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aus: Wildcat-Zirkular Nr. 6, August 1994 Im folgenden bringen wir den zweiten Teil einer auf drei Teile angelegten Auseinandersetzung der britischen Zeitschrift "Aufheben" mit der Krisentheorie. Wir haben das übersetzt, weil es sehr viele interessante Parallelen zu unserer eigenen Debatte aufweist, die wir zwar vor über einem halben Jahr angefangen, seither aber kaum systematisch geführt haben. Wir hoffen, daß unserer eigenen Debatte damit wieder etwas mehr Leben eingehaucht werden kann. Natürlich beziehen sich die britischen Genossen in ihrem Text stark auf die Diskussion in Britannien und auf Theorien, die für ihre eigene politische Entwicklung wichtig waren. Einiges davon ist für deutsche LeserInnen nicht so ohne weiteres verständlich. Wir haben trotzdem darauf verzichtet, alle vorkommenden Namen in einem breiten Fußnoten-Apparat erklären zu wollen. Dies hätte den Text sehr stark ausgeweitet − ihn dadurch aber nicht "gründlicher" gemacht. Wir denken, es ist besser, Ihr benutzt ihn als Anregung, schlagt vielleicht den einen oder anderen Autor selber nach (Mandel, Mattick, Castoriadis, Debord usw. gibt es alle auch auf deutsch – und mit dem Regulationsansatz haben wir uns ja in zurückliegenden Zirkularen bereits recht ausführlich beschäftigt) – und vor allem: diskutiert den Artikel und schreibt Eure Meinung! Der Verfall: Theorie vom Niedergang oder Niedergang der Theorie?In diesem Artikel geht es um die Theorie, daß der Kapitalismus sich im Niedergang oder Zusammenbruch befindet. Diese Beschreibung »der Epoche« entspricht einem Schema, nach dem der Kapitalismus im Stadium des Handelskapitalismus vom Ende des Feudalismus bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts seine Jugend erlebte, in der liberalen Laissez-Faire-Phase in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in voller Blüte stand und mit seinem Eintritt in das Stadium des Imperialismus und Monopolkapitalismus mit seinen Formen von Vergesellschaftung und Planung der Produktion den Anfang der Übergangsperiode zur nachkapitalistischen Gesellschaft markiert. Im ersten Teil sahen wir, daß diese Idee vom Niedergang oder Verfall des Kapitalismus aus dem Marxismus der II. Internationale stammt und von den beiden Strömungen beibehalten wurde, die als die wahren Fortführer der »klassischen marxistischen Tradition« auftreten − dem trotzkistischen Leninismus und dem Links- oder Rätekommunismus. Diese Traditionen behaupten beide, sie erhielten gegen die reformistischen Marxisten, die inzwischen den Kapitalismus verteidigten, den wahren Marxismus aufrecht. Unserer Meinung nach hat die II. Internationale u.a. deshalb praktisch versagt, weil dem »klassischen Marxismus« der revolutionäre Aspekt von Marxens Kritik der politischen Ökonomie theoretisch verloren gegangen war und er zu einer objektivistischen Ideologie von den Produktivkräften geworden war. Gerade das Festhalten an der Vorstellung vom Zusammenbruch des Kapitalismus zeigt deutlicher als alles andere, daß diese Traditionen sich nicht vom objektivistischen Marxismus gelöst haben. Während der Trotzkismus und der Linkskommunismus nach dem Zweiten Weltkrieg an ihren Positionen festhielten, obwohl der größte Boom in der kapitalistischen Geschichte klar dagegen sprach, versuchten einige Revolutionäre, eine revolutionäre Theorie für die neuen Bedingungen zu entwickeln. Diesen Strömungen wenden wir uns jetzt zu. Wir sehen uns drei Gruppen an, die sich von der Orthodoxie losgesagt haben − Socialisme ou Barbarie, die Situationistische Internationale und die italienische operaistisch-autonome Strömung. Wir beschäftigen uns auch mit der Neubehauptung der Zusammenbruchstheorie und der Ablehnung des Niedergangs innerhalb des Objektivismus. 1) Der Bruch mit der Orthodoxiea) Socialisme ou BarbarieSocialisme ou Barbarie (Sozialismus oder Barbarei), deren Haupttheoretiker Castoriadis (alias Cardan oder Chalieu) war, war eine kleine französische Gruppe, die mit dem orthodoxen Trotzkismus brach. Sie hatte beträchtlichen Einfluß auf spätere Revolutionäre. In Großbritannien machte die Gruppe Solidarity ihre Ideen populär mit Broschüren, die immer noch als zugänglichste Kritik des Leninismus auf hohem Niveau im Umlauf sind. Zu den stärksten Seiten von Socialisme ou Barbarie gehörte zweifellos, daß sie sich auf neue Formen von autonomen ArbeiterInnenkämpfen außerhalb ihrer offiziellen Organisationen und gegen ihre Führer konzentrierten. [1] Obwohl Socialisme ou Barbarie klein war, waren sie sowohl in Fabriken als auch in proletarischen Kämpfen außerhalb der Produktion präsent. Socialisme ou Barbarie konnten die wirklichen Formen von Arbeiterkämpfen theoretisch erfassen und an ihnen teilnehmen, was z.T. daher kam, daß sie die verdinglichten Kategorien des orthodoxen Marxismus ablehnten. In Modern Capitalism and Revolution faßte Cardan diesen Objektivismus als Sichtweise zusammen, daß eine Gesellschaft so lange nicht verschwinden könne, bis sie all ihre Möglichkeiten wirtschaftlicher Ausdehnung erschöpft hätte, und daß die »Entwicklung der Produktivkräfte« außerdem die »objektiven Widersprüche« der kapitalistischen Wirtschaft verschärfen werde. Sie werde zu Krisen führen − und diese würden das ganze System zeitweilig oder auf Dauer zusammenbrechen lassen. [2] Cardan lehnt die Vorstellung ab, daß Kapitalisten und ArbeiterInnen einfach den Gesetze des Kapitals unterlägen. Wie er sagt: »Nach dieser Auffassung werden die wiederkehrenden und sich vertiefenden Krisen des Systems durch die ›inneren Gesetze‹ des Systems bestimmt. Ereignisse und Krisen sind eigentlich unabhängig von den Handlungen von Menschen und Klassen. Menschen können nichts am Wirken dieser Gesetze ändern. Sie können nur intervenieren, um das System als ganzes abzuschaffen.« [3] Socialisme ou Barbarie meinte, der Kapitalismus habe durch Staatsausgaben und keynesianische Nachfragesteuerung seine Krisentendenz gelöst und nur einen abgeschwächten Wirtschaftszyklus übriggelassen. Cardans Angriff darauf, daß der orthodoxe Marxismus einer Krisentheorie aus dem 19. Jahrhundert anhing, saß. Die Bedingungen hatten sich verändert − im Nachkriegsboom steuerte der Kapitalismus seine Krisen. Aber statt daraus abzuleiten, daß damit die objektive Grundlage für revolutionäre Veränderungen wegfiel, faßte Socialisme ou Barbarie das Verhältnis zwischen kapitalistischer Entwicklung und Klassenkampf anders. Wie Cardan es ausdrückt, ist »die reale Dynamik der kapitalistischen Gesellschaft die Dynamik des Klassenkampfs«. Unter Klassenkampf verstehen sie dabei nicht nur die ersehnte Revolution, sondern auch den alltäglichen Kampf. Mit dieser Wende in der Theorie des Kapitalismus hin zur tagtäglichen Realität des Klassenkampfs und ihrem Versuch, die neuen Bewegungen außerhalb der offiziellen Kanäle theoretisch zu fassen, wendet sich Socialisme ou Barbarie also auch von der Perspektive des Kapitals der Perspektive der Arbeiterklasse zu. In der mechanischen Niedergangs- und Zusammenbruchstheorie unterlagen die orthodoxen Marxisten der Perspektive des Kapitals, und so eine Perspektive wirkt sich auch auf die Politik aus, die man macht. Mit der Krisentheorie lehnte Socialisme ou Barbarie auch die damit verbundene Politik ab, denn wie Cardan schreibt, behauptet die objektivistische Krisentheorie, daß die ArbeiterInnen die Widersprüche des Kapitals aufgrund ihrer eigenen Erfahrung ihrer gesellschaftlichen Lage nur erleiden, aber nicht verstehen könnten. Dieses Verständnis könne sich nur aus einem »theoretischen« Wissen über die ökonomischen »Gesetze« des Kapitals ergeben. Daher könnten die ArbeiterInnen nach Auffassung der marxistischen Theoretiker angetrieben von ihrer Revolte gegen die Armut, aber unfähig, sich selbst zu führen (da ihre beschränkte Erfahrung keine Gesamtsicht der gesellschaftlichen Realität zuläßt), ... nur eine Infanterie bilden, über die ein Generalstab von revolutionären Generälen verfügt. Diese Spezialisten wissen (durch Wissen, zu dem die Arbeiter als solche keinen Zugang haben), was genau in der modernen Gesellschaft nicht funktioniert... [4] In der Theorie vom Zusammenbruch des Kapitalismus geht die Ökonomie m.a.W. Hand in Hand mit dem avantgardistischen »von außen kommenden Bewußtsein« aus Was tun?. Beim Versuch der Neubegründung einer revolutionären Politik lehnte Socialisme ou Barbarie zu Recht die orthodoxe Auffassung ab, die Verbindung zwischen objektiven Bedingungen und subjektiver Revolution sei die sich ständig verschärfende Krise, die das Proletariat zum Handeln zwinge, wobei die Partei (da sie »die Krise« verstehe) die Führung übernehme. Da es keine Krise, wohl aber Kämpfe gab, war die Ablehnung des traditionellen Modells tatsächlich eher hilfreich als hinderlich. Am besten war Socialisme ou Barbarie, wenn sie sich dem realen Prozeß des Klassenkampfs zuwandte, eines Kampfs, der sich mehr und mehr gegen die Form der kapitalistischen Arbeit selbst richtete. Die Menschlichkeit des Lohnarbeiters wird immer weniger durch ökonomisches Elend bedroht, das seine bloße körperliche Existenz in Frage stellt. Sie wird mehr und mehr von der Art und den Bedingungen der modernen Arbeit angegriffen, von der Unterdrückung und Entfremdung, der der Arbeiter in der Produktion ausgesetzt ist. Auf diesem Gebiet kann es keine dauerhafte Reform