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aus: Wildcat-Zirkular Nr. 5, Juni 1994 Zur KriseRezession als Konjunkturerscheinung des Marktes ist vorbeiKennzeichen dieser Rezession
Das wichtigste Kennzeichen dieser Rezession war aber, daß die Leute mitgespielt haben und kapiert haben, daß es diesmal nicht ein Angriff gegen Randbereiche, sondern grade gegen die Mitte ist:
und das alles trotz (oder wegen?) offener Demütigung/Verarschung, vor allem grade im Moment (BASF verkündet gleichzeitig Aufschwung und Abbau von Sozialleistungen; Opel in Kaiserslautern gleichzeitig Überstunden und Belegschaftsabbau). Die KriseDie eigentliche Krise erscheint gerade darin: daß sich die ArbeiterInnen soviel gefallen lassen, ja sogar mitspielen. Das Wohlergehen der Firma: natürlich haben sie recht - mit dem Untergang des Kapitals geht auch die zugehörige Belegschaft unter. Aber das ist die Verhaltensweise einer Arbeiterklasse, der zumindest vorübergehend die Orientierung und die Hoffnungen abhanden gekommen sind. Das erklärt sich nicht nur aus der Rezession. Es erklärt sich auch nicht aus dem Verschwinden des "Realen Sozialismus". Es handelt sich offensichtlich um den vorläufigen Höhepunkt einer Entwicklung, die nur in größerem Zeitrahmen zu fassen ist. (Beispiel: Arbeiter verfolgen seit frühen 80ern die Aktienkurse...). Es lohnt sich also, noch mal einen kurzen Streifzug durch die Geschichte seit WWII zu machen. Die 50iger und 60iger waren die klassische Zeit des Keynesianistischen Deals: ein ungeschriebener Klassenvertrag zwischen dem Kapital, das die Massenproduktion auf breiter Basis durchsetzt und einer einheimischen Arbeiterklasse, die es durchsetzt, am Wirtschaftswunder beteiligt zu werden. Gerechter Lohn für gerechte Arbeit. Die Verhältnisse scheinen stabil, bürokratisch organisiert, die Sozialdemokratie organisiert Vermittlung nach beiden Seiten. Aber dieser Deal hat kein goldenes Zeitalter gebracht. Die Arbeitsintensität nimmt schon damals zu, der Lebensstandard und die Garantien steigen relativ langsam, gemessen an den realen Verhältnissen des Arbeitsmarktes. In den 60ern mobilisiert das Kapital neue Schichten in die Fabrik, die Gastarbeiter. Sie geraten von den vernachlässigsten Landstrichen Europas geradewegs in die modernsten Fabriken. Gerade sie, aber nicht nur sie, durchbrechen 68-73 zum ersten Mal den zwanzig Jahre alten Deal. Sie verlangen mehr Geld und weniger Arbeit; aber auch ein besseres Leben in der und ohne Arbeit. Nicht nur der Deal im Allgemeinen, auch seine Institutionen und Gepflogenheiten werden auf sehr breiter gesellschaftlicher Basis angegriffen. Der politische Aufbruch ist bedeutend: Revolution und Kommunismus werden als reale Möglichkeiten diskutiert. Die revolutionäre Linke (oder das, was dafür hält) nimmt einen ungeheuren Aufschwung, mehr als 100.000 Menschen werden sich um 73/74 in der BRD wohl dazugezählt haben. Aber diese Linke bezieht sich nun gerade auf ein Bild von Arbeit und Arbeiterklasse, von dem sich diese selber gerade beginnt, sich zu verabschieden. Dieser Aufbruch verliert schnell seine revolutionäre Dimension und wird zur gesellschaftlichen Dynamik des Kapitalismus. Die Intellektuellen marschieren durch die Institutionen und werden Chefs ("die besten Rationalisierer waren in der Rotzök"). Jugendliche fliehen massenhaft aus der Fabrik, die "Gastarbeiter" holen ihre Familien. Teile des Kapitals wandern ins Ausland (in die "Dritte Welt"). Insgesamt kombiniert sich aber aus der Energie des politischen Aufbruchs und der Absage der Blauen Arbeiter und Arbeiterinnen an diese ihre Bestimmung eine technische Rationalisierung, die tatsächlich erst mal die körperliche Arbeit zum Ziel hat. Entsprechend wird Ten Years later aus dem gemeinsamen Traum der menschenleeren Fabrik die Rezession 80/81. Die Kernschichten und die Angestellten sind von dieser Rezession kaum direkt betroffen. Sie reagieren auf die eindeutige Erfahrung mit Qualifizierung, sodaß sie weitgehend mit der Verallgemeinerung der technischen Rationalisierung in der ersten Hälfte der 80iger Schritt halten. Aber es gibt dabei Verlierer und Gewinner, die Zahl der Sozialhilfeempfänger steigt, die Arbeitslosigkeit ist groß genug, um gut als Sortierstation zu dienen und die Zahl von Leuten steigt, die bei der Mikroelektronikwelle oben mitschwimmen. Sie werden