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aus: Wildcat-Zirkular Nr. 5, Juni 1994 Toyotas Schlankheit stößt an Grenzenvon Kim Moody In diesem Frühjahr, auf dem Höhepunkt der japanischen Kirschblüte, besuchten zehn Forschungsreisende aus aller Welt das Toyotawerk Tahara. In diesem, dem neuesten Stand der Technik entsprechenden Fabrikkomplex direkt am Pazifik werden Celicas, 4x4s und die luxuriösen Lexus für den Export gebaut. Aber die Docks waren ruhig und das Gelände voller neuer Autos. Die japanische Autoindustrie hat Probleme. Auch wenn Toyota weiterhin eine finanzkräftige Firma ist, die Profite sinken. Teilweise wegen der jetzt drei Jahre dauernden Rezession und - aktueller - wegen dem steigenden Wert des Yen, was die Exporte verteuert. Aber die Profitraten fielen schon vor diesem Problem. In Wahrheit ist Japans vielbewunderte Lean Production an ihre eigenen Grenzen gestoßen. Das Thema von TaharaUnsere Führung durch die Fabrik hatte ein Thema. Man hatte uns erzählt, daß die Fabrik Nr.4 in Tahara in den Jahren 90/91 umkonstruiert und umgebaut worden war, um "menschlicher" zu sein. Was wir jedoch beim Betreten sahen, waren Pressen, die vier Meter lange Seitenverkleidungen ohne menschliche Beteiligung herausstanzten. Ein Stück weiter, im Karosseriebau, waren godzillaähnliche Roboter mit den Karosserieskeletten zugange. Die Stanzerei und der Karosseriebau sind zu 100% automatisiert. Schwere oder gefährliche Jobs sind beseitigt worden, erklärte unser Führer. Und die Menschen gleich mit. Andere Menschen sind ebenfalls fort, Opfer des Verkaufsrückgangs. Vor der Rezession beschäftigten Toyota und die anderen Autokonzerne eine wachsende Anzahl von Teilzeit- und Leiharbeitern, um Kosten zu sparen. Diese Arbeiter, die früher bis zu 25% der Belegschaft an den Fließbändern ausgemacht hatten, sind fort. Nur die Stammbelegschaft ist geblieben. Eigentlich sind nur die jüngeren Stammarbeiter geblieben. Beinahe 70% sind unter 40. Die älteren Arbeiter werden gezwungen, bei den Zulieferfirmen von Toyota zu arbeiten, wo der Lohn geringer und die Arbeit noch schlechter ist. Das ist es, was heutzutage als lebenslange Anstellung gilt. Die übriggebliebenen Montagearbeiter bewegen sich schnell. Das Fließband ist aus getrennten Plattformen zusammengesetzt, die Paletten genannt werden. Sie können gehoben oder gesenkt werden, um einige Arbeitsgänge einfacher zu machen, aber die Anzahl der Verrichtungen in der Taktzeit von zwei Minuten erscheint ziemlich inhuman. Dem Tempo wird Nachdruck verliehen durch die pausenlose Ankunft von vollautomatischen Fahrzeugen, die Teile bringen und sich selbst durch elektronische Exzerpte aus Werken von Bach ankündigen. David Richardson von den Kanadischen Automobilarbeitern bemerkte, er hätte noch nie Fließbandarbeiter sich so schnell bewegen sehen. Paul Stewart, Autor eines Buches über das Nissanwerk in England, stimmte dem zu. Nein zu Ohno?Aus dem, was wir sahen und was uns erzählt wurde, ist es offensichtlich, daß große Veränderungen am Geburtsort der Lean Production stattfinden. Der Personalchef des Werkes sagte uns, sie hätten mit dem Vater des kaizen und des just-in-time, Taiichi Ohno, insofern gebrochen, als in das Fließband wieder "Puffer" eingeführt worden sind. Das Band im Werk Nr.4 ist in fünf Sektionen unterteilt und zwischen jeder Sektion stehen mehr halbfertige Wagen, als das JIT-System erlauben würde. Das macht es möglich, weiterzuarbeiten, falls eine Sektion stoppt. Eine weitere klassische Zutat des Systems der Lean Production fehlt