnkrise, jedem Jungmanager gerade so geläufig wie der Krawattenknoten, würgt meist noch heftiger als der Schlips, und muß, weil immer ein Rest "Sinn" bleibt, der nicht einzukaufen ist, den Wunsch nach nicht warenförmiger Lösung nach sich ziehen. Das erstbeste Stück "Natur", die Sinnlichkeit und die "echte Liebe" treten auch dem Yuppie in Frauengestalt gegenüber. Auch das schönste, teuerste und charmanteste Callgirl behält die Warenform unabgestreift. Der "Geldmonade" bleibt, wie jedem bürgerlichen Subjekt, die eigene Entfremdung zwar unbewußt, dennoch gelten "Seelen", "Freundschaft" und "Liebe" als Gebrauchswerte nur dann, wenn sie geschenkt werden, und so durch den absolut ungleichen "Waren"tausch ihren Warencharakter völlig verschleiern.
Die Yuppies genießen zurecht viel Aufmerksamkeit im Diskurs über die sich verändernde Bewußtseinslage in den Metropolen. Ihre Rolle ist vergleichbar mit der der bürgerlichen Familie um die Jahrhundertwende, ihre Ansichten, Haltungen und Praxis strahlen nach unten, werden zur Orientierung. Leider bleiben viele linke Beiträge zu dieser Debatte auf der Erscheinungsebene stecken. Geradesowenig wie die proletarische Familie - die die bürgerliche zum Vorbild nimmt - die bürgerliche Familie ist, geradesowenig sind die Massen der alleinlebenden Menschen Yuppies: So schickt die Entwicklung der idealtypischen proletarischen Familie die Alten in die Isolation. In Baden-Württemberg waren 1987 43% der Singles älter als 60 Jahre, davon über 80% Frauen. Den höchsten Single-Anteil an der Wohnbevölkerung weisen, wen wundert's, Universitätsstädte auf. In vielen Haushalten, die in die Single-Statistik eingehen, sind alleinerziehende Frauen mit der Aufzucht von Generationen künftiger LohnarbeiterInnen beschäftigt und bilden einen nicht geringen Teil der "Neuen Armen".
Für reiche und arme Singles bleibt die Notwendigkeit eines Reproduktionszusammenhangs bestehen. Daß sich die einen auf den immateriellen Aspekt der Reproduktion beschränken können und die anderen noch nicht mal materiell reproduziert werden, daß sich vielleicht für beide der Reproduktionszusammenhang nicht hergestellt - sie also nicht vollständig reproduziert werden - nimmt unserer Annahme, daß weiterhin unbezahlte Tätigkeiten zur Reproduktion anfallen, nichts von ihrer Berechtigung.
Nach Marx begegnet der eine Warenbesitzer dem anderen als freiem Menschen. Der Geldbesitzer begegnet dem Arbeiter "als bloße(m) Besitzer seiner Arbeitskraft", "frei von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen" (Kapital, Bd. I, S. 183). Mit der Erkämpfung der Familie, des Familienlohns und damit der Verfügungsgewalt über seine Frau, treten "nötige Sachen" an die Seite des Lohnarbeiters. Der "freie Lohnarbeiter" verfügt über die nicht warenförmig auftretende Arbeitskraft seiner Frau. Gleichzeitig dient diese Verfügungsgewalt aber dem Zweck, das Arbeitsvermögen des Lohnarbeiters zu reproduzieren, eine zur Reproduktion des Kapitals notwendige Arbeit. Der Lohnarbeiter eignet sich das Arbeitsprodukt seiner Frau (bzw. seiner Mutter) an, weil er Besitzer seiner Arbeitskraft ist, das Kapital konsumiert das Arbeitsprodukt der Frau, indem es den Arbeiter konsumiert.
Mit der Erkämpfung der Familie werden die Männer von den persönlichen Diensten an sich selbst befreit. Die bürgerliche Gesellschaft suggeriert den Individuen, Subjektivität könne durch Kommandierung fremder Arbeitskraft erlangt werden. So gesehen ist Hausarbeit nicht nur die materielle Grundlage der Reproduktion des lebendigen Arbeitsvermögens, sondern ebenso Quelle jener männlichen Identität, die die Erfahrung, außerhalb der Lohnsklaverei Subjekt zu sein, benötigt.
