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aus: Wildcat-Zirkular Nr. 3, April/Mai 1994

Gut zu wissen, was man tut

Kritik der Thesen »Faschismus – Antifaschismus« aus dem Zirkular Nr.2

Protokoll einer Diskussion in Berlin

Dieser Beitrag soll einerseits eine Kritik an dem Artikel »Faschismus – Antifaschismus« aus dem Zirkular Nr.2 und zugleich eine Anregung zur Weiterdiskussion sein. Der erste Teil kritisiert das Freiburger Papier im letzten Zirkular; er ist eigentlich nur verständlich, wenn Ihr das nebeneinander legt und Stück für Stück durchgeht. Im zweiten Teil haben wir dann versucht, ne Gliederung für die Weiterdiskussion vorzuschlagen und ganz grob die Positionen deutlich zu machen, die bei unseren Diskussionen vertreten wurden.

Am Freiburger Beitrag fehlte uns vor allem ein roter Faden, der auch einmal benennt, was eigentlich das Anliegen ist: eine Verständigung unter uns über Faschismus/Antifaschismus? eine Kritik des Antifaschismus und/oder bestimm­ter antifaschistischer Strömungen? der Versuch einer gemeinsamen Diskussion mit diesen? die Bestimmung eines eigenen Eingreifens?

