wildcat.zirkular
 

aus: Wildcat-Zirkular Nr. 3, April/Mai 1994

»Grundsätzlich wurde der Faschismus mit der ökonomischen und politi­schen Vereinigung des Kapitals in Verbindung gebracht, eine Tendenz, die seit 1914 überall ihren Ausdruck findet. Der Faschismus war ein besonderer Weg, dieses Ziel in zwei Ländern – und Italien – zu bewerkstel­ligen, in denen er sich als unfähig erwies, die Ord­nung (im Sinne des Bürger­tums) zu etablieren, obwohl die Revolution be­siegt worden war. Der Faschis­mus hat die folgenden Merkma­le:
1. Er beginnt auf der Straße.
2. Er provoziert Unordnung, während er Ordnung predigt.
3. Er ist eine Bewegung von überflüssig gewordenen Mittelschichten und endet mit der mehr oder weniger brutalen Auflösung dieser Schich­ten.
4. Er regeneriert von außen den traditionellen Staat, der unfähig war, die kapitalistische Krise zu lösen.

Der Faschismus war die Lösung des Staates bei dem Übergang des Kapi­tals zur totalen Dominanz über die Gesellschaft. Bestimmte Orga­nisa­tio­nen der Arbeiterklasse waren notwendig, um die Revolution zu stoppen; des weiteren wurde der Faschismus benötigt, um die darauf folgende Unruhe, die Unordnung zu beenden. Diese Krise wurde durch den Fa­schismus nie wirk­lich über­wunden; da er nur scheinbar effektiv war, weil er auf dem systema­tischen Ausschluß der Arbeiter­klasse aus dem sozialen Leben beruhte. Diese Krise wird durch den Staat unserer Tage erfolgreicher bewältigt. Der demo­kratische Staat benutzt alle Werkzeu­ge des Faschis­mus, besser noch, in dem er die Organe der Arbeiterklasse nicht zerstört, sondern integriert. Die sozia­le Ver­einheitlichung übertrifft das, was der Faschismus zu Wege gebracht hat, aber der Faschismus als spezifische Bewegung ist verschwun­den. Er korrespon­dierte mit der erzwungenen Disziplin des Bürgertums unter dem Druck des Staates, in einer wahrlich einzigartigen Situation.« [1]

Thesen zur Weima­rer Republik/zur Entwick­lung hin zum Fa­schis­mus:

1. Die Gründe für die Durchsetzung des Faschis­mus in Deutschland liegen in der Niederlage der Arbeiter­klassen Europas und der USA begründet, sich in einen imperialisti­schen Krieg, mehr oder weniger, zwingen zu lassen. Ihre Verein­heitlichung fand nicht in einem revolu­tionären, weltweiten Kampf statt, sondern auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkrieges. Damit waren alle Voraussetzungen, sowohl poli­tisch wie ökono­misch, für das spätere Desaster geschaffen.


2. Die darauffolgende Novemberrevolution war keine Revolution im Sinne einer radikalen Um­wälzung der Verhält­nisse. Die Novemberre­volution brachte zum einen das Aufbäumen einer »alten« ­Arbeiterfi­gur. Der (Handwerker-)Facharbeiter mit all seinen Merkmalen war im Zuge der Ver­änderun­gen der Produk­tion obsolet geworden. Ein weiteres Mal wehr­te er sich heftig gegen die Durchset­zung der wissen­schaft­lichen Be­triebs­führung (Taylorisie­rung), die dem deut­schen Kapital schon vor dem ersten Weltkrieg nicht voll­ständig gelun­gen war (die USA waren da erfolgreicher).

Zum anderen war die Novemberrevolution, die Jahre 1917-1920, das Aufbegehren der un/angelern­ten ArbeiterInnen, der Frauen, der Ju­gend­lichen - das breite Auftauchen des Massenarbeiters und dessen erste Nieder­lagen. Die Kriegs­ökonomie hatte im ver­stärk­ten Maße diese neue Figur der angelernten ArbeiterInnen hervor­ge­bracht und die Maschi­nerie weiter­entwickelt. Sie waren breit besonders in die Rüstungs­industrie ein­bezogen worden. Und sie waren bei den breiten Massenbewegun­gen der Jahre 1917-1920 ganz vorne dabei.

2.1. Aus diesen beiden Polen der Novemberrevolution entwickelte sich keine Verein­heitlichung der Kämpfe. Die SPD hatte ihre soziale Basis bei den Fach­arbeitern, deren Fabrik- und Soldaten­räte sich unter dem Einfluß der breiten Massenbewegun­gen sich zum Teil regional radikali­sierten. Aber letztendlich sahen sie ihre Chan­ce nicht im direkten Angriff auf Arbeit und Kapita­lismus, sondern in dem Span­nungsfeld von Sozia­lisierung, d.h. Ver­staatlichung einer­seits und Reform im Sinne verbesserter Arbeits/­Reproduktions­bedin­gungen, Anteil an der staat­lichen Macht, anderer­seits. Die Niederlage mag letztlich auch daran gelegen haben, daß »... auch in den Enklaven des lokalen Syndikalis­mus die Einsicht in die Notwendigkeit der klassen­internen Revolution in der Revolution wenig verbreitet war« [2] . Die Novemberrevolution war insofern keine Niederlage der deut­schen Arbeiterklasse. In ihren nicht nur regional auseinander­klaffenden Ausbeutungs- und Lebens­bedingun­gen war eine nationale (im Sinne von einheitlich, »national« als ein mehr als nur nationa­le Grenzen be­zeichnender Begriff) Arbei­terklasse nicht vorhan­den.

Trotz allem war dieser Aufruhr natürlich eine massive Bedro­hung für die herrschende Bourgeoisie, die nie kalkulieren konnte, was die Bewegung noch bringen würde und bis zu welchem Punkt ihre (der Bour­geoisie) Macht beschnitten werden würde.


3. Die Sozialdemokratie und die Gewerkschaften hatten im Krieg die Voraus­setzungen geschaffen, die sie für das Kapital im Anbetracht der Aufstände zu einer Alternative im gesellschaftlichen Management werden ließen. (Burg­frieden, "jetzt gibt es nur noch Deutsche").

