wildcat.zirkular

31.1.2014

aus: Zirkular 2, März 1994

Autonome Gruppe 1. Mai Stuttgart

Kapitalismus und Hausar­beit

Betrachtungen über die Reproduktion als Grund­lage kapi­tali­stischer Geschlechterspal­tung

Statt eines Vorworts

»Der Wert der Arbeitskraft, gleich dem jeder anderen Ware, ist bestimmt durch die zur Produktion, also auch Reproduktion, dieses spezifischen Artikels notwen­dige Arbeitszeit.«

»Die zur Produktion der Arbeitskraft notwendige Arbeitszeit löst sich also auf in die zur Produktion dieser Lebensmittel notwendige Arbeitszeit, oder der Wert der Arbeitskraft ist der Wert der zur Erhaltung ihres Besitzers notwendigen Lebens­mittel.«

»Der Eigentümer der Arbeitskraft ist sterblich. Soll also seine Erscheinung auf dem Markt eine kontinuierliche sein, wie die kontinuierliche Ver­wandlung von Geld in Kapital voraussetzt, so muß der Verkäufer der Arbeitskraft sich ver­ewigen, wie jedes lebendige Individuum sich verewigt, durch Fortpflanzung«

(Petty)3

»Die durch Abnutzung und Tod dem Arbeitsmarkt entzogenen Arbeitskräfte müssen zum allermindesten durch eine neue Anzahl gleicher Arbeitskräfte beständig ersetzt werden. Die Summe der zur Produktion der Arbeitskraft notwendigen Lebensmittel schließt also die Lebensmittel der Ersatzmänner ein, d. h. der Kinder der Arbeiter, so daß sich diese Race eigentümlicher Warenbesit­zer auf dem Warenmarkt verewigt.«

(Karl Marx, Das Kapital, Bd.I, MEW Bd.23, S.184f, Berlin 1983)

»Die Konsumtion des Arbeiters ist doppelter Art. In der Produktion selbst konsumiert er durch seine Arbeit Produktionsmittel und verwandelt sie in Produkte von höherem Wert als dem des vorgeschoßnen Kapitals. Das ist seine produktive Konsumtion. Sie ist gleichzeitig Konsumtion seiner Arbeitskraft durch den Kapitalisten, der sie gekauft hat. Andererseits verwendet der Arbeiter das für den Kauf der Arbeitskraft gezahlte Geld in Lebensmittel: Das ist seine individuelle Konsumtion. Die produktive und die individuelle Konsumtion des Arbeiters sind also total verschieden. In der ersten handelt er als bewegende Kraft des Kapitals und gehört dem Kapitalisten; in der zweiten gehört er sich selbst und verrichtet Lebens­funktionen außerhalb des Produktionsprozesses. Das Resultat der einen ist das Leben des Kapitalisten, das der anderen ist das Leben des Arbeiters selbst.
Bei Betrachtung des "Arbeitstags" usw. zeigte sich gelegentlich, daß der Arbeiter oft gezwungen ist, seine individuelle Konsumtion zu einem bloßen Inzident2 des Produktions­prozesses zu machen. In diesem Fall setzt er sich Lebensmittel zu, um seine Arbeitskraft in Gang zu halten, wie der Dampfmaschine Kohle und Wasser, dem Rad Öl zugesetzt wird. Seine Konsumtionsmittel sind dann bloße Konsumtions­mittel eines Produktions­mittels, seine individuelle Konsumtion direkt produktive Konsumtion. Dies erscheint jedoch als ein dem kapitalistischen Produktionsprozeß unwesentlicher Mißbrauch.
Anders sieht die Sache aus, sobald wir nicht den einzelnen Kapitalisten und den einzelnen Arbeiter betrachten, sondern die Kapitalistenklasse und die Arbeiter­klasse, nicht den vereinzel­ten Produktions­prozeß der Ware, sondern den kapitali­stischen Produktionsprozeß in seinem Fluß und in seinem gesellschaftlichen Umfang. - Wenn der Kapitalist einen Teil seines Kapitals in Arbeitskraft umsetzt, verwertet er damit sein Gesamtkapital. Er schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe. (...) Das im Austausch gegen Arbeitskraft veräußerte Kapital wird in Lebens­mittel verwandelt, deren Konsumtion dazu dient, Muskel, Nerven, Knochen, Hirn vorhandener Arbeiter zu reproduzieren und neue Arbeiter zu zeugen. Innerhalb der Grenzen des absolut Notwendigen ist daher die individuelle Konsumtion der Arbeiterklasse Rückver­wandlung der vom Kapital gegen Ar­beitskraft veräußerten Lebensmittel in vom Kapital neu exploitierbare3 Arbeits­kraft. Sie ist Produktion und Reproduktion des dem Kapitalisten unentbehrlich­sten Produktionsmittels, des Arbeiters selbst. Die individuelle Konsumtion des Arbeiters bleibt also ein Moment der Produktion und Reproduktion des Kapitals, ob sie innerhalb der Werkstatt, Fabrik usw., innerhalb oder außerhalb des Arbeitsprozesses oder bestimmten Phasen desselben geschieht. Es tut nichts zur Sache, daß der Arbeiter seine indivi­duelle Konsumtion sich selbst und nicht dem Kapitalisten zulieb vollzieht. So bleibt der Konsum des Lastviehs nicht minder ein notwendiges Moment des Produktionsprozesses, weil das Vieh selbst genießt, was es frißt. Die beständige Erhaltung und Reproduktion der Arbeiter­klasse bleibt beständige Bedingung für die Reproduktion des Kapitals. Der Kapitalist kann ihre Erfüllung getrost dem Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb der Arbeiter überlassen.«

(ebd., S.596ff)

Einleitung

Scharf analysiert Marx die Reproduktion der ArbeiterIn­nen als Teil der Re­produktion des Kapitals. Das "Leben" im entwickelten Kapitalismus ist voll­ständig durchdrun­gen von den Gesetzen des Wertes. Freiräume gibt es nicht. Bei näherer Betrachtung der Zitate und auch beim Studium anderer Quellen des Marxismus fällt je­doch die konsequente Ausblendung jener Art Arbeit4 auf, die zur Verarbeitung der Menge an Lebensmittel notwendig ist, in der sich der Wert der Ware Arbeits­kraft vergegen­ständlicht. Die Reproduktionsmittel, die auf dem Markt vorgefunden werden, sind selten in ei­nem Zustand, der den direkten Verbrauch erlaubt, bzw. bleiben nicht in einem solchen Zustand. Das Fleisch und die Kartoffeln müssen zubereitet werden, der Topf und die Teller gespült, Hosen und Hemden gewaschen, ge­flickt, gebügelt werden usw. Auch die Genera­tionen neuer Arbeitskräfte entstehen nicht von allein aus dem "Selbsterhaltungs- und Fortpflanzungstrieb der Arbei­ter". Ihre Aufzucht und Konditionierung5 erfordern Dienstleistungen, die auch nach 150 Jahren entwickelter Warenproduk­tion nur zu einem Bruchteil am Markt erhältlich sind. Offensichtlich existiert neben der Lohn­arbeit ein weiterer gesellschaftlicher Bereich, in dem gearbeitet wird, der aber den politisch-ökonomischen Analytikern bisher nicht der genauen Untersuchung wert war.