  • So wurde auch kaum einmal wirklich eine eigene Position bezogen (der Kult der Verweise und Fußnoten), es blieb bei einem Sammelsurium von Aspekten, Diskussionen etc. zum Thema.
  • Trotz oder gerade weil der Artikel an vielen Stellen etwas schlampig gegen den Antifaschismus polemisiert, um dann an anderer Stelle wieder Solidarität zu bekunden, ist die Kritik an zentralen Punkten nicht scharf genug. Es wäre herauszuarbeiten, unter welchen Voraussetzungen ein Antifaschismus gewollt oder ungewollt zur Verteidigung der Demokratie (des Staates) führt.
  • Den Begriff "Faschismus" immer wieder durch den Begriff "Antifaschismus" zu ersetzen und als Ausgangspunkt zu nehmen, ist ein immer wiederkehrendes Motiv in diesem Artikel: ein billiger Trick, um vermeintlich nicht selbst noch die Hochzeiten eines "Faschismus" zu beschwören. Es ist einem nicht viel dabei geholfen, unliebsame Erscheinungen wegzuformulieren, entscheidender und interessanter wäre doch, diese genauer zu beobachten, um auch deren reale Bedeutung abzuschätzen und sich zu überlegen, wie man ihnen begegnen kann. Eine Teil eines Artikels zu Faschis­mus/­Antifaschismus sollte darum auch sein, die Entwicklungen der Rechten grob zu skizzieren, eine Einschätzung der verschiedenen faschistischen Strömungen zu versuchen.
  • Ebenso sollten die verschiedenen antifaschistischen Linien nicht, wie im Artikel geschehen, durcheinandergeschmis­sen werden, weil der Bezug zu und die Kritik an den einzelnen ganz verschiedene Sachen sind.
  • Im Artikel wird "Umbruchzeit" als scheinbar historischer Begriff verwendet, ohne ihn einmal genauer zu definieren bzw. zu sagen, was und wen es wie betrifft. Das müßte ja mit Inhalt gefüllt werden: was bricht gerade um, wie lange dauert so was, was heißt das für die Leute usw.. Außerdem guckt an der Stelle so ne Vorstellung durch, es gäbe sozusagen "objektive" Entwicklungen und andererseits ne Art "falsches Bewußtsein der Menschen davon"; aber es ist ja nicht nur entscheidend, was "objektiv" passiert, sondern auch wie es wahrgenommen wird, eben bspw. als Be­drohung, Vereinzelung oder Verlust an Orientierung etc.; das gehört also schon zur Analyse dazu.
  • Wenn gewohnte Lebenszusammenhänge zerstört werden, es einschneidende Ver­änderungen gibt, kommt es oft zu Pogromen, zu Gewalt innerhalb der Klasse, die Gewalt gegen ImmigrantInnen und gegen Frauen nimmt zu. Oft gibt es in diesen Zeiten viel Migration und oftmals sind es die zuletzt integrierten, die gerade ein bißchen assimilierten, die sich bei fremdenfeindlichen Übergriffen am meisten hervortun (bspw. die Hetze der "assimilierten PolInnen" in Berlin gegen die "Schmuddelpolen" auf dem Polenmarkt, gegen die, die es eben noch nicht geschafft haben). Rassistisch artikulieren sich oft die Schichten, die ihre gesicherten Felle davonschwimmen sehen. Daß es dem Kapital dabei um die Beherrschung des Arbeitsmarkts und die Kontrolle der Ausbeutung geht, wie im Artikel weiter ausgeführt wird, erklärt aber nicht, warum es einen Rassismus von unten gibt, warum diese Spaltungen eigentlich funktionieren.
  • Die Frage, ob die faschistische Bewegung aus sozialer Degradierung und dem Gefühl politischer Machtlosigkeit entsteht, auch eine Form gesellschaftlichen Protests ist, oder eine eigenständige Bewegung aus der Mitte der Gesell­schaft, wird nicht beantwortet, ja nicht einmal aufgeworfen. Der Faschismus wird einerseits (u.a durch die besagte Wendung zum "Antifaschismus") heruntergespielt, um an anderer Stelle wieder vom Terror der faschistischen Bewe­gung zu sprechen. Daß die organisierten Faschisten die augenblickliche gesellschaftliche Situation der Angst, Verein­zelung etc., den Nerv der Zeit ansprechen, fällt dabei ebenso unter den Tisch wie die Tatsache, daß die Perspektive einer faschistischen Bewegung eben nicht nur der blanke Terror, das Hacken auf Schwächere ist, sondern auch ein Projekt mit klar definierten Zielen auch jenseits des Populismus (Bauen wir ein neues Rom!), welches ihn attraktiv macht, indem es bspw. Identität und Zugehörigkeiten stiftet.
  • Wenn wir uns in einer weltweiten "Umbruchsituation" befinden, wäre zu überlegen, wer die Kräfte für eine revolu­tionäre Veränderung heute sind, anstatt − wie in der Linken weitverbreitet − wie ein Hase auf die Schlange auf die rechten Entwicklungen zu schauen und dabei womöglich noch an den Punkt zu gelangen, zu behaupten, der Mensch sei schlecht, der Rassismus ist eine angeborene Eigenschaft der Deutschen und ähnliche Dinge.
  • Nach wie vor gilt es, in sozialen Konflikten nach einer revolutionären Perspektive zu suchen, statt deren Protagoni­sten per se als rassistisch etc. abzuschreiben und sich in den Elfenbeinturm der eigenen moralischen Gewißheiten zurückzuziehen. Das führt oft nur zur Verteidigung des eigenen Besitzstandes und der eigenen Sicherheiten und zum Kampf für Demokratie und die "zivile Gesellschaft" (Schaut auf diesen Pöbel!).
  • Oft war es gerade die etablierte Linke, die einer revolutionären Bewegung den "Todesstoß" versetzte. Bspw. war es in den 70er Jahren in Italien die integrierte Arbeiterbewegung (PCI etc.), die sich selbst als Antifaschisten definierte und im Namen des demokratischen antifaschistischen Staates Hatz auf die Linksradikalen machte. Das heißt jetzt nicht mit dem stalinistischen Argument des "Sozialfaschis­mus" das Kind mit dem Bade auszuschütten, sondern darauf zu achten, was mit dem hehren Argument des Antifaschismus denn eigentlich verteidigt bzw. bekämpft wird.
  • Die Rolle der Medien wird im Artikel hochgespielt, nicht sie sind es, die Faschisten und Antifaschisten produzieren, die Wirklichkeit ist schon ein wenig komplexer: Medien, Staat und Leute vor Ort haben nicht immer identische Interessen. Information hat für die einen vor allem Bedeutung als Ware, für andere ist es die Message, die sie unter die Leute bringen wollen, das gleiche über die Medien transportierte Ereignis langweilt die einen, während es andere ganz spannend finden, ohne daß sich dadurch für die Leute was ändert. Andere stachelt es an, was dagegen oder es ihnen gleich zu tun (Copycateffekt)