"Wir kommen heute ohne die Verhandlungen mit den Gewerk­schaften nicht weiter... Wir wollen froh darüber sein, daß die Gewerkschaften noch mit uns verhandeln, denn nur durch unser Abkom­men mit den Gewerk­schaften können wir Anarchie, Bol­schewismus, Spartakusherrschaft und Chaos verhindern..." Aus einem Protokoll einer Sitzung des Vereins deutscher Eisen- und Stahl­industriel­ler vom November 1918.

Wichtig dabei ist die Tatsache, daß die Einbeziehung der Gewerk­schaf­ten und der SPD zum einen durch die massive Bedrohung erzwungen war, zum anderen denjenigen Interessen entsprach, die man vielleicht als "fortschrittliches" Kapital umschreiben könnte. Institutionell war diese Einbeziehung der Gewerkschaften bereits im ersten Weltkrieg vollzogen worden.

Die Unterscheidung in deutschnationales und demokratisches Kapital spielt in soweit eine Rolle, da diese beiden Lager die 20er Jahre hindurch eine andere Politik vertraten. (Politik meint hier sowohl betriebs­politische Belange, als auch Außenpolitik, Sozialpoli­tik usw.) Später taucht dieser Streit in der scheinbaren Divergenz zwi­schen den Stahl­baronen und Siemens in der Haltung zur NSDAP wieder auf.


4. Das Erbe der Novemberrevolution stellte für alle Beteiligten die ganze Weimarer Republik hindurch und auch im Faschismus eine wesent­liche Grundlage ihres Denken und Handelns dar.

4.1. Für die Sozialdemokratie mit ihrem gewerkschaftlichen Flügel, bestand das Problem im wesentlichen aus dem Auseinander­klaffen der beiden Pole staatliche Teilhabe und Verteidigung unmittelbarer Arbei­terinter­essen. Am offen­sichtlichsten wird dieser Widerspruch in der Person des staatlichen Schlichters, eine Funktion die geschaffen wurde, um Klassenkämpfe eingrenzen zu können. Diese Schlichter waren nicht selten Sozial­demokraten und Gewerkschafter, was dazu führte, daß die Gewerk­schaften auf Druck der Arbeiterklasse Forderungen aufstellen mußten, die ihr Genosse als Schlichter und staatlicher Repräsentant dann auf ein Minimum zusammenkürzte.

Man sollte hierbei nicht vergessen, daß die damaligen Gewerkschaften nicht unbedingt völlig deckungsgleich mit ihrem heutigen Pendant sind. Zwar von ihrem Wesen her, der Verteidigung der Arbeitskraft (und das schließt die Verteidigung des herrschenden Status Quo mit ein), identisch, waren sie in der damaligen Zeit noch etwas mehr gezwungen auf die Forderungen der Basis ein­zugehen und eine klassen­kämpferische Rhethorik gehörte da natürlich dazu.

4.2. Für die Arbeiterklasse war der Ausgang der Novemberrevolution natürlich eine Niederlage, von der sie sich erst wieder ab ca. 1925 erholte. Die doch ziemlich wider­standslose An­passung an Faschismus und Krieg dürfte auf diese Nieder­lage zurückzufüh­ren zu sein. Gleichzei­tig bedeu­teten die Kämpfe von 1918 natürlich eine Vielzahl von Kampf­erfahrun­gen und Wissen um die eigene Macht.

4.3. Die Vertreter des Kapitals

Der angedeutete Konflikt zwischen den verschiedenen Kaptitalinter­essen läßt sich auch hier wieder­finden. Die weltmarkt­fähigen Teile setzten aufgrund der revolutionären Drohung eher auf Integra­tion und Reformen (in Berlin heißt ein Stadtteil nicht umsonst Siemens­stadt), orientierten sich also völlig am US-­amerikanischen Modell, während das andere Lager sich zwar die Vorzüge des Taylorismus, was die wissen­schaftliche Betriebsführung anbelangt, zu eigen machte, keine Kon­sequenzen aber für ihre politische Ausrichtung zog. Diese Ten­denz war zutiefst haßerfüllt und rachsüchtig in ihrer Erinnnerung an die Demütigung durch den verlorenen Krieg und an den Grund für den verlorenen Krieg: zum einen natürlich die Arbeiterklasse, die keine Lust mehr hatte auf dem Schlachtfeld zu bluten, zum anderen die Sozialde­mokratie und die Gewerk­schaften, denen man zwar bestimmte Machtteilnahme sichern mußte, die jedoch noch nicht als Notwendigkeit eines "modernen", kapitalistischen Systems erkannt wurden.

Die Integration der "Arbeiterbewegung" auf zweierlei Schienen.

1918 bis 1923 begann die Entwaffnung der Arbeiterklasse und die Liquidie­rung ihres radikalsten Teils. Flankiert wurde das Ganze mit einer Reihe von Reformen. Acht­stundentag, Tarifrecht, Streikrecht, Teilhabe der Arbeiterbe­wegung an der politi­schen Macht. Die Weimarer Republik war geboren.


5. Die Umgestaltung der Arbeitsorganisation als Folge der 1918/23 erzwungenen "Neuverteilung" der politischen Macht. Die Kapitalisten sichern sich "ihre" Macht erstmal wieder auf be­trieblicher Ebene.

5.1. Die technische Umgestaltung der Betriebsorganisation: Eine Zeit der Rationalisie­run­gen und technischer wie auch politischer Klassen­neuzu­sammensetzung begann. Ei­ne neue Form der Betriebshier­archie verschob die Stellung des Fach­arbei­ters und stellte ihn prak­tisch auf eine Stufe mit den Ange­lern­ten. Das Fließband und die weitere »Vereinfachung« der einzelnen Arbeits­schritte innerhalb der Pro­duk­tion machten dies möglich. Die Arbeits­büros sorgten für die Einstellung neuer Mit­arbeiter, genauso wie für Entlassungen. Deswei­te­ren und vielleicht als wichtig­sten Schritt, überwachten sie die Produktion von »außen«. Da hier jetzt alle Fäden zusam­men­liefen, konnte durch die »wissen­schaft­li­che« Betriebsführung die Neuzusammensetzung der Arbeiter in einem perma­nenten Zustand gehalten werden. Nicht mehr die durch größere Kon­flikte auffallenden Kräfte wurden aus­sortiert, sondern es begann ein permanenter Austausch.

