Faschismus - Anti-Faschismus
[Im Flugblatt folgen hier zwei Bilder, eines von Bergen-Belsen und eines von Dresden]
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In Other Losses [1] beschreibt Braque den vorsätzlichen Mord an deutschen Kriegsgefangenen durch die Alliierten während des und nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Terror der Roten Armee gegen deutsche Kriegsgefangene und Zivilisten ist bekannter. Dieses Buch ist eines der wenigen Beispiele für eine Untersuchung der unterdrückten Geschichte des Massenmords an der Westfront:
»Es gibt keinen Zweifel, daß in den amerikanischen und französischen Lagern in Deutschland und Frankreich ab April 1945 eine enorme Anzahl von Männern aller Altersstufen, sowie einige Frauen und Kinder, an Erfrierung, Entkräftung, schlechten sanitären Bedingungen, Seuchen und Hunger starben. Die Zahl der Opfer betrug ohne Zweifel über 800 000, beinahe sicher über 900 000, ziemlich wahrscheinlich über eine Million. Ihr Tod wurde bewußt verursacht von Armeeoffizieren, die über ausreichende Mittel verfügten, um die Gefangenen am Leben zu halten.«
In der britischen Zone hatten deutsche Zivilisten es relativ leicht, sie erhielten 1550 Kalorien am Tag. Der Mindestbedarf liegt bei 2250 Kalorien. In der amerikanischen Zone bekamen die ZivilistInnen etwa 1275, in der französischen Zone 950 Kalorien am Tag. In einigen französischen Lagern waren es nur 800; soviel wie in Belsen, dessen Insassen man vorsätzlich hatte verhungern lassen. Die Franzosen brachten auch Leute durch Arbeit um. Das geschah zu einer Zeit, als Europa von eigenen und importierten Nahrungsmitteln sowie Zelten, Medikamenten und all dem anderen Material, das zur Behandlung von Zivilisten und Kriegsgefangenen entsprechend der Genfer Konvention nötig war, überfüllt war. Das Rote Kreuz und deutsche Zivilisten wurden daran gehindert, die Gefangenen in den Lagern zu versorgen. Abgesehen vom Massenmord an Zivilisten durch die britische und amerikanische Luftwaffe wurde nach der Untersuchung von Paul Fussell ein großer Teil der sich ergebenden deutschen Soldaten von den Alliierten auf den Schlachtfeldern ermordet. [2]
Die aktuelle antifaschistische Propaganda, die Zionisten und die Linke kontinuierlich herausgeben und die Massenmedien bei wichtigen Feiern wie dem VE Day, legt den Schwerpunkt auf die deutschen Gräueltaten und versäumt es, die der Alliierten zu erwähnen. Es war leicht, ein Foto mit Opfern der Nazis zu finden, um dieses Flugblatt zu illustrieren, und schwierig, ein äquivalentes vom alliierten Holocaust zu finden. Sogar innerhalb des Nazi-Holocaust gehen sie selektiv vor; vom Mord an sechs Millionen Juden wird dauernd geredet, die zahlreichen anderen Gruppen von Opfern werden weitgehend ignoriert. Die Tatsache, daß es arme Juden waren, die ermordet wurden, wird nicht erwähnt. Die Reichen konnten entkommen, indem sie die Regierung bestachen, ihre rassische Klassifizierung zu ändern. Statt als kalkulierter Angriff auf die Arbeiterklasse wird die Politik der Nazis als krankhaft irrationaler Ausbruch von Haß dargestellt. Wie aus kürzlich in England veröffentlichten Regierungsdokumenten hervorgeht, fanden Alliierte Nachrichtendienste damals allerdings, die SS leiste saubere Arbeit bei der Beseitigung künftiger Unruhestifter.