geben. Die Arbeitgeber können die Löhne um drei Prozent im Jahr erhöhen, aber sie können die Entfremdung nicht um drei Prozent im Jahr senken. [5] Cardan wandte sich gegen die Auffassung, der Kapitalismus, seine Krisen und sein Niedergang würden vom Widerspruch zwischen Produktivkräften und privater Aneignung vorangetrieben. Stattdessen meinte er, in der neuen Phase des »bürokratischen Kapitalismus« bestehe die grundlegende Trennung in der zwischen Befehlsgebern und Befehlsempfängern und der Grundwiderspruch darin, daß die Befehlsgeber den Befehlsempfängern die Entscheidungsmacht vorenthalten müßten und gleichzeitig auf ihre Beteiligung und Initiative angewiesen seien, wenn das System funktionieren solle. Statt Krisen auf ökonomischer Ebene, meinte Cardan, sei der bürokratische Kapitalismus nur vorübergehenden Krisen der Organisation des gesellschaftlichen Lebens ausgesetzt. Die Vorstellung von einer allgemeinen Tendenz zum bürokratischen Kapitalismus mit der wesentlichen Unterscheidung zwischen Befehlsgebern und Befehlsempfängern schien zwar nützlich, um die Kontinuität zwischen dem westlichen und dem östlichen System auszumachen − in beiden Situationen haben die ProletarierInnen nicht die Kontrolle über ihr Leben und werden herumkommandiert −, aber solch eine Unterscheidung erfaßt nicht, daß sich der Kapitalismus von anderen Klassengesellschaften dadurch unterscheidet, daß die Befehlsgeber nur Befehlsgeber sind aufgrund ihres Verhältnisses zum Kapital, das in seinen verschiedenen Formen − Geld, Produktionsmittel, Ware − die Selbstausdehnung entfremdeter Arbeit ist. Die Tendenz zur Bürokratie ersetzt nicht die Gesetze des Kapitalismus, vor allem den Fetischismus der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern drückt sie nur auf höherer Ebene aus. Die Rückkehr der Krisen Anfang der 70er Jahre zeigte, daß das, was Cardan bürokratischen Kapitalismus nannte, keine endgültige Transformation des Kapitalismus war, die die Wirtschaftskrisen abschaffte, sondern nur eine besondere Form des Kapitalismus, in der Krisentendenzen zeitweilig kontrolliert wurden. Cardan und Socialisme ou Barbarie dachten, sie hätten Marx überwunden, indem sie den "Grundwiderspruch" des Kapitalismus darin sahen, daß das Kapital »seine Ziele durch Methoden verfolgen muß, die eben diesen Zielen ständig zuwiderlaufen«, nämlich daß der Kapitalismus den Arbeitern die Beteiligungmacht nehmen muß, die es an ihnen eigentlich braucht. Tatsächlich ist dieser Widerspruch gegenüber Marx überhaupt keine Verbesserung, sondern nur ein Ausdruck der grundlegenden ontologischen Verkehrung, die, wie Marx erkannte, dem Kapitalismus zugrundeliegt − der Prozeß, in dem Menschen Objekte und ihre Objekte − Waren, Geld, Kapital − Subjekt werden. Natürlich braucht das Kapital unsere Beteiligung und Initiative, denn selbst hat es keine. Die Objektivität und Subjektivität des Kapitals ist unsere entfremdete Subjektivität. Die gesellschaftlichen Verhältnisse des Kapitals verbreiten die Ideologie, daß wir es brauchen − wir brauchen Geld, wir brauchen Arbeit −, aber in Wirklichkeit ist es vollkommen abhängig von uns. Der »Grundwiderspruch« von Socialisme ou Barbarie erfaßt nicht die ganze Radikalität der Marxschen Kritik der Entfremdung. Was sie als Erneuerung präsentierten, war m.a.W. in Wirklichkeit eine Verarmung der Marxschen Theorie. Ihre Theorie läßt sich aber als Reaktion auf einen − ob stalinistischen oder trotzkistischen − Marxismus verstehen, dem verloren gegangen war, wie zentral die Marxsche Kritik der Entfremdung ist, und der zu einer Ideologie der Produktivkräfte, einer kapitalistischen Ideologie geworden war. Da Socialisme ou Barbarie die Fehler des orthodoxen Marxismus nicht wirklich begriff, war es möglich, daß einige seiner Probleme außerdem in ihrer eigenen Ideologie wieder auftauchten. Man könnte sagen, daß Socialisme ou Barbarie mit ihrer Erkenntnis, daß der Befehlsgeber von der Arbeiterkontrolle des Produktionsprozesses abhängt, und ihrem auf die Lohnarbeit gestützten Räte-Programm [6] zeigte, wie sehr sie noch in der Räteperspektive feststeckte, von der einige ihrer konkreten Untersuchungen des Arbeiterwiderstands sie hätten abbringen sollen, d.h. der Perspektive der qualifizierten technischen FacharbeiterIn. Die Perspektive und Kämpfe, die den Nachkriegsboom mit einem Krach beenden sollten, waren die des Massenarbeiters. Während die radikale Perspektive der FacharbeiterIn, da sie den ganzen Produktionsprozeß verstand, zu einer Vorstellung von Arbeiterkontrolle tendierte, durch die man den kapitalistischen Parasiten los wäre, tendierten die Kämpfe der taylorisierten MassenarbeiterIn zur Ablehnung des ganzen entfremdeten Arbeitsprozesses, zur Verweigerung der Arbeit. Das Interessanteste an Cardans Marx- und Marxismus-Kritik ist, daß sie im Kapital die Wurzel der orthodoxen marxistischen Sterilität ausmachte. Für Cardan ist das Problem am Marxschen Kapital »seine Methodik. Die Marxsche Theorie vom Lohn und die daraus abgeleitete Theorie von der steigenden Ausbeutungsrate gehen von einem Postulat aus: daß der Arbeiter vom Kapitalismus völlig »verdinglicht« (auf ein Objekt reduziert) ist. [7] Die Marxsche Krisentheorie geht von einem im Grunde analogen Postulat aus: daß Menschen und Klassen (in diesem Fall die Kapitalistenklasse) keinen Einfluß auf das Funktionieren ihrer Wirtschaft haben. Beide Postulate sind falsch... Beide sind notwendig, um aus der politischen Ökonomie eine "Wissenschaft" zu machen, in der ähnliche "Gesetze" herrschen wie in der Genetik oder der Astronomie ... Sowohl Arbeiter als auch Kapitalisten erscheinen im Kapital als Objekte ... Marx, der die wesentliche Rolle des Klassenkampfes in der Geschchte entdeckte und unermüdlich propagierte, schrieb ein monumentales Werk (Das Kapital), in dem der Klassenkampf praktisch nicht vorkommt!« [8] Cardan hat etwas Wesentliches erkannt − daß der Klassenkampf eben durch die Methode, die Marx im Kapital benutzt, relativ an den Rand gedrängt wird. Dieser Ausschluß der Frage des Klassenkampfes und der proletarischen Subjektivität ist die theoretische Grundlage der objektivistischen Zusammenbruchstheorie. Cardan reagiert, indem er das Kapital aufgibt. Ähnlich begründet Cardan seinen Angriff auf den tendenziellen Fall der Profitrate hauptsächlich mit der Behauptung, Marx habe geglaubt, daß der reale Lebensstandard und die Reallöhne der Arbeiterklasse konstant bleiben würden. [9] Das stimmt aber nicht. Das Kapital nimmt das als provisorische Hypthese an − das ist ein Teil des provisorischen Ausschlusses der Subjektivität im Kapital. Marx war sich immer darüber bewußt,daß das, was als notwendige Lebensmittel gilt, Ergebnis eines Kampfes ist, aber im Kapital nimmt er sie als konstant an, weil er sich mit ihnen im »Buch über die Lohnarbeit« beschäftigen will, das nie geschrieben wurde. [10] So wird der Wert der Arbeitskraft im Kapital nur aus Sicht des Kapitals behandelt, weil es Marx hier im wesentlichen darum ging, zu zeigen, wie der Kapitalismus möglich war. Damit der Kapitalismus existieren kann, muß er die ArbeiterIn verdinglichen, aber damit die ArbeiterIn existieren und das Niveau ihrer Bedürfnisse steigern kann, muß sie gegen diese Verdinglichung kämpfen. Im Kapital zeigte Marx dem Proletariat, wie der Kapitalismus funktionierte. So eine Darstellung gehört zur Überwindung des Kapitalismus, aber sie reicht nicht aus. Das Problem am objektivistischen Marxismus ist, daß er das Kapital für vollständig hält. Daher hält er den provisorischen Ausschluß für endgültig. Cardans Kritiken sind wichtig, weil sie die Einseitigkeit des Kapital erfassen, und das Nicht-Erkennen dieser Einseitigkeit führt zur Einseitigkeit des orthodoxen Marxismus. [11] So verständlich es in Zusammenhang mit dem Nachkriegsboom ist, daß Cardan und Socialisme ou Barbarie die Krisentheorie und später Marx ablehnten − es war eine Überreaktion, die selbst dogmatisch wurde. Cardan und viele andere Socialisme-ou-Barbarie-Theoretiker wie Lyotard und Lefort machten Karriere an der Uni. In den 50er und 60er Jahren gaben Cardans Ideen Revolutionären eine überlegene Waffe gegen die Leninisten an die Hand, aber als in den 70er Jahren die Krise zurückkehrte, leugneten die restlichen Socialisme-ou-Barbarie-Anhänger sie genauso dogmatisch, wie die alten Linken nach ihrem Ausbleiben auf ihr beharrt hatten. Man könnte sagen, daß die Theorie von Socialisme ou Barbarie zwar im wesentlichen falsch war, aber daß an der Gruppe weder ihre abweichende Kapitalismus-Theorie noch das spätere Gefasel Cardans wichtig waren, sondern die Vorreiterfunktion ihrer Kritik des orthodoxen Marxismus für spätere Revolutionäre. Socialisme ou Barbarie entdeckte den revolutionären Geist bei Marx wieder − der nichts anderes ist als eine Offenheit für die wirkliche Bewegung, die sich vor unseren Augen vollzieht. b) Die Situationistische InternationaleMit am wichtigsten an der Analyse von Socialisme ou Barbarie war, daß sie der Kampf der ArbeiterInnen gegen die Entfremdung innerhalb und außerhalb der Fabrik anerkannten. Die Situationisten gingen über alle bisherige Kritik der modernen Formen von Entfremdung hinaus und unterwarfen die kapitalistischen Verhältnisse einer totalen Kritik. Die Situationisten meinten, die Revolution hinge nicht von der absoluten Verarmung des Proletariats durch die kapitalistische Krise ab, sondern das Proletariat werde gegen seine materiell angereicherte Armut revoltieren. Gegen die kapitalistische Realität der entfremdeten Produktion und des entfremdeten Konsums entwickelten die Situationisten eine Vorstellung davon, daß es jenseits des Kapitalismus[12] für jedes Individuum die Möglichkeit geben werde, sich voll an der ständigen, bewußten und absichtlichen Verwandlung jedes Aspekts und Moments unseres Lebens zu beteiligen. Ihre Weigerung, das Politische und das Persönliche zu trennen − sie lehnten die Politik des sich Opferns des Militanten ab und kritisierten damit den objektivistischen Marxismus in einer gelebten Einheit von Theorie und Praxis, Objektivität und Subjektivität − gehörte zu den wichtigsten Beiträgen der S.I. Man könnte sogar sagen, daß die Situationisten mit der Erkenntnis, daß die Revolution jeden Aspekt unseres Handelns umfassen und nicht nur die Produktionsverhältnisse ändern muß, die Revolution − die der Leninismus fälschlicherweise mit der Eroberung des Staates und dem Weitergang einer durch die Wirtschaft bestimmten Gesellschaft gleichgesetzt hatte − neuerfunden haben. Während Socialisme ou Barbarie ihre Ablehnung von Marx fetischisierten, entdeckten die Situationisten seinen revolutionären Geist wieder.