Warum dies in Deutschland einen so großen Faktor annahm, lag auch an der zuvor »erkämpf­ten« Sozialpoli­tik. Die Unternehmer konnten trotz massiver Versuche einzelne Errungen­schaften, wie z.B. den 8-Stunden­tag nicht kippen. Was ihnen blieb war die Intensivie­rung der Produk­tivi­tät. So wurde zwischen 1925 und 26 die durchschnittliche Produk­tivi­tät um ca. 25 % gesteigert und das bei einer Steigerung der Arbeits­losigkeit im selben Zeitraum, die um das 3fache (!) anstieg. Einen großen Anteil an dieser Steigerung hatte die zunehmende Be­schäftigung von Frauen in der industriellen Produktion. Der 8-Stun­dentag und die Zergliederung der reinen Tätigkeit am Fließband ließen diese Arbeit prädestiniert für Frauen erscheinen. Zusätzlich war natürlich die geringere Entlohnung der Frauen ein wichtiges Merkmal davon.

5.2. Die "soziale" Umgestaltung der Betriebspolitik war ein weiterer Faktor in der kapitalistischen Politik. Die Erfahrun­gen, die die Unternehmer mit den Ungelernten Jahre vorher gemacht hat­ten, nämlich die ableh­nende Haltung gegenüber der Arbeit, galt es zu brechen. Während der »Stolz des Facharbeiters«, seine »Würde« eben­falls gebro­chen werden mußte. Diesen Zwiespalt galt es zu über­winden und gleichzeitig dafür Sorge zu tragen, daß eine Ver­ein­heitli­chung aller unterblieb. Die neuen Arbeitswissenschaften und die «Psychotechniken« entwickel­ten ein perfektes Instrumenta­rium zur Spaltung und Entpoliti­sierung der Arbeiterklasse. Während es für die Facharbeiter, trotz Entlassun­gen und Dequalifizierung, Reallohn­steigerungen gab, was ihre Rolle in der Fabrik eher materiell ambivalent machte, gab es für die Fließ­band­arbeiterIn­nen verstärkt ideologische Integra­tions­versuche. Durch die ideologische Schulung, während der Berufs- und Anlern­ausbildung durch eigens geschaffene Institute (z.B. Deutsches Institut für tech­ni­sche Arbeitsschulung »DINTA«), wurden zehntau­sende Jugendliche und junge Arbeiter ge­schleust. Es war der gigantische Versuch, die ver­stärkte Ausbeutung mit verstärkter Arbeitsfreude zu stabilisieren, sie als gesellschaftlichen Fortschritt zu begreifen. Im Mansfeld-Konzern machte sich beispiels­weise eine Abteilung des DINTA daran, alle jungen Arbeiter und Lehrlinge in die Mangel zu nehmen und eine den realen Arbeits­inhalten genau konträre »Bindung« an den Betrieb zu indok­trinieren. Betriebs­sport, »nationale Veranstaltungen«, »El­tern­abende«, Ausbildungspläne mit dem Ziel der »Arbeitsfreude«, usw. waren Teile dieser Kampagne.


6. Die Unternehmer stärken ihre politische Macht, indem die betrieb­liche Umgestal­tung sich auf gesell­schaftlicher Ebene fortsetzt. Den Gewerkschaften, und in diesem Zuge auch der SPD, wird ein großer Teil ihres Zulaufs entzo­gen. Sie lassen sich aber auch durch die Fixiert­heit auf den "alten" Kern der Arbei­terIn­nenschaft leicht dazu brin­gen.

Die Zeit der Weimarer Republik war also eine Zeit des Umbruchs. Ge­kenn­zeichnet auf der tech­nisch-stoff­lichen Ebene durch die Durch­setzung der allgemeinen Verwendung der Elektrizität; der Elek­tromotor ist für die Zwanziger das, was für die Achtziger der Computer dar­stellt. Massen­produktion und Fließfertigung und damit in engem Zu­sammenhang die »wissenschaft­liche Betriebs­füh­rung« Taylors. ­Ratio­nalisierungen finden auch in der Verwaltung statt; dafür könnten die Hol­lerith- Maschi­nen stehen, die in ihrer Bedeutung für die Verände­rung von Angestell­tenarbeit sicher nicht weniger bedeutend waren als die modernen EDV-Anlagen aller Größen. Entsprechend der Dimension des Umbruchs der produkti­ven Kooperation; also der Art und Weise der kapitalisti­schen Produktion finden während der ganzen Weimarer Repu­blik Rationa­lisierung und Massen­entlassun­gen statt; dies auch, oder vielleicht sogar in beson­ders dramatischem Umfang, bei den Angestell­ten. Daraus leitete sich dann die automatische Schlußfolgerung ab: die Nazis waren eine reine Mittel­schichts-(Angestellten)partei.

Anteil (in %) an Mitgliedschaft NSDAP Gesamtbevölkerung 1930:
Arbeiter 26,3 46,3
Angestellte 24,0 12,5
Selbstständige 18,9 9,6
Beamte 7,7 4,6
Bauern 13,2 20,7
Sonstige 9,9 6,6

Auffallend bei der obigen Tabelle ist, daß die Angestellten einen erklecklichen Anteil an der Mit­gliedschaft (und an den Wähler­stimmen) der NSDAP hatten.

Die Angestellten des Privatsektors waren schwer getroffen durch die ökonomischen Entwicklungen. Die Gehälter waren niedrig, die Arbeits­losigkeit hoch, vor allem während der Inflation und der Stabilisie­rungs­phase bis 24. Im Mai 24 gab es für einen Job im Verkauf 15 BewerberInnen; diese Rate wurde nur noch im kaufmän­nischen Bereich übertroffen. Während der Goldenen Zwanziger ging die Arbeits­losigkeit insgesamt zurück; bei den Angestellten blieb sie auf hohem Niveau. Auch die Depression erwischte die Angestellten besonders hart: Von 1928 bis 32 fielen die Gehälter im Bankbereich und im Einzelhandel um etwa 26%, die Anzahl arbeitsloser Angestellter stieg von 80.000 auf 261.000 im September und auf 522.000 im Dezember 1932.