Die kommunistische Bewegung, zu der wir uns zählen, kommt nicht umhin, die Reproduktions­arbeit zu analy­sieren, die Lücken in der Politischen Ökonomie zu schließen. Das ist der eine Grund für unsere Diskussion, der andere liegt in der Notwendigkeit, den Begriff "Pa­triarchat" theoretisch zu fassen. Das ist bestimmt nicht getan mit dem Versuch, Hausarbeit in einen polit-öko­nomischen Zusam­men­hang zu packen - ein Versuch, für den wir übrigens auch kein Welturauffüh­rungs­recht besitzen - aber dieser Ansatz scheint uns für eine Kritik des Patriar­chats von links unabdingbar. In Positionen, wie sie z.B. in dem Papier "3:1 Klassenwiderspruch, Rassismus und Sexismus" vertreten werden, wird der Ver­such der Anwendung marxscher Kategorien auf den zu untersuchenden Gegen­stand erst gar nicht unternom­men. Im Gegenteil wird den AnwenderInnen von Kate­gorien wie Wert, Ware etc. ein "ökonomistisches" Welt­bild unterstellt, das dem Wesen der Verhältnisse nicht näherkäme. Wir wollen es den "ÖkonomistIn­nen" und den "AntiökonomistIn­nen" (und den bürgerlichen Volkswirtschaftlern) überlassen, die Gesellschaft und die Ökonomie zu trennen, um sie anschließend wieder kunstvoll in Beziehung zu setzen. Wert, Ware und Kapi­tal sind gesell­schaftliche Kategorien.

Wir haben Getraude Kittlers "Hausarbeit - Zur Ge­schichte einer ,Natur-Ressour­ce`" (Frauen­offensive, Mün­chen 1980) gelesen. Unser Beitrag versucht, Thesen aus dieser Arbeit mit einigen eigenen Gedanken zu verknüp­fen und versteht sich weniger als wissenschaftliche Ana­lyse, denn als Diskussionsbeitrag. Beeinflußt wur­de un­sere Diskussion darüberhinaus von verschiedenen Texten aus der "Kri­sis"-Redaktion, die Teil eines Readers für ein Seminar zum Thema "Ge­schlechter­spaltung und Wert­vergesellschaftung" waren. Einige der Texte sind inzwi­schen in der Zeitschrift "Krisis" Nr. 12 (edition krisis, Horlemann Verlag, Erlangen 1992) veröffentlicht wor­den.

Hausarbeit

Hausarbeit ist jede Art von unentlohnter Tätigkeit der unmittelbaren Reproduk­tion und Pro­duk­tion des leben­digen menschlichen Arbeitsvermögens. In diesem Sinne ist Hausarbeit di­rekt gesell­schaftliche Arbeit. Die Pro­dukte dieser Arbeit - Menschen - treten zwar als Wa­ren­besitzerInnen auf den Markt, um ihre Ar­beitskraft zu verkaufen, die Hausarbeiterin aber nicht. Sie hat keine Ware produ­ziert, sondern Menschen, die sich selbst ge­hören und ihre Arbeitskraft auf eigene Rechnung ver­kaufen. Die Arbeitskraft scheint den Menschen imma­nent, scheint also naturwüchsig an ihnen zu kleben und nicht das Produkt der Haus­arbeit zu sein. Die Hausar­beiterin tritt nicht auf den Markt, der Markt aber dient der waren­produzieren­den Gesellschaft als Medium ge­sellschaftlicher Arbeit. Die Gesell­schaft­lichkeit der Haus­arbeit - und damit die Hausarbeit als Arbeit an sich - bleibt so unsichtbar.

Die Stätte der Hausarbeit ist die Familie, die zu bearbei­tenden Gegenstände in Lohnarbeit stehende Männer und für Lohnarbeit zu konditionierende Kinder, in Fällen von Arbeitslosigkeit, Krankheit und Alter auch aus dem Produktions­prozeß Ausgeschiedene.

Die Anforderungen an eine Hausarbeiterin sind hoch. Die materiellen Tätigkei­ten, die zur Reproduktion einer modernen Arbeitskraft nötig sind, erfordern auf Seiten der Hausarbeiterin Kenntnisse der Ernährungsphysiolo­gie, der Betriebs­wirtschaft und der Medizin. Die Tätig­keiten sind im Bereich der Krankenpflege, Hygiene, des Einkaufs von Waren, der Verarbeitung und Verfeine­rung dieser Waren zum menschlichen Konsum usw. angesiedelt. In der entwickelten kapitali­stischen Gesell­schaft treten die immateriellen Tätigkeiten der Haus­arbeiterin zunehmend in den Vordergrund. Kenntnisse der Pädagogik und Psychologie werden vorausgesetzt. Die Hausarbeiterin berät, erzieht, therapiert und liebt die Reproduktionsgegenstände.

Die erfolgreiche Verrichtung sowohl der materiellen als auch der immateriellen Seite der Hausarbeit fordert von der Hausarbeiterin ein Höchstmaß an Bereit­schaft zu persönlichem Verzicht, selbst im Hintergrund zu bleiben und zur Unterordnung.

Diese Eigenschaften werden der Hausarbeiterin biologi­stisch und ideologisch als "natürlich" zugeschrieben. Schwadronen bürgerlicher "Wissenschaftler" erklären die Weichherzigkeit, die Güte, die Unterordnung und der­gleichen aus biologi­schen Dispositionen6. Teile der Frau­enbewegung ("neue Mütterlichkeit", "Frie­den ist weib­lich") schließen sich an. Tatsächlich ist jedoch eine im Säuglingsalter beginnende Kon­ditionierung von Frauen notwendig und ursächlich für die durchgesetzte Haus­frauisierung jeder Frau, deren Verbindlichkeit sich auch nicht durch drastische Veränderungen im häuslichen Umfeld erschüttern läßt. Berufs­tätige Frauen, die ihre arbeitslosen Männer von der Hausarbeit fernhalten oder zumindest klaglos deren Nichtstun dulden und Wohnge­meinschaften, die ohne Frauen zumeist im Dreck ersti­ken würden, sind zwei Seiten derselben Medaille.

