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aus: Wildcat-Zirkular Nr. 3, April/Mai 1994 LissyAm 3. April wurde Lissy Schmidt im Nordirak erschossen. Wir gehen davon aus, daß es ein gezieltes Attentat war. Über die Täter gibt es viele Mutmaßungen, denn Lissy hatte sich viele Feinde gemacht. Weder den alten noch den neuen Machthabern in der Region gefiel es, daß eine Journalistin nicht rückhaltlos ihre Linie unterstützt. Ein Hauptfeind ist sicherlich der türkische Geheimdienst, der massiv in Südkurdistan vertreten ist und u.a. mit der KDP, der Partei Barzanis, zusammenarbeitet. In der von dieser Partei hegemonisierten Region sind in den letzten Monaten zahlreiche Linke erschossen worden. (Siehe den Bericht über Südkurdistan in diesem Heft). Es war nicht der erste Anschlag auf ihr Leben. Lissy hatte keine starke Organisation in der Hinterhand, die sie schützte. Sie bewegte sich oft in einem linken, antinationalistischen Milieu, veröffentlichte Artikel, die nicht der Linie der kurdischen Regionalregierung entsprachen. Gleichzeitig machte sie natürlich auch immer wieder Interviews mit den Führern der großen Organisationen. In den letzten Monaten war sie Korrespondentin für AFP gewesen, was ihr ein Grundeinkommen verschaffte. Daneben schrieb sie seit langem für Zeitungen wie die FR und gab Rundfunkinterviews. Sie gab zahlreiche Berichte und Interviews an linke Zeitschriften und Mailboxen weiter. Sie "saß" nie auf Material, sondern wollte immer soviel wie möglich öffentlich machen. Wir haben Lissy 1989 kennengelernt, als sie in Berlin eine Veranstaltung über die breite Arbeiterbewegung in der Türkei im Frühjahr 1989 gemacht hat. Damals ging sie in den Büros der kleinen unabhängigen Gewerkschaften in Istanbul ein und aus, war immer wieder in Fabriken, machte während vieler Streikaktionen Interviews mit ArbeiterInnen und GewerkschafterInnen. Überall, wo sie hinkam, suchte sie nach solchen Kontakten. Auch später in Südkurdistan hat sie sämtliche Fabriken aufgesucht und mit den ArbeiterInnen gesprochen. 1990, als es die ersten aufstandsähnlichen Demos in kurdischen Kleinstädten gab, verlegte Lissy ihren Wohnsitz dorthin und schickte so ziemlich als einzige Journalistin immer wieder Berichte über die Realtität des Ausnahmezustands. Während des UNO-Ultimatums und der Vertreibung zigtausender von Immigranten aus dem Irak berichtete sie vor Ort. Sie verfügte bald auch in der kurdischen Region über eine Menge interessanter Kontakte, die sie auch bereitwillig weitergab. Obwohl sie tagtäglich in ihren Berichten Solidarität mit der kurdischen Bewegung einforderte, hatte sie bald Probleme mit einigen Leuten der PKK, die sie als "Agentin" ausgrenzten - just zu der Zeit, als sie auf der Begräbnisfeier für den ermordeten HEP-Vorsitzenden in Diyarbakir, das in einem Massaker endete, vom türkischen Militär schwer zusammengeschlagen und verletzt wurde. Danach hatte sie Einreiseverbot in die Türkei, wo sie sieben Jahre gelebt hatte. Die folgenden drei Jahre pendelte sie zwischen Frankfurt und Nordirak hin und her. Eine Zeitlang arbeitete sie für Medico, dann wieder unabhängig als Journalistin und Kontaktperson für kleinere Hilfsprojekte. Auch hier hatte sie wieder das Problem, daß die beherrschenden Parteien sie für ihre Ziele vereinnahmen wollten und öffentliche Kritik nicht duldeten. Artikel in linken Zeitschriften veröffentlichte Lissy nur noch unter falschem