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aus: Wildcat-Zirkular Nr. 3, April/Mai 1994 Gut zu wissen, was man tutKritik der Thesen »Faschismus – Antifaschismus« aus dem Zirkular Nr.2Protokoll einer Diskussion in Berlin Dieser Beitrag soll einerseits eine Kritik an dem Artikel »Faschismus – Antifaschismus« aus dem Zirkular Nr.2 und zugleich eine Anregung zur Weiterdiskussion sein. Der erste Teil kritisiert das Freiburger Papier im letzten Zirkular; er ist eigentlich nur verständlich, wenn Ihr das nebeneinander legt und Stück für Stück durchgeht. Im zweiten Teil haben wir dann versucht, ne Gliederung für die Weiterdiskussion vorzuschlagen und ganz grob die Positionen deutlich zu machen, die bei unseren Diskussionen vertreten wurden. Am Freiburger Beitrag fehlte uns vor allem ein roter Faden, der auch einmal benennt, was eigentlich das Anliegen ist: eine Verständigung unter uns über Faschismus/Antifaschismus? eine Kritik des Antifaschismus und/oder bestimmter antifaschistischer Strömungen? der Versuch einer gemeinsamen Diskussion mit diesen? die Bestimmung eines eigenen Eingreifens?
Wir haben nicht den Anspruch, dem Freiburger Papier nun eine "zweite Position" entgegenzustellen (wie am Anfang gesagt: Kritik und Anregung zur Weiterdiskussion...), wenn wir im folgenden n paar Standpunkte, Herangehensweisen und Thesen aufstellen, dann ist das jetzt nix fertiges, aber wir denken, wir kommen mit unserer Diskussion über Faschismus und Antifaschismus nur weiter, wenn wir das Grau der ewigen Relativierungen verlassen und mal n paar grobe Pinselstriche auftragen, die zur Orientierung dienen können: 0. Einleitung: In den letzten Jahren wurden von einer mittelständischen Linken immer mal wieder "antifaschistische Argumente" aufgefahren, um einer Bewegung von unten in die Parade zu fahren. Zum Beispiel wurde der spontanen (Jugend-) Bewegung gegen den Golfkrieg vorgeworfen, sie sei antisemitisch und moralisch damit das Rückgrat gebrochen (überhaupt ein beliebter Vorwurf der staatstragenden Linken, den die taz neulich unseren Hausbesetzer-FreundInnen in Potsdam gemacht hat)... [weitere Beispiele ....] Es ist zweitens Mode geworden, seine politischen Argumente dadurch "stark zu machen", daß man irgend eine Analogie zum Nationalsozialismus herstellt. Drittens ist der "Antifaschismus" ein Leitmotiv stalinistischer Gruppen, um junge Leute zu rekrutieren. Und viertens gibt es tatsächlich Entwicklungen, wo die Faschos das Versagen der Linken ausnutzen können, die den Menschen in der heutigen Umbruchszeit nichts (mehr?) zu sagen haben. Um Ordnung in dieses Wirrwarr zu bringen, wollen wir zunächst ein paar Thesen loswerden und im Anschluß daran auf einige Punkte davon genauer eingehen.
1. Rechtsruck, faschistische Entwicklungen? Wir haben in der Diskussion drei Bereiche herausgearbeitet, die sich zwischen den Polen faschistische Bewegung und "Faschisierung" des Staats bewegen: a) Überschneidungen und Zusammenarbeit von faschistischen Strukturen und Teilen des Staats- und Verwaltungsapparats [dazu haben wir noch keine Thesen, sondern n paar Fragen] Aufgrund der Erzählung und Anekdoten vom Aufbau rechter Kaderstrukturen (bspw. einer "NSDAP"-Struktur mit 70 autonomen Stützpunkten in "Mitteldeutschland", so daß deren Dachorganisation aufgelöst werden konnte) und den Kontakten/Beziehungen in die staatliche Verwaltung tauchten einige Fragen auf:
Um die vielen Fragezeichen an dieser Stelle zu beantworten, langt es sicher nicht, die Faschoaktivitäten zu beobachten, sondern es sollte der Versuch unternommen werden, eine aktuelle Analyse des Staats, seiner heutigen Funktion durchzuführen (vielleicht vergleichbar der Auseinandersetzung Ende der 60er Jahre um Notstandsgesetze etc.). Wenn wir von einer "Umbruchsituation" ausgehen, wird es sicher auch auf dieser Ebene zu Veränderungen kommen, der Staat vielleicht nocheinmal eine ganz andere Rolle als Stabilitätsgarant bekommen, auch darüber, daß viele Leute ihn als solchen einfordern (Sicherheitsdiskussion usw.) b) Nationaler Rechtsruck der Mittelschichten sowie "Links"- und anderer Intellektueller These: Faschistische Ideologien kommen hoch, weil die Linke keine Antworten auf die Umbruchphase hat, in der wir leben. National zu denken ist bis weit in die Linke hinein wieder salonfähig geworden: vom linken und Ökonationalismus bis hin zur Wendung der Diskussion um den Modernisierungscharakter der Nazis (daß Hitler ja doch auch was Gutes gebracht hat), herrscht gerade auch unter (ehemaligen) Linken die Haltung vor, daß es auch einen progressiven Nationalismus gibt, der Irrglaube, daß der Rechten auf ihrem Terrain populistisch begegnet werden kann. Seit dem Zusammenbruch des realen Sozialismus sind viele ehemaligen Linken zu nationalen Demokraten oder demokratischen Nationalisten geworden: wer heute noch linksradikale Position bezieht ist dem Vorwurf des reaktionären Stalinisten ausgesetzt, der Antikommunismus steht in vollster Blüte. Viele ehemaligen Linken sind zu den unerbittlichsten Kommunistenhassern geworden, der fast schon pathologische Versuch, die eigene Geschichte auszuradieren. Es gehört in der heutigen Zeit nicht mehr zum guten Ton, sich zur Linken zu rechnen. Linkssein ist für viele zu einer unter vielen "Überzeugungen" geworden, denen man ein vermeintlich freieres Denken der Vielheiten, des Tabubruchs, des sich nicht festlegen wollens entgegensetzt. Da wird gegen den linken Dogmatismus, erstarrte linke Positionen immer noch ein sogenanntes Querdenken entgegensetzt, dabei aber übersehen, daß es den Adressaten, die besagte Linke gar nicht mehr gibt, es vor allem zur Rechtfertigung der eigenen Bezugslosigkeit dient (der Kult des Lebenskünstlers und der Selbstverwirklichung). Auf der anderen Seite hat das Bedürfnis zugenommen, sich "Identitäten" zu basteln, Besonderheiten, Unterschiede, "ethnische" Herkunft zu betonen, die im Extremfall dazu führen, Internationalismus, Universalismus usw. als Verschwörung des "Weltjudentums" zu denunzieren. c) Soziale Gegenmacht der Nazis These: Diese "Gegenmacht" der Nazis geht zurück; sie wird ersetzt durch faschistische Kaderstrukturen (also Richtung a). Die Faschos haben es in den letzten Jahren in manchen Stadtteilen, Kneipen usw. geschafft, die Hegemonie zu erlangen, Einfluß auf die Jugendbewegung auszuüben, auch wenn die Jugendlichen oft nur aus Druck mitmachen. Doch das bleibt sehr konjunkturabhängig und wechselt oft: wenn bspw. in Potsdam seitens der HausbesetzerInnen was los ist, kommen viele Jugendliche dazu, sind sie es, die völlig entschlossen dabei sind und schon auch mal zum "Faschokloppen" fahren, aber sobald da nichts mehr läuft, tauchen sie auch schon mal wieder auf rechten Parties auf. Das ist von außen oft recht schwer nachzuvollziehen, eben stark daran gekoppelt, wo gerade was abgeht, ob die Linken oder Rechten augenblicklich die Hegemonie vor Ort haben. So läßt sich auch schwer beantworten, ob die Tendenz zum Anschluß an "Faschobanden" zu- oder abnimmt. Prinzipiell hat sich die Kultur der Jugendbewegung gewandelt: während die "behüteten Jugendlichen" früher noch nächtelang über Politik diskutiert haben, hängen heute bspw. viele ostdeutsche Jugendliche schon mit 12 auf der Straße rum, knacken Autos, vergnügen sich mit Joy-Riding usw., während die Alten arbeitslos zu Hause hocken und vor dem Videorekorder absaufen. Die nationalrevolutionäre Strömung hat bei den Faschos zugenommen, gerade "auf der Straße" agitieren sie oft sozial ("Die Grenze verläuft nicht zwischen den Völkern, sondern zwischen oben und unten"), greifen bspw. im Osten antiwestliche, antikapitalistische Ressentiments auf. Ebenso gibt es vor allem im Osten Verbindungen zwischen Faschos und organisierter Kriminalität (Drogenhandel, Zuhälterei etc.). Faschos arbeiten oft als Türsteher in Kommerzdiscos, treiben Schutzgeld ein usw. Inwieweit diese verschiedenen Tendenzen sich unvereinbar widersprechen oder sich ergänzen können, ob ein reaktionärer Oberstudienrat, ein nationalistischer Drogenhändler, Nationalrevolutionäre und "rechtsdemokratische Intellektuelle" als Einheit oder Gegensätze denkbar sind, bleibt eine offene Frage. 