[13] Das Kapitel »Das Proletariat als Subjekt und als Repräsentation« in Debords Gesellschaft des Spektakels ist eine scharfsinnige Untersuchung der Geschichte der Arbeiterbewegung. Einer von Debords wichtigsten Beiträgen zur Frage der Krise und des Niedergangs[ 14] ist seine Kritik an dem Versuch, die proletarische Revolution auf vorherige Umbrüche der Produktionsweisen zu gründen. Die bürgerliche Revolution unterscheidet sich in Aufgaben und Wesen ganz grundegend von der proletarischen. Dem Proletariat geht es in der Revolution nicht darum, effektiver mit den Produktivkräften umzugehen; das Proletariat schafft die Trennung zwischen ihnen ab − und damit auch sich selbst. Das Ende des Kapitalismus und die proletarische Revolution unterscheiden sich von allen bisherigen Umbrüchen, deshalb können wir unsere Revolution nicht auf frühere gründen. Eigentlich gibt es nur ein Modell − die bürgerliche Revolution −, und von dieser muß sich unsere Revolution in zwei grundlegenden Punkten unterscheiden: Die Bourgeoisie konnte zuerst ihre Macht in der Wirtschaft aufbauen und das Proletariat nicht; sie konnte den Staat benutzen und das Proletariat nicht. [15] Diese Punkte sind wichtig, um unsere Aufgabe zu verstehen. Die Bourgeoisie mußte sich in ihrer Revolution nur bestätigen, das Proletariat muß sich in seiner negieren. Natürlich werden orthodoxe Marxisten zugeben, daß die proletarische Revolution irgendwie anders ist, aber sie denken diesen Gedanken nicht zuende. In der Vorstellung vom Niedergang des Kapitalismus steckt eine Analogie mit vorherigen Systemen, nach der der alten Ordnung die Puste ausgeht und die neue schon bereit steht; die wirtschaftliche Macht hat sie schon, jetzt muß sie einfach noch die politische hinzuerobern. Aber dieses Modell vom Umbruch der Produktionsweisen trifft nur auf den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus zu; der Übergang vom Kapitalismus zum Sozialismus/Kommunismus muß anders sein, weil er einen vollständigen Bruch mit den gesamten politisch-wirtschaftlichen Verhältnissen enthält. Der Staat läßt sich dabei nicht benutzen, da er dazu da ist, um in einer ökonomischen gespaltenen Gesellschaft eine Einheit durchzusetzen, während die proletarische Revolution diese Trennungen niederreißt. [16] Zum Teil meinten die orthodoxen Marxisten, der Sozialismus ließe sich mit Hilfe des Staates aufbauen, weil sie von Marxens Kritik der politischen Ökonomie beeindruckt waren und durch sie zu politischen Ökonomen wurden. Marx hatte zwar keine politische Ökonomie geschrieben, sondern ihre Kritik, aber sie begünstigte in mancher Hinsicht solche eine Verwässerung des Projekts. Wie Debord schreibt: Damit ist beschrieben, wie der "klassisch-marxistischen" Tradition bei ihrer Übernahme des Kapital die Zentralität der "Kritik" verloren geht. Da ihnen entgeht, wie wichtig dieser grundlegende Aspekts des Marxschen Projekts ist, verkommt ihre Arbeit zur »marxistischen politischen Ökonomie«. Wie wir in bezug auf Cardan anmerkten, liegt eine der theoretischen Grundlagen des objektivistischen Marxismus in seiner Annahme, die methodischen Beschränkungen des Kapitals seien endgültige Beschränkungen dessen, wie wir uns die Überwindung des Kapitalismus vorzustellen haben. Nahmen die Objektivisten das Kapital als Grundlage eines linearen Modells von Krise und Niedergang, so reagierten die Situationisten auf diesen Mißbrauch der Kritik der politischen Ökonomie aber, indem sie sie fast gar nicht mehr benutzten. Für die Situationisten besteht die Kritik der politischen Ökonomie im wesentlichen aus der »Herrschaft der Ware«. Sie verstehen die Ware als komplexe gesellschaftliche Form, die alle Lebensbereiche durchdringt, aber sie gehen nicht wirklich auf ihre Komplexitäten ein. Es lohnt sich, die Komplexitäten und Vermittlungen der Warenform − daraus besteht der Rest des Kapitals − zu verstehen. Der Rest des Kapital besteht in der Entfaltung dieses Widerspruchs auf immer höherem Konkretionsniveau. Diese methodische Darstellung ist möglich, weil der Anfang zugleich ein Ergebnis ist. Die Ware, die am Anfang des Kapitals steht, ist schon das Ergebnis der kapitalistischen Produktionsweise als Gesamtheit, das heißt, in ihr steckt schon Mehrwert, und sie drückt den Klassenantagonismus aus. Die Ware enthält also in gewissem Sinne die Gesamtheit des Kapitalismus. Mehr noch: Die Ware drückt aus, daß die Klassenherrschaft die Form der Herrschaft quasi-natürlicher Dinge annimmt. Die situationistische Kritik trifft tatsächlich, weil »die Ware« die kapitalistische Produktionsweise in ihrer unmittelbarsten gesellschaftlichen Erscheinungsform zusammenfaßt. Vor allem bei Fragen wie der Krise müssen wir uns aber mit den Vermittlungen dieser Form beschäftigen. Statt das Kapital abzulehnen (oder zu ignorieren), sollte man darauf hinweisen, daß es unvollständig ist, daß es nur ein Teil eines umfassenden Projekts »der Kapitalismus und seine Überwindung« ist, in der die Selbsttätigkeit der Arbeiterklasse die zentrale Rolle spielt. Die Situationisten betonten wieder die aktive Rolle des Subjekts und bestanden auf der »einzigen Wahrheit dieser Negation«. Gegen all die wissenschaftlichen Marxisten, Althusserianer, Leninisten usw. war das richtig. Prinzipiell ist das immer richtig. Dem orthodoxen Marxismus, der sich in der politischen Ökonomie verloren hatte, war die reale Bedeutung der revolutionären Praxis verloren gegangen. Die Situationisten gewannen dieses zentrale Element bei Marx zurück, indem sie die Frühschriften und das erste Kapitel des Kapital vorzogen. Die Situationisten drückten theoretisch aus, daß das Proletariat die revolutionäre Subjektivität wiederentdeckt hatte, und inspirierten damit 1968 und seitdem eine Menge Leute. Für uns sind sie heute ein wesentlicher Bezugspunkt. Aber diese Wiederbehauptung des Subjekts in Theorie und Praxis hat den Feind damals nicht besiegt, sondern nur das Kapital in die Krise gestürzt. In der neuen Phase, die die proletarische Offensive in den späten 60er und 70er Jahren eröffnete, sollte die Krise − einschließlich ihrer "ökonomischen" Seite − wieder zu einem zentralen Element der proletarischen Theorie werden. Aber die Situationisten hatten im wesentlichen den Standpunkt von Socialisme ou Barbarie übernommen, daß der Kapitalismus seine Tendenz zur wirtschaftlichen Krisen überwunden habe. [18] Es war etwas Wahres an Debords Kritik der bürgerlichen Perspektive, die hinter der angeblichen Wissenschaft der Vertreter der Krisentheorie lag, aber daß er den Begriff der Krise völlig verwarf, war ein Fehler. In The Veritable Split geben Debord und Sanguinetti wenigstens zu, daß die Krise zurückgekehrt ist, wenn sie sagen: »Selbst die alte Form der einfachen Wirtschaftskrise, die das System erfolgreich überwunden hatte... erscheint in naher Zukunft wieder als Möglichkeit.« [19] Das ist besser als Cardan, der noch in seiner Einleitung zur 74er Neuauflage von Modern Capitalism and Revolution zu leugnen versucht, daß es überhaupt eine Wirthttps://libcom.org/library/decandence-aufheben-4schaftskrise gibt. [20] Cardan übernimmt sogar den bürgerlichen Glauben, es handele sich nur um einen Unfall aufgrund des Ölschocks. Aber auch wenn es besser ist, daß Debord und Sanguinetti die Wiederkehr der Krise zugeben, haben die Situationisten u.E. nicht wirklich versucht, diese Wiederkehr zu begreifen. The Veritable Split fängt so an: »Die Situationistische Internationale drängte sich in einem universalhistorischen Moment auf als Gedanke vom Zusammenbruch einer Welt; eines Zusammenbruchs, der jetzt vor unseren Augen begonnen hat.« [21] Tatsächlich zieht sich durch The Veritable Split allgemein die Vorstellung, die endgültige Krise des Kapitalismus sei gekommen − wenngleich sie diese Krise als revolutionäre sehen. In The Veritable Split wird die durch den Mai 68 eröffnete Periode als allgemeine Krise beschrieben, was im Prinzip stimmt, aber eben nicht ganz reicht. Direkt nach dem Mai 68, dem Heißen Herbst in Italien usw. läßt sich so eine Einschätzung der Epoche vielleicht entschuldigen, aber sie hätten versuchen müssen, die Krise wirklich zu begreifen. Dazu hätten sie begreifen müssen, wie das rebellierende Subjekt und die "objektive" Wirtschaft interagieren, und dazu hätten sie sich den Rest des Kapitals ansehen müssen. 