Wildcat-Zirkular Nr. 16 - Juni 1995 - S. 10 [z16abdem.htm]


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Hier ein paar Eindrücke von der Demo am 7.5.1995 gegen den zentralen Abschiebeknast von NRW in Büren. In den Tagen davor und danach hat es eine ganze Reihe weiterer Aktionen zu Abschiebungen gegeben, bei denen auch einige von uns anwesend waren, wozu es aber keine Berichte gibt: Z.B. die Blockade des Abschiebeknast für Frauen in Neuß am 9.5., die Demos in Bremen, Gütersloh und vor dem neuen Abschiebeknast in Düsseldorf-Gerresheim am 13.5., sowie eine Reihe von Aktionen der Gefangenen selber. Zu dem Widerstand der Flüchtlinge folgt noch ein Bericht über die Razzia und die Aktionen der Vietnamesen in Berlin. In der Box wurde kritisiert, daß es sich bei den Aktionen gegen die Abschiebeknäste um ein »Modethema« handele: »Kein Bezug weder zu dem kapitalistischen Herrschaftssystem Knast oder zur Arbeit. Da wird eine Gruppe von Gefangenen herausgepickt, von den einen, weil es Opfer seien, und von den anderen, weil es die einzigen seien, die kämpfen. Letztere sind mir etwas sympathischer, auch wenn beide Ansätze aufs selbe hinauslaufen. Hab gehört, daß Algerier die in NRW kriminell werden, angeblich laut einer Verfügung, möglichst nicht in Knäste gesteckt werden sollen, weil die Aufstände, Selbstmorde, usw. vor allem von ihnen ausgehen würden. Wir hätten ein eigenes Flugblatt verteilen können.« (T.) Letzteres haben wir sogar getan, ein erste Fassung war auch in der Box, nur leider hat es nicht geklappt, die Herstellung und das Verteilen gemeinsam zu organisieren. Daher mag es dann etwas untergegangen sein. Im Folgenden kommen zwei Berichte aus Paderborn über den Ablauf der Demo, sowie ein paar Überlegungen, wie wir in Zukunft gezielter unsere Positionen darstellen können. Im Anschluss daran das Flugblatt, das während der Demo verteilt wurde.

Kurze Eindrücke von der Demo am 7. Mai gegen den

Abschiebeknast in Büren

Mit etwas Verspätung begann die Demo mit einer Kundgebung vor dem Abschiebeknast, der 7 km von Büren entfernt im Wald liegt. Es waren ca. 1800 Leute da, von der Anzahl waren selbst die Bullen überrascht, sie lösten aus Kräftemangel die Bezirksreserve aus. Die Demo war recht bunt, jede Menge Transpis und Leute aus verschiedensten politischen Gruppen. Vor dem Knast wurde auch trotz des Verbotes der Lautsprecheranlage eine enorme Geräuschkulisse erreicht, wobei die Böller und Trommeln wohl eher von den Gefangenen gehört wurden, als die Grußworte. Zwei Transpis wurden mit Luftballons über die 5 m hohe Betonmauer hinaus in den Himmel entlassen. Die Bullen hielten sich ziemlich zurück, auch als sie von ein paar Leuten mit Flaschen und Steinen empfangen wurden und ein Zaun zum angrenzenden Gelände niedergerissen wurde. Ein Schließerwohnhäuschen wurde dann leider noch Opfer der Flammen, die auch erst recht spät gelöscht werden konnten. Die Gefangenen konnten die Demo auf jeden Fall hören und sie haben auch die Transparente gesehen. Es ging weiter nach Büren, dort wurden leider gerade im vorderen Bereich der Demo ziemlich rituelles Verhalten an den sonnigen Tag gelegt, also die üblichen Hassmasken-»Haut ab«-Spielereien. Auch wenn es eine für autonome Verhältnisse recht experimentelle Demo war, wurde die Trennung zu der Bevölkerung nicht aufgebrochen. Auf der Abschlußkundgebung gab es die üblichen Redebeiträge, eine Bühne stand für drei Bands bereit, wobei die eindeutig beste Band, Hip-Hop aus dem Rheinland, leider als letzte, vor nahezu leerem Platz spielten. Die Stimmung in Büren ist wohl ein bisschen gereizt, was sich durch Drohanrufe und Empörung wegen den Sprühereien bemerkbar macht. Das untenstehende Flugi war eigentlich das einzige, was an die Bevölkerung verteilt wurde, leider haben wir zu wenig gedruckt. Beim Verteilen kamen recht gute Diskussionen zustande, wobei man immer erklären mußte, warum man als »Bauarbeiter« nun an der Demo teilnimmt, aber wenn man ein bißchen aus dem Inhalt des Flugis erzählt hat, traf man zumindest auf offene Ohren. (M.)