Wir haben nicht den Anspruch, dem Freiburger Papier nun eine "zweite Position" entgegenzustellen (wie am Anfang gesagt: Kritik und Anregung zur Weiterdiskussion...), wenn wir im folgenden n paar Stand­punkte, Herangehens­weisen und Thesen aufstellen, dann ist das jetzt nix fertiges, aber wir denken, wir kommen mit unserer Diskussion über Faschismus und Antifaschismus nur weiter, wenn wir das Grau der ewigen Relativie­rungen verlassen und mal n paar grobe Pinselstriche auftragen, die zur Orientierung dienen können:

0. Einleitung:

In den letzten Jahren wurden von einer mittel­ständischen Linken immer mal wieder "antifaschistische Argumente" aufgefahren, um einer Bewegung von unten in die Parade zu fahren. Zum Beispiel wurde der spontanen (Jugend-) Bewegung gegen den Golfkrieg vor­geworfen, sie sei antisemitisch und moralisch damit das Rückgrat gebrochen (überhaupt ein beliebter Vorwurf der staatstragenden Linken, den die taz neulich unseren Hausbeset­zer-FreundInnen in Potsdam gemacht hat)... [weitere Beispiele ....] Es ist zweitens Mode geworden, seine politischen Argumente dadurch "stark zu machen", daß man irgend eine Analogie zum Nationalsozialismus herstellt. Drittens ist der "Antifaschis­mus" ein Leitmotiv stalinistischer Gruppen, um junge Leute zu rekrutieren. Und viertens gibt es tatsächlich Entwick­lungen, wo die Faschos das Versagen der Linken ausnutzen können, die den Menschen in der heutigen Umbruchszeit nichts (mehr?) zu sagen haben.

Um Ordnung in dieses Wirrwarr zu bringen, wollen wir zunächst ein paar Thesen loswerden und im Anschluß daran auf einige Punkte davon genauer eingehen.

  • Was ist Faschismus (historisch ...)
  • In Deutschland war nicht der Faschismus, sondern der Nationalsozialismus an der Macht (die faschistischen Elemente der "Bewegung", "zweite Revolution", Antikapitalismus usw. wurden im "Röhmputsch" massakriert; die NSBO wurde kaltgestellt; die Großindustrie saß in den Planungsstäben der Fünfjahrespläne; antikapitalisti­sches Gesülze kam erst wieder in den letzten Monaten).
  • Es droht heute keine faschistische Gefahr. Wir haben es allerdings mit einem Staat in der Tradition nationalso­zialistischer Politik zu tun.
  • Selbst wenn eine faschistische Entwicklung drohen würde, hielten wir es für falsch, "antifaschistische Bünd­nispolitik" o.ä. zu machen. Auch dann würden wir versuchen, für die Revolution zu kämpfen.
  • Antifa stützt den bürgerlichen Staat, "Anti-" kommt immer zu spät.
  • Wir wollen mit dieser Gesellschaft kein Bündnis, wir bekämpfen sie.
  • Wir bekämpfen deshalb "antifaschistische", "antirassistische" o.ä. Positionen, die sich ausdrücklich gegen den Klassen­kampf wenden.
  • Wir leben in einer Umbruchphase (Krisenentwicklung seit 1973; Ver­schärfung mit dem "zweiten Öl­schock" Ende der 70er; Operationen 82 ff.; Prekarisierung; Anschluß der DDR; Rationalisierung des Sozial­staats; VW-Modell und weiter steigende Arbeitslosigkeit); auf der Seite der Klasse vermischen sich "Anspruchs­denken", Verteidigen des Status quo, Auflösung traditioneller Organisationsformen (von der Verwandtschaft über die Kirche bis zur Gewerkschaft), zunehmende Gewalt untereinander ...; gegen das Soziologengefasel von den "Modernisierungs­opfern"! (Modernisierung ist erstens falsch, greift zweitens zu kurz; Opfer ist sowieso da­neben) gegen die linke Einteilerei in Betroffenheitskategorien und Moralgesülze, das vor allem dem Zweck dient, sich die proletarische Realität vom Leib zu halten! Unsere Politik braucht eine historische Dimension, und wir brauchen aktuell genauere Kenntnisse über die Umbruchphase.

