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Wildcat-Zirkular Nr. 3, April/Mai 1994

Gespräch mit einem Genossen aus Osnabrück über das Ende ihres Stadtteilzen­trums »Aufbruch«, das sie jetzt nach einem Jahr zumachen

T: Erzähl doch mal, wie es mit dem Stadtteilzentrum angefangen hat...

O: Angefangen hat alles für mich Mitte der 80er Jahre mit den ganzen Autono­men­gruppen, gemeinsamen Fahrten nach Wackers­dorf und so. Als diese Struktu­ren zusammen­gebrochen sind, haben wir dann im Antifa-Café mitgemacht, aber schon mit den Erfahrungen, die wir vorher ge­macht hatten. Wir wollten da auch besser organisie­ren, wollten eine Gruppe auf­bauen über diese Antifa-Sachen, haben es mit theoretischen Diskussionen ver­sucht. Nachdem das schief gegangen war, haben wir uns überlegt, woran das liegt. Zum einen liegt es daran, wie Jugendliche halt so drauf sind, eher spontan. Und zum an­de­ren ist es auch eine Ablenkung von den Problemen, die die Leute eigent­lich ha­ben, denn sie sind ja nicht in erster Linie vom Faschismus betroffen, sondern von den Strukturen, die hier herrschen. Wir wollten also Strukturen aufbauen, um ge­gen Um­strukturierung oder die Proble­me mit der Lohnarbeit etwas zu organisie­ren.

T: Das war aber doch für diese Ju­gend­lichen auch erstmal abstrakt.

O: Ja gut, wir haben aber gesagt, wir richten uns auch an andere Leute, nicht erstmal an die, das war vielleicht ein Fehler, wir haben das aber erstmal so gemacht. Wir haben dann eine Zeitung ge­macht, die Schwarze Kat­ze. Haben war ge­schrieben zur Umstruk­turierung, um die Mieter zu erreichen, dann waren da Arti­kel drin über Klauen, über Krankfei­ern. Wir haben insgesamt vier oder fünf Aus­ga­ben gemacht und kostenlos verteilt. Dann haben wir vor zwei Jahren einen Ak­tionstag gegen Woh­nungsnot organi­siert, wo wir hofften, mit der Zeitung eine Öffentlichkeit zu errei­chen. Wir wollten, daß die Mieterinitiati­ven mit­machen. Das ist aber schief gegan­gen, da­nach ist dann die Hälfte der Leute bei uns weggegangen. Da standen wir also wie­der mit 2, 3 Leuten da und über­leg­ten: wie weiter. Ein großes Manko war, daß wir nicht erreichbar waren, wir konn­ten also gar nicht in die Diskussion mit den interessierten Leuten treten. So ent­stand die Idee, ein Stadtteilzentrum zu ma­chen. Mit anderen Leuten zusam­men, ein paar Antifa-Leuten. Dann haben wir halt den Laden aufgemacht. Die Erwar­tung war eben: wenn wir erstmal öffentli­che Räume haben, dann findet sich auch eine Gruppe und wir können darüber dis­kutieren,warum wir ein Zentrum ma­chen, warum wir auch Leute in den Be­trieben an­sprechen wol­len. Diese Dis­kussion soll­te erstmal innerhalb der Grup­pe statt­fin­den. Am Anfang waren wir acht Leu­te...

T: ... Ganz schön mutig, sich zu acht so einen teuren Laden aufzuhalsen.

O: Es war auch ne Fehleinschätzung. Wir dachten, über so ein gemeinsames Projekt die Leute mitreißen zu können und daß sich darüber auch eine theoreti­sche Aus­einandersetzung in Gang setzen läßt. Es hat sich gezeigt, daß es nicht möglich ist. Die ersten Monate hatten wir ziemlich Zulauf. Vordergründig haben wir auch eine Diskussion geführt: einen zweiten Wohnungsnot-Tag ge­macht, eine Zeitung dafür erstellt, aber nachher kam raus, daß nur 2, 3, 4 Leute das Konzept mittragen.

J: Ich möchte gern nochmal zurückge­hen. Du erzählst so nebenbei, daß ihr Antifa-Arbeit gemacht habt, dann aber gesagt habt: der Faschismus ist ja nicht die eigent­liche Bedrohung hier, von der die Menschen betroffen sind. Genau dieselben Sachen erzählen Leute aus Villingen, Leute aus Berlin usw. Aber all unsere Ver­suche, mal was Kritisches über diesen An­ti­faschismus zu schreiben, gehen in ihrer Außenwirkung immer ziemlich in die Hose. Sobald man Antifa als Kon­strukt oder Ideologie zu kritisie­ren ver­sucht, die an den sozialen Kon­flikten vorbeigeht, sagen dieselben Leute: nein, so nicht!

