wildcat.zirkular

10.03.2020

aus: Zirkular 6, August 1994

Buchbesprechung: "Midnight Oil"1

aus: Aufheben

Einleitung

Midnight Oil ist eine Artikelsammlung des ZERO­WORK-Kollektivs (1974-79) und der Midnight Notes (1979-), in deren Mittelpunkt eine präzise Ana­lyse des Golfkriegs steht. Es gibt viele Gründe, die Veröffent­lichung dieses Buches zu begrüßen. Zu­nächst kann das Veröffentlichen von Texten der autonomen Tradition, die vorher nur wenigen Men­schen zugänglich wa­ren, nur ein positiver Schub für Revolutionäre in diesem Land sein, die, bis auf bemer­kens­werte Aus­nahmen, entwe­der die Or­tho­doxie wie­derkäuten oder als akade­mische Kontemplation von sich wie­sen. Es ist auch beru­higend, daß trotz der Rück­schlä­ge, die die ame­rikanische Arbeiter­klas­se in den letzten Jahr­zehn­ten ein­stecken mußte, eini­ge amerikani­sche Theoretiker immer noch in der Lage sind Analysen zeitgeschicht­licher Ereignisse anzu­stel­len - zum Glück haben nicht alle auf die Niederlagen mit dem Versuch reagiert, wie Zerzan oder Perlman aus einer mys­tischen Vergangenheit die Zukunft herauf­zube­schwören.

Das nach dem Golfkrieg erschienene Midnight Oil bezieht die direk­te Gegenposi­tion zu den orthodoxen marxistischen Theorien, die den Krieg lediglich auf einen (in­ner)imperia­listischen Konflikt redu­ziert haben. Aber wir können sie nicht unkri­tisiert stehen lassen, obwohl wir mit einigen Aspekten der Midnight Notes/ "auto­nomen"2 Ana­lyse sym­phatisieren, und sie als Waffe gegen die orthodoxe leni­ni­sti­sche Lehre gerne auf­greifen. Während auf den ersten Blick die Breite der Analy­sen in Mid­night Oil beeindruckend ist, fanden wir in der Tat, daß sie ent­schei­dende Schwä­chen hat. Diese Probleme werden offensichtlich, wenn wir uns an die Voraus­sagen der Midnight Notes vor dem Golfkrieg in der Broschü­re When Crus­aders and Assasins Unite erinnern. Sie behaup­teten in dieser im Novem­ber 1990 ver­öffent­lichten Broschüre, die der amerika­ni­schen Anti-Kriegs­bewegung eine Ana­lyse vom Klassenstandpunkt liefern wollte, daß es keinen Krieg geben werde, weil es keine grund­legenden Dif­ferenzen zwischen dem US-amerikanischen und ira­kischen Kapital gebe, da beide Interesse an einem höheren Ölpreis hätten.

»Diese Differenzen hinsicht­lich der Kon­trolle über die Festsetzung der Ölpreise und hin­sichtlich der Schul­denpolitik können vermit­telt werden, obwohl in die­sem Ver­mittlungs­prozeß dur­ch­aus am Rande auch mili­tärische Gewalt ange­wandt werden könnte. Doch die US-Kreuz­fahrer sind nicht auf der arabischen Halb­insel, um ei­nen großangelegten, kon­ventionellen Krieg gegen die iraki­schen Assassinen zu führen, wie viele es sich immer wieder ausmalen. Die US-Truppen sind näm­lich nicht auf der arabi­schen Halbinsel, um gegen die Soldaten einer Re­gie­rung zu kämpfen, die das Spiel des kollekti­ven Kapitals mit­spielt. Das Regime von Sad­dam Hussein zeigt sich vol­lständig gewillt und in der Lage, dieses Spiel mitzu­spie­len. Diese US-Inva­sion des persischen Golfs ist daher nicht mit dem Krieg in Vietnam zu ver­gleichen, wo das US-Militär hinge­schickt wurde, um eine di­rekt antikapitalisti­sche, revolutio­näre, be­waf­f­nete Bewegung zu bekämp­fen. Sie gleicht eher der US-Be­set­zung von Westeuropa nach dem Zweiten Welt­krieg, die nicht in erster Linie eine so­wje­tische Invasion abweh­ren, son­dern das Entstehen von revo­lutio­nären Kräf­ten in Westeuropa selbst ver­hin­dern sollte.«3

Mid­night Notes und No War But The Class War in Britannien versuch­ten mit der Betonung des Klassenkampfs über die leninistische Ana­lyse des Krieges hinausge­hen, aber wir müssen ihre Grenzen erken­nen, um darüber hinauszu­gehen. Es ist vielleicht nicht überra­schend, daß When Crus­aders and Assasins Unite und die Vorhersa­gen in Mid­night Oil ver­schwiegen wer­den. Aber für uns ist nicht wichtig, daß die Midnight nicht recht hatten, sondern warum sie nicht recht hatten. Wenn wir ihre Analyse des Golfkrieges als Lack­mustest nehmen, werden die losen Fäden ihrer Theorie schnell ent­wirrt. Es geht nicht nur darum, daß Mid­night Oil inkon­sistent ist, wie man es ja auch nur erwartet von einem kollekti­ven Projekt mit 20jähriger Entwicklung, sondern wir finden die da­hinterstehende Theorie unzu­sam­men­hängend.

Leninismus und die Imperialismustheorie

Um die Bedeutung von Midnight Oil zu verstehen müssen wir es in den Kontext der Op­position zu den dominierenden marxistischen Erklärun­gen des Golfkrieges stel­len. In Bri­tannien wurde die Anti­kriegsbewe­gung dominiert vom links-liberalen Pazifismus des CND, der Sanktionen befür­wortete, um die Iraker zur Aufgabe zu hungern anstatt, sie ins Mittel­alter zu bomben. Die schnelle Antwort der 'revo­lu­tionären Lin­ken' war einfach die alte anti-imperialistische Position des 'Un­ter­stützt das schwache Land gegen die imperialisti­sche Aggression' zu bringen (trot out), die jede echte Klassenana­lyse des Krieges leugnet. Aber im Fall des Iraks wurde die blanke Absurdität dieser Position offen­sicht­lich. Wie können sogenann­te Revolutio­näre eine faschistische Diktatur mit einer nachgewiesenen Zahl von Mas­sakern an der eigenen Arbeiter­klasse unterstützen? Die SWP (Socia­list Worker Party) gab die [knee jerk] Reaktion, den Irak zu unterstüt­zen, bald aufge­geben, weil sie aufgrund ihres Op­portunismus die Linie änderten und sich an die Frie­dens­bewegung anhäng­ten, in der Hoffnung, neue Mitglieder zu gewinnen, während die RCP ihre stramme Unter­stützung für den irakischen Staat beibehielt. In beiden Fäl­len ließ ihr (rigider) Glaube an die diskreditierte leninistische Imperialis­mustheorie die Gruppen bei der Einschätzung der linkslibe­ralen/pazifi­stischen Initiative in der Antkriegs­bewegung schei­tern.