Ergänzungen zu den Eindrücken: M. hatte den Flugi-Entwurf am 28.4. in die Box gelegt, wir hofften auf Stellungnahmen und Kritik - bis auf eine zustimmende Notiz kam leider keine Reaktion. Wir haben dann in Paderborn den Text noch einmal überarbeitet, waren aber etwas unsicher, ob er in Form und Inhalt überzeugend war. Wir haben das Flugblatt nur in einer kleinen Auflage in Druck (200) gegeben. Zielgruppe des Flugis sollte die Bürener Bevölkerung sein, nicht so sehr die Demo-Teilnehmer. Wir wollten verdeutlichen, daß das Thema Abschiebeknast ein Baustein in der sich verschärfenden Ausbeutung ist, die die Leute selber ja auch täglich erfahren, wenn auch in anderer Form. Also eben nicht moralische Anklage wegen Untätigkeit gegenüber dem Knast, sondern Einladung zur Diskussion über gemeinsame Unterdrückungssituationen. Auf dem Zirkular-Westredaktion-Treff kam das Flugi gut an, wir haben dann mit dem Kopierer noch 100 nachgedruckt. Klar war auch, daß wir das gemeinsam verteilen.

Die Erfahrung beim Verteilen war gut, es macht eben auch Spaß als Gruppe aufzutreten (Gemeinschaftsgefühl?!). Das Flugi war das einzige außer dem Demo-Aufruf-Flugblatt. Leute aus der Demo kamen zu uns und wollten aus Neugier ein Exemplar haben, einige haben uns spontan beim Verteilen geholfen. So konnten wir auch gut an die Zuschauer der Demo verteilen, die überwiegend bereit waren, Informationen aufzunehmen. Rund um den Ort der Abschlusskundgebung, Marktplatz Büren, haben wir die meisten Leute mit den Flugis versorgt. Wir sind dann zu zweit einige hundert Meter weiter zum Feuerwehrfest gegangen und haben dort unsere restlichen Exemplare verteilt, die Leute dort waren sehr diskussionsbereit. Zwar konnten wir den Text nicht eingehend diskutieren, aber zumindest einige Kernpunkte vortragen. Meistens vertraten die Leute die Meinung, daß sie zwar Verständnis hätten, daß Ausländer versuchten, hier illegal zu arbeiten in Anbetracht ihrer Verhältnisse im Heimatland, aber »Wir« könnten ja nicht alle aufnehmen wegen leerer Staatskassen und außerdem würden die Illegalen die Löhne und Arbeitsbedingungen drücken. Auf Nachfrage von uns wurde schon zugestanden, daß bei den Bonzen genug Geld da wäre, aber da wäre nicht ranzukommen. Unabhängig von der »Boot ist voll« Position fanden viele es schon eine Schweinerei, zu welchen Bedingungen die Illegalen hier arbeiten müssen, zu welchen Hungerlöhnen. Leider konnten wir die meisten Gespräche aus Zeitmangel (Abfahrtzeiten der Busse) nicht intensivieren.

Fazit: Wir sollten in Zukunft solche Demo-Flugblätter intensiver vorbereiten (Wildmail als Diskussionsmedium nutzen) und dann auch mit einer hohen Auflage drucken. Wenn wir das dann zu mehreren verteilen, können wir uns die Zeit nehmen, die Kernpunkte der Flugis mit den Leuten zu besprechen, also nicht zu starr dem Demolauf folgen, auch die Leute, die mehr abseits stehen, ansprechen. Und wir sollten aus den Gesprächen lernen, sie nachbereiten.