1. Rechtsruck, faschistische Entwicklungen?

Wir haben in der Diskussion drei Bereiche herausgearbeitet, die sich zwischen den Polen faschistische Bewegung und "Faschisierung" des Staats bewegen:

a) Überschneidungen und Zusammenarbeit von faschistischen Strukturen und Teilen des Staats- und Verwaltungs­apparats [dazu haben wir noch keine Thesen, sondern n paar Fragen]

Aufgrund der Erzählung und Anekdoten vom Aufbau rechter Kaderstrukturen (bspw. einer "NSDAP"-Struktur mit 70 autonomen Stützpunkten in "Mittel­deutschland", so daß deren Dachorganisation aufgelöst werden konnte) und den Kontakten/Beziehungen in die staatliche Verwaltung tauchten einige Fragen auf:

  • Welche Verbindungen zwischen faschistischen Organisationen und staatlichen Stellen gibt es wirklich?
  • Wer benutzt wen? (Hat bspw. in Rostock-Lichtenhagen der Staat die Faschos benutzt oder umgekehrt oder beides?); welche historischen Beispiele gibt es in diesem Zusammen­hang ("Strategie der Spannung" in Italien Ende der 70er Jahre, KuKluxKlan in den Südstaaten der USA in den frühen 60ern)? Sind die Faschos nur die "militanten Trottel", die Ausführungsgehilfen des bürgerlichen Staates oder eine eigenständige reale Kraft (Briefbomben in Österreich etc.)? Wenn ja, in welchen Bereichen der "Verwaltung" sitzen die Faschos/ihre Vertreter (hauptsächlich Lehrer und Staats­beamte etc., oder sitzen sie an neuralgischen Stellen wie Ausländerpolizei etc.?)?
  • Handelt es sich um eine neue Generation von Rechten, die z.B. gerade erst von der Uni kommt, "Junge Frei­heit"-Szene etc., oder sind es immer noch vor allem "Ewiggestrige" (es gibt die These, daß die "Neue Rechte" schon seit ca. 15 Jahren an einer Verankerung im Staatsapparat arbeitet)?
  • Welche internationalen Verbindungen gibt es, welche Bedeutung haben sie, welche Prozesse lösen sie aus (Bspw. Söldnereinsätze in Kroatien, Südafrika etc.)?

Um die vielen Fragezeichen an dieser Stelle zu beantworten, langt es sicher nicht, die Faschoaktivitäten zu beobachten, sondern es sollte der Versuch unternommen werden, eine aktuelle Analyse des Staats, seiner heutigen Funktion durchzuführen (vielleicht vergleichbar der Auseinandersetzung Ende der 60er Jahre um Notstands­gesetze etc.). Wenn wir von einer "Umbruchsituation" ausgehen, wird es sicher auch auf dieser Ebene zu Ver­änderungen kommen, der Staat vielleicht nocheinmal eine ganz andere Rolle als Stabilitätsgarant bekommen, auch darüber, daß viele Leute ihn als solchen einfordern (Sicherheitsdiskussion usw.)

b) Nationaler Rechtsruck der Mittelschichten sowie "Links"- und anderer Intellektu­eller

These: Faschistische Ideologien kommen hoch, weil die Linke keine Antworten auf die Umbruchphase hat, in der wir leben.

