In den Gemächern der Bourgeoisie
Vor etwa drei Wochen habe ich mich bei einem Hotel als Zimmerfrau beworben. Bei dem Vorstellungsgespräch stellte sich raus, daß mein Arbeitgeber eine Gebäudereinigung aus Mönchengladbach ist. Ich habe die Wahl zwischen einer Festanstellung und einem Nebenjob. Nebenjob bedeutet in Sachsen 470 DM monatlich, das ist zuwenig, ich brauche eine Festanstellung. »Bei uns zählt Schnelligkeit und Sauberkeit, deshalb zahlen wir Leistungslohn.« Das heißt 3.25 DM pro Zimmer und 9.40 DM Stundenlohn für die Frühschicht einmal pro Woche, monatlich sollen das ungefähr 1200 DM brutto werden. Die Frühschicht beginnt 5:30 und endet 7:30, die normale Arbeitszeit ist von 8:00 bis 13:00. »Es kann aber auch mal 18:00 Uhr werden, je nachdem wieviel Zimmer belegt sind.« Wochenende und Feiertage werden mit freien Tagen ausgeglichen, zusätzlich gibt es zwei freie Tage pro Monat. Es gibt keine gemeinsame Pause, weil jede Frau so schnell wie möglich fertig werden will. Das klingt alles nicht so prima, aber ich brauche einen Job und sage zu.
Als ich zwei Wochen später im Hotel antanze, schickt mich die gleiche Person, mit der ich das Gespräch geführt hatte, wieder weg. Es seien zu wenig Zimmer belegt. Sie hätte keine Arbeit für mich, aber ich soll am nächsten Tag wiederkommen. Fängt ja gut an. Am nächsten Tag beginne ich zu arbeiten. Es sind knapp 20 Frauen hier beschäftigt, etwa die Hälfte scheinen neu eingestellt zu sein. Wir gehen gemeinsam in den Keller um die »Caddys« mit riesigen Wäschebergen und Kleinkram zu beladen. Dort werden auch die Einsatzpläne verteilt, auf denen wir später unterschreiben müssen, welche Frau welches Zimmer gereinigt hat. Ich werde zwei Frauen zugeteilt, um etwa zwölf Zimmer zu putzen. Eine der beiden ist schon länger dabei, die andere (Erika) arbeitet erst zehn Tage dort. Nachdem wir acht Räume sauber gemacht haben, entsteht eine Pause, weil die Gäste ihr Zimmer nicht verlassen. Ich gehe mit Erika in die Raucherinnenecke, dort sitzen noch andere Kolleginnen, die das gleiche Problem haben. Zwei haben gerade ihren Lohn ausbezahlt bekommen und sind sichtlich sauer. Sie haben etwas über 500 DM in ihrer Lohntüte. Ich erfahre, daß es den Stundenlohn nur in der Frühschicht gibt, dann werden keine Zimmer, sondern Sauna, Fitness- und Konferenzräume, Restaurant und Empfangshalle gereinigt. Wir bekommen nur die Zimmer bezahlt, im Moment verdienen wir gar nichts, jede Pause ist unbezahlt. Die »Neuen« sind schockiert, alle hatten es mißverstanden, wir waren von 9.40 DM pro Stunde plus 3.25 DM für jedes Zimmer ausgegangen. Die Stimmung kocht hoch, nach einer kurzen Pause sagt eine, »wir sollten streiken«.
Um es gleich vorwegzunehmen, wir haben nicht gestreikt. Diese Idee kam allen doch etwas verwegen vor. Eine Frau, die schon seit April dort arbeitet erzählte, daß sie den Chefs schon mal Ärger gemacht haben, weil sie am Anfang noch weniger für die Zimmer zahlen wollten. Damals wären sie 20 Frauen gewesen, die 40 Zimmer sauber machen sollten, sie hatten sich regelrecht um die Zimmer prügeln müssen. Doch am Tag, an dem sie streiken wollten, hielten es einige nicht lange durch und gingen hoch zum arbeiten.
Erika und ich sitzen noch zwei Stunden rum bis wir erfahren, daß wir nach hause gehen können. Ich habe in vier Stunden 13 DM (brutto) verdient, beschließe aber die Stimmung auszunutzen, um vielleicht doch noch einen Streik zu provozieren.
Am nächsten Tag ist die Stimmung noch gereizter. Es gibt wenig Zimmer und die meisten davon sind »Bleiben« (bei »Abreisen« verlassen die Gäste meist früh das Zimmer, bei »Bleiben« entstehen oft lange Zwangspausen, weil die Gäste sich Zeit lassen). Ich spreche öfter die Vorteile von Stundenlöhnen an, aber keine reagiert darauf.