Die leninistische Imperialismustheorie

Die leninistische Imperialismustheorie hat ihre Ursprünge in Le­nins Impe­rialis­mus. Le­nins Imperialismus basiert auf der Arbeit von Bucharin, die gegen die orthodo­xe Theorie der zweiten Internatio­nale entwickelt wurde, wie sie beispiel­haft in Hilfer­dings Finanzka­pital zu finden ist. Sie legt dar, daß seit 1870 die Welt eine Kon­zentration und Zen­tralisierung der Produktion in riesige Mono­pole und Kartelle, die den nationalen Markt beherr­schen, erlebt hat. Dies brachte eine neue Ära des Monopolkapita­lismus hervor, der, auf jeden Fall für Lenin, das letzte Stadium des Kapitalismus war. Im Monopolka­pitalismus tendieren die riesi­gen Monopole zur Verschmelzung mit dem Finanzkapital und wegen der na­tionalen Bedeutung dieser riesigen Kapi­tale werden sie zunehmend vom Staat regu­liert und gefördert. Weil diese großen Kapi­tale, in Kartellen organi­siert, den Markt be­herrsch­ten, konnten sie die Produktion planen und die Preise festle­gen. Es gab nicht mehr die Anarchie des Marktes. Die Voraus­setzungen für eine zentra­lisierte und geplante sozialistische Wirtschaft waren gegeben. Es war nur noch nötig, daß die Arbeiterklasse die Macht übernimmt und die großen Mono­pole und Banken ver­staatlicht.

Aber um Monopolprofite machen zu können, beschränkten die großen Mono­po­le die inlän­dische Pro­duktion, um die Preise nach oben zu trei­ben. Eine verringerte Produk­tion be­grenzte die Investitionen, wor­aus beide Ten­denzen ent­standen - Über­produk­tion und Kapitalüber­schuß, der im Ausland investiert werden mußte. Das führte zu einem Drang auf ausländi­sche Märkte und Imperialismus unter dem Schutz des Staates, aber dies brachte jede imperialisti­sche Macht in Rivalitätskon­flik­te mit den ande­ren Mächten. Der orthodoxe/zentristische Kautsky ging davon aus, der impe­rialisti­sche Konflikt würde sich letztendlich friedlich in einem Ul­tra-Impe­ria­lismus auflösen. Le­nin sagte, er könne lediglich durch Krieg und Revolu­tion gelöst werden. Eine These, die er durch den Ersten Weltkrieg bewiesen sah.

Probleme der leninistischen Theorie

Erstens ist seine Analyse veraltet, wenn sie auf die aktuelle Si­tua­tion ange­wandt wird. Hilferdings Arbeit, auf der Lenins Ar­beit weit­gehend aufbaut, be­zieht sich auf die Ära des Mono­polkapitalismus zur Jahrhundertwende, speziell auf die Situa­tion in Deutschland. Aber mit der Entwicklung und Durchsetzung des For­dis­mus besteht die Teilung der Welt nicht mehr länger aus überaus­gebeuteten Kolo­nien, sondern vielmehr erscheint die Dritte Welt als marginalisierte Ökono­mien in­ner­halb des Weltmarktes, die das Kapital nicht vollständig ausbeuten kann.

Vielleicht ist noch wichtiger, daß Lenins Theorie des Imperialis­mus durch die Annahme einer Passivität der Arbeiter­klasse einge­schränkt ist. Die Arbeiterklas­se ist der am wenigsten entwickelte Aspekt in Lenins Imperialismus, während die Dynamik zum Krieg und die Mög­lichkeit der Planung völlig aus den Verhält­nis­sen in­nerhalb des Kapi­tals abgelei­tet werden. So wird die Arbeiterklasse als passiv gesehen, die durch objektive Bedingungen heranreifen muß, bevor sie in der Lage ist, ent­scheidend in Aktion zu treten. Das wird besonders deutlich in Le­nins Konzeption der Arbeitera­ristokratie in dem Sinn: die Arbeiter sind 'ge­kauft', und nicht in dem Sinn, sie haben Zugeständnisse er­reicht, die die Mono­pole zwangen, den Preis zu erhöhen. Deshalb ist das Ergebnis von Lenins Impe­ria­lismus, mit dieser Annahme der Passivität der Arbeiter­klasse, daß er die Bewe­gung zum Kom­munismus in den Wider­sprü­chen in­nerhalb des Kapitals als objek­tivem öko­nomischen System und nicht in der revolutionären Selbsttätigkeit der Arbei­ter­klasse lokali­siert.

Autonomie gegen die leninistischen Imperialismustheorien

Wenn die Unangemessenheit von Lenins Imperialismus, wie er auf den Golfkrieg angewandt wird, darin liegt, daß der Kern die 'Objekti­vität' ist, also das Kapi­tal, können wir ihn dann bekämpfen, wenn wir die "autonome" These der 'Sub­jekti­vität', also des Klas­senkampfes, der Midnight Notes benutzen? Die große Stärke der Mid­night Notes und anderer "autonomer" Marxisten ist, die Zentralität des Klas­senkampfes her­auszustellen. Mit ihrer Sicht der Klassenzu­sammensetzung, besonders der Idee des Massenarbei­ters, haben Midnight Notes und andere "Autono­me" die Notwen­dig­keit erkannt, über die Phase des Mono­polka­pita­lismus, wie er von Hilfer­ding beschrieben wurde, hin­auszugehen. Mit dem Bezug auf die Arbeiter­klas­se als autonome Kraft innerhalb und gegen das Kapital waren die "Autonome" in der Lage, den Fordismus und den Wider­stand dagegen zu begrün­den. Techno­logie und Organisa­tion der Ar­beiterklasse reflektieren von daher beide eine bestimmte Machtver­tei­lung als Ergebnis vorangegange­ner Kämpfe. Des­halb sind Gewerk­schaf­ten, Sozialde­mokratie und leninistische Parteien spezifische histori­sche Organi­sationsformen.

Midnight Oils große Kraft liegt in der Betonung des Klassenkamp­fes, ob es Wan­derarbeiter der Ölindustrie, irakische Deserteure, strei­kende Auto­ar­beiter, wild strei­ken­de Berg­arbeiter oder italienische Mietstreikende sind. Aber während die­ser Bezug auf die Selbsttätigkeit der Klasse die Stärke von Midnight Oil ist, ist er auch gleichzeitig seine größte Schwäche. Das Problem der Midnight Notes ist nicht ein­fach, daß sie den Klassenkampf überbetonen, sondern daß sie den modernen Kapi­ta­lis­mus nicht ausreichend verstehen. In der Konzen­tration auf die Kämp­fe neigen sie dazu, die Funktionsweise des Weltmarkts auf eine reine Macht­frage zu redu­zieren, wo das Kapital kollektiv die Preise diktiert, um die Arbei­ter­klasse anzugreifen.