National zu denken ist bis weit in die Linke hinein wieder salonfähig geworden: vom linken und Ökonationalismus bis hin zur Wendung der Diskussion um den Modernisie­rungscharakter der Nazis (daß Hitler ja doch auch was Gutes gebracht hat), herrscht gerade auch unter (ehemaligen) Linken die Haltung vor, daß es auch einen progressiven Natio­nalismus gibt, der Irrglaube, daß der Rechten auf ihrem Terrain populistisch begegnet werden kann. Seit dem Zu­sammenbruch des realen Sozialismus sind viele ehemaligen Linken zu nationalen Demokraten oder demokratischen Nationalisten geworden: wer heute noch linksradikale Position bezieht ist dem Vorwurf des reaktionären Stalinisten ausgesetzt, der Antikommunis­mus steht in vollster Blüte. Viele ehemaligen Linken sind zu den unerbittlichsten Kommunistenhassern geworden, der fast schon pathologische Versuch, die eigene Geschichte auszuradieren.

Es gehört in der heutigen Zeit nicht mehr zum guten Ton, sich zur Linken zu rechnen. Linkssein ist für viele zu einer unter vielen "Überzeugungen" geworden, denen man ein vermeintlich freieres Denken der Vielheiten, des Tabubruchs, des sich nicht festlegen wollens entgegensetzt. Da wird gegen den linken Dogmatismus, erstarrte linke Positionen immer noch ein sogenanntes Querdenken entgegensetzt, dabei aber übersehen, daß es den Adressaten, die besagte Linke gar nicht mehr gibt, es vor allem zur Rechtfertigung der eigenen Bezugslosigkeit dient (der Kult des Lebens­künstlers und der Selbstverwirklichung).

Auf der anderen Seite hat das Bedürfnis zugenommen, sich "Identitäten" zu basteln, Besonderheiten, Unterschiede, "ethnische" Herkunft zu betonen, die im Extremfall dazu führen, Internationalismus, Universalismus usw. als Ver­schwörung des "Weltjudentums" zu denunzieren.

c) Soziale Gegenmacht der Nazis

These: Diese "Gegenmacht" der Nazis geht zurück; sie wird ersetzt durch faschistische Kaderstrukturen (also Richtung a).

Die Faschos haben es in den letzten Jahren in manchen Stadtteilen, Kneipen usw. geschafft, die Hegemonie zu erlangen, Einfluß auf die Jugendbewegung auszuüben, auch wenn die Jugendlichen oft nur aus Druck mitmachen. Doch das bleibt sehr konjunktur­abhängig und wechselt oft: wenn bspw. in Potsdam seitens der HausbesetzerInnen was los ist, kommen viele Jugendliche dazu, sind sie es, die völlig entschlossen dabei sind und schon auch mal zum "Faschokloppen" fahren, aber sobald da nichts mehr läuft, tauchen sie auch schon mal wieder auf rechten Parties auf. Das ist von außen oft recht schwer nachzuvollziehen, eben stark daran gekoppelt, wo gerade was abgeht, ob die Linken oder Rechten augenblicklich die Hegemonie vor Ort haben. So läßt sich auch schwer beantworten, ob die Tendenz zum Anschluß an "Faschobanden" zu- oder abnimmt.

Prinzipiell hat sich die Kultur der Jugendbewegung gewandelt: während die "behüteten Jugendlichen" früher noch nächtelang über Politik diskutiert haben, hängen heute bspw. viele ostdeutsche Jugendliche schon mit 12 auf der Straße rum, knacken Autos, vergnügen sich mit Joy-Riding usw., während die Alten arbeitslos zu Hause hocken und vor dem Videorekorder absaufen.