2) Die Rückkehr der ObjektivistenAls die Wirtschaftskrise in den frühen 70er Jahren mit Macht zurückkehrte, schienen die Vertreter der traditionellen marxistischen Vorstellung, daß der Kapitalismus sich im endgültigen Niedergang befinde, rehabilitiert. [22] Sowohl Denker der alten Linken wie Mandel für den Trotzkismus und Mattick für den Rätekommunismus, als auch neue Figuren wie Cugoy, Yaffe und Kidron [23] tauchten auf, um sich für ihre Version der richtigen marxistischen Krisentheorie zu engagieren. Die mit solchen Analysen verbundenen politischen Bewegungen wuchsen ebenfalls. Es gab größere Uneinigkeiten zwischen den Theorien, aber sie teilten die gemeinsame Überzeugung, daß die Rückkehr der Krise lediglich innerhalb der Bewegungsgesetze des Kapitals zu erklären sei, wie sie Marx im Kapital dargelegt hatte. Die Frage war, welche Gesetze und welche Krisentendenz in Marxens verstreuten Bemerkungen hervorzuheben sei. a) Mandel und MattickMandel und Mattick, als die Vaterfiguren, boten einflußreiche Alternativen. Mattick hatte im wesentlichen Grossmans Zusammenbruchstheorie in der Periode des Nachkriegsbooms am Leben gehalten. Das heißt, er offerierte eine Theorie vom Kapital, das mechanistisch in Richtung Zusammenbruch geht auf der Basis der steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals und fallender Profitrate. Seine Innovation bestand primär darin, daß er analysiert hatte, wie die keynesianische gemischte Wirtschaft die Krise durch unproduktive Staatsausgaben verschob. Er behauptete, daß solche Ausgaben zwar vorübergehend den Kriseneinbruch aufhalten konnten, dies aber nur aufgrund des allgemeinen Aufschwungs in der Nachkriegsökonomie. Die erfolgreiche Manipulation des Geschäftszyklus war abhängig von der darunterliegenden allgemeinen gesunden Profite im Privatsektor. Wenn der zugrundeliegende Niedergang der Profitrate einen kritischen Punkt erreicht hatte, dann könne auch die Nachfragesteigerung durch den Staat nicht mehr die Rückkehr zu Akkumulationsbedingungen garantieren, stattdessen würden die staatlichen Abzüge aus dem Privatsektor als Teil des Problems gesehen werden. Seine These war also, daß der Keynesianismus die den Bewegungsgesetzen des Kapitals innewohnende Tendenz zu Krise und Zusammenbruch nur verschieben, aber nicht verhindern könne. Einer der größten Vorzüge seiner Analyse bestand darin, daß er aus der Krisentheorie die Basis für die inneren Widersprüche der kapitalistischen Produktion machte. Mattick vermied somit den modischen Fokus, daß der Kapitalismus durch die Niederlage des Imperialismus vermittels der Niederlagen in der Dritten Welt untergraben werde. Er leugnet also nicht das revolutionäre Potential der Arbeiterklassen im Westen. Dennoch wäre deren Klassenkampf für ihn eine spontane Antwort auf das eventuelle Scheitern des Keynesianismus, die Akkumulationskrise zu verhindern. Die Gesetze des Kapitals, aus der sich die Krise ergibt und der Klassenkampf waren für Mattick zwei völlig unterschiedliche Dinge. Seiner Analyse fehlt ganz grundlegend eine Analyse davon, wie der Klassenkampf innerhalb der Akkumulationsphase auftritt. Die Krise des Kapitalismus kann auf der abstrakten Ebene, auf der Mattick sie behandelt, nicht verstanden werden. Mandel, der belgische Volkswirtschaftler, offerierte in Der Spätkapitalismus eine multikausale Herangehensweise. Er definiert sechs Variabeln, deren Interaktion die kapitalistische Entwicklung erklären soll. Nur eine dieser Variabeln − die Ausbeutungsrate − hat irgend einen Bezug zum Klassenkampf, aber auch hier ist der Klassenkampf nur eines unter vielen Dingen, die diese Variable bestimmen. [24] Die Geschichte des Kapitals ist − nur unter anderem! − die Geschichte des Klassenkampfs. Das hauptsächliche andere ist die Natur der ungleichen Entwicklung und somit die revolutionäre Rolle der anti-imperialistischen Länder. Somit beschreibt Mandel die Geschichte der kapitalistischen Produktionsweise nicht als vorwärtsgetrieben vom zentralen Antagonismus zwischen Arbeit und Kapital, sondern dem zwischen Kapital und vorkapitalistischen Wirtschaftsverhältnissen. Auf der einen Seite beteuert er seine Orthodoxie, indem er behauptet, daß der Spätkapitalismus nur die Fortsetzung der monopolistisch/imperialistischen Epoche sei, die Lenin erkannt hatte, aber ebenso rehabilitiert er die Theorie der langen Wellen technologischer Entwicklung, welche die Epoche des Niedergangs überlagere und ihr Perioden aufwärts- und abwärtsgerichteter Bewegung verleihe. Die langen Wellen werden durch technologische Innovationen angetrieben. Aber weder in Mandels von der Technologie angetriebenen langen Wellen noch bei der These der durch die steigende organische Zusammensetzung fallenden Profitrate wird erkannt, in welchem Ausmaß die technologische Innovation eine Antwort auf den Klassenkampf ist. Hinter dem objektivistischen Marxismus steht in der einen oder anderen Form der technologische Determinismus, und deshalb ist die autonome Kritik an der objektivistischen Sichtweise von Technologie so wichtig. [25] Es ist nötig, die kapitalistische Akkumulation und ihre Krisen in Verbindung zum Klassenkampf zu sehen. Die keynesianische/fordistische Periode war eine, in der der Kampf der Arbeiterklasse sich vor allem in beständig steigenden Löhnen ausdrückte, wo die Gewerkschaften als die Repräsentanten der Arbeiterklasse deren Kämpfe gegen die Tyrannei des Arbeitsprozesses in Lohnforderungen kanalisiert hatten. Durch das Erkämpfen von ständigen Lohnerhöhungen zwangen die Arbeiter das Kapital dazu, die Produktivität durch die Intensivierung der Arbeit zu erhöhen und immer weiter arbeitssparende Investitionen zu tätigen, welche es im Gegenzug ermöglichten, den Arbeitern weitere Reallohnsteigerungen zu gewähren. In diesem Sinn – und wir werden sehen, daß die Autonomen so argumentieren − war der Kampf der Arbeiterklasse in dieser Periode zu einem funktionalen Moment im Kreislauf des Kapitals geworden: zum Motor der Akkumulation. Aber bevor wir uns mit solchen Analysen beschäftigen, sollte darauf hingewiesen werden, daß einige Denker im objektivistischen Lager von der Niedergangsproblematik abrückten und eine raffiniertere Analyse der Nachkriegsperiode versuchten. Der Regulationsansatz war offen für neue Ideen wie die Analyse des Fordismus seitens der Arbeiterautonomie. Doch die starke Beeinflussung seitens des Strukturalismus hielt den Regulationsansatz in den Grenzen des Objektivismus [gefangen]. b) Der RegulationsansatzDer Regulationsansatz ist wichtig, weil er versucht hat, Theorie in direktem Bezug auf die konkrete Wirklichkeit des modernen Kapitalismus zu entwickeln. Vertreter des Regulationsansatzes wie Aglietta und Lipietz brachen mit den orthodoxen Positionen von den Stadien des Kapitalismus und zur kapitalistischen Krise. Die Orthodoxen teilen den Kapitalismus in Phasen ein: sie behaupten, er sei mit dem Handelskapital entstanden, mit der Konkurrenz im Laissez-faire herangereift und würde seinen Niedergang erleben in der Phase des Monopolkapitals und des Imperialismus und damit die Bedingungen für den Sozialismus schaffen. Die Krise, so die Orthodoxen, sei im gesunden Kapitalismus Teil des normalen Wirtschaftszyklus, in der "Epoche von Kriegen und Revolution" aber Beweis für seinen Niedergang und möglicherweise endgültigen Zusammenbruch des ganzes Systems. In bezug auf diese Phaseneinteilung führte die Regulationsschule den Begriff der "Akkumulationsregimes" ein. Er besagt, daß die Phasen kapitalistischer Entwicklung durch voneinander abhängige institutionelle Strukturen und soziale Normzusammenhänge gekennzeichnet sein. Die anhaltende Krise sei eine strukturelle Krise der Institutionen der Regulation und der mit dem Regime verbundenen sozialen Normen. So interpretierten sie zum Beispiel den Übergang vom Laissez-faire zum Monopolkapitalismus als Übergang vom "Regime extensiver Akkumulation und Regulation mittels Konkurrenz", das vor dem Ersten Weltkrieg existiert hatte, zu einem Regime intensiver Akkumulation und monopolistischer Regulation nach dem Zweiten Weltkrieg. Dazwischen lag ihrer Meinung nach eine Phase der Krise des alten Regimes und des Übergangs zum nächsten. Die orthodoxen Marxisten hatten das Problem, die Nachkriegsphase mit ihrem Begriff der "Übergangsepoche" zu erklären. Sie bezeichneten deswegen die neue Stufe einfach als "Staatsmonopolistischen Kapitalismus". Aber ein Problem blieb: Der Monopolkapitalismus sollte eher das Ende des Kapitalismus bedeuten und nicht sein Gedeihen. Nach dem Regulationsansatz ist die Nachkriegsepoche keinesfalls eine Phase des Niedergangs, sondern eine Phase der Konsolidierung eines Regimes intensiver Akkumulation. Diese Phase ist durch fordistische Produktionsmethoden, Massenkonsum, die Einbeziehung der Produktion von Konsumgütern als bedeutenden Teil der kapitalistischen Akkumulation, sowie auf internationaler Ebene durch die amerikanische Hegemonie gekennzeichnet. Grundlage dieses Regimes ist ihrer Meinung nach die Verbindung von steigendem Lebensstandard und steigender Produktivität. Der Regulationsansatz