Kleine Geschichte der Hausarbeit

Bei allen schichtspezifischen und regionalen Unter­schiedlichkeiten entwickelt sich die Trennung von Haus und Produktion - deren bis heute nahezu absolute Durchsetzung sich in dem Terminus "Arbeiten gehen" ausdrückt - Mitte des 18. bis 19. Jahrhun­derts zur gesell­schaftlichen Norm. Bis dahin war eine solche Trennung gesell­schaftlich marginal. Eine der daraus erwachsenden Notwendig­keiten ist die bis dahin bei der Masse der Menschen unbekannte Kindererzie­hung. Kinder werden nicht länger in den Produktions­prozeß hineingeboren und dort für kommende Tätigkeiten konditioniert. Man kann sich vorstellen, daß die Kinder der bäuerlichen Familie oder der gern zur Illustration benutzten Weber­fa­milien sehr früh praktisch mitarbeiten mußten, sinn­lich erleben konnten und ständig vor Augen hatten, welche Über­windungen, welche Plackerei der Produk­tions­prozeß den Menschen abverlangt. Die Erziehenden müssen jetzt im ent­fremdenden Vorgriff auf künftige Erwachsenenmü­hen die Kinder in ihren Trieben unter­drücken, sie disziplinieren und vorgelagert ausbilden.

Die Hausarbeit als Reproduktion menschlichen Arbeits­vermögens entsteht unter der sich entwickelnden kapita­listischen Produktionsweise in den letzten Jahr­zehnten des 19. und in den ersten des 20. Jahrhunderts.

Bürgerlicher Haushalt

Im bürgerlichen Haushalt vor der Jahrhundertwende ist der Frau die Verrichtung mate­ri­el­ler Arbeit verboten. Alle körperliche Arbeiten werden von Dienstboten ver­­richtet. Die Tä­tigkeit der bürgerlichen Frau umfaßt neben der Darstellung des Lu­xus und des Reich­tums der Bourgeoise die Leitung und Organisation des Haus­haltes und die Über­wachung der Erziehung der Kinder. Die Verdammnis zum "Nichts­tun" wird von einer Welle "wis­senschaftlicher" Erklärungen, Frauen seien schwäch­lich, schutzbedürftig usw., be­glei­tet.

Ohne Familie keine Reproduktion

Von einer Reproduktion der ArbeiterInnenklasse kann zu Beginn der Kapitalisie­rung nicht gesprochen werden. Das Kapital bedient sich eines vorerst unerschöpf­lich schei­nenden ArbeiterIn­nenreservoirs vom Lande. Arbei­terInnen bleiben in der Regel le­dig, sie leben großteils nach Geschlechtern getrennt in Wohnheimen, als Kost­gänge­r­In­nen oder wandern von Arbeitsstelle zu Arbeits­stelle. Frauen ar­bei­ten häufig als Dienst­botinnen. In Südafrika können heute konservierte For­men solcher Verhält­nis­se betrachtet werden. Unehelich gezeugte Kinder werden von den Fabrikherren in Berg­werken, Spinnereien und ähnlichen An­stalten vernutzt. Mit der Proletarisie­rung wird die alte großfamiliäre Struktur zunächst weitgehend ersatz­los zerschlagen. Diese Vor­gänge vor Augen, entwi­keln Marx und Engels ihre Betrach­tungen über die anti­familiäre Tendenz des kapi­talisti­schen Progresses. Der idealtypi­sche Familien­typus pro­letarischer Art - männlicher Lohnarbeiter und ten­denziell nicht arbeitende Frau und Kinder - folgt dieser für den großen Teil der ProletarierIn­nen "familien­losen" Phase nach.

Proletarischer Haushalt

Der proletarische Haushalt ist zunächst noch geprägt von landwirtschaftlichen Tä­tigkeiten der Frauen, die so oder durch monetäre Nebeneinkünfte aus dem Ver­kauf des landwirt­schaftlichen Überschusses zum Lebensunter­halt beitragen. Ver­änderungen der Lebens­bedingungen, wie Urbanisierung ganzer Landstriche, Land­flucht, Ver­billigung der Konsumgüter durch industrielle Fertigung, ver­drän­gen die Subsistenzproduktion7. Phasenhaft sin­kende Löhne zwingen immer mehr Frau­en zur Aufnah­me von Lohnarbeit und tun ein Übriges zur Zerstörung dieser Pro­duk­­tionsweise.

Trotz dieser schlechten ökonomischen Ausgangslage strahlen die Idealvorstellun­gen der bürgerlichen Familie in die ArbeiterInnenklasse. Jede Verbesserung der öko­nomischen Lage der ArbeiterInnen­klasse wird genutzt, um die Frau von Lohnarbeit freizustellen. Klassenkämp­fe haben zum Ziel, der Kinder- und Frau­en­­arbeit ein Ende zu setzen. Das objektive Interesse der ArbeiterIn­nenklasse, sich möglichst ausrei­chend zu reproduzieren, "besser zu leben", unterstützt die Verbringung der Frau­en an Heim und Herd.

Die ArbeiterInnenbewegung benutzt das Idealbild der bürgerlichen Familie - die nichtarbeitende Frau - als moralische Waffe gegen die Ausbeutung aller Familien­mit­glieder und die damit einhergehende Lohnsenkung. Die Lohnarbeit weiterer Fa­milienmitglieder führt ten­denziell nicht zur Verbesserung des Reproduktions­ni­veaus, sondern zur Verteilung des Einkommens auf mehrere Köpfe. Die idealty­pische proletarische Familie und der "Familienlohn" sind Folgen von Klassen­kämp­fen. Das Proletariat entzieht dem Kapital Arbeitskräfte. In einem vertei­lungs­kämpferischen Sinne wird so die Familie funktional fürs Proletariat.

Das proletarische Klasseninteresse der Selbsterhaltung stellt sich gegen die Ten­denz des Kapitals, die Arbeite­rInnen durch Überausbeutung auszurotten. Damit wird der Klassenkampf selbst zum Instrument der Kapitalisie­rung. Der Schutz der Grundlage der Kapitalakkumula­tion - verwertbare Arbeitskraft - mag zwar den Profit individuel­ler Kapitalisten mindern, bleibt aber notwen­diges Moment der Re­produktion des gesell­schaftlichen Gesamtkapitals. Klar, daß sich der Staat als ideeler Ge­samtkapitalist mit Arbeitsschutzgesetzen auf die Seite der Arbeite­r­Innen schlägt. Klar auch, daß zwischen Reproduktion des lebendigen Arbeitsver­mögens der benötigten Arbeits­kräfte und 'nem schönen Leben für Alle ein Wi­der­spruch bestehen bleibt, dessen Auflösung Generationen von bewegten Arbei­ter­Innen als der ei­gentliche Schritt ihrer Emanzipation erscheinen muß.

Die Erkämpfung der Familie als historischer Kompro­miß?