zum gesellschaftlichen Leitbild der Freizeitgesellschaft und große Teile der internationalen Arbeiterklasse versucht, ihnen zu folgen. Qualifizierung hab ich schon genannt, Lifestyle, Disco, Kommunikation etc. Selbst die einsetzende Auswanderung aus dem Osten dürfte zum guten Teil auf der subjektiven Ebene dem Ruf der Mikroelektronik und der mit ihr scheinbar verbundenen Möglichkeiten geschuldet sein. Aber in Wirklichkeit sind es natürlich nur wenige, die als freie Programmierer 150 Mark in der Stunde abrechnen können - und die gibt es heute überhaupt nicht mehr. Die Fabriken werden nicht entvölkert - im Gegenteil. Gerade während des langen Booms erreichen die Belegschaftszahlen vieler Chemie- und Montagezentren ihr bisheriges Maximum. Gleichzeitig entwickelt sich der Dienstleistungssektor mit wenig technisierter Arbeit als Funktion von Freizeitgesellschaft und Entgarantisierung gleichermaßen und es entstehene neue prekäre Bereiche dort und am Rande der Industrie. Nach der Rationalisierungsoffensive folgt die Offensive in der Arbeitsorganisation. Im Grunde der Versuch, einerseits die Chancen der Möglichkeiten der Prekarisierung zu nutzen und andererseits die Hoffnung auf den Aufstieg zu den Yuppies zur Arbeit zu mobilisieren, also Drohung und Versprechen zugleich. Das eine nennt sich "Verringerung der Fertigungstiefe" und JIT, das andere Gruppenarbeit. Es entsteht ansatzweise eine Kaskade der Zuarbeit, die aber nicht nur prekäre Verhältnisse schafft. Zum Teil sind es gerade die Handwerkerarbeiten und z.T. Angestelltenarbeiten, die ausgelagert werden; zum Teil ist es eine einfache Verlängerung des Fließbandes. Dann folgt die Gruppenarbeit in ihren vielfältigsten Erscheinungen, wo durchaus versucht wird, die neuen Qualifikationen und Hoffnungen der ArbeiterInnen zu mobilisieren. Während des Booms geschieht das zögernd und muß durch Zugeständnisse bezahlt werden. Dieser lange Boom der 80er hält gewissermaßen noch den Status Quo aufrecht. Den ArbeiterInnen gelingt es nicht, im Durchschnitt den Lebensstandard zu erhöhen oder die Last der Arbeit zu verringern, dem Kapital gelingt es aber auch nicht, die allgemeine Flexibilisierung und den generellen Abbau der Regeln und Garantien durchzusetzen. Erst jetzt, in den letzten drei Jahren, hat es diesbzüglich Fortschritte gemacht und ist dabei, die Früchte zu ernten. Aber was erntet es dabei wirklich? Der Aufbruch der frühen 70er, der durchaus revolutionäre Züge hatte, ist in eine Veränderung der kapitalistischen Verhältnisse umgedreht worden. Da war Niemand, der da bewußt - mit großem historischem Überblick - gedreht hätte. Es war das Proletariat selber, das aus dem Scheitern von revolutionären Träumen Hoffnungen und Verhaltensweisen entwickelt hat, die sich auf das Hier und Jetzt, auf den Kapitalismus beziehen. Die Arbeiterklasse von heute ist einerseits grundlegend verschieden von der der Nachkriegsgeschichte. Sie ist dynamischer, flexibler und weniger rigide geworden und nichts von dem muß unbedingt ein Nachteil sein. Ihre Hoffnungen sind Stück für Stück verändert, integriert, z.t. erfüllt und immer enttäuscht worden - das zumindest hat diese Rezession wohl gebracht und offengelegt. Anderseits ist klar, daß sich am Kapitalismus nichts geändert hat. Und jedeR weis das - denn jetzt sieht er auch wieder so aus wie er ist. Was kommt jetzt?Der aktuelle Prozeß der Neuzusammensetzung ist zäh und komplex. Lassen "Abwehrkämpfe" und klebriges Arbeiterverhalten auf Dauer nur eine langsame Metamorphose zu? Wird es jemals wieder eine derartig eindeutige politische, gesellschaftliche, kulturelle Hegemonie (als revolutionäres Subjekt und Leitfigur) geben, wie wir sie von den "Dinosauriern" (den Massenarbeitern) her kennen? Unterschiedliche Vermutungen:
Bis jetzt hat sich der Klassenkampf an der Ökonomie orientiert und die Ökonomie am Klassenkampf. Erst wenn die Arbeiterklasse die Sachzwänge, die scheinbaren Notwendigkeiten zurückweist, entsteht wieder eine revolutionäre Perspektive. Vielleicht sieht es aber so schlecht gar nicht aus, auch wenn uns da aus jüngerer Zeit nur das Beispiel TIMEX einfällt. Aber ich denke, es gibt da eine kulturelle Unterströmung, eine Stimmung, vielleicht Hoffnung, die nur noch ihr kollektives Ventil finden muß: NICHTS IST UNMÖGLICH. |
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