O: Antifa stellt natürlich einen Mobili­sierungsfaktor dar. Das bestätigen die Antifa-Leute dann auch immer in den Diskussionen: sie sagen, die Leute lassen sich über Antifa mobilisieren. Wir haben auch genug andere Sachen probiert: eine Hausbeset­zung, die Zeitung, in den Be­trieben Lehrlinge angesprochen, aber es ist einfach schwer, die Leute zu orga­nisieren. Da ist es einfacher, auf das zurückzugrei­fen, was es gibt, nämlich Antifa.

J: Was du zum Laden gesagt hast, kommt mir ziemlich bekannt vor von meiner eige­nen Geschichte her oder unseren neuen Versuchen. Es gibt ein­fach eine Rie­senkluft: auf der einen Seite machst du was im Stadtteil oder in der Fabrik und kriegst auch Resonanz, die dich merken läßt, daß da auch was passiert, daß du nicht im Vakuum agierst. Aber wenn du dann versuchst, das ganze organisatorisch anzupacken, erlebst du meist den völligen Einbruch. Wie kann aus dem Zuspruch, den man kriegt, eine offensive Kraft werden?

O: Ich kann Leute schon mitreißen, was mit­zumachen, aber ich kann sie nicht mit­reißen, auch im Kopf diese Entwick­lung mitzumachen. Mit dem Laden hän­gen ja auch viele organisatorische Sachen zu­sammen. Viele dieser Entschei­dungen sind letztlich von ganz wenigen Leuten ge­tragen worden, weil die ande­ren einfach über­fordert waren. Die ha­ben sich dann über die autoritären Strukturen beklagt, über die Mackerty­pen, die die Entschei­dun­gen fällen, aber sie haben ihre eigene Rolle da drin gar nicht reflektiert. Sie waren sauer und haben gar nichts mehr ge­macht.
Es gibt diese Strukturen, die kann man auch nicht einfach abschaffen, aber wir müssen sie offen gestalten, denn dann sind Entscheidungen auch nachvoll­zieh­bar und können korrigiert werden. Ab­schaffen lassen sich diese Strukturen erstmal nicht.

J: Gab es auch inhaltliche Differenzen? Oder lief es alles auf der Ebene: ein paar wenige haben immer gepowert und dann irgendwann nicht mehr die Kraft gehabt?

O: Es gibt schon inhaltliche Unterschie­de, nur ist es schwierig, die rauszuarbei­ten. Weil die sich das einfach nicht bewußt ma­chen. Die haben das Gefühl: wir müs­sen was zusammen machen, kulturell zu­sam­menarbeiten, aber die festzunageln, ist sehr schwierig, obwohl es letzten Endes zwei unterschiedliche Herangehensweisen sind. Es gibt die Leute, die ein Kulturzen­trum machen, zu dem dann alle hinkom­men, alle Linken, und da wird dann schon irgendwas draus entstehen. Und die ande­ren Leute, die sich überlegen: wen will ich überhaupt ansprechen, wie mache ich das oder was kann ich selber auch leisten?

J: Bei uns war es 1980/81 ganz ähnlich. Als wir Räume für das Jobberzentrum im Karlsruhe suchten, waren wir noch etwa zwanzig Leute. Dann haben wir etwa vier Monate lang ganz viel diskutiert, über Verbindlichkeit, über ganz viel Theorie, danach sind dann zehn Leute übriggeblie­ben. Wir wollten gemeinsam arbeiten gehen, die Leute, die wir dort kennen­lernen, mitbringen ins Zentrum. Dann haben wir natürlich auch in der sozialen Bewegung mitgemischt, damals war das nicht Antifa, sondern Häuser­kampf, Stadt­sanierung, Zwangs­räumung. Dann haben wir eine Psychiatriegruppe und eine Knas­tgruppe gemacht. Als das dann alles orga­nisiert war, sind nicht alle von uns auch wirklich arbeiten gegangen, wenn es eine gute politische Gelegenheit gab. Wir haben dann aber versucht, den Streit auszufech­ten. Bei Euch hatte ich eher das Gefühl, daß es auf der einen Seite Leute gibt, die politisch gezielt in ne Ausbeu­tungs­situation reingehen und da was zu machen versuchen, auf der anderen Seite es relativ beliebige "auto­nome" Positionen gibt, Ihr das aber nicht diskutiert....