Die Erkämpfung der Familie stellt sich für die Frauen ungleich unvorteilhafter als für die Männer dar. Den Frauen wird postwendend die volle Verantwortung für das Glück der männlichen Massen übertragen - nicht zuletzt auch von der ArbeiterIn­nen­bewegung selbst. Jedem männlichen Lohnarbeiter wird eine Frau zur "freien Verfügung" (s. u.) überstellt. Dieser "histori­sche Kompromiß" wird natürlich nicht kampflos er­reicht. Fortan ist Bestandteil des Klassenkampfes der Kampf um die Zeit, die die Frau im Haus oder in der Fabrik arbeitet. In diesem Kampf sitzt das Kapital klar am längeren Hebel. So zwingt es in der Phase der Krise mit hoher Arbeitslosigkeit die Frauen an Heim und Herd, mobilisiert aber ihre Arbeitskraft in Zeiten der Hochkonjunktur.

Entwicklung der Hausarbeit unter dem Kapitalverhält­nis

Die häuslichen Arbeitsbedingungen verändern sich. Die Haushalte werden, bedingt durch die Mobilität der "frei­en Lohnarbeiter", kleiner. Die Kinder fallen wegen hö­herer Anforderungen an ihre Ausbildung als Mitarbei­tende im Haushalt - natürlich geschlechts­spezifisch un­terschiedlich - zunehmend weg. Kinder, die in ländlicher Umgebung sich selbst überlassen waren, müssen jetzt beaufsichtigt werden. Ihre Erziehung wird - siehe oben - notwendig und im sich entwickeln­den Kapitalismus immer aufwendiger. Die vormals in Subsistenz produ­zierten häuslichen Rohstoffe müssen auf dem Waren­markt beschafft werden. Die Urba­nisierung erhöht die hygienischen Anforderungen. Der Arbeitsmarkt saugt die Dienstboten aus den kleinbürgerlichen Familien, die Kleinbürgerin­nen und sogar manche Bourgeois-Frau­en müssen immer größere Teile der Hausarbeit selbst über­nehmen. Ein Teil der Hausarbeit wird durch Ein­führung von Haushalts­maschinen rationalisiert, ein anderer in (Frauen-) Lohnarbeitsverhältnisse umge­wan­delt. Die dadurch freigesetzten Potentiale der Frauen werden von steigenden Ansprüchen an Haushaltsstan­dards sofort wieder belegt. Die Durchsetzung dieser Standards wird nicht den nörgelnden Männern über­lassen. Zahlreiche entstehen­de Hausfrauenvereine, Haus­arbeits­schulen für junge Frauen (vgl. auch die heute aus den Regalen quellenden, sich vornehmlich an Frauen richtenden, Haushalts-, Garten-, Wohn-, Mode-, Kosme­tik- und Elternzeit­schriften) zeugen von der erforderli­chen Vermittlung.

Haus- und Lohnarbeit

Weibliche Lohnarbeit ist nie Ersatz, sondern regelmäßig nur Ergänzung der Haus­arbeit. Aus Lohnarbeit er­wächst den Hausarbeiterinnen eine zusätzliche Bela­stung, die meist auch als solche - seltener als Befreiung - empfunden wird. "Qualifizierte Berufe" für Frauen sind meist vergesell­schaftete, ins Lohnverhältnis über­nommene Reproduktionsjobs wie Krankenschwester oder Lehrerin. Die Konditionierung für die Hausarbeit macht Frauen aber auch wie geschaffen für Arbeitsstel­len, die ein hohes Maß an persönlicher Unterordnung bedingen - die Sekretärin ist die Hausfrau, die dem männlichen Vorgesetzten in der öffentlichen Sphäre zur Seite gestellt wird. Die Hausfrau als Zuverdienerin trägt in Zeiten finanzieller Schwierigkeiten der Familie zum Erwerb bei - ihre schlechte Bezah­lung ist Ausdruck des Wertgesetzes. Lediglich der Lohnteil des Mannes, der zur Erreichung des Wertes seiner Arbeits­kraft (den Re­produktionskosten8 der Fami­lie) fehlt, soll ersetzt wer­den. In vielen Familien sind die Zeiten mit finanziellen Schwierigkeiten Dauerzustand.

Lediglich in Zeiten der männerlosen Kriegswirtschaft wird den Frauen die alleinige Verantwortung für die Produktion übertragen. Dabei werden regelmäßig ideo­logi­sche Kopfstände unternommen, um der Situation gerecht zu werden. Im Anschluß müssen Frauen ebenso regelmäßig wieder an "ihren Platz" getrieben werden. Gerade im Krieg wird die "Natürlichkeit" der geschlecht­lichen Arbeits­teilung in ihrer Absurdität entlarvt.

Hausarbeit und Wertgesetz

Mit Wertkategorien ist Hausarbeit nicht zu erfassen

Die zur Reproduktion der ArbeiterInnenklasse aufzu­wendende Arbeit teilt sich in bezahlte Arbeit, wie sie von LehrerInnen, Pflegepersonal oder SozialarbeiterIn­nen geleistet wird, und in unbezahlte Arbeit, wie sie von Hausarbeiterinnen verrrichtet wird.

Bezahlte Reproduktionsarbeiten erhöhen den Wert der Arbeitskraft - die Arbeite­rIn­nen müssen die warenför­mig auftauchenden Produkte kaufen - oder tauchen als gesell­schaftliche Kosten auf, wie im Falle von staatlich geführten Schulen oder des über Krankenversicherungen finanzierten Gesundheits­wesens.

Die Hausarbeit dagegen ist wertneutral. Die Hausarbei­terin verwandelt am Markt vorgefundene Waren in Produkte des täglichen Konsums, ohne daß diesen Pro­dukten etwas warenförmiges anhaftet. Die einzige Ware, die die Hausarbeit produ­ziert - die Arbeitskraft - bleibt aber im Wert lediglich durch die in ihr vergegenständ­lichten Waren bestimmt. Die Arbeit der Hausarbeiterin ist mit Wertkategorien nicht zu erfassen.

Können weniger Waren am Markt erstanden werden, muß die Hausarbeiterin mehr arbeiten, um die billige­ren, unfertigen Waren in konsumierbare Lebens­mittel zu verwandeln. Fällt der Lohn, der Geldausdruck der in der Arbeitskraft vergegen­ständlichten wertbildenden Arbeit, steigt der Anteil nicht wertbildender, unbezahl­ter Arbeit an der Reproduktion. Die Menge der in der Arbeitskraft vergegenständlichten nicht wertbilden­den Arbeit verhält sich also zur wertbilden­den im umgekehr­ten Verhältnis.