beschreibt die 70er Jahre als neue Phase einer Strukturkrise, diesmal des Systems intensiver Akkumulation. Die Ursachen der Krise sieht die Regulationsschule wie auch Negri und die Theoretiker der Arbeiterautonomie in der Abkopplung der Lohnsteigerungen von der Produktivität und der Aushöhlung des sozialen Konsens. Der Zusammenbruch der Produktivitätssteigerungen verursacht die Finanzkrise des Staates, der weiterhin eine Steigerung der Akkumulation über öffentliche Ausgaben anpeilt, während die ökonomische Grundlage für eine solche Politik – reales anhaltendes Wachstum – nicht mehr vorhanden ist. Auf der internationalen Ebene sind die günstigen Bedingungen für den Welthandel mit dem Ende der amerikanischen Hegemonie ebenfalls zusammengebrochen. Wichtig in bezug auf die Zusammenbruchsthese ist, daß die Krise nicht als Todeskampf, sondern als ernste Strukturkrise gesehen wird, aus der Kapital herauskommen könnte, wenn es ein neues Akkumulationsregime etabliert. Durch ihren Bruch mit dem rigiden Schema der Orthodoxie erscheint die Regulationsschule als sehr viel besser entwickelte und weniger dogmatische marxistische Analyse. Aber sie nimmt keinen Perspektivenwechsel vor, um den Prozeß vom Arbeiterstandpunkt aus zu betrachten. Der Regulationsansatz bleibt innerhalb der kapitalistischen Logik und erweitert die Analyse nur um eine Menge komplizierter Gesichtspunkte. Auch wenn er richtigerweise die Krise als umfassende Krise der sozialen Ordnung versteht, bedeutet es einen Rückfall in den Funktionalismus, wenn er Kapital nicht als Kampfverhältnis von Subjekten, sondern als Prozeß ohne Subjekt erklärt. Er nimmt an, daß die gegenwärtige Restrukturierung des Kapitalismus zu der erfolgreichen Etablierung eines neuen Regimes der flexiblen Akkumulation führen wird – der Post- oder Neo-Fordismus erscheint unabwendbar. Solche Ideen laufen auf eine neue Form des technologischen Determinismus [26] hinaus, der dadurch, daß er eher ein Weiterbestehen des Kapitalismus voraussieht als seinen Zusammenbruch, eher für reformistische Linke attraktiv ist als für Revolutionäre. Einige seiner Ideen könnten für uns nützlich sein, doch der Regulationsansatz bleibt wie sein strukturalistischer Vater im Grunde innerhalb der Kapitallogik. Die vom Staat bezahlten akademischen Denker neigen immer dazu, das Kapital als Ausgangspunkt nehmen. [27] Der objektivistische Marxismus begreift einen Teil der kapitalistische Wirklichkeit, aber nur aus einer Perspektive – der des Kapitals. Dieser Marxismus übernimmt die Kategorien des Kapital, die auf der Verdinglichung der sozialen Beziehungen im Kapitalismus basieren, als gegeben und nicht als Ergebnis von Kämpfen. Die Subsumtion der Arbeit wird als endgültig vorausgesetzt und nicht als etwas, was ständig neu geschaffen werden muß. Die Arbeiterklasse wird nur als ein Rädchen in der Entwicklung des Kapitals verstanden, das sich ansonsten nach eigenen Gesetzen entwikelt. Tendenzen wie die wachsende organische Zusammensetzung werden als dem Kapital innewohnendes Gesetz wahrgenommen, obwohl sie wie auch ihre Gegentendenzen Resultat von Kämpfen sind. Es ist notwendig, diesen Prozeß aus dem anderen Blickwinkel zu betrachten – der des Kampfes gegen die Verdinglichung – wie das Gruppen wie Socialisme ou Barbarie und die Situationisten taten. Ihre Distanzierung von der Krisentheorie war verständlich und notwendiger Bestandteil bei der Wiederentdekung revolutionärer Praxis im Nachkriegsboom. Trotzdem waren es die Objektivisten, die die Methoden hatten, die Krise zu verstehen, als diese wieder auftauchte. Allerdings versäumten sie es, aus ihrer Theorie eine angemessene politische Leitlinie zu entwickeln. Ihre Vorstellung war einfach, daß sie die Krise verstehen und sich die Leute unter ihrer Fahne sammeln sollten. In Italien hingegen entstand eine Strömung, die den Objektivismus ablehnte, aber auch einen neuen Weg zum Verständnis der Krise aufzeigte. 3) Die operaistische Strömung / ArbeiterautonomieEine bedeutende Tendenz innerhalb der italienischen Neuen Linken waren die "operaistischen" [28] Theoretiker der 60er Jahre wie Panzieri und Tronti sowie die Theoretiker der "Arbeiterautonomie" der späten 60er und der 70er Jahre, besonders Negri und Bologna. Sie attackierten die verdinglichten Kategorien des objektivistischen Marxismus. Der Angriff auf den Objektivismus des orthodoxen Marxismus bezog sich auch auf die Problematik von Krise und Zusammenbruch. Einen Teil der Stärke der Strömung machte aus, daß sie Marx nicht einfach gegen eine durch und durch reformistische Arbeiterbewegung geltend machen mußten, sondern es mit der alles beherrschenden Italienischen Kommunistischen Partei und deren theoretisch entwikeltem Marxismus zu tun hatten. Die KPI hatte beim Übergang vom Stalinismus zum Eurostalinismus ihre Positionen geändert; hatte sie sich bisher mit der Betrachtung der allgemeinen Krise des Kapitalismus beschäftigt, so ging es ihr nun um die Unterstützung und Weiterentwicklung desselben. Die Operaisten erkannten, daß beide Positionen von einer neutral-objektiven Betrachtung der kapitalistischen Ökonomie ausgingen; für notwendig hielten sie hingegen eine Umdrehung der Perspektive, nämlich der Blick auf den Kapitalismus vom Arbeiterstandpunkt aus. Raniero Panzieri, einer der Initiatoren der Strömung, schrieb zwei grundlegende Kritiken am orthodoxen Marxismus. Er wandte sich gegen den falschen Gegensatz von Planung und Kapitalismus und gegen die Idee von der Neutralität der Technik, die Teil der Ideologie von den Produktivkräften ist. a) Der falsche Gegensatz zwischen Planung und KapitalismusPanzieri behauptete, daß Planung nicht im Gegensatz zum Kapitalismus stünde. Nach Marx basiert der Kapitalismus auf der despotischen Planung auf der Ebene der Produktion. Der Kapitalismus übertraf vorherige Produktionsweisen dadurch, daß er sich die Kooperation innerhalb des Produktionsprozesses aneignete. Die ArbeiterIn erfährt das durch die Kontrolle ihrer Tätigkeit durch eine andere ArbeiterIn. Im Kapitalismus des 19. Jahrhunderts stand dieser despotischen Planung der anarchische Wettbewerb auf der gesellschaftlichen Ebene gegenüber. Nach Panzieri ist das Problematische am orthodoxen Marxismus und seiner Zusammenbruchstheorie, daß er die Phase des Laissez-faire-Kapitalismus als modellhaft annimmt und jede Veränderung davon als Niedergang des Kapitalismus oder als Übergang zum Sozialismus definiert. Die Konzeption, die Panzieri und später Tronti entwickelten, ging davon aus, daß der Kapitalismus Mitte des 20. Jahrhunderts bis zu einem gewissen Grad den Gegensatz von Planung und Markt überwunden hatte und sich durch die Erlangung der Kontrolle über die Gesellschaft durch das gesellschaftliche Kapital zu einem weiter fortgeschrittenen Kapitalismus entwickelt hat; die gesellschaftliche Fabrik bildete sich heraus. Auf gesellschaftlicher Ebene ist die kapitalistische Gesellschaft nicht nur Anarchie, sondern auch gesellschaftliches Kapital – alle Bereiche des Lebens sind auf die Durchsetzung der kapitalistischen Arbeitsbeziehung ausgerichtet. Damit ist der zentrale Widerspruch, auf dem der orthodoxe Marxismus seine Zusammenbruchstheorie aufbaut, in Frage gestellt. Es gibt keinen fundamentalen Widerspruch zwischen der kapitalistischen Vergesellschaftung der Produktion und der kapitalistischen Aneignung des Produkts. Die "Anarchie des Marktes" ist ein Teil der kapitalistisch organisierten Gesellschaft, kapitalistische Planung ist ein anderer. Diese beiden Formen kapitalistischer Kontrolle stehen nicht in einem sich ausschließenden Widerspruch, sondern in einer dialektischen Beziehung: Planung ist kein vorübergehendes Merkmal im Kapitalismus. Mit der Gleichsetzung von Sozialismus und Planung wird der Sozialismus von der Negation des Kapitalismus zu einer seiner Spielformen. Aus der Entwicklung vom Monopol- bzw. Finanzkapital entstand nicht die Grundlage für eine nicht-kapitalistische Produktionsweise, sondern eine gesellschaftlich höher integrierte Form des Kapitalisus. [30] Das Kapital hatte einige Schwierigkeiten aus den früheren Phasen überwunden, aber dieser Prozeß wurde als Erreichen seines letzten Stadiums interpretiert. b) Die Kritik der TechnologieNoch bahnbrechender als seine Dekonstruktion des Gegensatzes von Planung und Anarchie des Marktes war vielleicht Panzieris Kritik der Technologie. Die despotische Planung als Teil des Kapitalismus operiert mittels Technologie. Panzieri behauptet im wesentlichen, daß Macht und Technologie im Kapitalismus so eng zusammenhängen, daß der orthodox-marxistische Begriff von der Neutralität der Technik absurd erscheint. Kritisiert wird hier wiederum die verdinglichte Natur der Begriffe im orthodoxen Verständnis der Produktivkräfte, die an den Ketten ihrer kapitalistischen Fesseln rütteln. »Es gibt keinen "objektiven", verborgenen Faktor, der dem technischen Fortschritt oder der Planung in der spätkapitalistischen Gesellschaft immanent ist und die "automatische" Transformation oder den "notwendigen" Umsturz der bestehenden Verhältnisse gewährleistet. Die allmählich erreichten neuen "technischen Grundlagen" der Produktion stellen für den Kapitalismus neue Möglichkeiten der Konsolidierung seiner Macht dar. Das heißt natürlich nicht, daß sie nicht gleichzeitig auch neue Möglichkeiten der Systemüberwindung eröffnen. Aber diese Möglichkeiten fallen mit dem systemsprengenden Charakter zusammen, den die »Insubordination der Arbeiter« gegenüber dem immer unabhängigeren "objektiven Skelett" des kapitalistischen Mechanismus tendenziell annimmt.