Wert und Apokalypse

Für Marx ist der Kapitalismus nicht die letzte Wiedergeburt einer all­wissenden Megama­schine, die entstanden ist, um die Menschheit zu unter­drücken, und auch nicht eine einfache Vereinbarung, in der sich die Kapitalistenklasse bewußt ver­schworen hat, uns auszubeu­ten. Kapital ist vielmehr ein gesellschaftliches Ver­hältnis, durch das men­schliche Handlungen als eine fremde und objek­tive Macht gegenüber­treten, die menschlichen Willen subsumiert und für den be­dingungs­losen Drang zur eigenen quan­titativen Ausweitung benutzt. Als sol­cher ist Kapitalis­mus für Marx weit entfernt von einem bewußt regulierten System. Als eine Tota­lität ist Kapital ein Prozeß, der sich ständig aus den Konflikten selbst­erneu­ern muß und dafür den Widerspruch zwischen getrennten Individu­en und antagoni­sti­schen Klas­sen nutzen muß. Das heißt natürlich nicht, daß es keine be­wußten Ver­suche von Pla­nung oder Formen sozialer Koopera­tion, wie den Staat, gibt, aber das sind ein­zelne Mo­mente innerhalb des Ka­pitals als unbewußtem Sub­jekt und sie entstehen nur aus be­stimmten Kampf­bedingungen und der Konkurrenz zwischen Indi­viduen und Klas­sen.

Jenseits ihrer unterschiedlichen politischen Ansichten sehen so­wohl die Midnight Notes wie auch der orthodoxe Marxismus Lenins und Kauts­kys eine grundlegende Veränderung im Kapitalismus ver­glichen zu dem im Marxschen Kapital be­schriebenen – sie begreifen den modernen Kapi­talismus in der Ent­wicklung zu einem bewußt regu­lierten System.

Das hängt zusammen mit der Vorstellung davon, wie wir das Übergangsstadium zum Sozia­lismus/­Kom­munismus erreichen. Der orthodoxe Marxismus sieht das in erster Linie unter den Bedingungen der innerkapitali­stischen Verhält­nisse, in Form wachsender Staats­intervention und dem Wachstum der Monopole, die beide zu ge­planter Pro­duktion und Tausch anstelle Regu­lierung durch die Anarchie des Mark­tes führen, also die Über­windung des Wert­gesetzes. Die Midnight Notes/"Autono­men" sehen die Überwin­dung des Wertge­setzes dagegen mehr in der Tren­nung der Arbeit vom Kapital durch die Auto­matisierung der Produktion.

Das Fragment über die Maschinen

Die theoretische Basis für die Position von Midnight Notes, das Wertgesetz sei überwunden, liegt in dem inzwischen berühmten Abschnitt in den Grundrissen, der als Fragment über die Maschinen bekannt worden ist. Auf diesen Seiten beschreibt Marx lebhaft, wie das Kapital in seinem Drang, die gesellschaftliche Produktivi­tät der Arbeit durch Mecha­nisierung und letztlich Automatisierung der Produktion zu erhöhen, dazu führt, daß die Produktion immer weniger proportional zur ein­gesetzten Arbeitskraft ist. Da aber das Kapital nichts ande­res als die Aus­wei­tung entfremdeter Arbeit ist, treibt diese Tendenz das Kapital über seine eigene Grundlage hinaus. Folglich Krise und Apokalypse. Wie Marx schreibt:

»Sobald die Arbeit in unmittelbarer Form aufgehört hat, die große Quelle des Reichtums zu sein, hört und muß aufhören die Arbeitszeit sein Maß zu sein und daher der Tauschwert [das Maß] des Gebrauchswerts. [...] Das Kapi­tal selbst ist der prozessierende Widerspruch [dadurch], daß es die Ar­beitszeit auf ein Minimum zu redu­zieren [sucht], während es andererseits die Arbeitszeit als einziges Maß und Quelle des Reichtums setzt. [...] Nach der einen Seite ruft es also alle Mächte der Wissen­schaft und der natur, wie der gesellschaftli­chen Kombination und des gesellschaftlichen Verkehrs ins Leben, um die schöp­fung des Reichtums unabhängig (relativ) zu machen von der auf sie angewandten Arbeitszeit. Nach der anderen Seite will es diese so geschaff­nen riesigen Gesellschaftskräfte messen an der Arbeits­zeit, und sie einbannen in die Grenzen, die erheischt sind, um den schon geschaffnen Wert als Wert zu erhal­ten.«4

Die Vorstellung, es gebe eine Tendenz zur Aufhebung des Wertgesetzes ist zentral dafür, wie die Midnight Notes den Erdölpreis analysieren. Sie ermöglicht ihnen die Position, daß der Wert nicht länger ein notwendiger Maßstab/Regula­tor des Kapitals ist und somit die Arbeit zur reinen Form gesellschaftlicher Diszipli­nierung geworden ist. Folglich ist die Verweigerung der Arbeit nicht länger eine utopische Forderung. Und in dem Ausmaß, in dem die Arbeit vom Kapital getrennt und nicht länger durch den Wert vermittelt ist, haben wir es nur noch mit zwei antagonistischen Klassen zu tun, von denen jede ihre eigene Stra­tegie hat. Des­halb versucht der kollektive Kapitalist seine Macht zu erhalten, indem er Arbeit aufzwingt, und der kollektive Arbeiter versucht zu widerstehen und diese Arbeit zu ver­weigern.

In Midnight Oil versuchen die Midnight Notes, diese Tendenz einseitig anzuwen­den als wenn sie eine langfristige historische Tendenz sei, die nun real wird.5 Aber damit geraten sie in große Probleme. Wenn diese Tendenz real geworden ist, dann tritt das Kapital über seine eigene substanz hinaus. Wenn Kapital nicht die Selbst-Expansion von Wert ist, was ist es dann? Das Kapital verschwindet! Unre­digiert durch objektive Kategorien von Wert und Kapital sind wir alleingelassen mit zwei antagonistischen Subjekten, der 'kapitalisti­schen' Klasse und der 'Ar­beiter'klasse, die in einen apokalyptischen Kampf auf Leben und Tod verstrickt sind. Sind wir in einer solchen Epoche angekommen? Ist die fortdauernde Existenz von kapitalisti­scher Konkurrenz und Märkten lediglich eine Illusion aus der Ver­gangen­heit? Die Midnight Notes starren in den Abgrund und sehen die Konsequenzen einer solchen Schlußfolgerung, sie schrecken davor zurück: »[W]enn das Kapital nach Belieben die Energie- und Industriepreise aufgrund der Macht der multinationalen Konzerne verändern und manipulieren kann, d.h. unab­hängig von der Arbeitsmenge, die in die Warenproduktion eingeht, dann müssen wir Arbeit und Mehrwert (Ausbeutung) als unsere grundlegen­den Katego­rien aufgeben. Marx wäre dann zwar ehrenwert, aber gestorben. Wir müßten die Position eines Sweezy oder Marcuse über­nehmen, wonach Monopole und technolo­gischer Fortschritt das Kapital vom "Wertgesetz" unabhängig gemacht haben. (Dieses Gesetz besagt, daß Preise, Profite, Kosten und ande­re betriebs­wirt­schaftliche Einheiten sich an der Arbeitszeit messen {und von dieser erklärt werden}, die in die Warenpro­duktion und die Reproduktion der dafür benötigten Arbeiter eingeht.) Scheinbar kann das Kapital seine eigenen Gesetze brechen, der Klassen­kampf verlagert sich auf die Ebene des reinen Macht­kampfes, des "Willen zur Herrschaft", Macht gegen Macht; und die Preise werden Teil des Gewaltverhältnisses, willkürlich ausgelöst wie das Abfeuern eines Schus­ses.«6

