wildcat.zirkular
 

aus: Wildcat-Zirkular 3, April/Mai 1994

Air France

Ist alles gesagt? Alles bleibt zu tun!

Die Erpresser

Die Geschäftsleitung hat ihre bezaubernde Offensive mit dem Verschicken eines grandiosen Fragebogens begonnen, in dem sie uns nach unserer Meinung zum Zustand des Unternehmens und seiner Zukunft befragen; sie haben sogar Platz für freie Meinungsäußerungen gelassen!

Zur selben Zeit sorgt sich M. Franz in der Unternehmenszeitschrift über die heikle finanzielle Situation unserer heißgeliebten Firma: nicht nur daß sich die Verluste in 1993 auf 7,5 Mrd. Francs beliefen, sondern die Firma kostete auch mehr als sie eingebracht hat. Die Einnahmen deckten nicht einmal die Ausgaben für Treibstoff und Personal. Der Kern der Drohung: »entweder seid ihr mit der neuen Politik einverstanden, oder das ist das Ende von Air France«. Neue Politik? Aber wie kann sie von einer Geschäftsführung betrieben werden, von der 80 Prozent auch schon in der vorhergehenden Geschäftsleitung saßen, die durch ihre exemplarische Politik die Firma an den Rand des Abgrunds gebracht hat? Sollte der weiße Tornado sie so schnell verändert haben?

Kikeriki

Die Ergebnisse der durchgeführten Umfrage haben es der Geschäftsleitung unter reger Anteilnahme der Medien ermöglicht, in Siegesgeschrei zu auszubrechen: 51 Prozent des Personals seien bereit, sich zu opfern und die Geschäftsleitung zu unterstützen! Wie man weiß, gab es nur 14.000 Antworten bei 42.000 Beschäftig­ten; so sieht man, daß die Geschäftsleitung auf 7.140 Personen zählen kann: Welch Triumph!

Bleiben wir ernst: Jenseits dieser Fragebogen-Augenwischerei ist das, was sie vorbereiten - dank der Reorganisation des Unternehmens (Dezentralisierung der Geschäftsbereiche, eigenständige Finanzierung usw.) - die Einrichtung von kleineren Einheiten, wo die Beschäftigten, gespalten, viel leichter zu manipulieren sein werden, um große Streiks wie im Oktober unmöglich zu machen. Es liegt an uns, durch den Angriff auf Lohn und Prekarisierung die Geschäftsleitung und die Regierung die Zeche bezahlen zu lassen für das Beispiel, welches wir allen ArbeiterInnen hier und anderswo gegeben haben, einschließlich der Hochseefischer.

Im Fall der Hochseefischer konnten wir beobachten, mit welcher Zärtlichkeit die CRS sie mit den üblichen Gewehrkolbenschlägen behandelt hat: Auch das sollten wir nicht vergessen!

Ein Frontalangriff

Die Geschäftsleitung brüstet sich damit, einen "Sozial"plan ohne direkte Entlassun­gen vorzuschlagen, aber mit der Einfrierung der Löhne für drei Jahre, Verlängerung der Arbeitszeiten und 200 "freiwilligen" Kündigungen (Attali wird sich im Sessel umdrehen!). Wer glaubt wirklich, daß es bei 3,5 Millionen Arbeitslosen noch freiwillige Kündigungen gibt? Oder glaubt Blanc, sie finden zu können? Unter den Managern, die aufgrund von Inkompetenz entlassen worden sind, und dem Volk zum Fraß vorgeworfen wurden? Unter dem zu teuer bezahlten fliegende Personal, oder im Kundenverkehr? Oder vor allem unter denjenigen, die die größte Entschlossenheit während des letzten Konflikts gezeigt haben: in den Fracht­abteilungen, im Tower und in den Werkstätten? Für die "neue" Leitung bei Air France wie auch anderswo ist es nicht tolerierbar, daß es noch Bereiche gibt, wo die Stellung in der Produktion mit einem Zugehörigkeitsgefühl zu einem kollektiven Kampf existiert. Die "ihre" Vision eines funktionierenden Marktes einschränkt, ihre Träume verpfuscht. Fehlerfrei gibt's nicht! Stattdessen keine qualifizierte Arbeit und ein Maximum an "flexiblen" und unterbezahlten ArbeiterInnen.

Okay! Und die Gewerkschaften?