ebenfalls: das Andon-Brett. Über dem Fließband angebracht, trägt das Andon-Brett grüne, gelbe und rote Lichter. Wenn alles problemlos läuft, ist das grüne Licht an. Wenn ein Problem auftaucht, kann der Arbeiter an einer Schnur ziehen und das gelbe Licht geht an. Wenn das Problem nicht schnell gelöst wird, geht das rote Licht an und das Fließband stoppt. In Tahara ist dieses Symbol der Selbständigkeit der Arbeiter durch einen stillen Überwacher ersetzt worden. Die grünen, gelben und roten Lichter sind jetzt direkt auf den Teile- und Werkzeugwägelchen der Arbeiter angebracht, die sie ständig zu ihren Arbeitsstätten begleiten. Wenn man also eine Aufgabe ausläßt oder zu langsam ist, wird man durch die Lichter verpetzt. Wer hat was zu sagen?Für das kaizen – der Prozeß der ständigen Verbesserung - ist die Teilnahme der Arbeiter entscheidend. Wir fragten, ob die Geschäftsleitung vor den großen Veränderungen 90/91 die Gewerkschaft der Toyota-Arbeiter gefragt hatte. Nein. Dann, vielleicht, haben die Gruppen was zu sagen? Nein, auch sie waren nicht konsultiert worden. Früher trafen sich die Gruppen in der dreistündigen Pause zwischen Früh- und Spätschicht. Aber jetzt dauert die Pause nur noch 10 Minuten. Treffen sich die Gruppen immer noch? Wir haben es nicht herausgefunden, aber es scheint klar, daß sie nicht mehr so wichtig wie früher sind. Das veränderte Regime am Arbeitsplatz wurde von der japanischen Automobilarbeitergewerkschaft in ihrem Report über die Zukunft der Industrie von 1992 festgestellt: "Die kollektive Kraft der Belegschaft, die man im System der Gruppenarbeit, der hohen Moral und der Anteilnahme der Arbeiter an den Produkten findet, ist dabei sich aufzulösen". Die Grenzen der SchlankheitEs stellt sich heraus, daß einige der Grenzen der Lean Production die selben sind wie bei der Massenproduktion zuvor. Wie bei der Massenproduktion ging es beim Toyotasystem vor allem darum, den Output ständig zu vergrößern, um den Marktanteil zu steigern. Durch Kaizen konnte die Firma, mit gleichviel oder weniger Arbeitern, die Produktion steigern. Automatisierung rundet den Effekt ab. Aber da alle Konzerne die gleiche Strategie verfolgten, schuf die japanische Industrie in den späten 80ern Überkapazitäten, genauso wie es vorher die amerikanische Industrie getan hatte. Die japanischen Autofabriken können 15 Millionen PKW und LKW produzieren. Aber der weltweite Verkaufsrekord des Jahres 1990 betrug bloß 13,5 Millionen. 1993 fielen die Verkaufszahlen auf 11,2 Millionen. Für das laufende Jahr wird Erholung erwartet, aber sogar der Präsident von Toyota, Tatsuro Toyoda, bezweifelt, daß "das rapide Wachstum der Vergangenheit erreicht wird". Nichtsdestotrotz, getrieben zur Eroberung von Marktanteilen, plant Toyota die Ausweitung der Produktion auf 6 Millionen Fahrzeuge bis zum Jahr 2000, das sind beinahe 2 Millionen mehr als der Produktionsrekord des Jahres 1990. Die Umstrukturierung der Industrie zur Senkung der Kapazitäten hat schon begonnen - bei anderen Firmen. Nissan will sein Werk Zama schließen. Andere reduzieren die Zahl der Modelle. Lean Production oder nicht, die Überkapazitäten signalisieren zu hohe Kapitalinvestitionen. Da der übliche Maßstab der Profitabilität der Gewinn im Vergleich zu den Investitionen ist, führen die Überkapazitäten zum Fall der Profitrate. Dieses Problem wird verstärkt durch Toyotas beträchtliche Investitionen in neue Modelle und flexible Produktion. Die japanische Autoarbeitergewerkschaft argumentiert, daß die Industrie zuviel in den laufenden