Den Staatsangestellten ging es nicht besser. »Traumatisch« waren die Austeritäts­maß­nahmen der Reichs­regierung 1923, als zwischen Nov.23 und April 24 164.000 Be­schäf­tigte entlassen wurden; zusammen mit Landes- und Kommunalbe­hörden verloren nahe­zu 750.000 ihren Job. ­Beson­ders deutlich wird das Lohnniveau, wenn von Lehrern berich­tet wird, die zusätzlich als Tagelöh­ner arbei­teten oder als Bauch­ladenver­treter. Dennoch läßt sich nicht sagen, daß »die Angestellten« Nazis gewählt haben. In diesem Zusammenhang wird oft von der Proletarisierung der Angestellten gesprochen. Betrachten wir die Veränderungen der Ar­beits− und Lebens­bedingungen vieler Angestellten, so ist bestimmt richtig, daß sie Anlässe genug gehabt hätten, sich »proletarisiert« zu fühlen. Die Veränderungen der Arbeitsprozesse, die schlechten Löhne besonders bei den Ver­käuferInnen und Stenotypistinnen, gaben nicht mehr viel Gründe her, auf einen »Standesunterschied« beharren zu können. Aber dieser Proletarisierung geht der Widerstand gegen diese Proletarisierung voraus. Viel deutet darauf hin, daß gerade in emo­tio­neller Abwehr der sozia­len Lage ein Bestehen auf »Standesunter­schie­de« weit ver­breitet war und von den Nazis unter­stützt wurde; beson­ders gegen­über den Beamten (die «Par­tei­buchbeam­ten« waren ein belieb­tes Bild in der Nazipropa­ganda). Andererseits legte die Propa­gan­daleitlinie der »Volksgemein­schaft« auch sowas wie eine »klassen­lose«, (wenn auch nicht mensch­liche, sondern deutsche) Gesell­schafts­vorstellung nahe. Ebenso war die Nazi«klassifi­zierung« der arbeiten­den Bevölkerung als »Arbeiter der Hand und der Stirn« vielleicht wei­tergehender als die Nichtbeach­tung der Angestellten durch die KPD. Auffallend bei ma­thematisch-­statisti­schen Analy­sen ist ein enger Zusammenhang zwischen Arbeits­losigkeit und Wählerstimmen für die NSDAP unter den Angestell­ten.


7. Geldpolitik und Reparationszahlungen

In Deutschland kommen zu diesen allgemeinen Entwicklungen noch Beson­derheiten hinzu. Dabei handelt es sich um Friktionen auf der Ebene des Geldes und des Kapitals als Geld. Um die Moderni­sierungen finan­zieren zu können, mußte das deutsche Kapital enorme Kredite im Aus­land auf­nehmen. Als Folge der Repara­tionszahlungen fehlte es an allen Ecken und Enden an Kapital. Die Rationalisierun­gen schlugen zwar bei der Produktivität pro Kopf voll ein, die Kosten blie­ben aber die gleichen wie vor den Rationa­lisierun­gen. Die Repara­tionen, die der deutsche Staat zu leisten hatte, bezahlte er via Umverteilung, d.h. ra­san­te Staatsver­schuldung - Inflation. Z.B. be­zahlt die BASF die Staatskredite für das Leunawerk im Nominalwert auf dem Höhepunkt der Inflation 1923 und andererseits floß ausländi­sches Kapital nach Deutschland (z.B. GM kaufte 1929 Opel). Die Weimarer Republik re­präsen­tierte weitgehend eine sehr krisen­hafte National­ökonomie: allen­falls die Jahre 24 - 29 (die Goldenen Zwanzi­ger) erlebten eine rela­tiv geordnete, ruhige ökonomi­sche Entwick­lung. Erst 1928 werden die Nettoreallöh­ne von 1913/14 wieder erreicht; um danach wieder zu fallen. Von 25-28 hält sich die Arbeitslosigkeit auf dem heutigen Niveau; danach steigt sie von 14,6% im Jahre 29 bis auf 44,4% im Jahr 1932.­


8. Die Klassenauseinandersetzung kann aber nicht eliminiert werden. Und diesmal nutzt den Unternehmern auch die integrative Kraft der Arbeiterorganisationen nix. Außerhalb dieser und genau an der Ent­wicklung der neuen Arbeitsorganisation entzünden sich neue Kämpfe, wird die kapitalistische Verwertung angegriffen.

8.1. Bereits 1926/27 müssen die Unternehmer für ihre restriktive Politik bezahlen. Der Anspruch der Arbeiterklasse manifestierte sich in einer Vielzahl von Lohnstreiks und Forderungen die Arbeits­zeit betref­fend. Sie hatte zwar die Revolution verloren, aber das hieß nicht, daß das Leben unbe­dingt völlig den kapitalistischen Maßstäben zu gehorchen hatte. Stichworte sind hierfür Goldene Zwanziger, Koks und Opium, Jazz, Frauen­bewegung, Schwulenemanzipation, Dadais­mus, Reich, Hirschfeld, in der Tat eine der besten Zeiten in der Geschichte der Arbeiterklasse.

Diese Kämpfe entstehen genau da, wo der Gebrauch der Maschinerie gegen die ArbeiterInnen am weitesten fort­geschritten ist: im Fahr­zeugbau, in der Büromaschi­nen­industrie, in den mechani­sierten Zweigen der elektrotechnischen Großkonzerne, dort am Fließ­band. Die »passive Verweigerung«, die Werkstücke auf den Montagebän­dern werden einfach nicht weiter­bearbeitet, die insgeheim betriebe­ne Zerstörung der Registrier­geräte und andere kleine Aktionen entwi­keln sich mit einer enormen Beschleunigung. Nirgends artikuliert und nirgends auf organi­satorischer Seite vorbereitet verlaufen diese Aktionen (K.H.Roth, in »die andere Arbeiterbewegung«).