Am folgenden Tag verteile ich heimlich Flugblätter. Als Zimmerfrau dürfen wir uns eigentlich nur auf den Personalgängen bewegen und auch nur in den Personalfahrstühlen fahren. Das hat mich bisher genervt und ich ging demonstrativ durch die Empfangshalle. Zum Verteilen der Flugblätter funtionierte das prächtig. Mir gelingt es durch das gesamte Hotel zu laufen, ohne, daß mich jemand sieht ... Auf den Flugblättern geht es darum, wieviel wir wirklich verdienen und um das Problem mit den Bleiben. Es schließt mit der Aufforderung, gemeinsam einen Stundenlohn plus 3.50 DM für jedes Zimmer (mit Strichliste) und eine täglich garantierte Arbeitszeit durchzusetzen. Ich warte den ganzen Tag ab, aber es passiert nichts, keine erwähnt etwas. Insgesamt hat sich die Stimmung wieder beruhigt, es ist viel zu tun. Keine kommt dazu, eine Pause zu machen. Als ich mit der Arbeit fertig bin, sind alle schon nach Hause gegangen. Der vierte Tag ist mein letzter. Ich reinige mit einer Kollegin sechs Zimmer und wir erledigen einen »Sonderauftrag»: Grundreinigung (bedeutet aus sauberen Zimmern imaginären Schmutz wegsaugen). Ich bekomme meinen Höchstverdienst mit 27.62 DM in sechs (!) Stunden. Als ich den Arbeitsvertrag unterschreiben soll, der dem Ganzen noch die Krone aufsetzt (Arbeit auf Abruf, keine Lohnfortzahlung im Krankheitsfall in den ersten sechs Tagen,...) verlasse ich diesen Ort.
Meine Kolleginnen
Alle Frauen sind aus der Gegend, es soll eine Frau aus Rußland dabei sein, aber sie habe ich nie gesehen. Das Alter der Frauen war von 17 bis Ende 40 (geschätzt), fast alle haben Kinder und leben mit ihrem Ehemann oder Freund zusammen. Da ich jeden Tag mit anderen Frauen zusammenarbeitete, hatte ich die Gelegenheit mit etwa einem Drittel der Arbeiterinnen zu reden. Auf die Frage warum sie dort arbeiten, haben alle die gleiche Antworten gegeben, sie bekommen kein Geld vom Arbeits- oder Sozialamt, weil ihre Ehemänner zu viel verdienen. Es ist schwierig einen Job zu finden, aber sie sind weg, sobald sie eine andere Stelle gefunden haben. Alle, die ich danach gefragt habe, hatten eine Ausbildung als Kellnerin, Verkäuferin oder als Hauswirtschafterin. Ich hatte den Job aus einer Anzeige in der Bild-Zeitung, die Kellnerin hat ihn vom Arbeitsamt vermittelt bekommen.
Die Arbeit der Zimmerfrau wird von den Gästen nicht wahrgenommen. Für sie ist es etwas natürliches, daß das Zimmer sauber ist, wenn sie ins Zimmer kommen. Auffällig werden wir nur, wenn wir Regeln überschreiten, z.B. wenn wir den Gästefahrstuhl benutzen, anstatt den für uns vorgesehenen Personalaufzug. Eine Kollegin hatte deswegen einen Anschiß bekommen. Nachdem wir die Zimmer gereinigt hatten, wurde alles von einer »Checkerin« der Gebäudereinigungsfirma kontrolliert, die wiederum von der »Hausdame« des Hotels überprüft wurde. Ich mußte einmal nachputzen, konnte es aber nicht einsehen und im übrigen auch die Putzstreifen nicht finden, also habe ich nichts gemacht. Die Checkerin hat dann nichts mehr von sich hören lassen.
Meistens arbeiteten zwei Frauen auf einem Gang. Die Stimmung untereinander war solidarisch. Unbeliebt waren die, die nach hause gingen, bevor die Arbeit gemacht war. Es gab ein Spannungsverhältnis zwischen dem Wunsch, viele Zimmer zu schaffen und dem, früh nach hause zu gehen. Gelöst wurde das, indem die Zimmer möglichst »gerecht« aufgeteilt wurden (also z.B. eine Abreise gegen zwei Bleiben), das haben die Frauen untereinander ausgemacht. Es soll mal eine gegeben haben, die 900 DM im Monat verdient hat. Sie muß jeden Tag Frühschicht gemacht und 15 Zimmer geschafft haben, was eine tägliche Arbeitszeit von etwa 10 Stunden bedeutet. Sie war wohl auch nicht sehr beliebt, auf jeden Fall kein Vorbild.
Also doch Teilzeit
Ich habe im Schnitt fünf Stunden pro Tag gearbeitet und durchschnittlich 4.30 DM verdient. Bei einer Sechs-Tage-Woche mit zwei freien Tagen durch das Wochenende und zwei zusätzlichen freien Tagen wären das 470 DM (so ein Zufall) monatlich. Der Unterschied zur »geringfügigen Beschäftigung« ist dann nur noch die Versicherungspflicht. Laut Leipziger Volkszeitung vom 15./16. Juli gibt es für Frauen nicht genügend Teilzeit-Job Angebote. Obwohl der Anteil der ostdeutschen Frauen an der Teilzeitarbeit im Gesamtdurchschnitt nur die Hälfte des der westdeutschen Frauen (Männer Ost: 2%) beträgt, ist die Quote bei den Frauen zwischen 16 und 30 Jahren fast doppelt so hoch (Ost: 26,6%, West: 13,5%). Im Durchschnitt sind Frauen aus dem Osten besser qualifiziert, als die im Westen. »Hier liegt also eine Arbeitskräftereserve, deren Nutzung im Interesse der deutschen Wirtschaft dringend erwünscht ist.« Diese Zahlen deuten zusammen mit dem, was mir die Frauen erzählt haben, eher auf eine Weigerung der Frauen, Teilzeitarbeit zu machen. Eine erzählte, daß von zehn Frauen, die vor ihr im Bewerbungsgespräch waren, keine den Job angenommen hat.