O: Das wird eher beliebig diskutiert: Ich arbeite nicht und hab auch keine Lust zu arbeiten und teilweise geht das so weit, daß sie sagen, Ihr seid ja Scheiße drauf, daß ihr arbeitet, denn damit unterstützt ihr ja das System, ich studier oder mach gar nix oder bin arbeitslos ...

T: Ihr habt das also zu zweit gemacht?

O: Ja und am Anfang hat sich das auch ganz gut angelassen, da haben wir mit den Lehrlingen ein wöchentliches Tref­fen im Laden gemacht. Aber letztlich blieb das auf soziale Treffen beschränkt, es hat sich gezeigt, daß es im Moment nicht möglich ist, diese Treffen zu politi­sieren.

J: Was hätte das geheißen "zu politisie­ren"? Ihr habt ja zum Beispiel in Eurem Betrieb ne Zeitung gemeinsam gemacht?

O: Die haben wir ja gemeinsam mit denen gemacht, wir hatten ja das Kon­zept, daß erstmal nicht wichtig ist, was da drin steht, sondern die Tatsache über­haupt, daß die Leute selber aktiv werden. Ja, politisieren hätte für mich geheißen, daß sie die Bereitschaft haben, über die eigene Situation nachzudenken, das heißt über die Situation im Betrieb, oder auch zu sagen "Scheiße, ich will von zuhause weg! laß uns da mal was machen!" Also ihr Schicksal n Stückchen weit in die Hand zu nehmen.

J: Ja waren die mit ihrer Situation zufrie­den? Blieben die völlig passiv?

O: Wir haben versucht, Diskussionen reinzubringen. Zum Beispiel hatten wir eine Hausbesetzung geplant. Das blieb dann aber so beliebig "jaja, ganz nett, machen wir wohl". Das kam aber nicht von innen raus, daß die das mal in die Hand nehmen, sondern alle warten drauf, daß einer kommt und sagt "wir besetzen morgen ein Haus! du machst das und du machst das!" dann kommen sie vielleicht. Aber von sich aus?

J: Die beiden Male, als wir in Osna­brück waren, hatte ich den Eindruck, da laufen ne Menge soziale, kulturelle und auch politische Initiativen um den Laden rum und durch den Laden durch. Eure Kern­truppe hatte aber den Laden schon so hoch gesetzt, also schon, daß ihr 2500 Mark Miete monatlich zahlen mußtet, daß euch ALLES, was passiert ist, zu wenig sein MUSSTE! Ich hatte immer den Eindruck, daß ihr mit den vielen tollen Sachen, mit den Lernprozessen der Leute um euch rum, mit ihren Radikali­sierungs­prozessen nichts anfangen konn­tet.... Meiner Ansicht nach HABEN sich da Leute politisiert - und ihr habt "Poli­tisierung" auf ner falschen Ebene ge­sucht, weil ihr immer den Streß hattet, den Laden halten zu müssen und von daher das Engagement der Leute immer nach "Sekundärtu­genden" wie Zuver­lässigkeit, Verbindlichkeit, Disziplin beurteilt habt.

O: Ja, es IST viel gelaufen! Aber für uns war es eine Überforderung. Ich kann nicht mit n paar Leuten so n Laden organisatorisch und finanziell und alles aufrecht­erhal­ten und gleichzeitig dann noch die guten Sachen, die kommen, aufgreifen und damit weiterarbeiten.

J: Ihr habt's ja am Anfang auch ganz gut hin­gekriegt,über die Szene rauszukom­men.

O: Ja, wir haben es geschafft, daß n Haufen Leute hingekommen sind. Beim 2. Ak­tionstag gegen Wohnungsnot haben unheimlich viele Leute mitgemacht. So­lange das für die überschaubar bleibt und nicht von ihnen verlangt wird, daß sie Geld spenden für den Laden und jeden Tag da malochen... das war eben ne Über­forderung. Und deswegen denk ich, wir sollten im Stadtteil ne Kampa­gne machen oder auf ne Hausbesetzung hin­arbeiten ...

J: Gut, da hatten wir ja im Sommer auch schon drüber geredet, daß ihr das Pferd vom falschen Ende aufzäumt, wenn ihr erstmal n Laden für so ne hohe Miete an­mietet und dann versucht, den zu füllen. An­dererseits sind euch mit dem Laden be­stimmte Dinge gelungen, die ihr mit ner Kampgane nicht mehr hinkriegen werdet.

O: Alles kannst du nicht haben, die ande­re Entscheidung wäre zu sagen, ich mach jetzt ne Kneipe auf, so daß ich auch davon leben kann, dann gibt es einen Treffpunkt.

J: Die andere Alternative sind dann diese berüchtigten "man muß einmal in der Woche Thekendienst machen"....