2. Kritik des Antifaschismus In der Geschichte der Bundesrepublik und im vereinigten Deutschland lassen sich auf theoretischer Ebene prinzipiell zwei Stränge der Anti-Fa Diskussion ausmachen: es gab einerseits immer wieder die Thematisierung des Staats in seinen totalitären und repressiven Zügen als faschistisch, "die Tendenz zum Faschismus", andererseits die Auseinandersetzung mit rechten und faschistischen Bewegungen auf der Straße, wo es dann oft gerade die Linken waren, die den Staat als Garant für die Demokratie einfordern und zu den "aufrechtesten und ordentlichsten" Demokraten werden. Ebenso gab es immer den Unterschied zwischen praxisorientierten Gruppen, Gruppen, die auf irgendeine Art praktisch eingriffen und der abstrakten Faschismus-Diskussion, die von den Schreibtischen aus geführt wurde. Ende der 60er Jahre waren es zum einen die Notstandsgesetze, die Wiedereinführung einer zentralen Polizei (BGS) etc., die die Linke gegen die "Faschisierung" des Staates mobilisierte, gegen den "latenten Faschismus" des Staates (z.B. "Transformation der Demokratie" von Agnoli, "Neuer Faschismus" von Glucksmann etc.). Die Möglichkeit eines neuen Faschismus spielte bspw. auch für die Aufnahme des Bewaffneten Kampfes eine wichtige Rolle. Die aufgeworfenen Fragen drehten sich darum, wie Macht und Herrschaftssicherung in diesem Staat funktionieren. Zudem gab es für viele auch den Bruch mit der Eltern- und Lehrergeneration, die für sie in der direkten personifizierten Kontinuität des Nazi-Regimes standen und in den Anfängen der neuen Jugendbewegung ebenso eine Rolle spielten (gegen Autorität, Wirtschaftswunderverlogenheit etc.) Gleichzeitig waren die späten 60er auch die Zeit der großen Wahlerfolge der NPD, der "Aktion Widerstand", einer rechten Oppositionsbewegung außerhalb des Parlaments, gegen die Ostpolitik der Bundesregierung (z.B. Anerkennung der DDR, der Oder-Neiße-Linie), die u.a. auch unter den "Vertriebenen", den Ostflüchtlingen eine starke Resonanz fand. Die Diskussion um den "latenten Faschismus" des Staates wurde Ende der 70er Jahre angesichts von Stammheim etc. erneut bzw. nach wie vor geführt, nur wurde "Faschismus" immer mehr zum unhistorischen Schlagwort, zum Synonym für Repression, starken Staat etc. Andererseits machte sich z.B. die RAF nicht die Mühe, die Vergangenheit Schleyers, die Kontinuität einer bestimmten Politik exemplarisch an seiner Person wirklich herauszuarbeiten. Als 89 die Mauer fiel, war die erste Reaktion eines Großteils der Linken, vor dem 4. Reich, dem Nationalen Taumel und einer nationalistischen Welle zu warnen, lange Zeit bevor es zu Hoyerswerda und ähnlichen Ereignissen gekommen war − der Antifaschismus ging sozusagen dem Faschismus voraus. Das war sicher ganz stark der Unsicherheit geschuldet, mit der neuen Situation klarzukommen, mit den Veränderungen Schritt zu halten, die Bezugslosigkeit zu großen Teilen der Gesellschaft, die den Rückzug auf eigene moralische Gewißheiten mitverursachte. Der Antifaschismus bot damit aber auch alle Voraussetzungen einer self-fulfilling prophecy, denn die Linken haben sich rausgehalten, die organisierten Faschos nicht. 1994 hat unsere Zeitmaschine nun bereits Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen und Mannheim-Schönau hinter sich gelassen und wir sind um die Erfahrung von rechten Bewegungen, eines "Faschismus von unten" reicher, der sich vor allem stark gegen die neuen MigrantInnen richtet und von einer ausschweifenden und einladenden Mediendiskussion begleitet wird. Vor diesem Hintergrund müssen wir die aktuellen, sehr unterschiedlichen, antifaschistischen Diskurse getrennt diskutieren: Die verschiedenen antifaschistischen Strömungen: a) Der Anti-Faschismus der (vor allem neuen) Mittelschichten