Stattdessen versuchen sie, das Problem zu umgehen, das sich aus der Aufgabe des Wertgesetzes ergibt, indem sie behaupten, nur bestimmte Sektoren seien vor der Arbeit geflüchtet, aber diese Sektoren − Erdöl und Nahrungsmittel − sind grund­legende Bedarfsgüter, deren Preis alle anderen Preise bestimmt. Sie können des­halb als Waffe benutzt werden, durch die der Kapitalismus als weltweites System ge­gen die Arbeiter­klasse organisiert werden kann. In mehreren Artikeln, vor al­lem [den bereits zitierten] Anmerkungen zur internationalen Krise setzen sie die politische Kontrolle über das Erdöl als selbstverständlich voraus, aber in Die Arbeits/Energie-Krise und die Apokalypse [The­Kla 12] versuchen sie eine Erklä­rung in Begrif­fen unterschiedlicher organischer Zusammensetzungen des Kapi­tals.

Mit Marx behauptet Die Arbeits/Energie-Krise und die Apokalypse, daß der Aus­gleich der Profitrate bedeutet, daß sich die Preise von den Arbeitswerten unter­scheiden müssen, weil sich das Verhältnis von lebendiger zu toter Arbeit in den verschiedenen Industriebran­chen unterscheidet. Da Mehrwert nur von lebendiger Ar­beit angeeignet werden kann, können Industriebranchen, die eine große Menge Ar­beit im Verhältnis zu den in ihnen angewandten Produktionsmitteln ausbeuten (al­so diejenigen mit einer niedrigen organischen Zusammen­setzung), relativ mehr Mehrwert produzieren als Kapital, das in stark mechanisierten Industriebranchen angelegt ist (also Kapital mit einer hohen organischen Zu­sammensetzung). Der Ausgleich der Profitrate geschieht durch den Transfer von Mehrwert von den Bran­chen mit niedriger organischer Zusammensetzung zu denen mit hoher organischer Zusammen­setzung. Damit dies stattfinden kann, müssen in Branchen mit hoher orga­nischer Zu­sammensetzung die Preise höher als die Werte sein und niedriger in Branchen mit niedriger organischer Zusammensetzung.

Davon ausgehend versuchen die Midnight Notes dann, Marx umzudrehen, indem sie behaupten, dies beweise, daß Preise von Werten entkoppelt sein können in Bran­chen mit hoher organischer Zusammensetzung wie Nahrungsmittel und Erdöl. Aber Marx versuchte genau das Gegenteil zu zeigen, nämlich wie trotz der Veränderun­gen in Preisen und Werten gleichwohl die Werte die Produktion und den Tausch regulie­ren.7 Und gerade durch die Analyse der Heraus­bildung der Durchschnitts­pro­fitrate und der Herausbildung der Produktionspreise, die syste­matisch von den Werten abweichen, zeigt Marx, wie das 'Wertgesetz' − vermittels der Konkurrenz zwischen einzelnen Kapitalisten − jedes individuelle Kapital dazu zwingt so zu handeln, als sei es nur ein besonderer Teil eines allgemeinen Kapitals, trotz aller bewuß­ten Absichten auf seiten der Kapitalisten selbst.8

Selbst wenn wir also akzeptierten, daß Energie und Nahrungsmittel Berei­che hoher organischer Zusammensetzung sind − was wir nicht tun9 − hat The Work­/­Ener­­­­­­gycri­sis and the Apocalypse keinen ausreichenden theoretischen Grund unter den Füßen. Und Midnight Notes geben das sogar selbst zu, wenn sie einräumen, daß die Kapi­tali­sten nur 'scheinbare Freiheit' haben, wenn es darum geht, die Erd­ölprei­se unab­hängig von der Arbeit, die in die Erdölproduktion eingeht, festzu­setzen.10Aber erst anhand der Geschichtsbetrachtung der Midnight Notes wird die Bedeu­tung die­ser theoreti­schen Lücken deut­lich.

Erdöl als Geschichte

Ist es richtig, wie die Midnight Notes behaupten, daß die Geschichte des Nach­kriegs-Kapita­lis­mus die Ge­schichte von Veränderungen des Erdölpreises ist? Bekanntlich sprengten in den späten 60er Jahren Arbeiterkämpfe den Lohn-Pro­duk­ti­vitäts-Deal des Keynesianis­mus. Arbeiter forderten ›mehr Geld - weniger Ar­beit‹, und das führte zu einem Einbruch der Profite. Die Midnight Notes be­haupten, das ›Kapital‹ (in Form der USA) habe als Antwort auf diese Offensive die ›Energiekri­se‹ eingesetzt, indem sie die Ölpreise nach oben trieben, was zu einer Umstruktu­rierung des Kapitals und zu Reallohnver­lusten führte. So führte die Vervierfa­chung der Erdölpreise 1973-74 zu riesigen Profiten der Ener­gieun­ternehmen und erd­ölproduzieren­den Länder, die dann als Petrodollars recy­clet wurden und massi­ven Investitionen in die Automatisie­rung von Fabriken sowie die Produktionsver­lagerung in die "neu industrialisierten Ländern", wo die Ar­beit billiger war, ermöglichte.

Nachdem das Kapital den Erdölpreis hochgetrieben hatte, führen die Midnight No­tes aus, mußte es ihn auch wieder nach unten bringen. Denn Mitte der 70er Jahre hat­ten sich erdölproduzierende Staaten im Nahen Osten, Nordafrika und in der Karibik breiten [popular] Forderungen gebeugt und ›vergeudeten‹ die erhöhten Erdöl-Ein­nahmen in Form von höheren Löhnen und Sozialausgaben. Die höheren Erd­ölpreise führten nicht nur dazu, daß das Erdölproletariat höhere Löhne forderte, sondern ermutigten es, in Ländern wie dem Iran auch dazu, ihre Herrscher zu stürzen und zu ver­suchen, Kontrolle über den Reichtum zu erlangen, den sie pro­duzierten.