« [31] Dies zeigt exemplarisch, welchen Wandel die "operaistische" Perspektive bedeutete - die Wende weg von irgendeiner "verborgenen" Bewegung der technisch verstandenen Produktivkräfte hin zu der größten Produktivkraft - der revolutionären Klasse. Panzieri reagierte damit auf die neue Kampfstärke der Arbeiterklasse, ihre Herausbildung als Bedrohung für das Kapital. Aber »diese Klassenebene«, wihttps://libcom.org/library/decandence-aufheben-4e er es nennt, »manifestiert sich nicht als Fortschritt, sondern als Bruch«; nicht als »Enthüllung« der verborgenen Rationalität, die dem modernen Produktionsprozeß innewohnt, sondern als Schaffung einer vollkommen neuen Rationalität, die im Gegensatz zu der vom Kapitalismus praktizierten Rationalität steht. [32] Während die Mainstream.Marxisten, egal ob sie sich als revolutionär oder reformistisch bezeichnen, eine reformistische Haltung gegenüber der Technologie einnehmen, d.h. sie ausdrücklich mittels Plan effizienter und rationeller organisieren wollen, erkannte Panzieri, daß die Arbeiterklasse bei weitem die bessere Dialektikerin ist, die »die Einheit des "technischen" und "despotischen" Moments des gegenwärtigen Produktionssystems« erkennt. [33] Die maschinelle Produktion und andere Formen kapitalistischer Technologie sind historische Ergebnisse der Klassenkampfes. Sie als "technisch" neutral zu interpretieren, heißt, die Seite des Kapitalismus einzunehmen. Da diese Ansicht den orthodoxen Marxismus beherrscht hat, ist es kaum verwunderlich, wenn einige nun die historische Kritik des Kapitalismus ablehnen und auf eine anti-technologische Perspektive setzen. Sie ersetzen die endgültige Aufhebung des Kapitalismus durch die einfache Negation von "Zivilisation". Das Problem dabei ist nicht, daß einige von uns Waschmaschinen haben wollen, sondern daß diese Wende eine Verbindung zur realen Bewegung verhindert. Die Kritik der Technologie, zusammen mit einer Umdrehung der Perspektive, erlaubte es den Operaisten, sich die Kritik der Politischen Ökonomie wieder als revolutionäres Werkzeug des Proletariats anzueignen. Wie wir gesehen haben, ist ein entscheidender Bestandteil der meisten Krisen- und Zusammenbruchstheorien der tendenzielle Fall der Profitrate durch die steigende organische Zusammensetzung des Kapitals, welche durch die Ersetzung von Arbeit (als Quelle von Wert) durch Maschinen verursacht wird. Die Italiener nahmen ein allgemeines Statement von Marx: »Man könnte eine ganze Geschichte der Erfindungen seit 1830 schreiben, die bloß als Kriegsmittel des Kapitals wider Arbeiteremeuten ins Leben traten« [34], und entwickelten daraus eine Theorie, die die technologische Entwicklung des Kapitals als Antwort auf und Auseinandersetzung mit dem Kampf der Arbeiterklasse erklärt. Der kapitalistische Arbeitsprozeß wird so zum Terrain für immer neue Klassenkämpfe. Durch die Rückführung der kapitalistischen Entwicklung auf den Kampf der Arbeiterklasse gaben die Operaisten Marxens Bemerkung, daß die größte Produktivkraft die revolutionäre Klasse selbst sei, einen Sinn. Wenn wir die ständige Erhöhung der organischen Zusammensetzung als Resultat der Kämpfe der Arbeiterklasse und der menschlichen Kreativität begreifen, verliert der tendenzielle Fall der Profitrate seine objektivistische Bedeutung. Der Wechsel von einer an der absoluten Mehrwertrate orientierten Kapitalstrategie zu einer an der relativen Mehrwertrate orientierten [35], wurde ihm von der Arbeiterklasse aufgezwungen und hatte zum Ergebnis, daß Kapital und Arbeiterklasse sich im Kampf um die Produktivität wiederfanden. Die Kategorien der organischen und technischen Zusammensetzung des Kapitals wurden durch die operaistische Theorie aus der Verdinglichung gelöst und an den Begriff der Klassenzusammensetzung angebunden, also an die Formen von Klassensubjektivität und Klassenkampf, die sich auf die "objektive" Zusammensetzung des Kapitals beziehen. Die Theoretiker der Arbeiterautonomie benutzten diese Begriffe bei ihrer Kritik an früheren Formen der Organisation wie der Avangardepartei, die frühere Klassenzusammensetzungen widerspiegelten, und theoretisierten die neuen Kampf- und Organisationsformen des Massenarbeiters. Dies wirft ein ganz neues Licht auf die Frage des Niedergangs des Kapitalismus und des Übergangs zum Kommunismus: c) Die Theorie von der Krise als KlassenkampfDie erste Welle des italienischen Operaismus in den 60er Jahren begriff also die Phase des Laissez-faire nicht als eigentliches Wesen des Kapitalismus, und auch nicht alles, was seitdem passierte, als Niedergang oder Zerfall desselben. Sie befaßten sich mit einer Analyse der konkreten Formen des zeitgenössischen Kapitalismus. Das erlaubte ihnen, die Tendenz zur staatlichen Planung als Ausdruck der vollständigen kapitalistischen Durchdringung der Gesellschaft zu verstehen: als gesellschaftliches Kapital. Sie brachen auch mit dem orthodoxen Marxismus, indem sie die Perspektive umdrehten und die Arbeiterklasse als treibende Kraft des Kapitals verstanden. Dies untermauerten sie mit militanten Untersuchungen der Kämpfe der Massenarbeiter. Es gibt zwar Ähnlichkeiten zur Analyse von Socialisme ou Barbarie, doch die Positionen der Arbeiterautonomie, die auf der Neuinterpretation der Werkzeuge aus Marxens Kritik der Politischen Ökonomie beruhten und weniger auf ihrer Ablehnung, sind eher imstande, sich mit der Anfang der 70er Jahre beginnenden Krise auseinanderzusetzen. Die Krise der 70er Jahre bewies die Genauigkeit von Trontis Anregung von 1964, als er behauptete, daß es möglich sei, daß "die ersten Forderungen, die die Proletarier selbst stellen, der Moment, in dem sie nicht von den Kapitalisten integriert werden können, objektiv als Verweigerungsform wirken, die das System in Gefahr bringen ... die einfache politische Blockade der objektiven Gesetzmäßigkeiten" [37]. Die friedliche Weiterentwicklung des Kapitalismus wurde Ende der 60er Jahre zerschlagen. Die italienischen Operaisten kamen bei dem Versuch, das zu verstehen, theoretisch am weitesten, so wie die italienischen ArbeiterInnen in den 70er Jahren bei ihrem Angriff auf das Kapitalverhältnis praktisch am weitesten gingen. Die orthodoxen Marxisten behaupteten, wie wir bei Mattick sahen, daß der Keynesianismus die Bewegungsgesetze des Kapitals nicht wirklich verändern und die Krise nur aufschieben könne. In gewisser Weise ist das richtig, aber das Problem liegt darin, daß die Ökonomie als Maschine gesehen wird und nicht als verdinglichte Erscheinung antagonistischer sozialer Beziehungen. Die Weiterentwicklung seitens der Arbeiterautonomie, enthalten u.a. in den beiden Aufsätzen von Negri aus dem Jahre 1968 [38], bestand darin, daß der Keynesianismus als Antwort auf die Offensive der Arbeiterklasse von 1917 verstanden wurde, als Versuch, die Kämpfe der Arbeiterklasse zum Nutzen des Kapitals zu wenden. Keynes war ein strategischer Denker des Kapitals. Die Kanalisierung der Kämpfe der Arbeiterklasse durch Lohnerhöhungen, die durch steigende Produktivität bezahlt wurden, bedeutete, daß der Keynesianismus im wesentlichen nicht nur Nachfrage-Management, sondern staatliches Management der Arbeiterklasse war, ein Management, das zunehmend gewalttätiger wird, weil es von der Arbeiterklasse ablehnt wird. Das prekäre Gleichgewicht, das es repräsentiert, wurde durch die Offensive der Arbeiterklasse in den Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre in die Krise gestürzt, als der Produktivitätsdeal, auf dem die Akkumulation beruhte, zerrissen wurde. In der Analyse der Arbeiterautonomie erscheint die gesamte keynesianistisch-fordistische Nachkriegsphase als Phase des Planstaats. Dieser wird nun in die Krise gestürzt und durch einen Staat ersetzt, der die Krise aktiv einsetzt, um die Kontrolle zu behalten. Die Theorie von Klassenkampf und Krise stellt eine notwendige Verbesserung der Sichtweisen der Objektivisten dar. Grundidee des Marxismus der Arbeiterautonomie war, daß er die kapitalistische Krise neu interpretierte: nicht als unabwendbares Resultat objektiver Gesetze, die von der Arbeiterklasse unabhängig sind, sondern als objektiven Ausdruck des Klassenkampfes. Diese Theorie, die sich auf die konkreten Klassenkämpfe bezieht, vermeidet den Begriff Epoche des Niedergangs oder Zusammenbruchs. Die Geschichte des Kapitalismus ist nicht die der objektiven Entfaltung der Gesetzmäßigkeiten des Kapitals, sondern eine der Dialektik von politischer Zusammensetzung und Neuzusammensetzung. Die tiefe weltweite Krise, die in den 70er einsetzte, wird als Resultat der Kämpfe der fordistischen Massenarbeiter interpretiert. Dieses Subjekt war selbst erst entstanden durch den Angriff des Kapitals auf die Klassenzusammensetzung, die den Kapitalismus nach dem Ersten Weltkrieg fast zerstört hatte. Nun hatte es sich politisch neu zusammengesetzt und war zu einer Gefahr für das Kapital geworden. Die Krise des Kapitals ist die Krise der gesellschaftlichen Verhältnisse. Die Theoretiker der Arbeiterautonomie der 70er Jahre theoretisierten die Verweigerung der Arbeit am besten, formulierten eine Kritik an der Zusammenbruchs- und Krisentheorie und