Sie sind nicht verschwunden, im Gegenteil. Sie haben ihren Vers vorbereitet und wiederholen die Melodie; sie sind bereit. Die FO schwimmt auf ihrer alten Linie und applaudiert dem Plan der Geschäftsleitung; die CFDT (die nur sich selber vertritt) macht ohne große Anstrengung auf kritisch; die CGT, intelligenter, kritisiert den antisozialen Plan, hat fast zum Streik aufgerufen. Aber womit sie am meisten auf die Nerven fällt, wie auch ganz stark die KPF (die es ausschlachten wollte, um bei den Regionalwahlen davon zu profitieren) ist ihre Behauptung, daß der »nationale Reichtum« verschleudert werde, das »französische Kleinod« .... Sie bereiten zum wiederholten Male nichtsnutzige Aktionstage vor. Keine guten Nachrichten. Sie machen einen dreckigen Job, aber sie haben eine Entschuldigung: sie machen ihn auf dreckige Weise und machen immer weiter, weil wir sie auf unserer Apathie wachsen lassen. Auf der Weigerung, unsere Sache selbst in die Hand zu nehmen.

Man kann sie kritisieren, sich einen Dreck um sie scheren, sie beschimpfen, sie links liegen lassen wie im Oktober, das bringt nichts, wenn man ihnen auch nur eine Spur von Legitimation zubilligt, in unserem Namen zu sprechen und zu ent­scheiden, weil wir uns nicht selber organisieren.

Uns organisieren, nicht, um eine neue "Basis-", "autonome" oder "demokratische" Gewerkschaft aufzubauen, die ein repräsentativerer Gesprächspartner gegenüber der Geschäftsleitung wäre, um über die Modernisierung zu verhandeln. Sondern uns organisieren, um uns die Mittel für unseren Kampf zu schaffen: für die bedingungs­lose Rücknahme des neuen Plans.

Seien wir wachsam!

Die Geschäftsleitung ist auch nicht mehr untätig. Hinter dem "konstruktiven Dialog" werden die Waffen gegen den Streik vorbereitet: direkte Repression und Hilfe von anderen Firmen.

Wir haben die Erfahrung mit den Zusammenstößen auf den Pisten gemacht: Wir konnten die CRS in Schach halten, aber das werden wir kein zweites Mal auf dieselbe Art können. Wir müssen Phantasie entwickeln und Solidarität üben, nicht nur mit den Beschäftigten von Air Inter oder ADP, sondern mit allen Bereichen, die Arbeitslosen eingeschlossen.

Die beste Solidarität, die die Arbeiter von anderen Firmen uns geben könnten, ist nicht nur, daß sie sich weigern, die Gelben zu spielen (wie es die von Sabena gemacht haben), sondern sich selber in den Kampf zu werfen, weil sie dieselben Problemen durchmachen wie wir. Es liegt an uns, darüber nachzudenken, wie wir von jetzt ab die Kontakte knüpfen können.

Unsere Gegner beobachten das. Der Plan ist von den Beschäftigten überdacht worden. Die Geschäftsleitung wartet standhaft, des Erfolgs ihrer Erpressung sicher.

Der Streik im Oktober hat es bewiesen: Wir können den neuen Plan scheitern alssen. Wir haben die Kraft, sind genug, haben die Mittel.

Wir wissen, auf wen wir zählen können und wem wir mißtrauen müssen.

Die Macht derjenigen, die uns auf die Nerven gehen, ist zuallererst in unseren Köpfen.

Ist damit alles gesagt?

Alles bleibt zu tun!

Die Meuterer von der Bounty

Flugblatt Nr. 6, 15.3.94

Dieses Flugblatt wurde wie die vorhergehenden von mehreren Personen verfaßt, von denen einige bei Air France arbeiten und einige nicht. Wir fühlen uns nicht berufen, eine neue Partei, Gewerkschaft oder sonst einen Schwachsinn zu sein, die die Schwächen des Kampfes ausnützen. Wir wollen nur zum Aufbau zukünftiger Bewegungen beitragen und diese in unsere Überlegungen einbeziehen. Wir wären glücklich, wenn sich andere dem anschließen würden. Aber wir wären genauso glücklich, wenn andere Flugblätter bei Air France und anderswo auftauchen würden. Aus der Breite der Überlegungen wird die wirkliche Aktionseinheit entstehen, diejenige, die sich wirklich über ihre Ziele und ihre Mittel im Klaren ist.

