Wildcat-Zirkular Nr. 24 - Februar 1996 - S. 87-94 [z24grupp.htm]


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»Warum streiken wir nicht?«

Erfahrungen in einer Fahrstuhlfabrik.

In einen komischen Betrieb bin ich da reingerutscht. Gestern entschuldigt sich der Meister bei mir im Beisein der Kollegen, weil er mir anfangs den Urlaub nicht genehmigen wollte. Danach füllt er mir den Urlaubsantrag aus und ich muß nur noch unterschreiben. Jetzt sitze ich schon seit 20 Minuten im Pausenraum und diskutiere mit Kollegen über mögliche Aktionen gegen Entlassungen. Zwei vorbeigehende Arbeiter werden kurzerhand hereingewunken und um ihre Ideen befragt. Wohlgemerkt, es ist nicht gerade Pause! Letzte Woche hatte ich das Vergnügen, an einer spontanen Arbeitsniederlegung mit Umzug durch das Fabrikgelände teilnehmen zu dürfen. Ähnliche Erlebnisse und vergleichbare Arbeitsbedingungen hatte ich das letzte Mal in einer Telefonfabrik - vor 15 Jahren!

OTIS ist ein amerikanischer Konzern, der überall auf der Welt Fahrstuhlanlagen und Fahrtreppen produziert. In Berlin gibt es zwei OTIS-Werke. In Pankow werden Fahrkabinen für Aufzugsanlagen hergestellt, in Borsigwalde Leiterkarten und Controller für die Steuerung von Aufzugsanlagen. In Borsigwalde arbeiten 1000 Leute, davon 700 Angestellte in der Verwaltung und Entwicklung, ca. 220 in der Controllerfertigung und der Rest in der Leiterkartenfertigung. Früher haben hier mal wesentlich mehr Leute gearbeitet, aber vor Jahren wurde ein neues OTIS-Werk in Stadthagen im Weserbergland auf die grüne Wiese gebaut, wo jetzt die Fahrtreppenfertigung ist. Nach der Wende wurde noch die Fahrkabinenfertigung nach Pankow verlagert.

Das Durschnittsalter der ArbeiterInnen in der Controllerfertigung ist mit ca. 40 Jahren ungewöhnlich hoch. Die allermeisten sind FacharbeiterInnen. Controller sind Schaltschränke mit Schützen, Relais etc., die in dieser Abteilung im Akkord montiert, verdrahtet und geprüft werden. Produktionsspitzen werden recht häufig mit Leiharbeitern aufgefangen, die schon seit Jahren mit Unterbrechungen immer wieder hier arbeiten. Ein Teil der Controllerfertigung wird auch an die Fremdfirma ELPRO vergeben.

Vor einiger Zeit wurde ein neuer Controllertyp entwickelt, der einfacher aufgebaut, standartisiert und erheblich billiger ist. Das ganze nennt sich OTIS 2000. Vor einem Jahr wurde im Zusammenhang damit die Gruppenarbeit eingeführt. Die VerdrahterInnen und Monteure der OTIS-2000 Controller wurden bei zweijähriger Lohnabsicherung um ein bis zwei Lohngruppen runtergestuft, weil die Produktion erheblich vereinfacht wurde. Die Akkorde wurden bisher recht hoch mit bis zu 180% abgerechnet. Mit der Einführung von Gruppenarbeit für 20 ArbeiterInnen in einer Pilotgruppe wurde dieser Akkord beschränkt auf maximal 145%. Die Lohneinbußen wurden aufgefangen durch eine Vereinbarung, nach der die KollegInnen für mindestens drei Jahre eine Ausgleichszahlung bekommen. Das heißt, die meisten bekommen für eine Arbeitsleistung von ca. 130% einen Akkordlohn von 155%. Das gilt natürlich nicht für Neueingestellte wie mich.

Gruppenarbeit - nicht sehr beliebt.