Deshalb, so behaupten die Midnight Notes, verließ das Kapital in den 80er Jahren seine Strategie, die Erdölpreise hoch zu halten und setzte Austeritätsmaßnahmen durch. Dies schloß notwendigerweise ein, daß der Erdölpreis gesenkt wurde, um das Erdölproletariat anzugreifen. Deshalb setzte die US Federal Reserve Bank eine globale Verlangsamung [slowdown] ins Werk, indem sie das Geldangebot ein­schränk­te, was zu einem scharfen Anstieg der Zinsraten führte, und in Verbindung mit einem Verlust an Einnahmen durch den Export die Schuldenkrise auslöste. Als hauptsächlicher Exekutor des Kapitals verschrieb der IWF den Schuldnerländern Austeritäts­maßnahmen, das heißt ein vorteilhafteres Investitionsklima und Pro­duktion für den Export. Midnight Notes zufolge führte aber der Widerstand der Arbeiter­klasse gegen die Austeritätspolitik dazu, daß die Rückzahlung der Schul­den der Dritten Welt gefährdet war. Dies zwang die USA dazu, den Dollar um die Hälfte abzuwerten, wodurch auch die (in US-Dollar berechneten) Schulden sich halbierten, um das globale Bankensystem zu retten.

Wie erwartet führte diese Ausweitung der Austeritätspolitik zu einem heftigen Widerstand der Arbeiterklasse, so daß, wie die Midnight Notes ausführen, Ende der 80er Jahre das Kapital das Scheitern seines Austeritäts­programms festge­stellt hätte und daß es deshalb eine massive Expansion mit riesigen neu zu er­schlie­ßen­den Gebieten wie Rußland und China plante. Die Vorstellung war, daß die bil­lige Arbeit und Rohstoffe des sozialistischen Blocks dazu genutzt werden könn­ten, die Löhne der ArbeiterInnen im Westen zu untergraben. Aber angesichts der weltweiten Rezession waren die Investitionen knapp, deshalb sollten die Erd­öl­preise als Motor benutzt werden, um zusätzliche Mittel für eine allgemeine Um­strukturierung der globalen Akkumulation bereitzustellen. Diese Umstrukturierung sollte sich auf die Reorganisierung der Erdölindustrie konzentrieren, besonders in den Gebieten, wo sie nationalisiert worden war. Das internationale Kapital hoffte, diese Gebie­te als Ergebnis fallender Erdölpreise zwangsweise öffnen zu können; aber als der IWF versuchte, Ölstaaten wie Nigeria, Venezuela, Algerien und Marokko zu zwingen, Sozialausgaben und Löhne zu kürzen, kam es zu massenhaf­ten Aufständen. Deshalb, so führen die Midnight Notes aus, konnten die Erdöl­preise nur dann erhöht werden, wenn eine massive Steigerung der Repression die Proleten davon abhielte, sich eine Scheibe der geplanten Erdöleinkom­men anzueig­nen, wie es die 70er und 80er Jahre über passiert war.

Den Midnight Notes zufolge ist der Golfkrieg somit entstanden aus dem Prozeß der Rekolonisierung in den späten 80er Jahren, der auf den Kollaps des sozialisti­schen Blocks folgte. Um die Erdölfelder im Ostblock, in Mexiko und Nigeria zu öffnen, bedurfte es einer neuen Welle von Investitionen, um sie profitabel zu machen. Aber die lokalen Regimes könnten sich dazu gezwungen sehen, einen Teil der erhöhten Einnahmen den Proleten zu geben. Den Mid­night Notes zufolge wurde der Golfkrieg also gebraucht als Beispiel, um die Proleten zu terrorisieren, damit sie ein Leben in extremer Armut inmitten gigantischer Akkumulation von Reichtum akzeptieren. Deshalb »war die Re-Organisierung der ArbeiterInnen in den bedeutendsten erdölpro­du­zierenden Regionen des Planeten kein zufälliges Nebenprodukt des Kriegs, sondern eher sein zentrales Anliegen, und zwar eines, das trotz einiger Streitereien [unterein­ander], von den herrschenden Klassen von Irak, Ku­weit, Saudi Arabien, Europa und den USA geteilt wird. Da die Erdölindustrie im Nahen Osten (und international) dabei war, ihre größte Expansion in den letzten 15 Jahren vorzubereiten, mußte sie ein zuneh­mend rebellisches erd­ölproduzierendes Proletariat sowohl neuzusammen­setzen wie terrorisieren. Vor dem Hintergrund einer ›internationalen Intifada‹ gegen die IWF-Austeri­täts­pläne hatte jeder neue Versuch, inmitten neuer, auf der Erhöhung des Erd­ölpreises gründender Akkumulationswellen von Reichtum die Lebensbedin­gungen der ArbeiterInnen auf breiter Grundlage zu ver­schlechtern, zur Vor­aussetzung, daß die Militarisierung sprunghaft angehoben wird.«11

Das Abgleiten in die Verschwörung

Das zentrale Problem von Midnight Oil besteht darin, daß ihr Versuch, die Ge­schichte des Kapitalismus auf die Geschichte der Veränderungen der Erdölpreise zu reduzieren, in der Tendenz zu einer Verschwörungstheorie führt, wo ein ver­einig­tes Kapital die Energiepreise manipuliert, um die Arbeiterklasse anzugrei­fen. Niemand bestreitet die Auswirkung/­Bedeutung [impact] der Erdölpreise, oder ihre Rolle bei der Umstrukturie­rung des Kapitals nach der Offensive der Arbei­terklasse in den 60er und 70er Jahren, aber die Analyse von Midnight Notes igno­riert völlig die Bedeutung der Entwicklung des globalen Fi­nanzkapitals. Denn da das globale Finanzkapital jenseits der Kontrolle jeder Regierung agiert, unter­gräbt es die Vorstellung der Midnight Notes von einem ver­einigten Kapital, das bewußte Kon­trolle ausübt.

Ebensowenig gelingt es den Midnight Notes, an irgendeiner Stelle in Midnight Oil zu zeigen, wie und von wem Erdölpreise manipuliert werden. Wer entscheidet über ›die Strategie des Kapitals‹? Überdies belegt die von ihnen zitierte ›Dokumenta­tion‹ zum Beweis der Konspiration der USA mit der OPEC zur Verdreifachung der Erdölpreise ihre Behauptung nicht.12 Sie zeigt nur, daß vor dem Hintergrund der Verdreifachung der Erdölproduktion und der Ex­plora­tions­ko­sten in den USA die amerikanische Erdölindustrie in der Lage war, die US-Re­gie­rung zu beeinflussen, nicht zu intervenieren, als zunächst Libyen und dann die anderen Staaten die Gelegenheit der Krise in der Erdölindu­strie dazu benutz­ten, die Pre­ise auf Höhen zu treiben, die von den am Rande der Profitabilität liegenden Produzenten in den USA be­stimmt waren. Die Erdölkrisen von 1973, 1979 und 1986 lassen sich bes­ser als kritische Kon­junkturen [Zusammen­treffen] in der Entwicklung der Erdölin­du­strie weg von der bewußten und geplanten Regulierung der Produktion und des Aus­tauschs durch die großen Sieben, von der US- und der britischen Regierung unter­stützten, Erdölge­sellschaften hin zu einem vereinigten Erdölmarkt verste­hen, der zu einem großen Teil nicht mehr von Regie­rungen und Monopolen bewußt zu regulie­ren ist.