Hausarbeit und Klasse

Eines der traditionellen Mißverständnisse, dem die Linke in der Betrachtung der Welt aufsitzt, besteht in der Zuordnung aller "Ausgebeuteten" zum Proletariat.

Dieses Mißverständnis führt über Umwege zur Auffas­sung, daß "die Arbeiter­klasse aufgehört hat zu existie­ren". Ausbeutung meint, daß sich ein anderer als der Arbei­tende das aus der Arbeit resultierende Mehrpro­dukt aneignet. In diesem Sinne werden viele der in der BRD angeheuerten Arbeitskräfte nicht ausgebeutet. Ausge­beutet werden kann nur die produktive Arbeits­kraft. Produktiv meint Reproduktion des vorgeschosse­nen Kapitals und darüber hinaus Produktion des Mehr­werts. Im sich entwickelnden Kapitalismus verschwindet zunehmend produktive Arbeit zugunsten eines unpro­duktiven Wasserkopfes in der Zirkula­tionsspäre, dessen Wirken der reinen Formverwandlung von Waren in Geld - und umgekehrt – dient9. Kein Brösel Mehrwert entsteht hier.

Unproduktive Arbeitskraft wird nicht ausgebeutet, eher angewendet. Für die ange­wendeten ArbeiterInnen be­steht kein Unterschied zur Ausbeutung der anderen. Für die klassenmäßi­ge Bestimmung kann das Begriffs­paar produktiv/­unproduktiv keine Rolle spielen. Die Reinemachefrau, die in der Putzkolonne die Werkshalle oder das Elektroniklabor säubert, arbeitet produktiv; während ihre reinigende Tätigkeit auf der Automobil­ausstellung oder im Börsenmaklerbü­ro so unproduktiv bleibt wie das Spülen zuhause nach Feierabend.

Es nutzt also nichts, der Hausarbeiterin, wie auch immer definiert, produktive Arbeit anzudichten. Wenn die Arbeit der Hausarbeiterin wertneutral ist, kann kein Mehr­wert entstehen. Wenn mensch davon abstrahieren mag, daß die Haus­arbeiterin ihr Produkt nicht besitzt, weil die Arbeitskraft nun mal an den von der Haus­arbei­terin (re)produzierten Menschen klebt, könnte man die Haus­arbeiterin auf den Waren­markt begleiten. Wenn dann dort der Kapitalist das indirekte Produkt der Hausarbeit, die Ware Arbeitskraft (tendenziell) zu ihrem Wert kauft, eignet er sich kein Mehrprodukt an.

Uns leuchtet eine andere Einordnung der unprodukti­ven Hausarbeit eher ein: Die Arbeits­zeit der produkti­ven ArbeiterInnen teilt sich in die notwendige Arbeits­zeit, in der das Pro­dukt des Arbeitsprozesses den varia­blen Kapitalteil (den Lohn) darstellt und in die Mehr­arbeit, in der Mehrwert produziert wird. So wie sich deshalb jede Minute in notwendige Ar­beit und Mehr­arbeit aufteilen läßt, läßt sich auch die Lebensarbeitszeit der ArbeiterIn­nen aufteilen.

In einer weiteren Abstraktionsstufe lassen sich alle Ar­beiterInnen einer Fabrik aufteilen: in welche, die ledig­lich notwendige Arbeit verrichten und welche, die le­diglich Mehrarbeit leisten. Das ist im Prinzip natürlich auch für die ganze Gesell­schaft möglich, wenn von den Einzelinteressen der jeweiligen Kapitalisten zugunsten der Kapitalistenklasse abstrahiert wird.

Wird in dieses Modell die unbezahlte Reproduktions­arbeit, die Hausarbeit, mitein­bezogen, erscheint diese Arbeit keinesfalls länger als etwas dem Verwer­tungs­pro­zeß Fremdes, sondern als Teil der notwendigen Arbeit. Die Arbeit die notwendig ist, um das lebendige Arbeits­vermögen zu reproduzieren, setzt sich zusammen aus der im Lohn vergegen­ständlichten Arbeit und der un­entgeltlichen Hausarbeit. Die Haus­arbeit ist notwendige Arbeit im Reproduktionsprozeß des Kapitals.

Die Hausarbeiterin ist Teil der ArbeiterInnenklasse, sie ist nicht länger eingehei­ratetes Anhängsel, dessen klas­senmäßige Bestimmtheit aus der Stellung des Mannes im Verwertungsprozeß abhängt.

Hausarbeit und Produktion des relativen Mehrwerts10 

Die Mobilisierung von Hausarbeit trägt dreifach zur Produktion des relativen Mehrwerts bei.

a) Die in allen Bereichen der Produktion fortwährend gesteigerte Arbeitsintensi­tät und die der Produktivitäts­steigerung geschuldeten verkürzten Qualifikations­zyklen können von den Opfern dieser Maßnahmen nur zum Teil durch Klassen­kampf kompensiert werden. Die ver­mehrte Abnutzung der Arbeitskraft, die psychische und physische Erschöpfung oder gar Erkrankung muß durch ver­mehrte materielle und immaterielle Reproduktions­anstregungen ausgeglichen werden. Die Konditionierung und Disziplinierung der Kinder für einen Arbeits­markt, auf dem nur die "Besten und Stärksten etwas werden", erfordert große Anstrengungen. Von der Bedeutung dieses Teil der Reproduktionsarbeit sprechen die zahllo­sen Fernsehsendungen, Zeit­schiften­beiträge und Bücher zum Thema Erziehung.

b) Die Masse der Hausarbeiterinnen stellt den größten Teil der (inländischen) indu­striellen Reservearmee. In den Angriffswellen des Kapitals auf Löhne, kollek­tive Rechte und Zusammen­setzung der ArbeiterInnenklasse spielt die Mobilisie­rung billiger und flexibler Hausarbei­terinnen eine zentrale Rolle. "Hausfrauenrie­ge" nennen die Weißkittel kurzfristig heuerbare Arbeitskräfte, die helfen sollen, Kapazi­tätspitzen aufzufangen, Produk­tionsfehler auszugleichen, Löhne zu drü­ken, Streiks zu brechen... Daß die Lohnarbeit der Reserve auf Kosten der eigenen Reproduktion geht, versteht sich von selbst. Schließlich weisen alle Anstrengun­gen in die Richtung "Familie und Beruf vereinbaren zu können".

c) Vermehrte Hausarbeit fängt sinkende Löhne traditio­nell bis zu einem gewissen Grad ab. Die Hausarbeiterin wendet sich, im Bestreben den ausfallenden Waren­teil zu ersetzen, der Subsistenz­produktion zu. Sie näht und flickt, gärtnert, schneidet den Kindern die Haare. Der Aufwand, den Familienmitgliedern das Ausbleiben ge­wisser Reproduktions­güter schmackhaft zu machen, oder diese Waren anderweitig "günstig" zu beschaffen, ist beträchtlich. "Meine Mutter hat auch im Krieg im­mer dafür gesorgt, daß es uns Kindern an nichts gefehlt hat." Wie sie das bloß geschafft hat?

