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aus: Wildcat-Zirkular 3, April/Mai 1994

Korrespondenz aus Norddeutschland

Wahlsplitter aus Niedersachsen

Die Eine oder der Andere wird es vielleicht mitgekriegt haben. In Niedersachsen waren Wahlen. Die Grünen haben gewonnen und trotzdem verloren, weil die FDP nicht mehr im Landtag ist. Seitdem sollen bereits mehrere liberale Leichen an der Leine angeschwemmt worden sein.

In Salzgitter und Hannover wurden die Veranstaltungen der REPs gestört; in Bienenbüttel wurde ein NPD-Kreistagskandidat von ca. 30 Vermummten zu Hause besucht, aber nicht, um mit ihn zu reden.

Weniger bekannt geworden ist aber, daß im Emsland drei CDU-Wahlver­anstaltungen gesprengt worden sind. Bei der ersten wurde der Bundeslandwirt­schaftsminister Borchardt von mehreren hundert Bauern. in einem Hotel belagert. Sämtliche Zufahrtswege waren von Treckern und Strohrollen blockiert. Die Belagerung wurde auch dann nicht aufgehoben, nachdem Borchard zu allen Forderungen der Bauern ja und Amen gesagt hatte. Borchardt mußte mit einen Hubschrauber ausgeflogen werden. Grund für die Proteste waren die EG-Politik der Bundesregierung, speziell wegen der Schweinepest. In Niedersachsen wurden bisher tausende von gesunden Schweinen notgeschlachtet, ohne Entschädigung für die betroffenen Bauern. Für etliche geht es mittlerweile um die Existenz. Trotz der Notschlachtungen wurde die Schweinepest bisher nicht eingedämmt, wie es von der EG und der Bundesregierung behauptet wird. Teilweise wird von den Bauern eine bewußte Ruinierung bäuerlicher Mastbetriebe zugunsten der großen Mastfabriken vermutet. Was daran dran ist, mag ich nicht zu beurteilen.

Aus dem gleichen Grund wurde von den Bauern eine Kohl-Veranstaltung gesprengt. Auch hier wurden sämtliche Zufahrtswege blochiert. Aus "ungeklärten Umständen" haben dabei mehrere Strohballen Feuer gefangen. Kohl ist über Schleichwege irgendwie weggekommen.

Das dritte Mal sprengten 700 Bauarbeiter eine Kohl-Veranstaltung wegen dem Auslaufen der Schlechtwettergeldregelung. Die CDU mußte die Veranstaltung vorzeitig abbrechen.

Alle drei Meldungen habe ich aus den Nachrichten im Radio, wo sie jeweils immer nur einmal auftauchten (FFN). In Zeitungen habe ich nirgends was gelesen.

Die Wahlbeteiligung lag trotz massiver Propaganda zur Wahl zu gehen bei 73,8% gegenüber 74,9% 1990. Interessant ist aber folgendes. Sowohl in der Stadt Lüneburg, wie auch im Landkreis stiegen die ungültigen Stimmen beträchtlich. Bei den Erststimmen in der Stadt von 469 auf 841, im Landkreis von 431 auf 1847; bei den Zweitstimmen in der Stadt von 359 auf 1303, im Landkreis von 406 auf 2230. Dies wären im Verhältnis zu allen abgegebenen Stimmen die viert-, bzw. sechststärkste "Partei". Ob das auf ganz Niedersachsen hochzurechnen geht, weiß ich nicht, will auch keine neue revolutionäre Strömung erkennen, aber auch nicht das Gegenteil, find es einfach nur interessant. So weit ich weiß, soll es dieses Jahr noch mehr von diesen Theater geben. Sollten wir vielleicht dabei ein Blick auf die ungültigen Stimmen werfen.

Bauarbeiter auf dem Arbeitsamt

Am 1. März trafen sich im und vor dem Arbeitsamt Lüneburg mehrere Hundert Bauarbeiter und wollten sich arbeitslos melden. Zu Ende Februar lief die Schlecht­wettergeldregelung aus. Durch das massive Auftreten der Bauarbeiter brach der Betrieb des Arbeitsamts zusammen. Über einen Pressesprecher ließ der Arbeitsamtdirektor vermelden, daß die Anträge der Bauarbeiter nicht angenommen werden, da sie nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen würden. Die Stimmung wurde aggressiv. Ein Teil blieb im Arbeitsamt und belagerten weiterhin sämtliche Büros, die meisten gingen raus auf die Straße und brachten den Verkehr erheblich zum stocken. Irgendwann lößte sich die Sache auf.

Ähnliche Aktionen liefen die Woche über in vielden Arbeitsämtern in Nieder­sachsen, Hamburg und Schleswig-Holstein. Im Emsland sprengten 700 Bauarbeiter eine Wahlkampfveranstaltung mit Kohl.

Diese massiven Aktionen sind meiner Meinung nach der entscheidende Grund, daß die Abschaffung des Schlechtwettergeldes erstmal ausgesetzt wurde. Außerdem wurde meines Wissens im Baugewerbe als einziges bisher eine Tariferhöhung über das gesamte Jahr von über 2% abgeschlossen, ohne das es groß gewerkschaftliche Warnstreiks gegeben hat. Wer die Aktionen organisiert hat, konnte ich nicht rauskriegen. Beteiligt waren wohl schon viele gewerkschaftlich organisierte Kollegen, offiziell soll die BSE aber nicht dazu aufgerufen haben.

Streik bei Koose in Dortmund

Als ich am 15. März im Rahmen meiner Tätigkeit als Service-Monteur bei der Firma Koose in Dortmund-Holzen eine Maschine reparierte, versammelten sich gegen 14 Uhr alle Arbeiter der Maschinenhalle und der angrenzenden Werkstatt in der Mitte der Halle und standen da untätig herum. Neugierig geworden ging ich hin und sagte scherzhalber: "Was`n hier los? Streik!" - und zu meiner Verblüffung wurde mir mit "Jau" geantwortet.

Die Kollegen hatten die Arbeit niedergelegt und wollten damit ein Gespräch mit dem Chef erzwingen. Ihr Lohn war seit 14 Tagen überfällig und erwarteten nun eine konkrete Zusage. Der Chef ließ sich aber nicht blicken, sondern schickte seinen Betriebsleiter, der die Lohnzahlungsverzögerung mit einer ausstehenden Rechnung begründete. Die Kollegen ließen sich darauf nicht weiter ein, sondern stellten ein Ultimatum. Sollte bis Montag, den 21. März das Geld nicht auf den Konten sein, würden sie geschlossen nach Hause gehen. Der Betriebsleiter sollte das dem Chef so mitteilen. Die Aktion dauerte ca. eine halbe Stunde.

In einen anschließenden Gespräch mit zwei Arbeitern wurde mir erzählt, daß es im Betrieb keinen Betriebsrat und keinen gewerkschaftlichen Vertrauenskörper gibt, sondern sie solche Sachen immer so regeln. So soll es in den letzten Jahren bereits zu drei Arbeitsniederlegungen gekommen sein.

Wie die Sache nun ausgegangen ist, konnte ich nicht rauskriegen. Beide Kollegen sind davon ausgegangen, daß das Geld bis zum 21. März da ist., weil der Alte wüßte, daß sonst tatsächlich alle nach Hause gehen würden. Dies hätten sie bereits schon mal durchgezogen.

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