Die Begrenzungen der Methode und Analyse von Midnight Notes werden kraß deutlich in den Artikeln Oil, Guns and Money und Rambo on the Barbary Shore. Obwohl Rambo on the Barbary Shore sich vorgeblich damit beschäftigt, wie Saudi Arabien die Erd­ölproduktion 1985-86 verdoppelte und wie das mit dem US-Bombardement von Li­byen zu­sammenhängt, faßt es in Wirklichkeit Midnight Noteś Konzeption davon zusammen, wie das Kapital den Markt manipuliert. Dieses Argument wird zusammen­gefaßt in Oil, Guns and Money, wo sie in bezug auf die 50%ige Abwertung des Dol­lar im Jahr 1985 folgenden Standpunkt vertreten:

»Dieses Manöver verminderte mit einem Schlag den Wert der Schulden, die Länder wie Mexiko und Polen aufge­häuft hatten, um die Hälfte. Aber dies geschah nicht aus Nächstenliebe. So wie die Senkung der Zinssätze 1983 durch Mexikos Moratori­um ausgelöst worden war, wurde die Dollar­abwertung durch Südafrikas Moratori­um auf Rückzahlun­gen an aus­ländische Banken im August 1985 ausgelöst. Die Möglich­keit, daß das süd­afrikanische Kapital dem Kämp­fen der schwarzen Arbeiter im ei­genen Land unterliegen könnte und daß diese Maßnahme andere Regierungen auf der Welt dazu veranlassen könnte, ebenfalls Schulden­rückzahlungen zu stoppen, reich­te aus, um das westliche Kapital dazu zu bringen, die Bedingungen der weltweiten Verschuldung zu ändern. In dieser Manipulation monetärer Werte sehen wir die kapitalisti­sche Planung auf ihren abstraktesten und am meisten ver­dinglichten Ebenen, wo Entscheidun­gen, scheinbar weit weg von der Arbeit im Betrieb oder in der Küche letztlich die allertiefsten Auswirkungen mit sich bringen. Eine der wichtigsten Konsequen­zen der Dollarabwertung war zum Beispiel die gleich­zeitige Verbilligung des Erdöls. Und während des freien Falls des Dollars verdoppelte Saudi Arabien seine Produktion innerhalb von neun Monaten und halbierte damit den Erdöl­preis. Die US-Regierung arrangierte diese Verbil­ligung des Erdöls, da­mit die Kosten für die Importe in die USA nicht in schwindelerregende Höhen schossen. Denn mit einem Dollar, der nur noch halb so viel wert war, wären die Importe, besonders von Erdöl, doppelt so teuer geworden. Die USA waren sowieso schon auf dem Weg, zum größten Schuldner­land der Welt zu werden, und es gab die Befürchtung, daß die Dollar­abwer­tung sie über den Rand der Solvenz gestoßen hät­te. Diese Doppelmanöver von 1985-86 − die Dollarabwertung und Ölpreis­senkung − zeigen, wie der inter­nationa­le Markt vom Kapital bewußt struktu­riert wird.«13 Diese ganze Analyse ist voller Fehler, wie sie für die theoretischen Unzuläng­lichkeiten der Midnight Notes sym­ptomatisch sind. Zunächst wurde der US-Dollar nicht einseitig und auf einen Schlag abgewertet. Die auf das Plaza-Abkommen fol­gende Dollar­abwertung zog sich über beinahe zwei Jahre hin und erforderte die konzertierte Aktion der Zentralbanken der größten Industriemächte, deren Reser­ven nur einen Bruchteil der riesigen Kapitalflüsse ausmachten, die sich auf den in­ternationalen Geldmärkten drängen. Zweitens halbiert die Abwertung nicht unbe­dingt die Schulden der USA, vor allem dann nicht, wenn diese in US-Dollar ausge­drückt werden und der Exporteur, z.B. Mexiko, hauptsächlich mit den USA Handel treibt. Es ist richtig, daß der Widerstand gegen die Schulden zur Um­schuldung im Bakerplan führte und gleichzeitig die Strategie der US-Regierung begrenzte, die Zinsraten zur unbegrenzten Ver­teidigung eines überbewerteten Dollars einzuset­zen; stattdessen mußten sie den Dollar in internationaler Kooperation 1985 ab­werten. Aber wir können nicht einfach Fluktuationen des US-Dollars mit der Fest­setzung des Erdölpreises erklären, wozu die Midnight Notes nei­gen. Den Wert des Dollars zu halbieren bedeutet nicht, daß die Erdölpreise hal­biert werden müssen, um die Außenhandelsschulden der USA nicht zu verdoppeln, denn der Preis des Erd­öls wird in Dollar festgelegt. Folglich zeigen die Doppel­manöver von 1985-86 nicht, wie der internationale Markt vom Kapital strukturiert wird, sondern im Gegenteil, wie Versuche zur bewußten Regulierung internationa­ler Märkte höchst begrenzt sind!

Verschwörung um Mitternacht?

Alles in allem ist Midnight Oil ein wichtiges Buch, denn seine hartnäckige Beto­nung der Kämpfe der Arbeiterklasse ist ein wichtiges Korrektiv zum Ob­jekti­vismus des Lenińschen Imperialismus und seinen Vertretern. Aber es ist verhee­rend un­tergraben von der Tendenz der Midnight Notes, bestimmte Ergebnisse der bewußten Strategie eines vereinigten Kapitals zuzuschreiben. Das ganze Buch hindurch ge­lingt es den Midnight Notes nicht zu zeigen, wie sich das Kapital kon­stituiert. Sie deuten an, daß der US-Staat die Strategie des Kapitals formuliert, können dann aber nicht erklären, wie die US-Politik formuliert wird. Das Problem be­steht darin, daß die Konzeption der Midnight Notes von einem ver­einigten Kapi­tal darauf hinausläuft, daß sie Kapitalismus mit den Aktionen der individuellen Ka­pitali­sten zusammen­laufen lassen. Kapitalismus hat keine Strategie, auch wenn Kapita­listen unter­schiedliche Strategien verfolgen. Kapita­lismus als eine Tota­lität wird über den Weltmarkt vermittelt und entsteht aus dem Konflikt zwischen und innerhalb der unterschiedlichen Kapitale und der Arbeiterklasse.

Selbst wenn das Kapital eine Strategie hätte (was es nicht hat), so können die Midnight Notes nicht erklären, wie es organisiert ist und von wem. Wenn wir vor­aussetzen, daß die Midnight Notes das Kapital als undifferenzierte Einheit se­hen, die eine abgestimmte Strategie gegen die Arbeiterklasse durchsetzt, dann würden wir es akzeptieren, daß sie sich auf Organisationen wie die UNO, den IWF, G7 usw. konzentrieren. Zu diesen Organisationen, die als Arenen angesehen werden könnten, um die ›Strategie des Kapitals‹ auszuarbeiten, legen sie aber sehr we­nige Analy­sen vor. Eine solche Unterlassung kann aber nicht einfach ein Fehler der Midnight Notes sein, es ist eher eine Konsequenz ihrer Methode, die nicht auf Spaltungen innerhalb des Kapitals schaut, weil ihre Theorie sol­che Spaltun­gen wegdefi­niert hat.