Bei AEG gab es 1926 einen Streik gegen Arbeitsintensivie­rung und Gruppen­akkord, der ab 1927 auf die gesamte elektronische Industrie übergreift und danach auch die Automobil­branche erfasst. Im Walzwerk Riesa setzen die Arbeiter 1928 das Schichtende selbst fest, mit der Parole: »Acht Stunden - genug ge­schun­den«. So auch in der Textil­industrie und auf den Werften und in vielen anderen Wirt­schafts­zwei­gen. Die neuen Spezialarbeiterschichten sind zu einem Motor einer neuen Phase von proletarischer Aufsässig­keit geworden. Die Kapitali­sten waren also wenige Jahre nach dem schein­baren Totalerfolg ihrer Rationalisie­rungsoffensive mit einem völlig neuen Kampf­verhalten kon­frontiert, getragen gerade von jenen ArbeiterIn­nen, die einer schier perfektionierten Organisation der Arbeit und der Arbeits­tei­lung unterworfen waren. Explosiv wirkte diese Situation auch auf gesell­schaftlicher Ebene: ein erheblicher Teil der Angelern­tenschicht bestand aus Arbeiterinnen. Der Kampf­zyklus dieser späten 20er Jahren wurde in seinen Brennpunkten also ganz wesentlich von Frauen be­stimmt.

8.2. Diese Kämpfe läuten die Endphase der Weimarer Republik ein. Losgelöst von ihren traditionel­len Organisationsformen, stellt die Klasse eine erneute Bedrohung des kapitalistischen Systems dar. Die bisherige staatliche Aufgabe der Integration, bzw. Schlich­tung der Klassenauseinandersetzung stößt an ihre Grenzen. Die Unternehmer hatten in den 20er Jahren alle möglichen Waffen gegen die drohende Räterevolution eingesetzt (Fließbänder, Innovation überhaupt, Ratio­nalisierungen), sie waren aber nicht bereit gewesen, den politischen Preis, die (keynesianistische) Anerkennung der Arbeiterklasse zu bezahlen. Die mögliche Lösung sieht das Kapital nun wieder eher in einem autoritären Staat. Das mag auch erklären, warum die Unter­nehmer schon rela­tiv früh, 1926/27 mit massiven Manö­vern, Aus­sperrung und physi­sche Zer­schlagung der Auf­sässigkeit durch Schläger­truppen und Werk­schutz­diensten rea­gier­ten. Aber selbst damit hatten sie keinen großen Erfolg. Dazu gehört auch die Ausweitung der Re­pression, hinein in die Gesellschaft durch die Not­verord­nungs­poli­tik der Regie­rungen. Ihre Kalkulation war sehr ein­fach: wenn sie selbst mit den Arbeite­rInnen nicht fertig wurden, sollte der Staats­apparat die Arbeits­losenmassen auf der Straße diszi­plinieren.

In einer Situa­tion zunehmender Arbeits­losigkeit, praktizier­ten immmer größere Teile der Klasse ihr »Recht auf Leben auf der Straße«. Gegen Ende der Weimarer Republik kam es fast täglich zu Auseinandersetzun­gen auf den Stempel­stellen, den Ämtern. [3] Die »or­ga­nisier­te Arbei­ter­bewegung« hatte die Erwerbslosen erst spät über­haupt zur Kenntnis genommen. Nur die KPD nahm gegen Ende der Weimarer Republik davon breiter Notiz. Aber besonders unter den jugendlichen Erwerbslosen fand die KPD wenig Zuspruch, dort kam es immer häufiger zu eigen­ständigen Aktio­nen, auch wenn der Übergang zur organisierten Erwerbs­losenbewe­gung oft fließend war. [4]

Mit »Kampf den Sozialfaschisten«, oder »Schlagt die Faschisten, wo ihr sie trefft« konnte die ver­kümmerte Arbeiterbe­wegung ihre Distanz zu den Lebens-, Re­produktions­bedingungen breiter Teile der Klasse nicht mehr schlie­ßen.


9. In diesem komplizierten Wechselverhältnis − Notwendigkeit der Moder­nisierung, Rationalisie­rung des deutschen Kapitals, Finanzie­rungs­probleme und eine zu diszipli­niern­de Arbeiterklasse, hatte sich der Zwi­schen­kriegs-Kapitalismus abgespielt. Der autoritäre Staat, der Fa­schismus sollte diese explosive Mischung durch eine Neuorgani­sie­rung der Klassen­verhält­nisse endgültig auflösen.

9.1. Hitler und die NSDAP traten an, um die »klassenlose Volks­gemein­schaft« zu errichten. Das neue Regime aber hatte nicht die freiwil­lige Anerkennunng der Arbeiterklasse gewonnen. Die »Erb­schaft der Novemberre­volution« war zwar mit den Waffen des Terrors und der Mas­senarbeits­losigkeit vergessen gemacht, aber weiterhin in den Köpfen der neuen Machthaber. Und wohl auch in den Köpfen der ArbeiterInnen, die für den »Fehler« büßen sollten, die Anfang der 20er Jahre mögli­che Revolution nicht beendet zu haben, die Macht in die Hände der »Arbei­terorganisatio­nen« gelegt zu haben. Diese »Arbeiterparteien« hatten sich sich als Agenten der Lohnarbeit in die Ver­waltung von Staat und Kapital »hineinge­kämpft«, jetzt standen auch sie im Weg. In den 20er Jahren hatten sie zunächst bei der Zerschla­gung der revolu­tionä­ren Bewegung mit­gewirkt, Mitte der 20er Jahre waren sie Partner der Unternehmer bei der »Taylorisie­rung« gewesen. Die Aus­wirkun­gen der Weltwirt­scha­fts­krise hatte ihr jegli­che Vermitt­lungs­räume verbaut. Aufgabe der Nazis war es, wieder eine verstärkte, politisch gesicher­te Aus­beutung herzustellen.

