wildcat.zirkular
 

aus: Wildcat-Zirkular Nr. 5, Juni 1994

Bericht aus Wien
von der Initiative Frauen gegen Zwangs­arbeit

Die Initiative Frauen gegen Zwangsarbeit konstituierte sich im Okt. 1993 als Reaktion auf das neue Beschäftigungssicherungsgesetz. Das neue Beschäftigungs­sicherungsgesetz stellt ei­ne Entrechtlichung von Arbeitslosen, insbesondere von Frauen und Aus­länderInnen dar. Wäh­rend noch vor kurzem Berufungen gegen Bezugssperren wegen Ablehnung von Zwangs­ar­beit, Zwangsschulung- und Motivierung zumeist erfolgreich waren, Dienstauf­sichts­be­schwer­den gegen ReferentInnen wenigstens behandelt wurden, sind diese Grund­rechte prak­tisch abgeschafft worden. Der Zumutbarkeits­paragraph ist gefallen, das heißt, daß jede zu­ge­wiesene Arbeit und Schulungsmaßnahme angenommen werden muß -sonst Sperrung vom Bezug. Außerdem wurden mehrere Intensivbetreu­ungs­arbeitsämter eröffnet, Ressour­cenpools (Jobfindingkurse), Arbeits­beschaf­fungszentren (ABZ), in denen Arbeitslose ge­schult werden und für praktische Tätigkeiten in der Wirtschaft herangezogen werden (in Ver­hält­nis 1:1). Die Qualität ist unter anderem auch, daß in nicht-existenzsi­chernde Jobs (un­ge­setzliche, ungeschützte Dienstverhältnisse) vermittelt wird. Damit erfüllt das Ar­beitsamt einen weiteren Auftrag des Kapitals, das Lohnniveau allgemein zu senken. Ab 1.07.94 werden die Arbeitsämter privatisiert. Das heißt, die Arbeitsämter werden aus dem Bundesbudget ausgekop­pelt. Die damit entstandene Regionalisierung des Arbeits­marktes führt zu einer effizienteren marktwirtschaftlichen Erfassung, Verschiebung und Verwertung der ArbeiterIn­nen.

In unserer Analyse gehen wir davon aus, daß das Kapital derzeit in den Metropolen seine Ausbeutungsmechanismen massiv verschärft. Wir sind allerdings nicht der Ansicht, daß es sich im Hinblick auf die kapitalistische Produktionsweise um eine neue Qualität handelt, auch wenn sich historisch das Verhältnis von konstantem und variablem Kapital in den Metropolen stark verändert hat. Allerdings sollte hier der Blick auf dieses Verhältnis im internationalen Zusammenhang nicht aus dem Auge verloren werden. Nachwievor sind weltweit wesentlich mehr Menschen in taylorisierten Arbeitsbereichen tätig. Die Suche nach einer hegemonialen Arbeiterfi­gur wieder einmal ausgehend von den Metropolenmännern zeugt von einer enormen Blindheit gegenüber den bestehenden internationalen Aus­beutungsbedingungen. Im Hinblick auf Organisierungsfragen meinen wir, daß natürlich sich heute die Klasse aus anderen Segmenten zusammensetzt. Ausweitung des Dienst­leistungssektors und Zunahme von prekären Arbeitsverhältnissen werfen für uns andere Fragen auf, als die, die sich aus einer ausschließlichen Konzen­triertheit auf Industrie­arbeiterInnen ergeben. Leider konnten wir an der Diskussion über praktische Perspektiven nicht teilnehmen. Wir hatten allerdings beim Treffen den Eindruck, daß aus dem Mangel an Experimentierfreudigkeit und dem Beharren auf männlichen Diskussionsschemata (Worthülsenschießereien) der Rückbesinnung auf traditionelle Organisierungs­bereiche (Fabrikarbeit) der Vorzug gegeben wird. Gerade wir in der Initiative müssen Abschied nehmen von einem gemeinsamen Standort als Grundlage der Organisie­rung. Der Grad der Entfremdung in prekären Arbeitsverhältnis­sen steigt ins Unermeßliche und die daraus folgenden erschwerten Kampfbedingungen versuchen wir bei unserer Organisierung zu reflektieren. Die Erkenntnis der gemein­samen materiellen Realität ohne gemeinsamen Ort (Betrieb), die sich nachwievor aus gesell­schaftlicher Arbeit und privater Aneignung auf der anderen Seite ergibt, ist unsere Grundlage.

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