Sobald ihre Konzeption eine vereinigten Kapitals auf konkrete Ereignisse ange­wandt wird, springen ihre Ungereimt­heiten ins Auge. Zum Beispiel betrachteten die Midnight Notes den Golfkrieg als eine vom kollektiven Kapital durchgesetzte, verabredete Strategie zur Durchsetzung höherer Ölpreise. Zu Beginn veranlaßte sie das, die Position einzunehmen, daß es nicht zum Krieg kommen würde,14 höch­­stens zu Scheingeplänkel. Denn warum sollte es zum Krieg kommen, wenn es letzt­lich keine fundamentalen Meinungsver­schiedenheit zwischen dem Irak und den USA gab? Als sie dann aber durch die Er­eignisse gezwungen waren zu­zugeben, daß Krieg ge­führt wurde, reduzierten sie die­sen auf die Militarisierung der Erdöl­produk­tion durch das kollekti­ve Kapital. Dies führt tendenziell zur Aussage, daß der Irak und die USA die Invasion Ku­weits insgeheim – via April Glaspie – abge­spro­chen hatten, als Teil einer koor­dinierten Strategie zur Erhöhung der Erdöl­prei­se. Während die Invasion von Ku­weit eine Konsequenz aus der Unfähigkeit der Ba'ath-Partei war, Austeritätsmaß­nah­men gegen die eigene Arbeiterklasse durch­zusetzen, trifft es nicht zu, daß sie Teil eines koordinierten weltweiten Plans zur Mili­tarisie­rung der globalen Erd­ölindustrie war, wie man an der "Unordnung" in der Antwort der US-Regierung deut­lich sehen kann.

Indem sie den Ereignissen eine vordefinierte Konzeption eines vereinigten Kapi­tals aufzwingen, sind die Midnight Notes in der Lage, ihre Position zum Golf­krieg zu wechseln vom ›ge­fälschten Krieg‹ [phoney war] zu einer Methode des ira­kischen Regimes, Austeritäts­maß­nahmen durchzusetzen. Dies kulminiert in ihrem Argument, daß der irakische Staat nicht glaub­te, daß die USA intervenieren wür­den, und selbst wenn er das glaubte, daß es dennoch in den Interessen des Ba'ath-Regimes lag. Es ist wahr, daß die hauptsächlichen Ziele des UNO-Bombarde­ments Zivilisten waren, Infrastruktur und Truppen auf dem Rückzug, welche die Haupt­kraft der Re­volte im Irak ausmachten; aber daraus zieht Midnight Notes die Schluß­folgerung, daß der Krieg im Interesse der Ba'athisten war, weil er es ih­nen schließlich ermög­lichte, Austeritätsmaßnahmen gegen die irakische Arbeiter­klasse durchzuset­zen. Dabei war der Tri­umph des Ba'ath-Staates über die Aufstän­de der Arbeiter­klasse alles andere als garantiert. Und es ist nicht wahr, daß der ira­kische Staat das völlige Zerbomben [saturation bombing] suchte, was zur mas­siven Zer­störung von produk­tivem Kapital führte und zur Gefahr des Um­sturzes, weil er eventuell annahm, dies würde seine Fähigkeit zur Durch­setzung von Auste­ri­täts­maßnahmen verbessern. Wenn wir die dezimierten Erdölindustrien von Irak und Ku­weit aus­nehmen, dann gelingt es Midnight Notes nicht zu zeigen, daß die Erdölpro­duktion nach dem Golfkrieg stärker militarisiert ist als zuvor. Und selbst vor dem Hintergrund des Bür­gerkriegs in Jemen kostet das Erdöl heute etwa 16$ pro Barrel, also das gleiche wie vor dem Krieg. Dies ist also keinesfalls die massen­hafte Erhöhung der Erdölpreise, welche die Midnight Notes als Ergebnis der durch den Golfkrieg vom kollektiven Kapital durchgesetzten Mili­tarisie­rung der Erdölin­dustrie erwarteten. Und angesichts der Tatsache, daß die Erdölpreise in naher Zukunft auf 13-14 Dollar pro Barrel sinken werden, können wir schlie­ßen, daß das Kapital entweder keine Strategie der hohen Erd­ölpreise verfolgt, oder daß es nicht in der Lage war, eine solche durchzusetzen. Es ist klar, daß die Erdölprei­se nicht als Motor für eine neue Akkumula­tionsphase funktionie­ren, wel­che die Welt aus der Rezession zieht.

Und wenn wir schließlich die Theorie der Midnight Notes auf andere Konflikte wie in Somalia und Jugoslawien anwenden, bricht ihre Methode zusammen. Der Krieg im früheren Jugoslawien ist ein perfektes Beispiel für die Uneinigkeit und Spaltun­gen zwischen den verschiedenen Kapitalien.15 Während die Lenini­sten den Kon­flikt als impe­ria­listischen Krieg sehen, den Stellvertreter auskämp­fen, ten­die­ren die "au­tonomen" Analysen dazu, ihn als Kon­spiration eines vereinig­ten Kapi­tals zu se­hen, das Nationalis­mus und Krieg dazu benutzt, eine kämpferi­sche Ar­beiter­klasse zu spalten und zu unterwerfen. Diese beiden Positionen stel­len die ent­gegenge­setz­ten Seiten derselben undialek­tischen Münze dar. Solche Kon­flikte kön­nen wir the­oretisch nur verstehen, wenn wir verstehen, wie der Klassenkampf durch Kon­kur­renz ver­mittelt wird und umgekehrt. Die Antipathie der "Autonomisten" dialekti­schem Denken gegenüber bedeutet, daß sie zwar die Schmähre­den der Anti­imperiali­sten korrigieren, sie aber nicht überwinden [supersede] kön­nen.

Fußnoten:

[1] Midnight Oil − Work, Energy, War, 1973-92. Midnight No­tes. Autono­media, Broo­klyn 1992; − auf deutsch zusam­men mit anderen Texten in: TheKla 10 - Zerowork, TheKla 12 - Arbeit, Entro­pie, Apokalypse, TheKla 14 Ölwech­sel und TheKla 17 - Mid­night Oil erschienen.

[2] Sie erklären an anderer Stelle das Problem, den Begriff "Operaismus" ins Englische zu übersetzen; meisten schreiben sie deshalb "autonom" oder "autonomist". Das ist historisch nicht ganz korrekt, reicht aber für den hier behandelten Zusammenhang aus. Um Mißverständnisse zu vermeiden, haben wir das Wort dann jeweils in " " gesetzt; d.Ü..

[3] Wenn Kreuzfahrer und Assassinen sich zusammentun, muß das Volk sich in acht nehmen, Beilage Wildcat 54.

[4] Karl Marx, Grundrisse, Berlin 1953/74, S. 593.