Hausarbeit senkt die durch den normalen und außer­gewöhnlichen kapitalisti­schen Geschäftsver­lauf entste­henden gesellschaftlichen Kosten.

Die Hausarbeiterin absorbiert alle arbeitsunfähigen Ge­sellschaftsmitglieder - Alte, Kranke, Krüppel, Kriegsver­sehrte, Drogenopfer, Lernbehinderte, ... -, deren Leben andernfalls gesellschaftliche Kosten in solcher Höhe verursachen würden, denen das Kapital mit ihm imma­nenten Lösungen11 entgegenträte, die so den Opfern seiner Produktionsweise erspart bleiben. Der Bodensatz der Leistungs­gesellschaft bleibt das individuelle Problem der Mütter und Ehefrauen. Die Diskussionen der letzten Jahre über die menschenunwürdige Verbringung dieser Opfer in staatliche Verwahr­anstal­ten, Euthanasie einge­schlossen, dienen zur Verschärfung des Drucks auf Frau­en, ihrer "angeborenen" Güte und Warmher­zigkeit Ta­ten folgen zu lassen.

Entwickelte Hausarbeit

(das Zuhause ist der Traum vom der Kapitalisierung trotzenden weiblichen Schoß)
Materielle Hausarbeit überformt die immaterielle

In Betrachtung der entwickelten Hausarbeit, der erreich­ten Standards für Hygie­ne, Kochkunst, Schönsein, sexu­eller Bereitschaft... drängt sich der Verdacht auf, daß diese Standards über das vom Wertgesetz vorgeschriebe­ne Maß an Reproduk­tion der Arbeitsfähigkeit hinausge­hen. Der Alte ist sicherlich fähig, anderntags zur Arbeit zu schlappen, ohne am Abend vorher mit seiner Titel­seiten-­Brigitte Wachtelnierchen an Mandarinensorbet vom blitzblank polierten Designerteller­chen gespeist zu haben, ohne sich danach den Mund an einer weißer als weißen, nach Oleander, Javendel, Yasmin duftenden Serviette abgewischt, ohne in ein durch die Kraft des Domestos oder des entsprechenden Ökomittels keimfrei gehaltenes Klo zu defäkieren, ohne das Gespräch über drei Titel aus der Spiegel­bestsellerliste und ohne den RTL+ ver­stärkten Megaorgasmus. Auch die Kinder würden groß (und arbeitsfähig) werden, selbst wenn sie einmal im Leben spüren würden, daß, sobald in die Windel gepißt, der Arsch naß wird.

Das Geheimnis dieser überhöhten und dennoch steigen­den Reproduktionsstan­dards - und damit der Anspruch an die Hausarbeiterin - folgt der Annahme, daß die "beste" Versorgungsarbeit am meisten psychische Zuwen­dung, "Liebe", trans­portiert. Die Verausgabung der Hausarbeiterin, ihr Verzicht auf Freizeit, ist Maßstab für die Menge an Liebe, die sie ihren Arbeitsgegenstän­den entgegen­bringt.

Die Familie, das Zuhause sind der Versuch des Aufbaus einer Gegenwelt zur ent­fremdeten Arbeit, ein fest zu­sammenhaltender, von gewollter gegenseitiger Abhän­gigkeit geprägter Zusammenhang als Bollwerk gegen die kapitalistische Wolfsgesell­schaft, deren Bestialität nur so erträglich scheint. Das Gerede - gerade auch in Kreisen der Linken – vom "ständig steigenden Lebensstandard" leugnet die der gesteigerten Arbeitsintensität und den stets kürzer werden Qualifikations­zyklen geschuldeten höheren Ansprüche der Arbeitskraft an ihre Regenera­tion.

Die immateriellen Aspekte der Hausarbeit überwiegen also zunehmend. Die materiel­len Aspekte der Hausarbeit werden von den immateriellen Ansprüchen überlagert und befördert.

Hierin liegt unseres Erachtens auch der Fehler in der marxschen Annahme vom Verschwinden der Hausarbeit und der Auflösung der Familie. Alle Reproduk­tions­dien­ste würden kapitalisiert, nahm Marx an. Aber bestenfalls die materiellen Bestand­teile der Hausarbeit ließen sich kapitalisieren12.

Selbstverständlich kann die Familie keine Gegenwelt zur durchkapitalisierten Gesell­schaft sein, klar sind auch die die Familie bildenden Subjekte Objekte der waren­produ­zierenden Gesellschaft mit all den Deformierungen, die diese Gesell­schaft mit sich bringt. Diese Erkenntnis macht die Analyse schwierig. Selbst Objekte der Waren­welt, wird für uns die Unterscheidung von Ideologie und Fiktion familiärer Reproduktion und den real ge­steigerten Ansprüchen der Lohnabhängigen an ihre Reproduktion unmöglich.

Tendenz Geldmonade?13

Unsere Betrachtungen, mag der Eine oder die Andere einwerfen, blieben auf dem Stand der 50er Jahre, in denen zumindest in der BRD die proletarische Familie ihre Blüte erlebte, stehen. So sprechen inzwischen die Statistiken von 50% Singles in den Großstädten. Das Proletariat mit deutschem Paß reproduziert sich nicht mehr, fallende Geburtenrate, geringe Heiratsbereit­schaft, steigende Scheidungs­raten sorgen für ein negati­ves Bevölkerungswachstum. Ohne die Migrations­bewe­gungen wäre die Akkumula­tionsressource lebendige Arbeitskraft schon heute ein knappes Gut.

Aber auch die wiederholte Zerschlagung historischer Familienformen befreit die Frauen nicht von ihrer "an­gestammten" Rolle. Neben dem richtigen Einwand, daß sich der Reproduktionszusammen­hang, wie es seit seiner Entstehung ständig zu beobachten war, tatsächlich ver­ändert, können Hinweise auf z. B. steigende Schei­dungs­raten und geringe Heiratsbereitschaft nicht belegen, daß Frauen nicht länger die Hauptlast an der Reproduktion tragen würden. Unverheiratete Paare leben zumeist in den erlernten Rollenmustern, der Trend zu mehreren Beziehun­gen im Verlauf des Lebens ist einer zur "seriel­len Monogamie": Das Ende der einen Beziehung ist der Beginn der nächsten, zumindest der Beginn der Suche danach.

Die vollständig warenförmige materielle Reproduktion gelingt dem beachtesten Segment der kleinbürgerlichen Zwischenschicht: den Yuppies oder genußsüchti­gen Ci­toyens, wie sie je nach Geschmack genannt werden. Sie gelten als Prototy­pen des Singles.