setzten eine dynamische Theorie von kapitalistischer Krise und proletarischer Subjektivität dagegen. Sie entwickelten eine Theorie von Klassenkampf und Krise, die in dem Satz »die Krise der Bosse ist der Sieg der ArbeiterInnen« enthalten ist. Sie unterscheidet sich deutlich von den orthodox-marxistischen Erklärungen [39], die die Krise auf innere Widersprüche des Kapitals zurückführen und die allgemeine Krise und den Niedergang des Kapitals mit der Fesselung der Produktivkräfte durch die Produktionsverhältnisse erklären. Der Begriff von der Fesselung der Produktivkräfte durch das Kapital, der in gewissem Sinne zutrifft, vergißt, daß die Arbeiterklasse in Zeiten der Stärke die kapitalistischen Produktivkräfte blockiert, weil die Weiterentwicklung ihren Interessen und Bedürfnissen widerspricht. Die Bedeutung des proletarischen Widerstands gegen die kapitalistische Arbeit darf im sozialistischen Traum der Arbeit-für-alle nicht vergessen werden. Negri formuliert das so: »Befreiung der Produktivkräfte: sicherlich, aber als Antrieb eines Prozesses, der zur Abschaffung, zur absoluten Negation führt. Der Übergang von der Befreiung-von-der-Arbeit hin zum Jenseits-der-Arbeit steht im Zentrum, im Herz der Definition von Kommunismus« [40]. Die Theorie der Arbeiterautonomie war in gewisser Weise eine optimistische Projektion von Tendenzen in den stattfindenden Kämpfe. Das gelang gut, solange der Klassenkampf vorankam und revolutionäre Tendenzen in weiteren Aktionen verwirklicht wurden. Tronti führte zum Beispiel den Begriff einer neuen Art von Krise ein, die durch die Verweigerung der ArbeiterInnen entsteht. Diese Verweigerung hatte er in der Schlacht auf der Piazza Statuto erkannt (Ereignisse von 1962, als streikende FIAT-ArbeiterInnen die Gewerkschaften mit Gewalt angriffen). Der Heiße Herbst in Italien 1969, als ArbeiterInnen, kaum daß sie nach einem Streik zur Arbeit zurückkamen, oft gleich wieder in den Streik traten, zeigte die Gültigkeit dieser Annahme. Diese theoretischen Ableitungen, die auch die Situationisten gemacht hatten, als sie die wilden Streiks insbesondere in England als Zeichen für die Dinge, die noch kommen sollten [41], interpretierten, wurden untauglich, als das Kapital in einer Gegenoffensive gegen die Verweigerung die neue – später umgesetzte – Richtung bestimmte: der neuerliche Zwang zur Arbeit (die Wiederbetonung der Arbeit). Theoretiker der Arbeiterautonomie versuchten das mit Begriffen wie dem Übergang vom Planstaat zum Krisenstaat zu begreifen. Die Theorie von Klassenkampf und Krise verlief sich irgendwann in den 80er Jahren. In den 70er Jahren war der Bruch des Kapitals mit seinen objektiven Gesetzen eindeutig gewesen. Nun wurde– das aufkommende Subjekt durch einen Teilerfolg des Kapitals zurückgeschlagen. Es scheint so, als ob in den 80er Jahren die objektiven Gesetze des Kapitals einfach in unserem Leben Amok laufen durften. Eine Theorie, die die Krisenerscheinungen mit den konkreten Verhaltensweisen der Klasse verband, fand wenig offensive Kämpfe, auf die sie sich beziehen konnte; und doch hielt die Krise an. Die Theorie war den Bedingungen nicht mehr angemessen. Negris Neigung zu extremem Optimismus und die Art, wie er Tendenzen als Realitäten interpretierte, was in Zeiten proletarischer Subversion nicht mal schlecht sein mag, wurde zunehmend zum Problem seiner Theoretisierungen und führten dazu, daß er selbst in eine Zusammenbruchstheorie rutschte. Ohne Beziehung zur revolutionären Bewegung litten Negris Texte sehr. In Texten wie Communists Like Us und seinem Beitrag zu Open Marxism begegnen wir sogar in neuem subjektivistischem Gewand die Theorie vom Zusammenbruch des Kapitals und der Auferstehung des Kommunismus hinter unserem Rücken. [42] Insgesamt sind die Theoretiker der Arbeiterautonomie eine notwendige, aber nicht vollendete Bewegung. Sie waren Ausdruck der Bewegung ihrer Zeit und wurden schwach, im Fall Negris sowieso, sobald sie von ihr isoliert waren. So wie sich 1968 sowohl die Beschränkungen als auch die Bedeutung situationistischer Ideen zeigten, so offenbarte die Phase von Krise und revolutionärem Handeln in Italien zwischen 1969 und 1979 die Bedeutung als auch die Beschränkung der operaistischen und autonomistischen Theorien. Das heißt nicht, daß wir zu den Objektivisten zurückkehren sollten. Wir sollten nach vorne schauen. Die Theorie der Arbeiterautonomie im allgemeinen und die Theorie von Klassenkampf und Krise im besonderen leisteten einen wichtigen Beitrag bei der Kritik der verdinglichten Kategorien des objektivistischen Marxismus. Sie erlaubt uns, diese Kategorien "als Existenzweisen des Klassenkampfes"[43] zu sehen. Sie übertreiben dies zuweilen und sehen nicht, in welchem Maße die Kategorien tatsächlich objektive Aspekte des Kapitals darstellen; trotzdem müssen wir weiterhin die Bedeutung der Umkehrung herausstellen. Wir brauchen einen Weg, wie wir die Beziehung von Objektivität und Subjektivität jenseits der Mechanik der Objektivisten oder Reaktion darauf ("Alles ist Klassenkampf!") verstehen können. Für die Wiederaneignung des revolutionären Kerns der Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie lieferten alle, Socialime ou Barbarie, die Situationisten und die Arbeiterautonomie, auf unterschiedliche Art und Weise wichtige Beiträge. Es gelang ihnen, weil sie die Theorie vom Niedergang und Zusammenbruch des Kapitalismus verwarfen. Aber die revolutionäre Welle, deren Teil sie waren, ist vorüber. Der Nachkriegsboom ist schon eine schwindende Erinnerung. Im Vergleich zu der Phase, in der diese revolutionären Theorien entwickelt wurden, ist die heutige kapitalistische Wirklichkeit viel ungewisser. Die kapitalistische Tendenz zur Krise zeigt sich viel offener, während im Klassenkampf Ebbe ist. Im dritten und letzten Teil dieses Artikels werden wir neuere Ansätze betrachten, die versuchen, die Welt, in der wir leben, zu verstehen, zum Beispiel den von Radical Chains. Zudem wollen wir unsere eigenen Gedanken zur Lösung des Problems darstellen. Endnoten [1] Die Johnson-Forest-Tendency in den USA entwickelte einen ähnlichen Ansatz von unten, der nicht ouvrieristisch (allein an den Arbeitern ausgerichtet) war. [2] Modern Capitalism and Revolution, S. 85. [3] Ebenda, S. 48. [4] Ebenda, S. 44. [5] Redefining Revolution, S. 17. [6] Siehe Workers Councils and the Economics of self-management. [7] Obwohl Cardan Marx ganz zentral mit der Verdinglichung kritisiert, hat er paradoxerwehttps://libcom.org/library/decandence-aufheben-4ise auch ein Problem damit, daß Marx die Kategorie der Verdinglichung benutzt, während sich der moderne Kapitalismus eher durch seine »Tendenz zu bürokratisch-hierarchischer Organisation« verstehen lasse. Revolution Redefined, S. 6. [8] Modern Capitalism and Revolution, S. 43. [9] Siehe den Anhang von Modern Capitalism and Revolution. Der Anhang soll auch die Rückkehr zu Adam Smiths Definition von Kapital begründen! [10] Wie er am 2.4.1858 an Engels schreibt: »Im Verlauf dieses Abschnitts [das Kapital im allgemeinen] wird durchgehend angenommen, die Löhne seien auf ihrem Minimum. Bewegungen bei den Löhnen selbst und das Steigen oder Fallen dieses Minimums werden unter der Lohnarbeit berücksichtigt werden.« [11] Mehr zu dieser zentralen Frage − wie liest man Marx − siehe The Incomplete Marx von F.C. Shortall, Avebury 1994. [12] Wegen der damit verbundenen Assoziationen weigerten sie sich, das Wort Kommunismus zu benutzen. Allerdings ist auch ihr Begriff von der universellen Selbstverwaltung inzwischen mit negativen Konnotationen behaftet. [13] »Sind Sie Marxisten? − Genauso sehr wie Marx, als er sagte: ›Ich bin kein Marxist.‹« Situationist International Anthology. [14] Die Situationisten sprachen manchmal von einer allgemeinen Krise des Kapitalismus, davon, daß er nicht mehr weiter wüßte. Manchmal sagten sie, der Kapitalismus befinde sich im Niedergang oder in Auflösung. Dahinter sahen sie aber nicht eine objektive Logik der Wirtschaft, sondern eher die subjektive Weigerung des Proletariats, so weiter zu machen wie bisher. Teilweise begründeten sie das mit dem Widerspruch von Produktivkräften und Produktionsverhältnissen, aber nur in dem Maße, wie die Kluft zwischen ihrer Entwicklung durch den Kapitalismus und https://libcom.org/library/decandence-aufheben-4ihrem möglichen Gebrauch durch das sich selbst abschaffende Proletariat so extrem geworden war, daß das Subjekt sie sehen konnte. Diese Perspektive ist zentral, aber etwas anderes als die Theorie des Niedergangs im klassischen Sinne, wo die Produktivkräfte in einer evolutionären Logik auf ihre Befreiung hindrängen. Die Kluft zwischen dem Bestehenden und dem Möglichen läßt sich nur durch einen Sprung überwinden. [15] »...die bürgerliche Revolution ist vorbei; die proletarische Revolution ist ein Projekt, das auf der Grundlage der vorhergegangenen Revolution entstanden ist, sich aber qualitativ von ihr unterscheidet. Wenn man die Originalität der historischen Rolle der Bourgeoisie leugnet, verdeckt man die konkrete Originalität des proletarischen Projekts, das nichts erreichen kann, wenn es nicht seine eigenen Fahnen trägt und die ›Ungeheuerlichkeit seiner Aufgaben‹ kennt. Die Bourgeoisie kam als Klasse der sich entwikelnden Wirtschaft an die Macht. Das Proletariat kann nur als Klasse des Bewußtseins selbst an die Macht kommen. Diese Macht entsteht nicht automatisch aus dem Wachstum der Produktivkräfte, nicht einmal durch die zunehmende Enteignung, die es mit sich bringt. Sein Mittel kann keine jakobinische Machtübernahme sein. Das Proletariat kann sich auf keine Ideologie berufen, um seine Teilziele als allgemeine Ziele auszugeben, denn keine Teilrealität kann wirklich die des Proletariats bleiben.