Namen. In der Wildcat haben wir mehrmals Artikel von Lissy abgedruckt: zu den Arbeiterkämpfen im Frühjahr 1989, zum den aufständischen Newroz-Feiern im Frühjahr 1990, zur Situation der Ölarbeiter in Kurdistan/Türkei, zur Arbeitslosenunion in Sulaimaniya. Wir druckten die Artikel meist so, wie sie sie vorbeigebracht hatte, zur ausführlicheren Diskussion war nie Zeit. Sie war keine Theoretikerin. Sie konnte sehr diszipliniert arbeiten, hat ständig zwischen mehreren Sprachen hin- und herübersetzt (übrigens auch einen Teil von Midnight Oil, bei einem Zwangsaufenthalt irgendwo an der syrischen Grenze), was gerne von Leuten ausgenutzt wurde. Sie kannte Gott und die Welt, war selbst aber eine Einzelkämpferin mit stark moralisch motiviertem linken Engagement, keine Politikerin. Ständig auf der Durchreise, ungebunden, war die Gefahr groß, zwischen Fronten zu geraten. T. Berlin, 12.4.94: Dieses Fax kam heute von S. Ibrahim, "Europavertreter der Organisation der Arbeitslosen in Kurdistan" Unsere Genossin Lissy Schmidt wurde ermordet!Am 3. April 1994 wurde die Journalistin Lissy Schmidt 700-100 m enfernt vom Kontrollpunkt Tschatschian zwischen Arbat und Seyad Sadik von "Unbekannten" ermordet. Sie war Journalistin, aber auch Kämpferin und treue Genossin der ArbeiterInnen und Werktätigen in Kurdistan und dem Irak. Sie bekämpfte die Blockade der Imperialisten und faschistischen Regime gegen Irak und Kurdistan. Sie hatte bei Medico International für den Wiederaufbau in Kurdistan gearbeitet. Neben ihren Berichten über linke Strömungen hat sie sich massiv für ein freies Kurdistan eingesetzt. Sie war bei der Bevölkerung sehr beliebt und verhaßt bei den faschistischen Regierungen in der Türkei und im Irak. Wir fragen: Wer steht hinter diesem Mord? Die möglichen Antworten: Vor einiger Zeit erst ist Lissy in Dohok einem Attentat mit einer Zeitbombe entkommen. Am 13.7.91 wurde sie in Diyarbakĸr vom türkischen Geheimdienst MIT zusammengeschlagen und ihre Fotoausrüstung wurde zerstört. Anschließend wurde sie in Istanbul festgenommen und erhielt ein Einreiseverbot in die Türkei. Sie konnte mit ihrer linken journalistischen Arbeit in einem strategisch wichtigen Gebiet dieser Welt das Meinungsmonopol der NATO und der faschistischen Regimes durchbrechen. Deshalb stellte sie eine Gefahr für diese Interessen dar und wurde schließlich Opfer deren Hasses. Durch ihre Tätigkeit konnten kommunistische und andere linke Zeitungen in Deutschland bzw. Europa über neue Frauenorganisationen, unabhängige Arbeiter-Massenorganisationen (wie z.B. Arbeitslosenorganisation), Aufstände armer Bauern und über Rätebewegungen und unseren Aufstand und die Opfer der Anfal-Operation berichten. Lissy war unsere Botschafterin, unsere Genossin und unsere Freundin. Sie war Symbol für einen Internationalismus der Tat in der Unterstützung des Klassenkampfes und gegen die Unterdrückung der Völker. Im März gab es in Kurdistan/Irak eine ganze Reihe von Mordanschlägen: Wir versprechen Lissy und Euch, den Kampf gegen Imperialismus und Faschismus weiterzuführen. Gleichzeitig fordern wir die kurdische Regierung auf, alles für die Aufklärung des Mordes zu tun und die Einzelheiten sofort zu veröffentlichen, und rufen alle auf, diesen Mord zu verurteilen. Unsere Wut und Trauer für Lissy wird zu Widerstand im Sinne der proletarischen internationalen Solidarität. |
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