Der Anti-Faschismus rechtfertigte nicht nur Dresden und den Mord an Kriegsgefangenen, er ist ein wichtiger Unterbau für die Neue Weltordnung mit den westlichen Demokratien am Ruder, mit ihren Journalisten, die ihre Kriegsverbrechen rechtfertigen und vertuschen, indem sie nur über die ihrer Feinde berichten. Die selektive Berichterstattung über Kriegsverbrechen hielt auch im Golfkrieg an. Nur Serben werden vor dem Kriegsverbrecher-Tribunal zu Jugoslawien angeklagt, obwohl alle Seiten Gräueltaten begangen haben. Die Menschenrechte sind heute das wichtigste Äquivalent zum Anti-Faschismus, aber auch der wird ab und zu ausgegraben und dazu benutzt, das selbstgerechte Bild vom Westen zu verstärken und die Öffentlichkeit auf die Dresden der Zukunft vorzubereiten. Die alliierte Version davon, worum es im Zweiten Weltkrieg ging, zu untergraben, ist immer noch eine vorrangige Angelegenheit. Diesen zentralen politischen Mythos der heutigen kapitalistischen Welt zu entlarven, ist viel wichtiger, als den Faschismus zu bekämpfen, und schließt letzteres nicht unbedingt aus. Die Version des Zweiten Weltkriegs, die Kindern heute in der Schule beigebracht wird, damit sie morgen für die Neue Weltordnung sterben. Anthropologiekurse an amerikanischen Universitäten lehren immer noch, daß japanische Soldaten lieber massenhaft Selbstmord begingen, als durch Ergeben ihr Gesicht zu verlieren. Das ist eine Lüge, die die Amerikaner erfanden, um den Mord an den Kriegsgefangenen zu vertuschen.
Die Versuche einiger konservativer Historiker, die Verbrechen der Nazis zu bagatellisieren, haben kaum Bedeutung im Vergleich zum Anti-Faschismus, der die Medienschweine auf seiner Seite hat bei seiner einseitigen Darstellung der Massaker 1939 bis 1945. Dabei sind sie ihrer eigenen Seite gegenüber nicht völlig unkritisch. Zum Beispiel gab es vor kurzem eine Diskussion darüber, ob die Bombardierung Hiroshimas dazu beitrug, den Krieg zu beenden. Hat sie nicht - es war der russische Angriff, der das japanische Oberkommando davon überzeugte, gegenüber den Amerikanern zu kapitulieren und damit das Land und die Monarchie intakt zu halten - aber der Punkt ist, daß es völlig unvorstellbar wäre zu diskutieren, ob die deutschen und japanischen Massaker gerechtfertigt waren oder nicht, während in der verschrobenen Logik des Anti-Faschismus die der Alliierten durchaus zur Debatte stehen.
Anarchisten und andere sagen manchmal, sie stimmten in vielem damit überein. Sie haben Jean Barrots Faschismus/Anti-Faschismus gelesen, aber, nun ja, es ist ein bißchen abstrakt, und, na ja, wir wollen etwas tun. Also gehen sie auf jede anti-faschistische Demo, unterscheiden sich nie politisch von den Sozialarbeitern und Studenten und argumentieren, der Einsatz von mehr Gewalt sei ausreichend. Der Kampf gegen die Faschisten gebe ihnen die Gelegenheit, sich mit der Polizei zu konfrontieren, sagen sie. Aber das ist kein Grund, die anti-faschistische Linke zu unterstützen. Faschisten und andere Rechte sind auch mit der Polizei aneinandergeraten, und oft auch mit anderen Teilen des Staats wie z.B. dem Stadtrat, verteidigen sogar Leute gegen Räumungen, aber unsere anarchistischen Freunde stellen sich bei diesen Gelegenheiten nicht gegen die Polizei. Was sie eigentlich tun müßten, wenn sie konsequent wären. Denn sie meinen nicht, was sie sagen. Was sie wirklich meinen ist, daß Faschisten viel schlimmer sind als all die anderen Parteien.