« Die Gesellschaft des Spektakels, Absatz 88. [16] Das soll nicht heißen, daß das Proletariat keine Gewalt benutzt, um seine Ziele durchzusetzen und eine Rückkehr zum Kapitalismus zu verhindern, sondern nur, daß seine Gewalt sich qualitativ von der Staatsgewalt unterscheidet, die nur die Macht des Getrennten sein kann. [17] Die Gesellschaft des Spektakels, Absatz 84. [18] Siehe Die Gesellschaft des Spektakels, Absatz 82. [19] Debord und Sanguinetti: The Veritable Split, 1972 (London: Chronos Publications 1990), Absatz 14. [20] Modern Capitalism and Revolution, S. 10-11. [21] The Veritable Split, Absatz 1. [22] [23] Yaffe und Kidron waren beide bei den International Socialists (einem Vorläufer der SWP), die sich durch ihre Theorie der Permanenten Rüstungsökonomie hervorzutun versuchten. Im wesentlichen war diese Theorie der Versuch, den ganzen Nachkriegsboom durch einen Fabktor zu erklären − Rüstungsausgaben. Außer dieser Innovation, den Rüstungsausgaben eine stabilisierende Rolle zuzusprechen, war diese Theorie im wesentlichen orthodoxe marxistische Ökonomie. Cliff vertrat eine Version der orthodoxen Unterkonsumtionstheorie. Rüstungsausgaben maß er die (anfänglich sehr vorübergehende, später, als es nicht zur erwarteten Katastrophe kam, länger dauernde) Fähigkeit zu, eine, angesichts der begrenzten Nachfragekraft der Massen, unvermeidliche Überproduktionskrise des Kapitals zu verschieben. Als es bei den marxistischen Ökonomen zu einer Wende kam − die Theorie von der fallenden Profitrate schob sich immer mehr in den Vordergrund und die These von der Unterkonsumption wurde als zu primitiv betrachtet − entwickelte Kidron eine neue Version, bei der die Rüstungsausgaben nun etwas anderes linderten. Unproduktive Rüstungsausgaben verschoben nun nicht mehr den Punkt, an dem das Kapital die Möglichkeiten seiner Konsumtion übertrifft, sondern diese Ausgaben seien als Gegentendenz zum tendenziellen Fall der Profitrate zu sehen.
Der wesentliche Punkt daran ist, daß diese Theorie innerhalb der Annahmen der objektivistischen marxistischen Ökonomie blieb. Das Ausmaß, in dem sie mit Lenin brachen, war nicht daraus motiviert, daß Lenin in seiner Analyse keinen Platz für die Kämpfe der Arbeiterklasse ließ. Nein, für die International Socialists war der Imperialismus nur das vorletzte Stadium des Kapitalismus, eine andere kapitalimmanente Logik also. Zum letzten Stadium erklärten sie die Permanente Rüstungsökonomie, und dieses wird − wie bei Lenins Imperialismus − rein in Begriffen des Kapitals erklärt. Auch in ihren entwickelteren Formen war diese Theorie ein ziemliches Durcheinander, was jüngere Pistolenhelden bei den International Socialists wie Yaffe, der in der marxistischen Klassik versierter war, dazu brachte, eine Rückkehr zu einer fundamentalistischen Theorie auf Grundlage der fallenden Profitrate zu fordern; schießlich trat er aus und gründete die RCG, um eine solche Theorie zu entwickeln. Seither hat Chris Harman die Theorie weiterentwickelt [? fleshed out], einige ihrer schärfsten Kanten abgerundet und sogar andere Krisentheoretiker wie Grossman dazu benutzt, sie zu untermauern. Aber in den 70er Jahren ist die SWP in den schoß der Gemeinde zurückgekehrt, indem sie zustimmte, daß Rüstungsausgaben nicht länger die Tendenz zur Krise abschwächen könnten. [24] Spätkapitalismus, S. 40. Interessanterweise behauptet Mattick − also jemand, den man politisch gegen Mandel unterstützen würde −, daß Mandel im Spätkapitalismus dem Klassenkampf zu viel Gewicht einräume. Mattick stellte Grossmans auf die fallende Profitrate basierende Zusammenbruchstheorie einem neuen Publikum vor. Daß Nicht-Leninisten gegen die Bedeutung des Klassenkampfs anargumentieren, zeigt, daß das Problem des Objektivismus quer zur leninistisch/antileninistischen Spaltung verläuft. In der Tat wurde in Britannien die these von Mattick/Grossman zur Krise von einem überzeugten Leninisten wie David Yaffe aufgenommen. Yaffe zufolge gab es im Nachkriegsboom keinen Klassenkampf, aber die ökonomischen Determinanten hatten sich offensichtlich auch in dessen Abwesenheit weiter entwickelt. [25] Siehe dazu den folgenden Abschnitt. [26] Der Angriff auf den Funktionalismus und Determinismus der Regulationsschule gelingt in Post Fordism and Social Form (herausgegeben von Bonefeld and Holloway), besprochen in der letzten Ausgabe von Aufheben. (Wir haben den Text auf deutsch übersetzt) [27] Im Unterschied dazu verließen die Analysen der Arbeiterautonomie nie den Arbeiterstandpunkt. Zwar waren auch einige der italienischen Theoretiker Akademiker, sie waren aber trotzdem Teil der revolutionären Bewegung waren. Sie mögen "vom Staat bezahlte Denker" gewesen sein, aber wenn die Hälfte von ihnen verhaftet und für Jahre weggeschlossen wurde, kann man doch annehmen, daß ihre Ideen in einem gewissem Widerspruch zu ihrer sozialen Stellung standen. [28] Der italienische Begriff Operaismus (englisch: workerism, d. Übers.) bezieht sich nicht wie beim angelsächsischen Gebrauch des Wortes darauf, daß nur Kämpfe im Betrieb Bedeutung haben, sondern auf den Versuch, den Kapitalismus aus der Perspektive der Arbeiterklasse zu verstehen. [29] Raniero Panzieri: Mehrwert und Planung, nachgedruckt in in Thekla 7, S. 57 [30] Einige Anhänger von Bordiga wurden typische dogmatische Vertreter der Zusammenbruchstheorie. Andere entwikelten seine Ideen in eine interessante Richtung weiter, die Parallelen zu den Operaisten aufweist. Der Begriff der Beständigkeit (wörtlich: invariance, d. Übers) (Jacques Camatte und andere) sollte erklären, daß die zunehmende Vergesellschaftung der Produktion nicht den Niedergang des Kapitals ausdrückte, sondern den Übergang von der formalen Subsumtion des Arbeitsprozesses durch das Kapital zur reellen Subsumtion, d.h. der Übergang von der kapitalistischen Überwachung eines Arbeitsprozesses, der auf dem Wissen und den Fertigkeiten der ArbeiterInnen beruht, hin zur vollständigen kapitalistischen Herrschaft über diesen Prozeß. Des weiteren sahen sie auch einen Übergang von der formalen Herrschaft des Kapitals über die Gesellschaft zu seiner realen Herrschaft. Trotzdem sind wir der Meinung, daß ihre Betonung der Autonomie des Kapitals den ständigen Kampf, der diesen Prozeß begleitet, nicht genügend beachtet. Deswegen sahen sie Revolution als plötzliche (wörtlich: catastrophist) Explosion unterdrückter Subjektivität. [31] Raniero Panzieri: Über die kapitalistische Anwendung der Maschinerie im Spätkapitalismus, hier zitiert nach Thekla 7, S. 12. [32] ebd. S. 16. [33] ebd. S. 18. [34] Das Kapital, MEW Bd. 23, S. 459 [35] D.h., von einer Strategie, bei der die Ausbeutung durch eine Verlängerung des Arbeitstages vergrößert wird, zu einer der steigenden Produktivität, wo der Teil des Arbeitstags, in dem die ArbeiterIn Mehrwert produziert, verlängert wird. [36] Ebenda, S. 21 [37] Working Class Autonomy and the Crisis, Red Notes und CSE Books, S.17. [38] Toni Negri: Zyklus und Krise bei Marx, Merve Verlag Berlin 1974. [39] Tatsächlich wird ein orthodox-marxistischer Militanter es für falsch halten, daß die Krise möglicherweise das Werk der Arbeiterklasse ist. »Nein, nein, nein«, wird er oder sie sagen, »das ist ein Argument der Rechten; an der Krise ist das Kapital schuld; die Arbeiterklasse - gesegnet sei ihre Ballonmütze - hat damit nichts zu tun - die Krise zeigt die Irrationalität des Kapitalismus und die Notwendigkeit des Sozialismus«. Aber das war genau das stellten die Operaisten in frage: den Sozialismus als die Lösung der Krisentendenzen des Kapitals. [40] Marx beyond Marx, Autonomedia/Pluto, London 1991, S.160. [41] Nicht zu vergessen Marx und die schlesischen Bergarbeiter. [42] Zum Beispiel auf Seite 88 in Open Marxism II: "innerhalb der materiellen Entwicklungen (??? wörtlich: within the material passages of development) werden neue technische Bedingungen für die proletarische Autonomie bestimmt. Deswegen ist das erste Mal ein Einschnitt in der Restrukturierung möglich, der nicht wieder zu reparieren und unabhängig von der Reife des Klassenbewußtseins ist." Er scheint dabei auf die Arbeit von Computerprogrammierern zu setzen! − Es sieht so aus, als würden viele radikalen Denker in fortgeschrittenem Alter - oder genauer, wenn die Bewegung, mit der sie verbunden sind, an Kraft nachläßt - ihre Klarheit verlieren. Vielleicht müssen wir Negri gegen Negri benutzen, so wie wir (manchmal) Marx gegen Marx benutzen (müssen). Vielleicht sollten wir die Zusammenbruchstheorie aber auch als Entgleisung betrachten, die Revolutionären widerfährt, wenn die Bewegung, an der sie teilnehmen, zuende ist (nach 1848, nach 1917, nach 1977). Wenn die Klassenbewegung, auf die mensch sich beziehen kann, an Kraft verliert, entsteht die Versuchung, an die Macht des Kapitals zu glauben - eine Versuchung, der wir widerstehen sollten. [43] Siehe Gunn (1989) "Marxism and Philosophy", Capital and Class, Nr.37. |
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