O: Ja und das ist ätzend. Am Anfang war das ganz toll gewesen, da hatten wir ge­meinsam Filme gezeigt, vor jedem Film ne Einleitung gemacht, den Laden vor­ge­stellt, erklärt, warum wir den Film zeigen. Aber das hat im Herbst dann irgendwann aufgehört, da war's dann nur noch so: Wir brauchen noch irgend n Film, neh­men wir halt den. Teilweise wurde der auch nicht organisiert, dann hatten wir gar keinen Film oder haben dann ne Jimi Hendrix-Cassette reinge­schmissen.

J: Warum hat der Wohnungstag nicht zu einem Auftrieb geführt?

O: Der war von der Dimension her wahr­schein­lich zu groß, der hat von der Arbeit her wirklich das letzte von den Leuten ver­­langt. Und inhaltlich war er auch über­frachtet, wir haben da mehr Inhalte rein­gepackt, als sie von den Leuten selber kamen. - Wir haben mehrere Initiativen in der Nachbarschaft gestartet, da ist aber kei­ner gekommen. Und danach war end­gül­tig die Luft raus, weil klar geworden war, daß das ne sehr langfristige Arbeit ist.

J: Aber wenn ihr jetzt nur noch Kampa­gnen machen wollt, verschärft sich doch genau dieses Problem noch: daß du un­heimlich powerst und dann kommt der Tag, und das war's dann.

O: Ja gut, aber da weiß ich von vornher­ein, auf was ich mich einlasse und ich kann das anderen auch so sagen, ich kann sagen: hier du übernimmst ne kleine Auf­gabe. Und es ist auch wichtig, daß Leute mitmachen. Und dafür lassen sie sich auch animieren. Das ist über­schau­bar.

T: Aber grad so Kampagnen gegen Wohnungsnot, das ist unheimlich viel Kleinarbeit.

O: Wir müssen den Leuten die Möglich­keit geben, selbst was zu machen, dürfen auch nicht zuviel von den Leuten ver­langen. Entweder sie entwickeln selber was oder halt nicht.

J: Neuer Anlauf. Wir haben damals diese tollen Theo­rien aus Italien mitgekriegt über territoriale Organisie­rung, Vernet­zung. Ihre Treffpunkte haben eigentlich alle als soziale Zentren funktioniert, die hatten ihre Radios, Cafés, oder nur ihre Plätze, an denen sie sich täglich getroffen haben. Als wir das Jobberzentrum in Karlsruhe 1980 aufgemacht haben, hat­ten wir auch solche Theo­rien, daß wir die Jungarbeiter, Knast, Klapsmühle usw. zusammenbringen. Diese Theorien waren ja auch alle nicht so verkehrt, aber wenn ich mir überlege, worüber das ganze über Jahre zu­sammengehalten hat, dann des­halb, weil wir das Jobberzentrum gna­denlos nach unseren eigenen Bedürfnis­sen orga­nisiert hatten: 'Wir gehen arbei­ten und wenn wir von der Arbeit heim­kommen, dann wollen wir ein Abendes­sen.' Das hat dann ein paar Jahre so funktioniert, daß es jeden Abend im Zentrum oder Büro abends ein Essen gab. Dieser tägliche Treffpunkt war eine wichtige Grundlage für uns, daß wir zu zehnt und später zu zwölft relativ inten­siv politisch zusammen­arbeiten konnten. Manchmal haben wir uns nur zum Essen getroffen und hinter­her ne Stunde über das wichtigste vom Tage gequatscht, aber in der Regel begann danach noch ne Arbeitsgruppe.

O: Es gibt so ein diffuses Zusammen­gehörigkeitsgefühl bei uns, aber so einen intensiven persönlichen Bezug auf den Laden gab es nie, der war mehr ein Ver­anstaltungs­raum. In Zukunft wird sich da eine Spaltung voll­ziehen. Damit sich ein neuer Kern von Leuten zusammen­findet. Das ist schon ne Trennung von Leuten, von denen ich weiß, daß sie ein ganz anderes Konzept ver­treten, auch wenn sie das nie sagen. Ich habe einen politischen An­spruch, nicht nur so einen Kulturan­spruch: wir Lin­ken wollen was, wo wir uns treffen kön­nen, und da wird dann schon irgend­wie was Cooles entstehen. Ich möchte im Be­trieb was aufbauen, im Stadtteil was organisie­ren, oder auch ne Zeitung ma­chen, die sich an das Proleta­riat wendet. Die anderen Leute sagen eher: es gibt kein Proletariat mehr, es hat sich aufge­löst, die Stadtteile haben sich aufgelöst. Ihre Konsequenz ist zu sagen: wir als Linke müssen uns jetzt sammeln. Aber warum, um was für einen Punkt, das ist keinem klar.