Die nationalrevolutionäre Strömung hat bei den Faschos zugenommen, gerade "auf der Straße" agitieren sie oft sozial ("Die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten"), greifen bspw. im Osten antiwestliche, antikapitalistische Ressentiments auf.

Ebenso gibt es vor allem im Osten Verbindungen zwischen Faschos und organisier­ter Kriminalität (Drogenhandel, Zuhälterei etc.). Faschos arbeiten oft als Türsteher in Kommerzdiscos, treiben Schutzgeld ein usw.

Inwieweit diese verschiedenen Tendenzen sich unvereinbar widersprechen oder sich ergänzen können, ob ein reaktio­närer Oberstudienrat, ein nationalistischer Drogenhändler, Nationalrevolutionäre und "rechtsdemokratische Intellektuel­le" als Einheit oder Gegensätze denkbar sind, bleibt eine offene Frage.

2. Kritik des Antifaschismus

In der Geschichte der Bundesrepublik und im vereinigten Deutschland lassen sich auf theoretischer Ebene prinzipiell zwei Stränge der Anti-Fa Diskussion ausmachen: es gab einerseits immer wieder die Thematisierung des Staats in seinen totalitären und repressiven Zügen als faschistisch, "die Tendenz zum Faschismus", andererseits die Ausein­andersetzung mit rechten und faschistischen Bewegungen auf der Straße, wo es dann oft gerade die Linken waren, die den Staat als Garant für die Demokratie einfordern und zu den "aufrechtesten und ordentlichsten" Demokraten werden.

Ebenso gab es immer den Unterschied zwischen praxisorientierten Gruppen, Gruppen, die auf irgendeine Art praktisch eingriffen und der abstrakten Faschis­mus-Diskussion, die von den Schreibtischen aus geführt wurde. Ende der 60er Jahre waren es zum einen die Notstandsgesetze, die Wiederein­führung einer zentralen Polizei (BGS) etc., die die Linke gegen die "Faschisierung" des Staates mobilisierte, gegen den "latenten Faschismus" des Staates (z.B. "Transformation der Demokratie" von Agnoli, "Neuer Faschismus" von Glucks­mann etc.). Die Möglichkeit eines neuen Faschismus spielte bspw. auch für die Aufnahme des Bewaffneten Kampfes eine wichtige Rolle. Die aufgewor­fenen Fragen drehten sich darum, wie Macht und Herrschaftssicherung in diesem Staat funktionieren. Zudem gab es für viele auch den Bruch mit der Eltern- und Lehrergeneration, die für sie in der direkten personifizierten Kontinuität des Nazi-Regimes standen und in den Anfängen der neuen Jugendbewegung ebenso eine Rolle spielten (gegen Autorität, Wirtschaftswunderverlogenheit etc.)

Gleichzeitig waren die späten 60er auch die Zeit der großen Wahlerfolge der NPD, der "Aktion Widerstand", einer rechten Oppositionsbewegung außerhalb des Parlaments, gegen die Ostpolitik der Bundesregierung (z.B. Anerkennung der DDR, der Oder-Neiße-Linie), die u.a. auch unter den "Vertriebenen", den Ostflüchtlingen eine starke Resonanz fand. Die Diskussion um den "latenten Faschismus" des Staates wurde Ende der 70er Jahre angesichts von Stammheim etc. erneut bzw. nach wie vor geführt, nur wurde "Faschismus" immer mehr zum unhistorischen Schlagwort, zum Synonym für Repression, starken Staat etc. Andererseits machte sich z.B. die RAF nicht die Mühe, die Vergangenheit Schleyers, die Kontinuität einer bestimmten Politik exemplarisch an seiner Person wirklich herauszuarbeiten.