Auch nach der Machtübergabe an die Faschisten träumte der ADGB noch immer von der Integration in die »Hitlersche Volksgemein­schaft«: »(...) Wir begrüßen es, daß die Reichsregierung diesen unseren Tag zum gesetzlichen Feiertag der nationalen Arbeit, zum deutschen Volks­feiertag erklärt hat. An diesem Tags soll nach der amtlichen Ankündi­gung der deutsche Arbeiter im Mittelpunkt der Feier stehen. Der deutsche Arbeiter soll am 1.Mai standesbewußt demonstrieren, soll ein vollberechtiges Mitglied der deutschen Volks­gemein­schaft werden. Das deutsche Volk soll an diesem Tag seine unbedingte Solidarität mit der Arbeiter­schaft bekunden.(...)«. [5]


10. Der Krieg nach Innen

Die Beseiti­gung der »Arbeiterparteien« war ein erster, für die Nazis notwendiger Schritt. Dabei ging es aber nicht einfach nur um die Beseitigung der ideologi­sche Hauptfeinde. Die »Arbeiter­partei­en« hatten in der Weima­rer Republik ihre ganze Strate­gie auf eine Ver­teidigung, Vermittlung der »Interessen« von Lohnarbei­terInnen abge­stellt. Auch zu Beginn der 30er Jahre ­hatten die »Arbeiter­organisa­tio­nen« trotz ihrer Distanz zu den prole­tarisierten Schichten und den Arbeitslosen nicht wesentlich an Substanz verloren. Auch war es der NSDAP nicht gelungen eine »Arbei­terpartei« zu werden. Noch beim Streik der Berliner Verkehrsbetriebe im November 1932 mußte sie sich mit ihrem »sozialrevolutionä­ren« Flügel her­umschlagen. NSBO und kom­munistische Kader standen vor den Verkehrsbetrieben. Teile des »Stra­sserflügels« wechselten zur KPD, aber auch in die andere Richtung hat es das gegeben.

Der Sturm auf die Gewerkschaftszentralen war sicher auch der Radi­kalität der Basis der Nazis geschuldet, er war aber vor allem Resul­tat der Erfahrungen der Weimarer Zeit. Den Nazis war es durchaus bewußt, daß sich ihre »klassenlose Volksgemein­schaft« nach fünfzehn Jahren breiter und unterschiedlichster Klassenkampf­erfahrung auch angesichts der Verelendung, der Massen­arbeitlosig­keit, nicht nur durch Propaganda durch­setzen ließ. Den ArbeiterInnen sollte jede auch nur im Ansatz mögliche Organisie­rung jenseits der »Volks­gemeinschaft« unmöglich gemacht werden.

10.1. Der nächste notwendige Schritt war die Beseitigung der Arbeits­losigkeit. Die Leute mußten »weg von der Straße«, die Nazis insze­nierten ihre »Arbeitsschlacht«. Eine Mischung aus Zwangs­arbeit, Arbeitsbeschaf­fungsprojekten in der Landwirt­schaft und der Bauindu­strie und nicht zuletzt auch Spielereien mit den Statistiken. Außer­dem begann natürlich die Ausrichtung auf die Rüstungs­industrie. Es kam zu einer breiten Aus­differenzierungen bei den Arbeits­bedingun­gen, den Löhnen. Nur die Beschäftigten in den für die Rüstung direkt entschei­denden Berei­chen kamen in den Genuß von Real­lohnsteigerungen.


11. Ab 1935 lernten breite Teile der ArbeiterInnen, sich diese Aus­differen­zierungen, den beginnen­den Arbeitskräftemangel [6] , zu nutze zu machen. Hin zu den besser bezahlten Jobs, »getarnte Streiks«, Krank­machen... dies alles fand in einem Ausmaß statt, das es sich nicht mit dem Argument wegwi­schen läßt, dies gäbe es natürlich immer: »Hier ging es aber nicht um eine unpersönliche, automatische Aus­wirkung von Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt − das gibt es nur in Lehrbüchern der Volkswirtschaft. Die neuen Hand­lungsmöglichkeiten mußten von der Arbeiter­schaft erkannt und ausgenutzt werden. Einer­seits geschah dies, indem sich der einzelne Arbeiter marktkon­form verhielt und den eigenen Vorteil suchte, wo er ihn nur finden konnte: eine Haltung, die oft, wenn nicht immer, den Interessen der Industrie und des Regimes zuwiderlief und oft auch mit Verstößen gegen die Vorschriften und mit Vertragsbrüchen verbunden war. Inter­essanter in unserem Zusammenhang sind aber Aktionen, die auf Gruppensolidarität unter den Arbeitern beruhten. Ab 1936 wurde von allen Seiten berich­tet, daß Arbeiter gemeinsam vorgingen, um ihren Forde­rungen Nachdruck zu verleihen...« (Quelle siehe Anm.6). 11.1. All dies spiegelte sich breit in den Berichten der Nazior­gani­sationen, in ihrer »Arbeits- und Sozialpoli­tik« wieder.

Die Entwicklung der NSBO und ihres Nachfolgers DAF zeigt das ganze Dilemma der damali­gen Führung auf. Die NSBO war als Nazigewerkschaft recht spät gegründet worden und eigentlich nie über den Rang eines Sektiererhaufens hin­aus­gekommen. Gleichwohl schien den Ideologen allein die Existenz einer Organisa­tion, die behauptete für die Inter­essen einer besonderen Klasse zu kämpfen, zu gefährlich, vertrug sich sowas überhaupt nicht mit dem Leugnen von Klas­sengegen­sätzen, der Idee der Volksgemein­schaft. Die NSBO wurde in die deutsche Ar­beits­front (DAF) überführt.

Die DAF bestand zu einem Teil aus Unternehmern, aus staatli­chen Vermittlern und aus Vertretern der Belegschaft. Am Rande be­merkt: diese staatlichen Vertreter nannten sich "Treuhän­der". Ziel der Organisation sollte die Erziehung der Arbeiterklasse zu treuen Anhängern der Partei und der Idee der Betriebsgemeinschaft sein. Doch die Ideologie konnte mit den realen Entwick­lungen und Er­fordernissen nicht Schritt halten. Zwar wurde die DAF zur Massenorga­nisation, doch nur über die Zwangs­eintreibung der Mitglieds­beiträge; reale Bedeutung erreichte sie aber erst über konkrete Verbes­serungen der Arbeits -und Lebens­bedingungen. Bekanntestes Beispiel ist die KDF (Kraft durch Freude), die nichts anderes war als die Grundsteinlegung des Massentouris­mus.