Die britische Anti-Nazi League unterstützt die Stadtverwaltungen und fordert, der Staat solle Rassisten gerichtlich verfolgen. Auf Demos der ANL gehen, ohne sie in diesem Punkt zu kritisieren, heißt, ihr Komplize zu sein. Die Anti-Fascist Action versucht, die extreme Rechte von der alljährlichen Remembrance Sunday-Parade auszuschließen und unterstützt das Recht der großen Parteien, den alliierten Holocaust ohne Störungen durch unpatriotische Elemente wie die British National Party zu feiern. Der Kampf gegen die Polizei auf einer Demo unter den Parolen der ANL kann nur die Botschaft der Demokratie stärken. Diese Botschaft ist durchaus effektiv; wer als Priorität sieht, die Faschisten zu verprügeln, sollte in Betracht ziehen, daß der patriotische Populismus der ANL zieht; die ende der 70er von der ANL verteilten Plakate und Flugblätter, in denen die National Front mit dem Dritten Reich gleichgesetzt wird, trugen eher dazu bei, die Masse der patriotischen Bürger davon zu überzeugen, diese Partei nicht zu wählen, als die Straßenschlachten.
Was bisher gesagt wurde, heißt in keinster Weise, daß wir den Faschisten nicht entgegentreten sollten. Es versteht sich von selbst, daß die Faschisten Feinde der Arbeiterklasse sind. Eine Politik, die die Immigranten für unsere Probleme verantwortlich macht, steht natürlich für Klassenspaltung. Aber die Faschisten sind keineswegs die effektivsten Anwender dieser Taktik. Die Proposition 187 [siehe Wildcat 64/65, S. 18-20], die darauf abzielt, arme lateinamerikanische Einwanderer in Kalifornien zu verfolgen, sie stärker unter Druck zu setzen und damit auf dem Arbeitsmarkt besser ausbeutbar zu machen, wurde von gewöhnlichen Politikern auf dem Wege des demokratischen Verfahrens eingeführt. Zeitpunkt und Art und Weise des Angriffs auf Faschisten sind taktische Fragen. In Situationen, in denen eine Klassenperspektive sich durchsetzen kann, muß der Kampf gegen den Faschismus usw. ins Verhältnis zu anderen Aktivitäten gesetzt und entsprechend der Möglichkeiten und Effektivität usw. abgewogen werden, genau wie alle anderen Aktivitäten. Klar, wenn faschistische Parteien, wie z.B. in Italien, ein bedeutender Teil des demokratischen Spektrums sind, dann müssen sie ernster genommen werden als in England oder den USA.
In den USA streitet sogar die Coalition for Human Dignity [Koalition für Menschenwürde] ab, daß sie jemals behauptet hätte, »Haßgruppen« seien verantwortlich für die Mehrzahl rassistisch motivierter Angriffe. Rassische Minderheiten verweisen, wenn sie danach gefragt werden, auf die Regierung als ihren Hauptfeind.
»... Bei aller guten Absicht, Schwarze leben in diesem Land in einem Polizeistaat, und es ist die Linie einer linken Mittelklassenmode, auf der ... faschistischen Gefahr ... herumzureiten, während 60% der weiblichen Gefangenen in den USA schwarz sind und jeder vierte schwarze Mann im Knast sitzt.« (Love and Rage, Dez. 93; die Statistiken mögen infrage gestellt werden, aber der grundlegende Gedanke haut hin.)
Ende 1994 lag der Anteil der schwarzen Gefangenen zum ersten mal über 50 Prozent. Der Anteil der Afroamerikaner an der Gesamtbevölkerung liegt bei 12 Prozent.