Als 89 die Mauer fiel, war die erste Reaktion eines Großteils der Linken, vor dem 4. Reich, dem Nationalen Taumel und einer nationalistischen Welle zu warnen, lange Zeit bevor es zu Hoyerswerda und ähnlichen Ereignissen gekom­men war − der Antifaschismus ging sozusagen dem Faschismus voraus. Das war sicher ganz stark der Unsicherheit geschuldet, mit der neuen Situation klarzukommen, mit den Veränderungen Schritt zu halten, die Bezugslosigkeit zu großen Teilen der Gesellschaft, die den Rückzug auf eigene moralische Gewißheiten mitverursachte. Der Antifaschis­mus bot damit aber auch alle Voraussetzungen einer self-fulfilling prophecy, denn die Linken haben sich rausgehalten, die organisierten Faschos nicht. 1994 hat unsere Zeitmaschine nun bereits Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und Mannheim-Schönau hinter sich gelassen und wir sind um die Erfahrung von rechten Bewegungen, eines "Faschismus von unten" reicher, der sich vor allem stark gegen die neuen MigrantInnen richtet und von einer ausschweifenden und einladenden Medien­diskussion begleitet wird. Vor diesem Hintergrund müssen wir die aktuellen, sehr unterschiedlichen, antifaschistischen Diskurse getrennt diskutie­ren:

Die verschiedenen antifaschistischen Strömungen:

a) Der Anti-Faschismus der (vor allem neuen) Mittelschichten

These: Der ist in der Regel nur daneben, kann in bestimmten Situatio­nen gefährlich werden (siehe Bewegung gegen den Golfkrieg), ist strukturell antiproletarisch, Spiegelbild des Rechtsrucks der Mittel­schichten. Muß bekämpft werden! Er ist vor allem humanistisch und aufklärerisch geprägt, gegen Gewalt (von unten), für staatlich-institutionelles Vorgehen gegen den Mob auf der Straße, für die "zivile Gesellschaft". Ein Anti-Faschismus, der im großen demokrati­schen Konsens die Versöhnung mit der Eltern- und Lehrergeneration organisiert. Neben den kerzenhaltenden, es gut meinenden aufgeschreckten Bürgern tummeln sich hier resignierte ehemalige Linke, die auf alles einschlagen, was den "friedlichen Demokratiekonsens" gefährdet, die These von gegenseitigem Hochschaukeln von linker und rechter Gewalt predigen und letztendlich am liebsten gegen die Linksradikalen hetzen und endlich als gut situierte Wohlstandsbürger ohne schlechtes Gewissen die Arbeiterklasse als von Grund auf rassistisch abschreiben können.

b) Die Anti-Fa-Jugendbewegung

These: Natürlich müssen wir die Faschisten bekämpfen, aber dafür brauchen wir keine antifaschistische Ideolo­gie.

Anti-Fa ist vor allem auch eine Jugendbewegung mit den entsprechenden Ausdrucks­formen und Beschränkungen. An manchen Orten ist es auch ganz stark eine Frage von Identität, Mode etc., an anderen Orten, vor allem im Osten, gibt es eine ganz andere praktische Notwendigkeit zur Gegenwehr, auch zur Durch­setzung eigener Interessen (Jugendzen­tren etc.). Im Westen waren/sind es oft ausländische Jugendgangs, die rechte Jugendliche von der Straße gedrängt haben, im Osten ist es die Anti-Fa, der alleine diese Aufgabe zukommt.

Für viele Jugendlichen, SchülerInnen etc. ist Anti-Fa heute der Einstieg in die "Politik", wo sie erste politische Erfahrungen sammeln und sich im günstigsten Fall politisieren/­radikalisieren. Oft besteht die Gefahr, sich in den Details und Anekdoten über die faschistische Bewegung zu verstricken, sich mit deren Vorhandensein alleine zu beschäftigen und dabei den Blick über den Tellerrand auf die Funktion und die Rolle der Faschisten, auf staatliche Interessen etc. zu vernachlässigen.