12. Traditionell wird in der Diskussion unterschieden zwischen zwei Fraktio­nen des deutschen Kapitals:

- die eine, nicht mehr konkurrenzfähige Industrie um die Kohlen­barone (Thyssen..), die die Macht­übernahme Hitlers begünstig­te

- die "fortschrittlich" innovativen Sektoren, wie z.B. die Elek­troindu­strie, die dem eher skeptisch gegen­überstanden.

Fakt ist, daß genau diese Sparte der Industrie der eigentliche Gewin­ner des Faschismus und des Krieges war. Alle Entwicklun­gen auf denen in der Nachkriegs­zeit der Boom dieser "modernen" Indu­strien basierte, waren direkte Erben der Kriegs­ökonomie (Elek­tronik, Volks­empfänger, Radar, Volkswagen).

Genauso dürfte die Organisation der Dienstleistung Medizin und Pfle­ge den größten Sprung nach vorne gemacht haben, was Effektivi­tät und Rationalisierung anbe­langt (dazu gehört natürlich auch die For­schung, Mengele und Gen­tech­nolo­gie..). Ein weiteres Beispiel im Dienstlei­stungsbereich ist die oben erwähnte Entwicklung eines Tourismus­sek­tors durch die KDF. Die Ausflüge des KDF waren in dieser Zeit äußerst beliebt und nicht zuletzt durch die Un­diszipli­niertheit ihrer Teil­nehme­rIn­nen ein Dorn im Auge der Naziobe­ren.

Der Fortschritt des Kapitalismus wurde wie bisher nach dem alten Modell gemacht. Die Ansprüche der Arbeiterklasse werden kapitali­siert, nur im Unterschied zu Weimar (und jetzt?) mit einer stär­keren staatli­chen Lenkung. War der Nationalsozia­lismus also die Durchset­zung eines Modells, daß in den USA ohne diesen Terror eingeführt wurde und scheinbar auch besser funktionier­te als in der Weimarer Repu­blik?

Aber die DAF und ihre weit verzweigten Institutionen war sicher mehr als nur das Abbild des Eiertanzes der Nazis mit einem nicht aus der Welt zu schaffenden Klassenkampf. Die Entwicklung von Akkordlöhnen, die weitere Zurichtung (Rationali­sie­rung) der proleta­rische Kernfami­lie, das Forttreiben der rassistischen Aus­differenzie­rungen, der »gerechte Lohn für gerechte Arbeit«, die Perversionen der Leistungs­ge­sellschaft haben sie entschei­dend gestaltet. Zwar wurden allen Moder­nisierungen und Veränderungen in der Arbeits­organisa­tion und der Reproduktion nazipassende Mäntel­chen verpaßt, unbe­stritten waren die Verantwort­li­chen aber inspi­riert von den neuesten Erkennt­nissen der amerikani­schen For­schungen auf diesem Gebiet − und auch umgekehrt. Beispiele hierfür sind Arbeits­schu­tz, Verbes­serungen der Umkleide und Hygiene, saubere Ent­lüftung u.Ä., die Herauf­setzung der Urlaubstage.


13. Der Klassenantagonismus war im nationalsozialistischen Deutsch­land nicht nur objektiv weiter vorhanden − er blieb auch wirksam. Der Beginn, die Forcierung der aggressiven »Lösung« nach außen, resultier­te auch daraus. Daß es auch im Nationalso­zialismus Klassen­kämpfe gab, ist eine recht banale Erkenntnis, auch wenn sie für einige Leute neu sein mag. Der Faschismus konnte die Dynamik verlorener, nicht erfolg­reicher Klassen­kämpfe ausnutzen. Die Faschisten der 90er Jahre aber, beset­zen im Moment ein Vakuum, sie nehmen ihre Kraft nicht aus einer Polarisierung von Klassenkämpfen in ihrem Sinn.

Das Kapital rätselt immer noch über die Krise (des Keynesianismus), agiert mit Maßnahmen, die für große Teile der Klasse eine Ver­schlech­terung ihrer Lebens­bedingungen bedeu­ten, aber keinem Plan, einer gefunde­nen Lösung entspringen (außer natür­lich dem Wunsch des Kapi­tals nach Unsterb­lichkeit). Aber auch auf seiten der Klasse und der revolutionären Linken herrschen Verunsiche­rung, Angst − und wenig Utopien, Ideen und Kämpfe. Gewalt, Aggressio­nen, Rassismus sind die Angelpunkte, an denen dies immer wieder reproduziert wird. Aber nach wie vor ist es richtig und notwendig, in den sozialen Konflikten nach einer Perspektive zu suchen, auch wenn ein blinder Optimismus nicht angesagt ist. Die ständigen Wiederholungen der »Faschisie­rung des Staates« oder der »Faschisie­rung der Subjekte«, ist da wenig hilf­reich, sondern verdeckt eher die realen Gefahren. Für einen Teil der Linken wird die Debatte um die »faschistische Gefahr« wieder nur zu einer Kampagnen­politik im Superwahljahr herhalten. Nur einen weiteren Grund dafür hergeben, zwar darüber zu jammern, daß die Faschisten auf die »sozia­le Frage« setzen, aber dem selber dort nichts − oder nur an wenig ausgesuchten Punkten − etwas entgegen zu setzen. Oder noch schlimmer, die Themati­sierung dieser »sozialen Frage« als Quasi-Komplizentum mit den Faschisten zu denunzieren.

»Zumindest brachte der Sieg über die Achsenmächte den Frieden...aber nur den Europäern, nicht den Millio­nen, die seit dem in unaufhörli­chen Kriegen und an chronischem Hunger gestorben sind. Kurz, der Krieg, der alle Kriege und den Totalitaris­mus beenden sollte, war ein Fehlschlag.

Die Antwort der Antifaschisten kommt automatisch: es ist der Fehler des amerikani­schen oder des sowjetischen Imperialis­mus, oder auch beider; auf jeden Fall, sagen die Radikalsten, ist es das Fort­beste­hen des Kapitalis­mus und seiner Untaten. Zu­gestimmt. Aber wie könn­te ein Krieg kapitali­sti­scher Staaten einen anderen Effekt haben, als eine Stärkung des Kapitals?

