Busfahrergewerkschaft in Mexiko zerschlagen
Sutaur-100 und die Unterstützung der EZLN
Mit allen Mitteln versucht die mexikanische Regierung den Widerstand gegen die neue Austeritätspolitik und jede Solidarität mit dem Kampf in Chiapas zu verhindern. Die Zerschlagung einer der größten Busfahrergewerkschaften in Mexiko-Stadt ist ein herausragendes Beispiel für diese Politik und stellt für die Regierung einen Testfall dar, wie weit sie mit ihrer repressiven Politik gehen kann.
Als die Busfahrer der Linie Ruta-100 am Samstag, dem 8. April, um 2 Uhr früh ihre Arbeit beginnen wollten, wurden sie von starken Polizeikräften am Zutritt zu den Busdepots gehindert. Man erklärte ihnen, die Firma sei in Konkurs gegangen und dadurch sei der bisherige Tarifvertrag und das Anstellungsverhältnis der Arbeiter nichtig geworden.
Unmittelbar danach begann eine Hetzjagd auf die Gewerkschaft Sutaur-100. Drei ihrer Führer und zwei Basisaktivisten wurden festgenommen, ihre Bankkonten gesperrt und ihr Büro von Polizei umstellt. Am 9. April wurde Ricardo Barco, einer der Gründer dieser Gewerkschaft und ihr offizieller Berater, beim Verlassen eines Restaurants von sechzig schwerbewaffneten Polizisten umringt, bewußtlos geschlagen und festgenommen. Den Gewerkschaftsführern wird unter anderem die Veruntreuung und die Abzweigung von Geld für die EZLN aus öffentlichen Mitteln vorgeworfen. Die Arbeiter von Ruta-100 sind in Mexiko bekannt für ihre Solidarität mit dem Kampf der EZLN.
Diese Polizeiaktion fand unmittelbar vor der Karwoche statt, in der die meisten Betriebe schließen und der Verkehr daher gering ist. Am 17. April begann die Stadt mit einem »Notdienst«, für den sie Streikbrecher einsetzte - darunter 200 Polizisten. In den ersten Tagen wurde der Busverkehr von 1500 Streifenwagen bewacht und von Hubschraubern über dem Gebiet beobachtet, um Aktionen der gefeuerten Busfahrer zu verhindern. Das Angebot, einzelne Busfahrer und Mechaniker wieder einzustellen, hatten fast alle abgelehnt. Die Fahrten mit dem »Notdienst« werden kostenlos angeboten, womit die Regierung die breite Solidarisierung in der Bevölkerung zu schwächen versucht - zugleich aber auch zeigt, wie unglaubwürdig der »Konkurs« von Ruta-100 ist.
Es ist klar, daß die Maßnahmen gegen diese Gewerkschaft von ganz oben angeordnet waren. Fast zum selben Zeitpunkt hatte die Regierung überraschend den Preis der Tortillas, eines der Grundnahrungsmittel für Millionen Menschen in Mexiko, um 26 Prozent angehoben. Am 10. April sollte eine Demonstration zur Erinnerung an die Ermordung von Emiliano Zapata stattfinden. Und angesichts der neuen »Verhandlungen« mit der EZLN will die Regierung sie mit allen Mitteln isolieren. Die mexikanische Regierung versucht daher, alle Organisationszentren eines breiteren Widerstand gegen ihre Politik auszuschalten.
Ruta-100 ist eine der größten Buslinien in Mexiko-Stadt, auf die vor allem ArbeiterInnen und ärmere Menschen aus den Vorstädten angewiesen sind. Die Regierung hatte bereits zuvor angekündigt, daß sie die von staatlichen Subventionen abhängige Gesellschaft privatisieren wolle. Über 12 000 der Busfahrer von Ruta-100 sind in der Gewerkschaft SUTAUR-100 (Sindicato Unico de Trabajadores de Autotransportes Urbanos de Pasajeros Ruta-100) zusammengeschlossen, die zu den militantesten und größten der unabhängigen Gewerkschaften in Mexiko gehört.
Die Gewerkschaft SUTAUR hatte sich 1981/82 in einem harten Kampf mit der Regierung gebildet, kurz nachdem das private Busmonopol einer Gruppe von Privatfirmen von der Stadt übernommen worden war. Die Regierungspartei PRI versuchte, die Busfahrer im regierungstreuen Dachverband CTM zu organisieren, aber die ArbeiterInnen bildeten ihre eigene Gewerkschaft, die sich einer unabhängigen Gewerkschaftsföderation anschloß. Nach einem harten Kampf, in dessen Verlauf Ricardo Barco festgenommen worden war, mußte der Staat die Gewerkschaft anerkennen und Barco wieder freilassen. Dafür hatte er ein allgemeines Streikverbot für die städtischen Busfahrer verfügt.