Die Vorgabe, eben nicht an die Demoteilnehmer zu verteilen, war falsch. Auch hier war ein Informations- und Diskussionsbedarf, der über die Demoaufruf-Thesen hinausging, festzustellen. Da können dann in der gemeinsamen Diskussion sicherlich Erkenntnisse herauskommen, die über die »Nie wieder Deutschland«-Position hinausweisen. (J.)


In den Abschiebeknästen brennts, in den Betrieben funkts

und die Straße glüht - Wann kämpfen wir zusammen!?

Im Bürener Abschiebeknast kämpfen Leute gegen die Politik der Regierenden, eine Politik, die sich gegen das Bedürfnis der eingesperrten Menschen nach einem freien Leben richtet. Wir sind heute hier, weil wir ihnen zeigen wollen, daß wir immer auf Seiten derer stehen, die versuchen, ihre Ketten zu sprengen.

Einwanderungs- und Abschiebepolitik ist Unternehmerpolitik - Büren ist ein Teil davon!

Das Unternehmertum hat schon immer Arbeitskräfte gebraucht, die sie weit weg von ihrer Heimat ausbeuten konnten. Die Leute müssen ihr Land verlassen, weil die Regierung Kriege anzettelt oder die Menschen verarmen lässt. Viele wollen auch einfach nur raus aus dem Dreck. Weit weg von zu Hause sind die Leute besser auszubeuten, weil sie oft allein und vom Rest der Bevölkerung isoliert sind und so nicht mit anderen kämpfen können. Sie müssen zu schlechteren Bedingungen und Löhnen arbeiten, womit die Unternehmer die anderen MalocherInnen unter Druck setzen können. Gerade die Billiglohnarbeit auf dem Bau ist ein gutes Beispiel dafür, wie die Leute gegeneinander ausgespielt werden. Wir alle wissen, daß auch Stute ohne die Hunderten ausländischen Frauen und SchwarzarbeiterInnen nicht der größte Saftladen Europas wäre. Einerseits könnten viele Branchen gar nicht mehr ohne illegale Beschäftigung auskommen, z.B. Landwirtschaft und Gastronomie, andererseits spielen die Kapitalisten mit dem Feuer, wenn sie fremde ArbeiterInnen ins Land lassen, da die EinwanderInnen außer ihrer Arbeitskraft auch die Kampferfahrungen aus ihren Ländern mitbringen, die sie mit anderen ArbeiterInnen austauschen.

In den 50ern kamen ArbeiterInnen aus der Türkei und Yugoslavien, sie haben sich (oft mit den deutschen ArbeiterInnen, manchmal gegen sie) einen hohen Lebensstandart erkämpft. Sie sind mit ihren Familien in Deutschland geblieben. Aus Sicht der Kapitalisten musste die Ausländerpolitik geändert werden, denn sie wollen die Leute nur zum Arbeiten hereinlassen, also zumeist junge Männer, die nach getaner Arbeit doch bitte recht schnell zurückgehen sollen. Wir sehen das auch daran, daß im Bürener Knast nur Männer, meistens zwischen 20 und 40 sitzen. Heute werden alle Grenzen militärisch kontrolliert, nur die »besten« sollen rein, die kommen in zentrale Sammellager, isoliert von der Bevölkerung und werden dann in den »unteren« oder »illegalen« Arbeitsmarkt gedrückt. Abschiebungen und Knäste wie der in Büren, sollen die Leute einschüchtern, so daß sie ja keine Ansprüche nach besseren Arbeits- und Lebensbedingungen stellen. Außerdem soll durch die Ausweisungen gewährleistet sein, daß der »untere« Arbeitsmarkt ständig rotiert und sich neu zusammensetzt.

Was hat unsere Situation als ArbeiterInnen und Arbeitslose mit Abschiebungen und »Ausländerpolitik« zu tun?

Wir konnten das bei den Razzien sehen, als die Bullen unsere osteuropäischen Kollegen von der Baustelle nach Büren verlegt haben.