[5] Die Konzeption dieser Tendenz des Kapitals, das über das Maß des Werts hinausgetrieben wird, sieht der stärker mechanistischen Analyse des tendenziellen Falls der Profitrate des orthodo­xen Marxismus verblüffend ähnlich. Dies ist vielleicht nicht völlig über­raschend, man könnte nämlich ver­treten, daß in den Fragmenten über die Maschinen in den Grundrissen Marx noch dabei ist, seine Theorie der fal­lenden Profitrate auszu­arbeiten − so hat er zum Beispiel die Kategorie des konstanten Kapitals an diesem Punkt noch nicht entwi­kelt. Jedenfalls erklären die Midnight Notes nicht explizit, wie sie diese Tendenz selbst sehen, und unter­drücken Versuche, diesen Punkt zu klären. Und zwar dadurch, daß sie Versuche, diese Passagen in ih­rer Bezie­hung zum Rest der Marxschen Theorie zu klä­ren, als pure 'Marxologie' abtun.

[6] Midnight Oil S. 235; hier zitiert nach TheKla 12 S. 42.

[7] Dennoch liefern die Midnight Notes eine wichtige Analyse, wie sich die Erfahrung der Arbeiter von Ausbeutung mit unterschiedlicher organischer Zusammensetzung ändert. In bezug auf die Energiekrise stellen sie fest: »Das ganze Bild vom Arbeiter scheint sich mit dieser Neuzu­sammen­setzung des Kapitals aufzulösen. Der bullige "Blue Collar"-Fließbandarbeiter verblaßt in der Ölkrise, löst sich in die weibliche Dienstleistungs­arbeite­rin und den abstrakten Computerprogrammierer auf. Die großen Konzentrationen von Fabrik­arbeitern, die sich als dermaßen explosiv erwiesen hatten, werden zerstreut; das spezifische Gewicht der Gegenwart des Arbeiters wird dramatisch vermindert. [...] [D]ie ge­waltigen Wanderungs­bewegungen "um Arbeit zu finden" [löse­n] mili­tante Kreise auf; die alten Hochburgen der Käm­pfe werden isoliert und erscheinen altertümlich, bei­nahe lächerlich.« Midnight Notes S. 234 f.; zitiert nach TheKla 12, S. 41.

[8] Vielleicht am erstaunlichsten überhaupt ist die Tatsa­che, daß Midnight Notes keine Theorie der Rente haben! Für uns liegt es klar auf der Hand, daß eine Betrachtung der Rententheorie notwendig ist, wenn man die Festset­zung des Erdölpreises angemessen verstehen will. Und in der Tat scheinen die Midnight Notes manchmal [at points] darüber verblüfft zu sein, wie es möglich ist, daß Erdöl zu produ­zieren im Nahen Osten nur ein paar Cents pro Barrel kostet, und man das gleiche auf den Erdölmärkten für 20 bis 30 Dollar verkaufen kann. Für sie dient das alles nur als weiterer Beweis dafür, daß Erdölpreise festge­setzt werden. Das ist aber nichts Neues und wurde von Marx bereits in Teil VI im dritten Band des Kapital behandelt als ein besonderer Fall der Wirkung des 'Wertge­setzes'. Alle natürlichen Ressour­cen haben keinen immanenten Wert, da sie nicht von menschlicher Arbeit hergestellt wurden. Sie haben nur insofern Wert, als sie gehoben und dorthin trans­por­tiert werden müssen, wo sie gebraucht werden. Freilich können sich natürli­che Bedingungen stark verän­dern. Die Erd­ölförderung in der Nordsee oder in den USA ist wesent­lich teurer als im Nahen Osten, und so lange solch teures Erdöl nötig ist, um die weltweite Nach­frage zu befriedigen, ist es der Wert dieser margi­na­len High cost-Produzenten, der den Preis des Erdöls bestimmt. Der Unterschied zwi­schen diesem Marktpreis und dem Low cost-Erdöl, der eine höhere als die Durch­schnittsprofitrate ermöglicht, kann insoweit als Rente gefaßt werden, als Eigentumsrechte als Barriere gegen die Konkurrenzbewegung des Kapitals wirken können, welche notwendig ist zum Ausgleich der Profitrate. Natürlich können solche Eigen­tumsverhältnisse bestrit­ten und manipuliert werden, da die Preise einer höchst strategischen Ware wie dem Erdöl zu einem großen Teil auch politisch bestimmt werden, aber es bleibt zu zei­gen, wie im Fall des Erdöls diese Manipulation das 'Wertge­setz' widerlegt. Siehe The economics of the oil crisis von C. Binia, der die historische Entwicklung der Ölpreisfestsetzung auf Marxens Rententheorie zu bezie­hen versucht und gleichzeitig die Vorstellung zurück­zuwei­sen versucht, daß die Erdölpreise einfach von der OPEC, den Erdölmultis oder der US-Regierung manipu­liert seien.

[9] Die organische Zusammensetzung des kapitals wird ge­messen als verhältnis vom Wert der Produktionsmittel C (konstantes Kapital) zum Wert der lebenden Arbeit V (variables Kapital), die im Produktionsprozeß ver­braucht werden. Es ist vielleicht klar, daß die Atom­industrie eine Branche mit hoher organischer Zusammen­setzung des kapitals ist, aber die Produktion von Erd­öl? Auch wenn man einräumt, daß die Erdölproduktion große Mengen an fixem Kapital zur Produktion und zum Transport des Rohöls erfordert im Vergleich zur einge­setzten Arbeit, so wird dieses fixe Kapital aber über viele Produktionszyklen hinweg eingesetzt. So daß die menge in einem einzelnen Produktions­zyklus sehr viel niedriger ist als es auf den ersten Blick scheinen mag. Zweitens hat, anders als im verarbeitenden Gewer­be, der Basisroh­stoff, Erdöl im Boden, keinen Wert. So besteht das kon­stante Kapital also nur in Hilfsmate­rialien wie zum Beispiel Strom, um die Pumpen zu be­treiben und so wei­ter.

[10] »Wie erklären wir dann die scheinbare Freiheit des Kapitalisten beim Festsetzen der Ölpreise, unabhängig von der Arbeit, die in Öl­produktion (d.h. vom Wert) eingeht?« Midnight Oil, S. 235 - zitiert nach The­Kla 12, S. 42.

[11] Midnight Oil, Einleitung S. VIII.

[12] Foreign Policy 25. Winter 1976. Oppen­heim, V. H. »Why Oil Prices Go Up: The Past, We Pushed Them«.

[13] Mid­night Oil, S. 13 – siehe auch TheKla 14; darin hatten wir aber die ur­sprüngliche Fassung von Oil, Guns and Money übersetzt, wie sie in einer Broschü­re während des Golf­kriegs erschienen war. Für das Buch haben die Midnight Notes den Text überarbei­tet, obige Stelle fehlt im Original und somit auch in TheKla 14.

[14] Siehe: Wenn Kreuzzügler und Assassinen...

[15] Siehe: Class Decomposition in the New World Order: Yugoslavia unravelled. Aufheben Nr. 2.

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