Einige Jahre später entschied sich SUTAUR, die »Unabhängige Proletarische Bewegung« MPI, eine Art politischer Arm der Gewerkschaft, zu gründen, deren Vorsitzender Barco wurde. Obwohl die MPI verbal einen linken und militant-syndikalistischen Standpunkt vertrat und unabhängig von allen PRI-kontrollierten Gremien und politischen Bündnissen mit der PRI blieb, betrieb auch sie eine konservative Gewerkschaftspolitik. So besuchte Barco vor den letzten Wahlen den mexikanischen Präsidenten Salinas, um ein »Geschenk« von 70 Bussen für Ruta-100 entgegenzunehmen. Dafür signalisierte er indirekt eine Wahlempfehlung für die PRI.
Aber im Verlaufe des letzten Jahres wurde der »Nicht-Angriffs-Pakt« von SUTAUR mit der Regierung zunehmend brüchig, vor allem aufgrund des Aufstandes in Chiapas. Die breite Solidarisierung in ganz Mexiko mit diesem Kampf - auch unter ihren eigenen Mitgliedern - drängten MPI und SUTAUR, in den CND, den Nationalen Demokratischen Konvent, einzutreten. Der jetzige Angriff der Regierung auf diese Gewerkschaft hat zu ihrer weiteren Radikalisierung beigetragen und macht sie zu einer der treibenden Kräfte in den aktuellen Mobilisierungen - z.B. bei der Demonstration am 1. Mai dieses Jahres. Der regierungstreue Gewerkschaftsverband CTM hatte die Demonstration aus Furcht vor einer unkontrollierbaren Mobilisierung gegen die Regierung abgesagt, aber einige Hunderttausend demonstrierten auf die Aufrufe der unabhängigen Gewerkschaft hin in Mexiko-Stadt.
Der Schlag der Regierung gegen SUTAUR könnte daher leicht nach hinten losgehen und die Entwicklung einer gesamtmexikanischen Front gegen die Regierung vorantreiben. Die Demonstration zum Gedenken an Zapata am 10. April mit etwa 150 000 Menschen wurde zu einer breiten Unterstützung für die Gewerkschaft, mit Slogans wie »Su-Su-Sutaur« und Solidaritätsbekundungen mit Barco. Sechs Tage später demonstrierten 20 000 Mitglieder und Unterstützer der Gewerkschaft. Ende April kam es wieder zu Demonstrationen, bei denen Busse der Linie angehalten und besprüht wurden. Bei einigen wurden die Reifen durchstochen. Mittlerweile hat SUTAUR ein ständiges Camp auf dem Zocalo, dem zentralen Platz in Mexiko, eingerichtet - neben vielen anderen Gruppen, die sich für den Kampf in Chiapas und im übrigen Mexiko einsetzen.
Soweit der Text, der für die jüngste Nummer der ILA geschrieben wurde.
Lesenswertes Sonderheft zu den Maquiladoras - nicht nur in Mexiko: ILA Nr. 185, Mai 1995, 7 DM
Zeitschrift der Informationsstelle für Lateinamerika
Oscar-Romero-Haus, Heerstr. 205, 53111 Bonn
Tel: 0228-65 86 13, Fax: 0228-63 12 26
ILA@LINK-k.com.link.apc.orgZur aktuelleren Entwicklung noch ein paar Informationen aus der Zeitung La Jornada von Anfang Mai:
Betriebsauflösung zurückgewiesen
Die 12 000 Arbeiter der Gewerkschaft SUTAUR-100 haben gestern auf einer Versammlung beschlossen, die von der Sindicatura angebotene Betriebsauflösung abzulehnen und ihren Kampf für ihre Arbeitsplätze, ihre Gewerkschaft und ihre erworbenen Rechte »bis zur letzten Konsequenz« fortzusetzen.
»Es stimmt, daß wir Hunger haben, aber wir haben genügend Würde und das haben wir heute der Regierung demonstriert. Wir stehen hier, bereit für die Schlacht, die vielleicht lange dauern wird, aber wir geben nicht nach, wir sind nicht losgezogen für einen miserablen Konkurs«. So ein Mitglied der Führung von SUTAUR-100, inmitten der fast dreistündigen ständigen Rufe »Nicht einen Schritt zurück«.