Das, was wir mit den Flüchtlingen oder »Illegale« gemeinsam haben ist, daß wir unsere Arbeitskraft an die selben Leute verkaufen müssen, wenn auch zu anderen Bedingungen. Gemeinsam ist auch unser Ziel, uns nicht Kaputtzuschuften und gut zu leben. Die Leute, für die wir arbeiten, sind eher am Gegenteil interessiert. Die Unternehmer wollen, daß wir für weniger Kohle wieder mehr arbeiten, aber wem erzählen wir das. Wenn alles so einfach wäre, hier die MalocherInnen mit ihren gemeinsamen Zielen, da die Unternehmer, dann hätten wir sicherlich keine Probleme, wenigstens keine Unternehmer mehr. Die Ausbeutung kann also nur dann weiter funktionieren, wenn die MalocherInnen weiterhin gespalten bleiben und keine gemeinsamen Kämpfe führen. Dabei hilft nicht nur, daß der deutschen Bevölkerung gesagt wird, die »Asylanten« sind Schuld an den schlechteren Lebensbedingungen, sondern die ganze arbeitende Klasse wird in viele kleine Teile gehackt mit den unterschiedlichsten Arbeitsbedingungen und Löhnen. Motto der Ausbeuter: Alle gegen alle, Hauptsache sie arbeiten noch miteinander. Da werden Männer den Frauen gegenüber bevorzugt, da wird dem Hilfsarbeiter sein Vorarbeiter vorgesetzt, da arbeitet die Stammarbeiterin am gleichen Band wie der Leiharbeiter. Der Belegschaft des einen Werks wird gesagt, daß sie mit dem anderen Werk um die Aufträge konkurrieren soll, auf den Baustellen arbeiten Sub-Sub-Sub-Unternehmen, aber wem sagen wir das. Deshalb werden auch die EinwanderInnen noch zigmal »rechtlich« unterteilt: da sind Aussiedler, Übersiedler, Kriegsflüchtlinge, Gastarbeiter, Illegale oder Leute, die Werkverträge kriegen und nach getaner Arbeit wieder abhauen. Die Kapitalisten wollen von allen mehr Arbeit, wir sollten uns zusammen eine Antwort überlegen. Uns wollen sie an die erkämpften Verbesserungen, der 8-Stundentag soll gekippt werden, Samstagsarbeit ist keine Seltenheit mehr. Wir alle merken, daß der Druck auf uns und die Hetze bei der Arbeit steigt. Wir sollen immer mobiler werden, bei Arbeitslosigkeit jeden Job annehmen und für den Betrieb immer zur Verfügung stehen, zu jeder Zeit und an jedem Ort einsetzbar. Der DGB, das Arbeitsamt und die Arbeitgeberverbände gründen die Leihfirma »start« mit der sie die jungen Arbeitslosen wieder in die Arbeit zu schlechteren Bedingungen pumpen wollen. Viele Leute werden entlassen und dann zu schlechteren Bedingungen eingestellt, 4 Millionen Arbeitslose sollen den »Arbeitsplatzbesitzer« Schiss bereiten, sie sollen um ihren Arbeitsplatz bangen und das Maul halten. Die Arbeitslosen sollen sich um die ABM und andere Scheißjobs schlagen. Aus Hunger nach Profiten holen sich die Unternehmer aber nicht nur Leute in die verschiedenen Länder, sie schicken auch Teile der Produktion ins Ausland, sie denken schon lange nicht mehr in nationalen Grenzen. Uns dagegen wollen sie den Standort Deutschland verkaufen, wir sollen immer wilder arbeiten, damit die Produktion hier bleibt. Die EU wird ihre Spielfläche, da können sie dann alle Malocher nach belieben verschieben. Wenn wir sie lassen und wenn wir es nicht schaffen, uns mit den ArbeiterInnen aller Länder zu verständigen und voneinander zu lernen, wie mensch zusammen kämpft. Wir haben sicherlich weit ausgeholt und manche Sachen sind nur vereinfacht beschrieben, aber wir wollten darstellen, warum der Scheiß-Knast auch was mit uns zu tun hat. Wir wollen zeigen, daß wir die Schnauze voll haben von den Scheißhausparolen, die viele unserer KollegInnen gegenüber anderen MalocherInnen drauf haben. Die Angriffe vom Staat und Nazis auf EinwanderInnen sind auch ein Angriff gegen uns.

Weg mit den Abschiebeknästen!

ArbeiterInnen kennen keine Grenzen!

Wer Lust hat, sich mit uns zu treffen:
Baugruppe
Borchenerstr.12
33098 Paderborn
05251/730337


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