These: Der ist in der Regel nur daneben, kann in bestimmten Situationen gefährlich werden (siehe Bewegung gegen den Golfkrieg), ist strukturell antiproletarisch, Spiegelbild des Rechtsrucks der Mittelschichten. Muß bekämpft werden! Er ist vor allem humanistisch und aufklärerisch geprägt, gegen Gewalt (von unten), für staatlich-institutionelles Vorgehen gegen den Mob auf der Straße, für die "zivile Gesellschaft". Ein Anti-Faschismus, der im großen demokratischen Konsens die Versöhnung mit der Eltern- und Lehrergeneration organisiert. Neben den kerzenhaltenden, es gut meinenden aufgeschreckten Bürgern tummeln sich hier resignierte ehemalige Linke, die auf alles einschlagen, was den "friedlichen Demokratiekonsens" gefährdet, die These von gegenseitigem Hochschaukeln von linker und rechter Gewalt predigen und letztendlich am liebsten gegen die Linksradikalen hetzen und endlich als gut situierte Wohlstandsbürger ohne schlechtes Gewissen die Arbeiterklasse als von Grund auf rassistisch abschreiben können. b) Die Anti-Fa-Jugendbewegung These: Natürlich müssen wir die Faschisten bekämpfen, aber dafür brauchen wir keine antifaschistische Ideologie. Anti-Fa ist vor allem auch eine Jugendbewegung mit den entsprechenden Ausdrucksformen und Beschränkungen. An manchen Orten ist es auch ganz stark eine Frage von Identität, Mode etc., an anderen Orten, vor allem im Osten, gibt es eine ganz andere praktische Notwendigkeit zur Gegenwehr, auch zur Durchsetzung eigener Interessen (Jugendzentren etc.). Im Westen waren/sind es oft ausländische Jugendgangs, die rechte Jugendliche von der Straße gedrängt haben, im Osten ist es die Anti-Fa, der alleine diese Aufgabe zukommt. Für viele Jugendlichen, SchülerInnen etc. ist Anti-Fa heute der Einstieg in die "Politik", wo sie erste politische Erfahrungen sammeln und sich im günstigsten Fall politisieren/radikalisieren. Oft besteht die Gefahr, sich in den Details und Anekdoten über die faschistische Bewegung zu verstricken, sich mit deren Vorhandensein alleine zu beschäftigen und dabei den Blick über den Tellerrand auf die Funktion und die Rolle der Faschisten, auf staatliche Interessen etc. zu vernachlässigen. c) Der Anti-Faschismus politischer Organisationen und Parteien Vor dem Anti-Faschismus der staatstragenden Parteien und Gewerkschaften, mit dem sie sich heute anbiedern, gab es bereits den Antifaschismus in die Jahre gekommener politischer Organisationen, denen jede Schlagzeile recht ist, um neue Anhänger auf opportunistische Art zu rekrutieren (ML-Parteien, Kirchengruppen etc.) d) Autonomer Antifaschismus Ein sehr heterogener Haufen: bewegt sich irgendwo zwischen radikalen Positionen und dem Hin und Herpendeln zwischen den vorigen Positionen: schlägt bspw. die Brücke zwischen Faschos kloppen und Bündnisdemo, zwischen erster und zweiter Gruppe. Beteiligt sich am demokratischen Konsens und kritisiert ihn. In der Arbeit mit Flüchtlingen, zu Migration spaltet es sich in mehrere Fraktionen: Leute aus der Anti-Fa, die vor allem Schutz vor Flüchtlingsheimen machen etc., Flüchtlingsgruppen, die versuchen kontinuierlich mit Flüchtlingen zusammenzuarbeiten (bspw. bei der TU-Besetzung in Berlin) und "Theoretikern", die das ganze mehr aus der Ferne kommentieren. Außerdem gibt es (übrigens immer mal wieder) aktuelle Bestrebungen sozusagen in "Richtung c": eine Strömung, die versucht, aus der autonomen Szene heraus eine ml-Organisation aufzubauen. Die Übersicht bleibt so fragmentarisch, wie diese Gruppe heterogen ist. Die zentrale Frage ist vielleicht, wie weit die verschiedenen Tendenzen noch bereit sind, sich mit gesellschaftlichen Prozessen und sozialen Konflikten auseinanderzusetzen und nicht alleine ihre Gewißheiten vor sich herzutragen. 3. Was schlagen wir vor, was ist zu tun?
Würd deutlich weniger pathetisch-pädagogisch klingen, wenn es dazu schon praktische Vorschläge gäbe. Es lebe der Konditional! |
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