Der Rechtsberater der Gewerkschaft, Ricardo Barco, hat den Arbeitern eine Botschaft geschickt, in der er aufdeckt, daß die Regionalregierung Druck macht, damit die Dirigencia ein Abkommen über einen Konkurs unterschreibt, der über dem von der Sindicatura vorgeschlagenen liegt und mit dem Versprechen, daß die Arbeiter an dem neuen Unternehmen beteiligt werden. Dies, so stellt Barco klar, ist an die Bedingung geknüpft, »daß wir mit dem Konkurs einverstanden sind, daß wir die Auflösung der kollektiven und individuellen Arbeitsverhältnisse anerkennen, und auf jegliche Forderung aus diesem Konflikt vor Arbeits- oder sonstigen Gerichten verzichten. Sie sagen, daß die Regierung ihre Meinung über unsre Freilassung erst nach der Unterzeichung dieses Abkommens ändern wird«. Die fast siebentausend Arbeiter antworten darauf mit Beschimpfungen. Die Versammlung muß in zwei Teilen abgehalten werden, weil die mehr als 12 000 Gewerkschaftsmitglieder nicht alle in das Lokal passen.
In dem Brief von Barco und den 5 eingeknasteten Dirigentes heißt es weiter: »Wir haben das nicht akzeptiert, weil wir damit den Verlust unserer Arbeitsplätze akzeptieren würden, der individuellen Verträge und der Allgemeinen Arbeitsbedingungen. Wir haben es nicht akzeptiert, weil das den Weg zur Streichung der Registrierung von Sutaur-100 bereiten würde. Wir haben es nicht akzeptiert, weil wir keine korporative Gewerkschaft sind. Es ist nicht unsere Sache, eine solche Entscheidung zu treffen. Das ist auf jeden Fall Sache der Generalversammlung.« Wieder Sprechchöre: »Totale Unterstützung für das Zentralkomitee«, »Freiheit für die politischen Gefangenen«, »SUTAUR verkauft sich nicht«.
Weiter im Brief: »Was wir vorgeschlagen haben, ist der Dialog, aber unter der Bedingung von Respekt und Würde. Wenn dieser Dialog zu dem Ergebnis kommt, den Vorschlag zur Beteiligung an neuen rentablen Arbeitsformen anzunehmen, aber mit vorheriger Zustimmung der Versammlung, dann könnten wir uns selbstverständlich daran beteiligen. Aber die Regierung hat nichts darüber gesagt, was für eine Art Betrieb das sein soll und wie die Arbeiter daran beteiligt sein sollen«.
Dann folgen Informationen zu Rechten und Abfindungen beim Konkurs (z.B. 20 Tage Lohn für jedes Jahr Betriebszugehörigkeit) und die Aufforderung, sich nicht demoralisieren zu lassen. Auf die Frage, ob sie sich mit einer Hungerabfindung, die nicht mal 25 Prozent dessen ausmacht, was ihnen gesetzlich zusteht, abspeisen lassen wollen, antworten die Arbeiter mit einem klaren Nein.
Danach hat der Bevollmächtigte erklärt, daß das Gerichtsurteil, das die Arbeitsverhältnisse für beendet erklärt, total illegal sei, und daß sie eine Berufung dagegen vorbereiten. Die Rechtsabteilung von SUTAUR-100 hat alle möglichen Rechtswege beschritten.
Beschimpfungen gegen die Streikbrecher und Verräter. Zum Schluß Abstimmung über den Konkurs - in beiden Versammlungen einstimmig abgelehnt.
Scheitern der Betriebsauflösung
Am ersten Tag der Abfindungsregelung hat kein einziges Mitglied von SUTAUR-100 das Geld abgeholt. Nur 25 Arbeiter kamen zu dem Konkursbüro, aber nur um nach den Terminen zu fragen. Die verteilen sich nach Abteilungen. Gestern war Módulo 51-C dran, wo 281 Arbeiter beschäftigt waren. Von denen ist keiner gekommen, um das Geld abzuholen.
Der Konkursverwalter hofft noch, daß keiner gekommen ist, weil alle an dem Tag auf der Versammlung waren, und daß sie nach deren Beendigung schon kommen würden. Er sagt, daß am Morgen 10 Ex-Arbeiter in die Nähe des Büros gekommen sind, um sich zu informieren, daß sie aber, als sie die Reporter gesehen haben, aus Angst vor Repressalien wieder umgekehrt sind. Er befürchtet, daß die Arbeiter die Abwicklung um 3 bis 6 Monate verzögern, indem sie Berufung einlegen. Die Konkursverwaltung hat informiert, daß sie 308 Millionen Neue Pesos an die 220 Polizisten ausbezahlt hat, die 15 Tage lang im Notdienst gearbeitet haben.
Teurer Transport im Umland der Hauptstadt
Während einer Fahrt des Stadtverwalters durch Tláhuac hat die Bevölkerung gegen das Verschwinden von Ruta 100 protestiert, weil sie jetzt zwischen 2 und 5 Neue Pesos bezahlen müssen, während es vorher nur 40 Centavos waren.