Die Antifaschisten (besonders die »Revolutionäre«) kommen zu genau dem anderen Ergebnis, wenn sie einen neuen Antifaschismus fordern, der kontinuierlich radikalisiert werden muß, so daß die Fort­schritte so weit als möglich gehen. Sie werden nicht müde, fa­schistische »Revivals« oder »Me­thoden« zu beschwören, aber sie ziehen nicht den Schluß, daß es notwendig ist, die Wurzel zu zerstören: das Kapital. Eher ziehen sie den entgegengesetz­ten Schluß, daß es notwen­dig ist, zu einem »wahrem« Antifa­schismus zurück­zukehren, ihn zu proletarisie­ren, die Arbeit des Sisyphus wieder aufzuneh­men, den Kapitalismus zu demokra­tisieren. Niemand kann den Faschismus hassen und den Hu­manismus lieben, aber nichts ändert den entscheidenden Punkt:

1. der kapitalistische Staat (und das meint alle Staaten) ist mehr und mehr dazu gezwungen, sich repressiv und totalitär zu zeigen.

2. alle Versuche, ihn unter Druck zu setzen, in eine Richtung, die für die Arbeiter oder den »Frie­den« angenehmer erscheint, werden im besten Falle mit gar nichts enden, oder im schlechtesten Falle (wie meist), bei der Ver­breitung der Illusion landen, daß der Staat der Schiedsrichter der Gesellschaft ist, eine mehr oder weniger neutrale Kraft, die über den Klassen steht. Die Linke wird nicht müde, die klassische Marxsche Analyse des Staates als ein Instrument der Klas­senherrschaft zu wiederho­len, und schlagen im nächsten Moment vor, diesen Staat »zu benutzen«. Das gleiche, wenn Linke die Schr­iften von Marx über die Ab­schaffung der Lohnarbeit und den Tauschwert stu­die­ren, dann aber kehrt machen und die Revolution als eine Ultra­demo­kratisierung der Lohnarbeit begrei­fen [7]

FR

[1] Zitat aus einem Text von J.Barrot, »Faschismus/Antifaschismus«, erschienen bei »Black Cat Press«, 1982. Das Zitat ist aus der Einleitung zu einem Buch zum spanischen Bürgerkrieg. Der Text nimmt recht pointiert Stellung zu den Fragen, die die Ausein­andersetzungen um den Faschismus und vor allem auch den Antifaschismus mit sich bringen. Auch wenn wir einen Haufen Kritik an dem Text hatten, wollten wir ihn eigentlich abdrucken, sind aber davon abgekom­men. Zum einen, da er recht lang ist, zum anderen, weil er viele Thesen enthält, die sich nur im Gesamtzusammenhang des Buches beurteilen oder verstehen lassen. Wer ihn haben will soll sich melden, wir haben ihn (bisher erst grob) übersetzt. Wir werden ihn wohl zu einem anderen Zeitpunkt ver­öffentlichen.

[2] K.H.Roth 1978, »Arbeiterklasse und Arbeiterorganisation 1890-1920«.

[3] 1932 war in Berlin ein neues Arbeitsamt eröffnet worden. »Hungerpalast« und »Zuchthaus« wurde es genannt. Zwei Wochen nachden es eröffnet worden war, wurde es gestürmt. Tagelang blieb es von innen barrikadiert (Bullen), von außen von den Erwerbs­losen belagert. In der Folgezeit gab es eine Reihe breiter Aktionen der Erwerbslosen.

[4] Die »Wilden Cliquen« waren eine diese eigenständigen Formen. 1932 hat es in Berlin über 600 davon gegeben, deren Mitglieder un- oder angelernte Arbeiterjugendliche waren. Deren Kontakte zur organisierten Erwerbslosenbewegung kam nur bei Aktionen zustande. Die Straße, der Stadtteil waren Ort ihrer Unternehmungen. Wohnraum wurde gegen Kündigungen und Zwangs­räumungen verteidigt, kostenloses Einkaufen... .
Ein beliebtes Lied dieser Cliquen lautete:
»Meister, gib uns die Papiere
Meister, gib uns unser Geld
Denn das Stempeln ist uns lieber
als das Schuften auf der Welt«
Oft kam es zu Straßenschlachten mit der HJ. Lohnarbeit, soweit überhaupt angeboten, galt nicht als Alternative.
Hier sei noch eine andere Form der »Erwerbslosenbewegung« erwähnt. Eine halbe Million Menschen befanden sich Anfang der 30er Jahre »auf der Wanderschaft«. 1930 gab es einen »Vagabundenkongreß« Stuttgart, dessen Positionen diamatetral gegen jeden bürgerlichen - und auch nationalsoziali­sti­schen - Arbeitsstaat standen: «Der Vagabundismus anerkennt keinen Staat, keine Dienstpflicht und keine Arbeitsdienstpflicht! Die Entscheidung ist getroffen: Generalstreik ein Leben lang! ... Nur durch einen solchen Generalstreik ist es möglich, die kapitalistische, »christliche«, kerkerbauende Gesellschaft ins Wanken zu bringen!«.

[5] Stellungnahme des ADGB zum 1.Mai 1933, aus der Gewerkschaftszeitung, Nr.16, 22.April 1933.

[6] 1938 gab es in der gesamten deutschen Wirtschaft eine Million unbesetzter Stellen. Die Fluktuation nahm so stark zu, daß in dieser Zeit alle regelmäßig Beschäftigten den Arbeitsplatz im Durchschnitt einmal im Jahr wechselten. Nur noch ein kleiner Teil dieser Mobilität diente jetzt der Rekrutierung von Arbeitskräften für die Rüstungsindustrie aus anderen Wirtschafts­sektoren. Die Fluktuation stellte nun vor allem eine Quelle schwerer Betriebstörungen dar. (Quelle: T.Mason, in »Arbeiteropposition im nationalso­zialistischen Deutschland«, 1981).

[7] Quelle siehe erste Anmerkung.

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