Erst im Juni 1992 entschied das Oberste Gericht mit dem berühmten Mabo-Urteil, daß australische Aborigenes Landrechte besitzen. Damit revidierte es die Position, daß Australien vor der weißen Invasion ab 1780 Niemandsland war. Hitler behauptete nicht, daß Osteuropa unbewohnt war. Die Nazis ermordeten wahrscheinlich einen geringeren Prozentsatz der Bevölkerungen, die sie versklavten, als die Briten in Australien - und die Ermordung der Aborigenes durch die Polizei geht weiter. Die Linken ignorieren das, aber bei Angriffen auf jüdische Friedhöfe werden sie wütend, als ob tote Juden verletzlicher wären als lebendige Aborigenes.
Vielleicht gibt es etwas bei den Nazis, das einzigartig war. Die westliche Zivilisation, besonders ihr angelsächsischer Zweig in Nordamerika, hatte schon vorher eine Vielzahl ganzer Kulturen ausgerottet, aber die Endlösung war ein noch nie dagewesener kalkulierter wissenschaftlicher Versuch von Völkermord. Die Experimente an Menschen, die Effektivität der Gaskammern, die Berechnungen, welchen Wert jeder tote Körper hatte, repräsentierten den Gipfel instrumenteller Vernunft, und nicht etwa eine Abweichung vom Fortschritt der geschichtlichen Entwicklung. Der Rassismus, einer der stärksten Bestandteile des Nazismus, wurde auf der Grundlage des bombastischen Rationalismus des Sozialdarwinismus formuliert. Und wann immer nötig, dient die Wissenschaft immer noch rassistischen Zielen. Deutschland ist eine entwickelte industrielle Demokratie. Das Nazi-Regime kam durch eine demokratische Wahl an die Macht.
Es ist unsinnig zu behaupten, die deutschen Kriegsverbrechen seien moralisch verwerflicher gewesen als die der Alliierten. Aber das ist die Logik dessen, was man uns jeden Tag erzählt. In London steht eine Statue von Bomber Harris von der Royal Air Force. Wenn jedoch der Chef der Luftwaffe Göring, vergleichsweise ein Fleischerlehrling, in Berlin auf ähnliche Weise geehrte würde, wäre es ein Verbrechen. Aber solche Vergleiche sind widerlich. Es geht uns nicht um Haarspaltereien, ob es schlimmer ist, Millionen Menschen zu vergasen, zu verbrennen oder sie verhungern zu lassen. Es geht nicht darum, ob es schlimmer ist, unter dem Faschismus zu leben oder unter der Demokratie. Faschismus ist in jedem Fall Teil der Demokratie, und historisch kam er zu Zeiten besonders schwerer Krisen an die Macht, als eine extreme Version des New Deal benötigt wurde, die die Nation zusammenschweißen würde. Die Arbeiterklasse war bereits vor 1933 von den Sozialdemokraten schwer geschlagen worden, und der Widerstand war dementsprechend wirkungslos. Die Nazis machten sich nicht daran, die »Organisationen der Arbeiterklasse« zu zerstören, sie integrierten einen großen Teil der Gewerkschaftsbewegung in ihre Arbeitsfront. Der einzige Weg, diese besondere Form kapitalistischer Politik zu verhindern, hätte darin bestanden, den Sumpf der Demokratie auszuspülen, der sie ausbrütete, und ihn durch die Diktatur von Organisationen proletarischer Macht zu ersetzen. Die Unterstützung des Anti-Faschismus ist die Unterstützung der Demokratie, die den Faschismus gebiert und all die anderen genauso kriegstreibenden und die Erde vergewaltigenden politischen Systeme.
Nie wieder Belsen - Nie wieder Dresden!
Nieder mit dem Faschismus - Nieder mit dem Anti-Faschismus!
Gegen Demokratie - für eine Welt ohne Politiker, Nationen und Kriege!
Wildcat, April 1995.
BM CAT, London WC1N 3XX, England, oder
PO Box 14549, Portland OR 97214, USA.
Fußnoten:
[1] J. Braque: Other Losses; Macdonald, London 1990.
[2] Fussell, Paul: Wartime; OUP, Oxford 1989.