Die "Krisis"-AutorInnen haben ihren Blick wohl haupt­sächlich auf diese Schicht gerichtet, als sie den Begriff "Geldmonade" für jene Individuen, die zur Außen­welt ausschließlich durch Geld-Waren-­Beziehungen Kontakt halten, prägten. Die Woh­nung des Ideal-Yuppies wird von der Putzfrau in Ordnung gehalten, häufi­ges Essen­gehen löst sich mit Pizzaservice ab, die Wäsche kommt in die Reini­gung, den Umzug macht die Spedition und die Inneneinrichtung wird von der Designerin durch­gestylt.

Aber auch in diesen Kreisen bleiben die immateriellen Aspekte der Reproduktion von Bedeutung. Eben weil die Geld-Ware-Beziehung völlig entfremdet, absolut sinnentleert ist, wächst der Anspruch an die "Qualität" der psychischen Regene­ration. Die Sinnkrise, jedem Jungmanager gerade so geläufig wie der Krawatten­kno­ten, würgt meist noch heftiger als der Schlips, und muß, weil immer ein Rest "Sinn" bleibt, der nicht einzukaufen ist, den Wunsch nach nicht warenförmiger Lösung nach sich ziehen. Das erstbeste Stück "Natur", die Sinnlichkeit und die "echte Liebe" treten auch dem Yuppie in Frau­engestalt gegenüber. Auch das schönste, teuerste und charmanteste Callgirl behält die Warenform unabge­streift. Der "Geldmonade" bleibt, wie jedem bürgerli­chen Subjekt, die eigene Entfrem­dung zwar unbewußt, dennoch gelten "Seelen", "Freundschaft" und "Liebe" als Gebrauchs­werte nur dann, wenn sie geschenkt werden, und so durch den absolut ungleichen "Waren"tausch ihren Warencharakter völlig verschleiern.

Die Yuppies genießen zurecht viel Aufmerksamkeit im Diskurs über die sich ver­ändernde Bewußtseinslage in den Metropolen. Ihre Rolle ist vergleichbar mit der der bürgerlichen Familie um die Jahrhundertwende, ihre Ansichten, Haltun­gen und Praxis strahlen nach unten, werden zur Orientierung. Leider bleiben viele linke Beiträge zu dieser Debatte auf der Erscheinungsebene stecken. Gerade­sowenig wie die proletarische Familie - die die bürgerliche zum Vorbild nimmt - die bürgerliche Familie ist, geradesowenig sind die Massen der allein­lebenden Menschen Yuppies: So schickt die Entwicklung der idealtypischen proletarischen Familie die Alten in die Isolation. In Baden-­Württemberg waren 1987 43% der Singles älter als 60 Jahre, davon über 80% Frauen. Den höchsten Single-Anteil an der Wohnbevölkerung weisen, wen wundert's, Universitätsstädte auf. In vielen Haushalten, die in die Single-Statistik eingehen, sind alleinerziehende Frauen mit der Aufzucht von Genera­tionen künftiger LohnarbeiterInnen beschäftigt und bilden einen nicht geringen Teil der "Neuen Armen".

Für reiche und arme Singles bleibt die Notwendigkeit eines Reproduktions­zusam­menhangs bestehen. Daß sich die einen auf den immateriellen Aspekt der Re­produk­tion beschränken können und die anderen noch nicht mal materiell reproduziert werden, daß sich vielleicht für beide der Reproduktions­zusammen­hang nicht herge­stellt - sie also nicht vollständig reproduziert werden - nimmt unserer Annahme, daß weiterhin unbezahlte Tätigkeiten zur Reproduktion anfallen, nichts von ihrer Berechtigung.

Doppelcharakter der Verfügungsgewalt des Mannes über die Arbeitskraft seiner Frau

Nach Marx begegnet der eine Warenbesitzer dem anderen als freiem Menschen. Der Geldbesitzer begegnet dem Arbeiter "als bloße(m) Besitzer seiner Arbeits­kraft", "frei von allen zur Ver­wirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen" (Kapital, Bd. I, S. 183). Mit der Erkämpfung der Familie, des Familienlohns und damit der Verfügungs­gewalt über seine Frau, treten "nötige Sachen" an die Seite des Lohnarbeiters. Der "freie Lohnarbeiter" verfügt über die nicht warenförmig auftretende Arbeitskraft seiner Frau. Gleichzeitig dient diese Verfügungsgewalt aber dem Zweck, das Arbeits­vermögen des Lohnarbeiters zu reproduzieren, eine zur Reproduktion des Kapitals notwendige Arbeit. Der Lohnarbeiter eignet sich das Arbeitsprodukt seiner Frau (bzw. seiner Mutter) an, weil er Besitzer seiner Arbeitskraft ist, das Kapital kon­sumiert das Arbeitsprodukt der Frau, indem es den Arbeiter konsumiert.

Mit der Erkämpfung der Familie werden die Männer von den persönlichen Diensten an sich selbst befreit. Die bürgerliche Gesellschaft suggeriert den Indivi­duen, Sub­jektivität könne durch Kommandierung fremder Arbeitskraft erlangt werden. So gesehen ist Hausarbeit nicht nur die materielle Grundlage der Re­produktion des lebendigen Arbeitsvermögens, sondern ebenso Quelle jener männlichen Identität, die die Erfahrung, außerhalb der Lohnsklaverei Subjekt zu sein, benötigt.

Der Doppelcharakter der Verfügungsgewalt des Mannes über die Arbeitskraft seiner Frau besteht also in der tatsächlichen Verfügungsgewalt - die sich sehr oft in realer Gewalt ausdrückt - und in deren Funktionalität fürs Kapital.

Schluß

Es bleibt weiteren Diskussionen überlassen, welche praktischen Schlüsse aus solchen Erkenntnissen abzuleiten sind - sofern mensch der Analyse folgen mag. Für uns hat sich während der Erarbeitung dieses Papiers eine Menge bewegt. Viel "alte Theorie" mußte dran glauben. Vielem, was an anderen Betrachtungen des Themas immer "irgendwie" falsch schien, können wir jetzt mit eigenen Thesen entgegentreten. Das, was uns wesentlich erschien - auch wenn es nicht eigentlich neu ist, mit Sicherheit schon in vielen anderen Stellungnahmen gesagt wurde - ist dennoch so quer zum common sense des linksradikalen Diskurses, daß wir uns eine kurze Zusammen­fassung nicht verkneifen können. Wir hoffen provokativ genug für die Verbreiterung einer Debatte zu formulieren:

Die proletarische Familie und die Hausarbeit sind nicht die bruchlose Fort­setzung eines ahistorischen Patriarchats, sie entwickelten sich mit und aus der Kapitalisierung. Mit der Durchsetzung der proletarischen Familie und damit der Reproduktion seiner selbst, nahm das Proletariat Anteil an der Durchsetzung der Kapitalisierung. Obwohl die Hausarbeit wertneutral und unproduktiv ist, findet sie keinen Platz außerhalb kapitalistischer Vergesellschaftung. Hausarbeiterinnen sind keine Klasse für sich, sondern durch ihre Stellung im Reproduktionsprozeß des gesellschaftlichen Gesamt­kapitals definiertes Segment des Proletariats. In einem mit dem Begriff »historischer Kompromiß" unzureichend beschriebenen Kampfzyklus erreichten die männlichen Proletarier die Verfügungs­gewalt über jeweils eine Frau. Diese Verfügungsgewalt besitzt den Doppelcharakter, tatsäch­lich jedem Mann eine Frau unterzuordnen und funktional im Reproduktions­prozeß zu sein. Die moderne Geschlechter­spaltung ist ein originäres Produkt des Kapitalismus, ein historisch neues Verhältnis.

autonome Gruppe 1. Mai Stuttgart
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Fußnoten:

[1] Sir William Petty (1623-1687), englischer Ökonom und Statistiker, vor Marx geschätzter Begründer der politischen Ökonomie (agl.5.).

[2] zufällige Nebensache (agl.5.).

[3] ausbeutbare (agl.5.))

[4] »Arbeit« meint an dieser Stelle ganz klassisch die zielgerichtete Verausgabung von menschlichem Muskel, Nerv und Hirn. Im marxistischen Diskurs gilt Arbeit als eine zentrale Kategorie, die von verschiedensten Blickpunkten aus betrachtet werden muss. In der warenproduzierenden Gesellschaft schafft die Arbeit nicht nur stofflichen Reichtum (den Gebrauchswert), sondern auch einen abstrakten Wert, der unabhängig von der konkreten Gestalt der Produkte deren Austauschbarkeit bestimmt (den Tauschwert). Es wird unterschieden zwischen der konkreten Arbeit, die dsa konkrete Produkt bildet (also dessen Gebrauchswert) und der abstrakten Arbeit, die den Wert bildet. Konkrete und abstrakte Arbeit sind nicht trennbar, sondern zwei Seiten derselben Tätigkeit.

[5] Festlegung auf bestimmte Reaktionen, z. B. höflich, gehorsam und pünktlich zu sein.

[6] Veranlagungen.

[7] Eine der Warenproduktion vorausgehende und von ih zunehmend verdrängte Produktionsform. In der Subsistenzproduktion verrichtete Arbeit ist stets am eigenen Bedürfnis der Arbeitenden oder deren Lebenszusammenhängen orientiert, es sind keine Produkte für den Handel vorgesehen. Dei sich entwickelnde Warenproduktion hat Jahrhunderte gebraucht, um die Subsistenzproduktion zu verdrängen. Zahlreiche Mischformen traten historisch auf und sind heute noch festzustellen (jeder Schrebergarten kann als Beispiel gelten). Im Trikont (Asien, Afrika, Lateinamerika) ist sie teilweise noch immer die wesentliche Produktionsform.

[8] Hier ist vielleicht noch der Hinweis auf den sogenannten »kulturellen« Bestandteil der Reproduktionskosten angebracht. Die Mittel zur Reproduktion umfassen neben den absolut notwendigen (Über-)lebensmittel auch Waren und Dienstleistungen, die der kulturellen Stufenleiter, die gerade erklommen wurde, entsprechen. Als Beispiele hierfür mögen Urlaub, Video oder der modische Haarschnitt genügen. Die Frage, ob diese kulturellen »Errungenschaften« selbst nötig oder sinnvoll sind, spielt an dieser Stelle eine untergeordnete Rolle.

[9] In der Zirkulationssphäre, in der die Waren gegen Geld und umgekehrt getauscht werden, wird kein neuer Wert geschöpft. Selbst wenn Waren über oder unter Wert verkauft werden, kommt nur auf der einen Seite das dazu, was auf der anderen weggenommen wurde. Wert entsteht in der Produktionssphäre durch die Verausgabung produktiver Arbeit.

[10] Marx unterscheidet zwischen der Produktion des relativen und des absoluten Mehrwerts. Wenn der Arbeitstag in notwendige und Mehrarbeit geteilt wird, kann die Produktion von Mehrwert nur durch Verlängerung der Mehrarbeitszeit erhöht werden. Das ist einerseits möglich durch Verkürzung der notwendigen Arbeitszeit (durch Senkung der Reproduktionskosten), hier spricht Marx von der Produktion des relativen Mehrwerts, andererseits durch Verlängerung der Gesamtarbeitszeit, was Marx Produktion des absoluten Mehrwerts nennt.

[11] Daß dem Kapital die Vernichtung »unwerten Lebens « immanent ist, ist nicht nur theoretisch und historisch zu belegen. Das Leben von Millionen Menschen im Trikont gilt nichts, weil das Kapital an ihnen kein Verwertungsinteresse festmacht.

[12] Selbst wenn die immateriellen Bestandteile in Warenform daherkommen, sich z. B. der Mitteleuropäer über den Frauenhandel eine Asiatin kauf, bleibt – neben der gesellschaftlichen Ächtung, die solchem Tun anhaftet – daß die erstandene Ware nur dann einwandfrei ist, wenn sie im Gebrauch die Warenform abstreift. Den verkauften Frauen gelingt das nur, wenn sie »ihren Männern« tatsächlich »echte Liebe« schenken, bei Strafe des Umtauschs. Vielleicht sollte in diesem Zusammenhang noch erwähnt werden, das wir keinesfalls abstreiten wollten, daß Beziehungen zwischen Menschen in einer kapitalistischen Gesellschaft selbstverständlich Warencharakter annehmen. Dafür ist es schnurz, ob die Beziehung durch Geld vermittelt wurde oder nicht. Dennoch bleibt ein Unterschied zwischen der Kapitalisierung von Beziehungen und dem ihnen eigenen Warencharakter.

[13] Der Begriff Monade bedeutet eigentlich Einheit, Unteilbares. Leibniz, ein deutscher Philosoph (1646-1716), begründete die »Monadenlehre«, nach der jedes Element der Wirklichkeit eine Monade sei, d. h. eine in sich geschlossene körperlich-geistig-seelische Substanz und als solche ein Spiegel ers Universums. Der – soweit wir wissen – von der »Krisis«-Redaktion geprägte Begriff Geldmonade meint eine Person, deren Beziehung zur Außenwelt einzig über die Ware-Geld-Beziehung vermittel ist, und deren Bewußtsein das »Gelduniversum« widerspiegelt. Diese These operiert mit der von Marx im ersten Band des Kapital entwickelten Warenfetisch.

 
 
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