T: Wo verläuft dann die Trennungslinie: die Studenten trennen sich von den Ar­beitern?

O: Grob kann man das so sagen, wahr­scheinlich ist es die Entscheidung, sich bestimmten Bedingungen zu stellen oder dem Traum von einer Nische anzuhän­gen. Diese linke Kultur gibt es nicht mehr. Auf Hiphop-Musik abfahren, einen echten Schwarzen auf die Bühne bringen, am besten noch aus dem Ghet­to aus L.A. Das finde ich ja auch ganz nett, aber das ist doch als Konzept Un­sinn. Das sind schon Spaltungslinien, die bei praktischen Fragen deutlich werden. Z.B. bei einer Hausbesetzung: geht es dabei um eine politische Aktion, zu sagen: wir enteignen jetzt ein Haus, oder geht es in erster Linie darum, irgendwie Räumlichkeiten zu kriegen. Das steht bei den meisten im Vordergrund, sowohl bei den Frauen, wie bei den Leuten, die mit Straßengangs zusammen­arbeiten wollen, den Antifa-Leute und den Poeten. Ein genaues Kon­zept gibt es nicht. Das macht es ja auch so schwer faßbar.

J: Ich war kürzlich auf einer Veranstal­tung in Hamburg mit KH Roth und der Gruppe K. Letztere vertreten auch so ein Konzept: die Klasse hat sich aufgelöst, deshalb ist es völlig verkehrt, wenn wir uns mit unserer Perspektivdiskussion auf diese Klasse beziehen. Diese Klasse ist strukturell rassistisch. Wir müssen uns aus uns selber raus neu definieren, aus dem was wir als Linke in unserem Kopf über Faschismus und Kapitalis­mus ver­standen haben. KH Roth vertritt eben das Gegen­teil: die Kämpfe in den Ent­wicklungs­sektoren mit den Kämpfen in der soge­nannten Massenarmut ver­bin­den. Das wäre eine mögliche Grund­lage für so einen Laden im Stadtteil ...

O: Von der Theorie her hatten wir das vor, wir haben es nur nicht geschafft, das umzusetzen...Ich denke, wir brauchen eine Art von Organisa­tion, die es uns ermög­licht, wesentlich effektiver zu arbei­ten.

J: Ich weiß nicht, ob du nicht gerade in einer falschen Richtung die Konsequenz aus euren Erfahrungen ziehst. Da hast du doch noch viel stärker das Problem, daß Leute sagen: dafür haben wir ja unsere Organisation, macht mal ihr.

O: Aber da ist das Verhältnis wenigstens klar. Diese Leute stehen dann für eine bestimmte Arbeit, ne be­stimmte Struk­tur. Da gibt es nicht die Illusion: wir sind alle gleich. Und das klappt schon irgendwie, letzten Endes sind aber die autoritären Strukturen genauso da. Ich sehe auch, daß ich mir damit wesentliche Arbeiten ab­nehmen kann.

J: Aber da erliegt ihr in Osnabrück auch leicht einer Fetischisierung. Die Gefahr sehe ich da, wo du die eigene Stärke, die du an einem Punkt vielleicht wirklich hast, mit dem zu verwechseln, was in der Klasse vor sich geht - so wie du vorhin gesagt hast: ob ein Streik stattfindet, das können wir nicht so stark beein­flussen,

O: Die Illusion will ich mir auch gar nicht machen. Wir brauchen aber Mög­lichkei­ten, gezielter in diese Kämpfe ein­greifen zu können. Und den Leuten, die anfangen, sich zu wehren, diese Möglich­keiten zur Verfügung zu stellen.

J: Über die Sachen sind wir uns sicher einig: daß wir uns wenigstens so organi­sieren, daß wir in der Lage sind, z.B. ständig solche Rundreisen mit Veranstal­tungen zu machen, damit haben wir immer gute Erfahrungen gemacht. Das halte für wichtiger im Moment als im voraus feste organisatorische Strukturen aufzubauen, in die andere dann eintreten sollen, oder die für andere was bieten können.

O: Um eine Partei geht es mir auch gar nicht, sondern darum, eine Organisa­tions­struktur zu finden.

T: Ständiges Rumfahren mit Veranstal­tungen wäre ja eine Art Organisations­struktur, die die Diskussions­prozesse in den einzelnen Städten miteinander ver­bindet.

J: So ein Treffen wie im Juni hat im Grunde nur einen Sinn, wenn im Zeit­raum von vielleicht sechs Monaten so eine Struktur rauskommt.

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