Brief aus Paris: das Referendum bei Air France

Man kann sagen, daß Blanc seine Rolle sehr gut gespielt hat: alles war seit Januar geplant worden, damit sein Erpressungstheater ein Erfolg würde. Die Regierung, die Medien, alle, haben Blancs neuen Plan "den letzten Trumpf zur Rettung der gefährdeten Firma" genannt. Vor den Verhandlungen mit den Gewerkschaften am Wochenende des 26/27. März, sagte Blanc: "Wenn ich nicht die Zustimmung aller vierzehn Gewerkschaften der Air France bekomme, werde ich die Gewerkschaften umgehen, und ein Referendum organisieren." Diese "Alles oder Nichts"-Politik wurde von den Gewerkschaften unterstützt: auf der einen Seite können CGT und CFDT den linken Part spielen ("Wir lehnen den Plan und die Art und Weise der Verhandlungen ab") und versuchen, "radikal" zu erscheinen; auf der anderen Seite geruhte die FO, den Plan zu unterstützen (um so den Alptraum des Oktoberstreiks vergessen zu können), da dieser keine "Rausschmisse" enthielt, die Löhne nur für drei Jahre eingefroren würden, und die Regierung 20 Milliarden Franc an Subventionen versprochen hatte (wobei das Brüsseler Veto vergessen wurde).

An dem Referendum nahmen 81% der Stimmberechtigten teil, 88% der abgegebenen Stimmen lautete "Ja"; damit unterstützen 70% der Air France Belegschaft Blancs Politik. Wir kennen die genauen Resultate nicht aus allen Bereichen, aber man kann sagen, daß die Beteiligung überall gleich war, und daß die "commerciaux" (Beschäftig­te, die im direkten Kundenkontakt am Flughafen, Agenturen oder Büros arbeiten) Blanc zu 95% zugestimmt haben, die Fracht- und Ladearbeiter gaben 80% Ja-Stimmen, und beim sehr gut bezahlten fliegenden Personal gab es noch mehr Opposition.

Aus den Aussagen, die wir an verschiedenen Plätzen gesammelt haben, können wir folgern, daß die große Mehrheit der Leute desorientiert, schockiert und hypnotisiert durch Blanc war, und daß sie keine Perspektiven hatten, als Blanc zu unterstützen, oder nach Gewerkschaftsaktionen zu rufen oder auf den Untergang ihrer geliebten Firma zu warten. Die Dinge waren im Bewußtsein der Arbeiter eingefroren, an dem Punkt, wo der Streik zuende war, als die Regierung ihren Plan zurückzog und Attali feuerte: eine breite Minderheit (so steht es auch in unserem Flugblatt) war bereit, mit den Gewerkschaften und dem Firmengeist zu brechen, während die Mehrheit (der Streikenden) Angst vor der eigenen Macht hatte, oder ihre direkten Aktionen (wie die Blockade des Rollfeldes) bereute, und lediglich Reformen innerhalb der Firma wollte. Die Intelligenz von Blanc bestand darin, die Situation zu betäuben und eine Erpressungspolitik anzuordnen. Für uns besteht das Problem nicht in dieser zeitweisen Niederlage (wir haben eine Schlacht verloren, nicht den Krieg), aber wir haben den Eindruck, daß die Dinge wieder so sind, wie sie vor dem Streik waren: eine Minderheit von 10%, die uns sehr nahe steht, aber nicht fähig ist, aus eigener Kraft etwas außerhalb der Gewerkschaft zu initiieren, und eine Gruppe von 30% der Leute, die (in ihrem Bewußtsein) eine halbe Umdrehung zu einer Haltung des Stillhaltens gemacht haben. Die Leute hofften, daß sie einen zweiten Streik aufbauen und so Blancs hinterhältige Reden beenden können. Aber es ist wirklich offensichtlich, daß es, außer in einer großen sozialen Erhebung (wie in Italien in den Sechzigern), noch nie zwei große Streiks innerhalb von sechs Monaten in der selben Firma gegeben hat.

Um mit einem optimistischen Zitat zu enden, können wir erwähnen, daß ein Journalist sagte: "... mit dem Referendum hat Blanc die Gewerkschaften umgangen, und die Bedingungen für einen sozialen Dialog geschaffen, um konservative Einstellungen zu brechen. Aber umgangene Gewerkschaften bedeuten Gewer­kschaften ohne Kontrolle über zornige Arbeiter."

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