Der Doppelcharakter der Verfügungsgewalt des Mannes über die Arbeitskraft seiner Frau besteht also in der tatsächlichen Verfügungsgewalt - die sich sehr oft in realer Gewalt ausdrückt - und in deren Funktionalität fürs Kapital.
Es bleibt weiteren Diskussionen überlassen, welche praktischen Schlüsse aus solchen Erkenntnissen abzuleiten sind - sofern mensch der Analyse folgen mag. Für uns hat sich während der Erarbeitung dieses Papiers eine Menge bewegt. Viel "alte Theorie" mußte dran glauben. Vielem, was an anderen Betrachtungen des Themas immer "irgendwie" falsch schien, können wir jetzt mit eigenen Thesen entgegentreten. Das, was uns wesentlich erschien - auch wenn es nicht eigentlich neu ist, mit Sicherheit schon in vielen anderen Stellungnahmen gesagt wurde - ist dennoch so quer zum common sense des linksradikalen Diskurses, daß wir uns eine kurze Zusammenfassung nicht verkneifen können. Wir hoffen provokativ genug für die Verbreiterung einer Debatte zu formulieren:
Die proletarische Familie und die Hausarbeit sind nicht die bruchlose Fortsetzung eines ahistorischen Patriarchats, sie entwickelten sich mit und aus der Kapitalisierung. Mit der Durchsetzung der proletarischen Familie und damit der Reproduktion seiner selbst, nahm das Proletariat Anteil an der Durchsetzung der Kapitalisierung. Obwohl die Hausarbeit wertneutral und unproduktiv ist, findet sie keinen Platz außerhalb kapitalistischer Vergesellschaftung. Hausarbeiterinnen sind keine Klasse für sich, sondern durch ihre Stellung im Reproduktionsprozeß des gesellschaftlichen Gesamtkapitals definiertes Segment des Proletariats. In einem mit dem Begriff »historischer Kompromiß" unzureichend beschriebenen Kampfzyklus erreichten die männlichen Proletarier die Verfügungsgewalt über jeweils eine Frau. Diese Verfügungsgewalt besitzt den Doppelcharakter, tatsächlich jedem Mann eine Frau unterzuordnen und funktional im Reproduktionsprozeß zu sein. Die moderne Geschlechterspaltung ist ein originäres Produkt des Kapitalismus, ein historisch neues Verhältnis.
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[1] Sir William Petty (1623-1687), englischer Ökonom und Statistiker, vor Marx geschätzter Begründer der politischen Ökonomie (agl.5.).
[2] zufällige Nebensache (agl.5.).
[3] ausbeutbare (agl.5.))
[4] »Arbeit« meint an dieser Stelle ganz klassisch die zielgerichtete Verausgabung von menschlichem Muskel, Nerv und Hirn. Im marxistischen Diskurs gilt Arbeit als eine zentrale Kategorie, die von verschiedensten Blickpunkten aus betrachtet werden muss. In der warenproduzierenden Gesellschaft schafft die Arbeit nicht nur stofflichen Reichtum (den Gebrauchswert), sondern auch einen abstrakten Wert, der unabhängig von der konkreten Gestalt der Produkte deren Austauschbarkeit bestimmt (den Tauschwert). Es wird unterschieden zwischen der konkreten Arbeit, die dsa konkrete Produkt bildet (also dessen Gebrauchswert) und der abstrakten Arbeit, die den Wert bildet. Konkrete und abstrakte Arbeit sind nicht trennbar, sondern zwei Seiten derselben Tätigkeit.
[5] Festlegung auf bestimmte Reaktionen, z. B. höflich, gehorsam und pünktlich zu sein.
[6] Veranlagungen.
