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aus: Wildcat-Zirkular Nr. 3, April/Mai 1994

Fünfzehn Jahre Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Unter­nehmern:

Von »QWL« zum »Reengineering«: das Management zieht die Samthand­schuhe aus

von Mike Parker und Jane Slaughter

»Reengineering«, »Reinventing«, »Agile Institutions« und »Virtual Corporations« führen die Management­schlagwörter dieser Saison an. Von der Fabrikhalle oder dem Gewerk­schaftshaus aus gesehen, haben sie eine Menge gemeinsam mit den Programmen zur Reorganisation der Arbeit, die ihnen vorausgingen. Aber sie reflektieren auch eine stetige Veränderung der Einstellung des Managements zur Arbeitskraft und zu den Gewerkschaften.

Ein Blick auf die Geschichte der Umorganisation der Arbeit enthüllt, daß das Management einen Weg in eine gewerk­schafts­freie Welt beschreiten will, in der die meisten von uns schlechte Jobs und keine Arbeits­platzsicherheit haben werden.

Damit behauptet werden kann, Arbeiter und Unter­nehmer würden was davon haben, enthält jedes Reor­ganisa­tions­schema eine Liste mit positiven Auswirkun­gen auf die Belegschaft. Aber die ver­sprochenen Wohltaten tauchen selten am Arbeitsplatz auf, und halten dann auch nicht länger als der Zucker­überzug auf einer bitteren Pille.

Einige Gewerkschaftsfürsprecher der Zusammenarbeit von Arbeitnehmern und Arbeitgebern behaupten, dies sei lediglich auf die schlechte Durchführung zurückzu­führen. Aber Fehler in der Durchführung sind nicht das Problem. Es sind die Absichten des Managements, die hinter der Reorganisation stehen, die es unmöglich machen, daß die versprochenen Wohltaten auch zu den Beschäftigten gelangen. Die Erfahrung unterstützt diese Sicht­weise, da ein Programm nach dem anderen sich selbst diskreditiert hat und die Gewerkschaft »fertig gemacht« hat.

Allerdings sind auch falsche Versprechen enthüllend. Sie spiegeln die Ansichten des Managements über die Arbeiter­macht zu der Zeit, in der sie gemacht wurden, und die Art der Zugeständnisse, die gemacht werden mußten, um diese Macht unter Kontrolle zu halten.

Am Anfang ...

Quality of Work Life Programme kamen Ende der 70er auf. Sie beanspruchten, eine Antwort auf die Entfremdung der Arbei­ter, den »blue collar blues«, zu sein.

Die Idee war, wenn man die Arbeitsbedingungen verbes­sert, die Absentismus­proble­me abnehmen, die Qualität verbessert und die Firmen profitabler würden. Aber der Fokus lag bei der Verbesserung des Arbeits­lebens. Produkti­vität und Profite waren lediglich Nebenprodukte. Und in der Tat, sowohl Unternehmer als auch Gewerk­schaften warnten davor, die Produkti­vität ins Zentrum zu stellen.

Mit der Rezession Anfang der 80er gab es eine Verschiebung hin in Richtung der Begriffe Employee Involvement (Ein­beziehung der Beschäftigten) oder Employee Partizipation (Teilnahme), um von den Erwartungen wegzukommen, der Schwer­punkt läge auf der Verbesserung der Arbeitsbedingun­gen. Wir wurden ermutigt, über das kleinliche »leibliche Wohl« (Ventila­toren, Trinkwasser­spender) hinauszu­ge­hen, auf die größere Herausforderung zu, Produktivität und Qualität zu verbessern. Das Management taufte Arbeiter in »Mitarbeiter« um und erklärte diese zu »unserem wichtigsten Aktivpo­sten».

Später in den 80ern, trug das Team Concept diese Vorstellung weiter: Man sagte uns, daß wir alle im Konkurrenzkampf um die Wettbewerbsfähigkeit stünden. »Wir wollen euer Hirn, nicht nur die Mus­keln,« bebauchpinselte das Management uns. »Wir wollen, daß ihr intelligenter arbeitet - nicht härter.«

Wir alle sollten Verantwortung für Produktivitäts­zuwächse übernehmen, und Gruppendruck auf Kolle­gen ausüben, die dabei nicht mitziehen wollten. Das Konzept der Gruppenarbeit war jedoch gewöhnlich an die Lean Production (Schlanke Produktion) ge­knüpft, ein System, das man genauer als Management-by-Stress bezeichnet. Lean Produk­tion beinhaltet Just-in-time-Zulieferung, Beseitigung der Arbeits­platzbe­schreibung, und »Konstante Verbesserung«, konstante Steigerung des Arbeitstempos. Die Bibel für diese Phase, ein Buch mit dem Titel »The Machine that changed the World« vom Massa­chusetts Institute of Technology, behandelte Gewerkschaften entweder als Hindernis oder unwichtig.