c) Der Anti-Faschismus politischer Organisationen und Parteien

Vor dem Anti-Faschismus der staatstragenden Parteien und Gewerkschaften, mit dem sie sich heute anbiedern, gab es bereits den Antifaschismus in die Jahre gekommener politischer Organisationen, denen jede Schlagzeile recht ist, um neue Anhänger auf opportunistische Art zu rekrutieren (ML-Parteien, Kirchengruppen etc.)

d) Autonomer Antifaschismus

Ein sehr heterogener Haufen: bewegt sich irgendwo zwischen radikalen Positionen und dem Hin und Herpendeln zwischen den vorigen Positionen: schlägt bspw. die Brücke zwischen Faschos kloppen und Bündnisdemo, zwischen erster und zweiter Gruppe. Beteiligt sich am demokratischen Konsens und kritisiert ihn.

In der Arbeit mit Flüchtlingen, zu Migration spaltet es sich in mehrere Fraktionen: Leute aus der Anti-Fa, die vor allem Schutz vor Flüchtlingsheimen machen etc., Flüchtlings­gruppen, die versuchen kontinuierlich mit Flüchtlingen zusammen­zuarbeiten (bspw. bei der TU-Besetzung in Berlin) und "Theoretikern", die das ganze mehr aus der Ferne kommentieren.

Außerdem gibt es (übrigens immer mal wieder) aktuelle Bestrebungen sozusagen in "Richtung c": eine Strömung, die versucht, aus der autonomen Szene heraus eine ml-Organisation aufzubauen.

Die Übersicht bleibt so fragmentarisch, wie diese Gruppe heterogen ist. Die zentrale Frage ist vielleicht, wie weit die verschiedenen Tendenzen noch bereit sind, sich mit gesell­schaftlichen Prozessen und sozialen Konflikten ausein­anderzusetzen und nicht alleine ihre Gewißheiten vor sich herzutragen.

3. Was schlagen wir vor, was ist zu tun?

  • Die Antifa-Jugendbewegung war wichtig, aber sie nimmt ab. Den Jugendlichen heute geht das Thema am Arsch vorbei, sie organisieren sich eher um soziale und kulturelle Bedürfnisse herum - und sind meistens eher dabei, wenn es drum geht, die Faschos zurückzuschlagen, als 25jährige Alt-Aktivisten! Wir halten es für wichtiger und aussichts­reicher, mit dieser Jugendbewegung zusammenzuarbei­ten, mit ihnen zu diskutieren, sie in ihrem Kampf für selbstbe­stimmte Zentren usw. zu unterstützen. Gerade im Osten können solche Zentren, besetzte Häuser usw. auch einen Gegenpol zu den Kommerzschuppen darstellen, die oft von den Rechten kontrolliert werden, über die sie sich finanzie­ren und die andererseits für viele Jugend­liche einfach zu teuer sind.
  • Wir haben die "linke Debatte" bisher rechts liegen lassen. Das sollten wir in Zukunft ändern. Wir wollen nicht "mit" der Gruppe K, FELS und anderen selbsternannten Vorpfeifern diskutieren, aber wir müssen Positionen bekämpfen, die "Antifaschismus" und "Antirassismus" immer stärker als ideologische Waffen gegen den Bezug auf den Klassenkampf und mithin die Revolution ein­setzen. Wir müssen klarzumachen versuchen, daß die Bezugnahme auf soziale Konflikte für eine revolutionäre Perspektive immer noch auf der Tagesordnung steht. Also alle Positionen kritisieren, bei denen Antifa­schismus die Alternative zum Klassenkampf und mithin zur Revolution ist.
  • Aufgrund unserer eigenen Erfahrungen, unserer aktuellen Analysen, einer Einschätzung des Staatsapparats usw. müßten wir auch in der Lage sein, organisato­rische Rahmenbedin­gungen vorzuschlagen.

Würd deutlich weniger pathetisch-pädagogisch klingen, wenn es dazu schon praktische Vorschläge gäbe. Es lebe der Konditional!

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