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aus: Wildcat-Zirkular Nr. 5, Juni 1994

Aniliner protestieren gegen Sozialabbau

Gestern protestierten die BASF- Beschäftigten gegen die Kürzungsabsichten von "freiwilligen" sozialen Leistungen. Der Vorstand will sowohl viele Leistungen streichen, die an das Dienstalter gebunden sind (Jubiläumsgaben, Treueprämien etc), als auch, wie die beiden anderen Chemiemultis auch, bisher an das Tarifentgelt gebundene Lohnbestandteile "an die Leistung" binden, was nach alter Tradition nur heißen kann, an das Wohlwollen der Chefs und an die Schönheit der Nase. Betroffen sind alle, je länger drin und je höher in der Hierarchie, desto mehr. Insgesamt sollen 70 Millionen dadurch eingespart werden, bei einem Gesamt­volumen aller (von der Firma so genannter) "freiwilliger Leistungen" von 1,1 Milliarden. Es geht also nicht (nur) um das Geld, sondern - ja um was? Provoka­tion, warum? Nur um die Tarifentbindung? Um die Abschaffung der traditionellen Be­amtenmentalität vieler Alter?

Die Protestkundgebung fand in der Mittagspause statt, während der allhalbjähr­lichen Ver­sammlung der betrieblichen Vertrauensleute, etwas außerhalb des Werksgeländes. Die BASF nennt 11000, die Polizei 13000, die Gewerkschaft 15000. Ich weis nicht, ob die Zahlen stim­men (es gab keinen erhöhten Platz zum Gucken), aber es waren wirklich viele. Weit über­proportional Leute im Blaumann, also Arbeiter (-Innen gibts so gut wie nicht) oder Meis­ter. Und sie waren wirklich ziemlich gut drauf - die Versuche der obersten Chefs, zu re­den, mußten nach wenigen Sätzen abgebrochen werden. Allerdings ging das Ganze sehr ge­ordnet über die Bühne, Rufe nach Streik oder so, wie noch vor 3 Wochen, gabs diesmal nicht. Es gab auch keine Trans­parente oder so "von unten". Also alles (noch) gut im Griff vom Betriebsrat.

Um aber die Bedeutung der Vorgänge würdigen zu können, muß mensch sich vergegen­wär­tigen, daß es keine Tradition für derartige Mobilisierung gibt. Das letzte Mal, daß die Ani­liner vorm Tor waren, war 1977. Das letzte Mal, daß ich sie derart kollektiv empört erlebt habe, war 1976 (damals war allerdings der Bezirksleiter der Gewerkschaft das Objekt der Begierde). Und mensch muß berücksichtigen, daß es technisch nicht ganz einfach ist, soviele für ne halbe Stunde vors Tor zu kriegen: die BASF ist 7km lang, in mehr als 300 Betriebe etc unterteilt. Verschärfend kommt noch hinzu, daß die Vertrauensleute ja gar nicht drin waren, und so ihre Kollegen nicht direkt mit rausschleppen konnten - diesen Job dürften wohl zum Teil die Vorarbeiter/Meister übernommen haben, denn die trifft es am meisten.

Der Betriebsrat weigert sich für die Öffentlichkeit, in "freie" Verhandlungen (was auch immer das heißen soll), einzutreten, auch nicht, nachdem die Geschäftsleitung das Aussetzen der Kündigung der entsprechenden BVs für ein Vierteljahr angeboten hat. Natürlich wird das Ganze irgendwie in etwas hinauslaufen, das dem Ansinnen der beiden anderen Konzerne entspricht (also "kostenneutrale" Umstellung aufs Leistungsprinzip). Wir dürfen aber gespannt sein, wie sie das jetzt managen wollen -die Leute haben das wie mir scheint schon ganz gut kapiert; außerdem erfordert eine solche Regelung tatsächlich die Rücknahme einiger wichtiger Einzelvorhaben wie z.B. die Sache mit den Jubiläumsgaben. Wie auch immer, die Aniliner haben sich jedenfalls zurückgemeldet, und selbst wenn sie jetzt noch mal verarscht werden können - die Friedhofsruhe in Ludwigs­hafen ist zunächst vorbei.

Karl, 11. Juni 1994

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