Entscheidungen »die Kaskade hinunter«

Keine dieser Managementmarotten der 80er brachte den Arbeitern viel Gutes. Aber wenigstens behaupteten sie, an den Wert der Leute und ihrer Ideen zu glauben.

Aber dann, in den 90ern, legte Total Quality Manage­ment die Betonung auf ein oberstes Management, das die Richtung vorgibt und den Arbeitsplatz so organi­siert, daß die Entscheidungen »kaskadenartig herunter­kommen« könnten. Die Hauptauf­gabe für die Beschäf­tigten war, ihre Aktivitäten in Übereinstimmung mit dem Ziel der Organisation zu bringen und jegliche abweichende Meinung zu beseitigen, die den Prozeß beeinträchtigen könnte. Die Ideen der Beschäftigten waren dem Management willkommen, aber das Management hatte die Kontrolle über alle Änderungs­ent­scheidungen. Die Unternehmen betrachteten TQM als Methode der Unter­nehmensleitung und neigten deshalb dazu, TQM einseitig einzuführen. Gewerkschaften, die der Zu­sammenarbeit zustimm­ten, bekamen vielleicht ein paar Krümel. Mit Blick in die Zukunft finden die Gewerkschaften viel­leicht Trost in der Tatsache, daß TQM eine Her­angehensweise des Wachstums war; es behauptete, die Organisation zu nehmen, wie sie war und sie zu verbessern. Einige Richtungen des TQM (besonders der verstorbene W.E. Deming) sprachen auch darüber, die »Angst von den Arbeitsplätzen zu ver­treiben«, mit der Folgerung, daß das Management sichere Arbeits­plätze bieten solle.

Umbruch

Jetzt haben wir Reengineering und Reinventing. Management wendet dies wie besessen auf Angestell­ten- und Dienst­leistungs­jobs an - Bereiche, die bei Lean Production oft außen vor blieben. Das Wall Street Journal warnte letzten Monat, »Viel vom großen US-Dienst­leistungssektor scheint am Rande einer Umwälzung zu stehen, ähnlich jener in Landwirtschaft und Industrie, wo die Beschäftig­tenzahl bei steigender Produktion über Jahre hinweg rapide sank.«

Während es schwierig ist, den direkten Einfluß eines Programms zur Reorganisa­tion der Arbeit in Bezug auf Qualität oder sogar Profitablität zu messen, lautet der Bewertungsmaßstab fürs Reengineering: Wieviele Arbeitsplätze wurden beseitigt?
Z.B. das US-Ministerium für Gesundheit und Soziales. Man möchte denken, daß diese Behörde auf die Krise im Gesund­heits­wesen, AIDS, Obdachlosigkeit, etc. reagieren müßte. Aber der Plan für die nächsten fünf Jahre enthält nur vage Ideen. Ein einziger Punkt ist spezifiziert: die Mitarbeiter­zahl muß um 12% gesenkt werden.

Wir müssen nur auf die Vorstellungen von Agile Institutions und Virtual Corpora­tions blicken, um zu erkennen, wohin all dies führen soll.

Agile Production wird vom Iacocca Institute an der Lehigh Universität gefördert. Dieses System, so sagt man uns, stellt die menschlichen Entscheidungen ins Zentrum des Produktions­systems, nicht dumme Ma­schinen. So kann die Produktion rasch auf Markt­änderungen, neue Konsumentenwün­sche und Ge­schäfts­gelegenheiten reagieren. Die Agile Corporation ist fähig, schnell von einer Aufgabe oder Prozeß zum nächsten überzugehen.

Maximale Beweglichkeit

Damit dies klappt, muß die Firma von Festlegungen auf bestimmte Fabriken, Verfahren, oder Maschinen befreit werden, und daher auch von Verpflichtungen gegenüber den Arbeitern, deren Arbeitsplätze von diesen entbehrlichen Elementen des Profitma­chens abhängen.