[7] Eine der Warenproduktion vorausgehende und von ih zunehmend verdrängte Produktionsform. In der Subsistenzproduktion verrichtete Arbeit ist stets am eigenen Bedürfnis der Arbeitenden oder deren Lebenszusammenhängen orientiert, es sind keine Produkte für den Handel vorgesehen. Dei sich entwickelnde Warenproduktion hat Jahrhunderte gebraucht, um die Subsistenzproduktion zu verdrängen. Zahlreiche Mischformen traten historisch auf und sind heute noch festzustellen (jeder Schrebergarten kann als Beispiel gelten). Im Trikont (Asien, Afrika, Lateinamerika) ist sie teilweise noch immer die wesentliche Produktionsform.
[8] Hier ist vielleicht noch der Hinweis auf den sogenannten »kulturellen« Bestandteil der Reproduktionskosten angebracht. Die Mittel zur Reproduktion umfassen neben den absolut notwendigen (Über-)lebensmittel auch Waren und Dienstleistungen, die der kulturellen Stufenleiter, die gerade erklommen wurde, entsprechen. Als Beispiele hierfür mögen Urlaub, Video oder der modische Haarschnitt genügen. Die Frage, ob diese kulturellen »Errungenschaften« selbst nötig oder sinnvoll sind, spielt an dieser Stelle eine untergeordnete Rolle.
[9] In der Zirkulationssphäre, in der die Waren gegen Geld und umgekehrt getauscht werden, wird kein neuer Wert geschöpft. Selbst wenn Waren über oder unter Wert verkauft werden, kommt nur auf der einen Seite das dazu, was auf der anderen weggenommen wurde. Wert entsteht in der Produktionssphäre durch die Verausgabung produktiver Arbeit.
[10] Marx unterscheidet zwischen der Produktion des relativen und des absoluten Mehrwerts. Wenn der Arbeitstag in notwendige und Mehrarbeit geteilt wird, kann die Produktion von Mehrwert nur durch Verlängerung der Mehrarbeitszeit erhöht werden. Das ist einerseits möglich durch Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit (durch Senkung der Reproduktionskosten), hier spricht Marx von der Produktion des relativen Mehrwerts, andererseits durch Verlängerung der Gesamtarbeitszeit, was Marx Produktion des absoluten Mehrwerts nennt.
[11] Daß dem Kapital die Vernichtung »unwerten Lebens « immanent ist, ist nicht nur theoretisch und historisch zu belegen. Das Leben von Millionen Menschen im Trikont gilt nichts, weil das Kapital an ihnen kein Verwertungsinteresse festmacht.
[12] Selbst wenn die immateriellen Bestandteile in Warenform daherkommen, sich z. B. der Mitteleuropäer über den Frauenhandel eine Asiatin kauf, bleibt – neben der gesellschaftlichen Ächtung, die solchem Tun anhaftet – daß die erstandene Ware nur dann einwandfrei ist, wenn sie im Gebrauch die Warenform abstreift. Den verkauften Frauen gelingt das nur, wenn sie »ihren Männern« tatsächlich »echte Liebe« schenken, bei Strafe des Umtauschs. Vielleicht sollte in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden, das wir keinesfalls abstreiten wollten, daß Beziehungen zwischen Menschen in einer kapitalistischen Gesellschaft selbstverständlich Warencharakter annehmen. Dafür ist es schnurz, ob die Beziehung durch Geld vermittelt wurde oder nicht. Dennoch bleibt ein Unterschied zwischen der Kapitalisierung von Beziehungen und dem ihnen eigenen Warencharakter.
[13] Der Begriff Monade bedeutet eigentlich Einheit, Unteilbares. Leibniz, ein deutscher Philosoph (1646-1716), begründete die »Monadenlehre«, nach der jedes Element der Wirklichkeit eine Monade sei, d. h. eine in sich geschlossene körperlich-geistig-seelische Substanz und als solche ein Spiegel ers Universums. Der – soweit wir wissen – von der »Krisis«-Redaktion geprägte Begriff Geldmonade meint eine Person, deren Beziehung zur Außenwelt einzig über die Ware-Geld-Beziehung vermittel ist, und deren Bewußtsein das »Gelduniversum« widerspiegelt. Diese These operiert mit der von Marx im ersten Band des Kapital entwickelten Warenfetisch.