Modellwechsel und die flexible Ausrüstung von 152 Modellen pro Jahr investiert habe. (...) Trotz der Behauptung, schlank zu sein, ist Toyota in ein klassisches Problem des Kapitalismus gestolpert, das von allen Ökonomen von Marx bis Keynes festgestellt worden ist. Die Profite können nicht schnell genug erzeugt werden, um mit den steigenden Kapitalkosten Schritt zu halten. So ist die Gewinnrate (das Verhältnis von Profiten zum investierten Kapital) nach unten gepurzelt. Das erschöpfte SystemDas System stößt auch auf menschliche Grenzen. "Die Beschäftigten sind erschöpft", meint die JAA. Vor der Rezession arbeiteten die japanischen Autoarbeiter 2200 Stunden im Jahr. Die Gewerkschaft will das auf 1800 Stunden reduzieren und hat bei den letzten Verhandlungen einen Kompromiß von 1952 Stunden erzielt. Im Werk Tahara hat die Rezession die jährliche Arbeitszeit bereits auf 1900 Stunden reduziert. Die Erschöpfung durch Hochgeschwindigkeitsarbeit und lange Arbeitszeiten führte während der 80er Jahre zu einer Fluktuationsrate von 20% unter den Arbeitern im ersten Beschäftigungsjahr in Tahara. Die Fluktuation ist jetzt gesunken, wahrscheinlich eher der rezessionsbedingt kürzeren Arbeitszeit zufolge, als wegen irgendeiner behaupteten "Humanisierung" der Fabrik. Unfähig, noch mehr menschliche Arbeit zu beseitigen und bei zu hohen Fixkosten, wandte sich Toyota an die Zulieferer. Der Konzern verkündete Ersparnisse von 1,5 Mrd. Dollar durch Zulieferteile, die, obwohl identisch, in unterschiedliche Modelle eingebaut werden und durch Druck auf Zulieferer. Das wird auf weniger Jobs bei den Zulieferern hinauslaufen. Opposition von untenWährend meines Aufenthaltes in Japan traf ich Basisgewerkschafter von Toyota, Nissan und Suzuki. Sie sind Mitglieder von gewerkschaftsoppositionellen Gruppen, die als Minderheitsbewegungen bekannt und ein neues Phänomen sind. Sie stehen der Zusammenarbeit von Management und den Firmenablegern der JAA ablehnend gegenüber. Die Kooperation dieser "Unternehmensgewerkschaften" war ein Schlüsselelement des Systems von Lean Production, aber die Gewerkschaften wurden dadurch schwach und unfähig, ihre Mitglieder zu verteidigen. Zum Beispiel versuchen die Firmen kleine Einsparungen herauszuschinden, indem das traditionell auf Seniority (Dauer der Firmenzugehörigkeit) basierende Lohnsystem angegriffen wird. Die Firmen wollen jetzt mehr "Leistungskriterien" einführen. Die Zulagen wurden die letzten drei Jahre gekürzt, während die Tariferhöhungen von 8% im Jahre 1990 auf 3% in diesem Frühjahr absanken. Nach den Kürzungen der Zulagen blieben von der 93er Tariferhöhung von 3,9% nur noch 0,6% übrig. Die Mitglieder der Minderheitsbewegungen reflektieren den enormen Druck am Arbeitsplatz und auf das Arbeitereinkommen. Sie stellen das ganze System in Frage und wollen einen aggressiveren Gewerkschaftsstil. Noch sind sie klein, aber sie beginnen, die Firmengewerkschaften herauszufordern. In der Region Toyota City stellte eine dieser Gruppen bei den Gewerkschaftswahlen Kandidaten auf. Vorher gab es keine Oppositionskandidaten. Ist das die Abenddämmerung für die japanische Lean Production? Wird die Rebellion Veränderungen erzwingen? Es ist zu früh, um das sagen zu können, aber mehr und mehr Arbeiter stellen das System in Frage. Diejenigen Gewerkschaftsführer in den USA, die die Kooperation mit dem Lean Production-System betreiben, sollten sich genauer ansehen, was an dessen Geburtsort vor sich geht. aus: Labor Notes, Juli 1994 |
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