Die Virtual Corporation verfügt über maximale Be­weglichkeit. Sie behält nur das Zentrum: das Profitcen­ter. Zum Zwecke der Kontinuität bleiben das oberste Management, die Leute für die Ideen, die Organisato­ren und die Mittelsmänner. Alles andere - Fertigung, Dienstleistungen, Sekretariat, Kom­munikation - wird so weit wie möglich ausgegliedert. Jedes Projekt ist befristet.

Robert Reich, heute Arbeitsminister, erklärte dieses Konzept in seinem Buch aus dem Jahre 91, »The Work of Nations«:
»In dem Hochwertunternehmen ist alles, was zählt, die schnelle Identifizierung und Lösung der Probleme, die Hochzeit von technischem Einblick mit Marketing-Know-How, gesegnet von strategischem und finanziel­lem Scharfsinn. Alles andere - alle standardisierten Dinge - können nach Bedarf erworben werden.
Büroräume, Fabriken, und Läger können gemietet werden; Standardausrüstung kann ge­least werden; Standardkomponenten können im Großeinkauf von billigen Produ­zenten (viele aus Übersee) gekauft werden; Sekretärinnen, Routinedatenver­arbeiter, Buchhalter und Routineproduktionsarbeiter können befristet eingestellt werden.
Tatsächlich arbeiten nur relativ wenige Leute in diesen Hochwert­unternehmen im traditionellem Sinne, mit Dauer­arbeitsplatz und fester Bezahlung.«

Das Modell hierfür ist die Hollywood-Filmproduktion. Die Produzenten besorgen das Geld, heuern die Schreiber, Schauspie­ler, Techniker. Wenn der Film fertig ist, kehren alle auf den Markt zurück, um auf das nächste Projekt zu warten. Ein weiteres Bild, das einem in den Sinn kommt, ist der Arbeits­markt für Tagelöhner an den Straßenecken von Los Angeles, wo die Arbeitskräftevermittler mit ihren Pick-ups kommen und die Mexikanischen Immigranten sich in Reihe aufstellen, um für den Tag Arbeit zu kriegen.

Die Nahrungskette hinunter

Furchteinflößend? Ja. Auf der Tagesordnung? In den meisten Fällen nicht in voller Form. Die Großindustrie kann das volle virtuelle Modell nicht erreichen, aber die Firmen können darauf abziehen, ihre Fertigung auf Montage zu reduzieren. Gleichzeitig wird der Aufwand an Arbeit bei der Montage durch neue modulare Prozesse und »design for manufacturing« reduziert.

Dieselbe Logik gilt auf jedem Niveau der Ökonomie. Die Zulieferer stellen fest, daß auch sie beweglicher sein müssen um die Bedürfnisse ihrer Kunden zu befriedigen, daher verringern sie ebenfalls ihre Bin­dung an Bauten, Maschinen und Arbeiter. Der Druck wird die Nahrungskette nach unten durchgereicht.

Reengineering und agile institutions bedeutet, daß die Bindung an Beschäftigte (»Unser wichtigster Aktivpo­sten«) und »lebenslange Arbeitsplätze« im Mülleimer landen, zusammen mit guter Arbeit und starken Gewerkschaften. Vertragliche und moralische Bindun­gen brechen weltweit zusammen - in Japan und Europa genauso wie in Nordamerika.

Wer profitiert von zunehmender Geschwindigkeit und Effi­zienz? Ganz klar die Firmen. In vielen Fällen tauchen die Errungen­schaften nur bei den Profiten auf, für die Kon­sumenten verbessert sich nichts. Als Arbeiter haben wir schon viel verloren, und kein Ende in Sicht.

Effizienz, oder die Idee Arbeitsplätze, Produkte, oder Verfahren umzuorganisieren, um es sich leichter zu machen, ist kein schlechter Gedanke. Es ist wichtig, zu erkennen, daß das System zerbrochen ist, und repariert werden muß. Das Problem ist, was sind die Grund­annahmen fürs Reengineering?

Die Annahmen des Managements sind:
- Das Hauptziel ist die Beseitigung von Arbeitsplätzen.
- Das Management hat keine Verantwortung.
- Der Markt, oder die Gesellschaft, oder deine Familie werden die Konsequenzen kompensieren.
(...)

Übersetzung aus Labor Notes vom April 94

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