Gruppenarbeit wird sehr skeptisch gesehen. Alle KollegInnen außerhalb der Gruppe sagen immer wieder, daß sie auf keinen Fall in die Gruppe wollen. Das gibt auch immer wieder lange Gesichter, wenn Kollegen der Gruppe befristet zugewiesen werden, weil wegen Krankheit und Urlaub die Gruppe zu klein geworden ist. Auch in der Gruppe selber ist Gruppenarbeit nicht gerne gesehen. Früher konnte man so arbeiten, wie man wollte. Einen Monat hat man mal 160% geschafft. Den anderen Monat hatte man keine Lust, dann hat man eben nur 110% gemacht. Jetzt guckt jeder dem anderen auf die Finger, damit er die Gruppenprämie nicht versaut. Und mehr verdienen als der Gruppendurchschnitt kann man auch nicht. Wobei das Klima in der Gruppe insgesamt noch sehr solidarisch ist. Aber die Tendenz von gegenseitiger Antreiberei und Bespitzelung ist bereits spürbar. Ein großer Vorteil von Gruppenarbeit gegenüber dem Einzelakkord ist, daß jedes Abrechnungsproblem mit dem Meister und der Zeitwirtschaft sofort und unmittelbar ein Problem der ganzen Gruppe wird. Wenn der Meister mit einem Arbeiter über die rausgeschriebenen unproduktiven Zeiten diskutiert, stellen sich in aller Regel sofort mehrer KollegInnen dazu. Für die Firmenleitung ist die Gruppenarbeit ein Balanceakt: Beschränkung der Prämienobergrenze, Bespitzelung und Antreiberei, Platzersparnis (nur ein Materialzwischenlager für 20 ArbeiterInnen) gegen die Gefahr der Solidarisierung gegen die Betriebshierarchie?!?

Als ich im November in den Betrieb kam, wurde ich gleich in die Gruppe gesteckt. Zu dem Zeitpunkt gab es schon die ersten Konflikte. Die Lohnabrechnungen für Oktober waren fast alle falsch. Gleich am ersten Arbeitstag hatte ich das Vergnügen an einer Gruppensitzung unter Beteiligung des Personalchefs und eines Betriebsrats teilzunehmen. Alle waren ziemlich sauer, nicht nur über die falschen Abrechnungen, sondern vor allem über die Kompliziertheit dieser Abrechnungen. Der Personalchef hat zwar immer wieder behauptet, es wäre eigentlich alles ganz einfach, aber ich habe selber noch nie solch undurchschaubare Abrechnungen gesehen. Ein Arbeiter hat dann das Problem auf den Punkt gebracht. Wenn ich genauso viel wie vorher arbeite, will ich auch genauso viel Geld wie vorher nach Hause tragen. Die Probleme mit der Abrechnung, mit den Akkordberechnungen und Ausgleichszahlungen führten in den nächsten Tagen und auch heute noch zu zahlreichen Diskussionen. Auf der Gruppensitzung wurde auch gesagt, daß es die Ausgleichszahlungen nur gibt, wenn die Gruppe mindestens 126% schafft. Kurze Zeit später gabs lange Gesichter. Angeblich hatte die Gruppe im Vormonat die 126% um 0,4% verpaßt. Für viele wären das dann Lohneinbußen von 2-300 DM gewesen. Dementsprechend gabs natürlich dicke Luft. Ich fühle mich echt demotiviert. Ich weiß nicht, wie wir unter diesen Umständen die Arbeit schaffen sollen. Nach zahlreichen Diskussionen hieß es auf einmal, alles nur ein Mißverständnis. Selbstverständlich gibt es die Ausgleichszahlung unabhängig von der Produktivität.

Immer wieder ein Erlebnis: die Gruppensitzungen!

Es gibt zwei Arten von Gruppensitzungen. Die einen ohne Meisterbeteilung nur mit den KollegInnen, und die mit Meister, Betriebsrat und ev. Personalchef. Wenn nur die KollegInnen zusammensitzen wirds manchmal ganz schön haarig. Da geht's dann schon mal mit gegenseitigen Anschuldigungen, wer zu wenig arbeitet und zuviele Fehler macht usw. Bei den hochoffiziellen Sitzungen sind die KollegInnen glücklicherweise noch recht solidarisch und vertreten ihre Positionen mit gesundem Selbstbewußtsein. Da fordert eine Kollegin den Personalchef auf, dafür zu sorgen, daß die Bespitzelung der Gruppe aufhört. Schließlich ist es unsere Sache, ob wir zum Arbeitsbeginn erstmal ein halbe Stunde Zeitung lesen und Kaffee trinken. Bei der anschließenden regen Diskussion räumt der Personalchef ein, daß natürlich niemand von Ihnen verlangen kann, daß sie sofort mit der Arbeit beginnen. Er versuchte nur noch, die halbe Stunde auf 10 Minuten zu drücken.

Kampf gegen Verlagerung?

Im Dezember gab es eine Betriebsversammlung. Schon vorher wußten alle, daß es Pläne gab, die Controllerproduktion nach Italien oder Frankreich zu verlagern. Die KollegInnen sahen das aber nicht so dramatisch, weil es diese Gerüchte wohl schon seit Jahren immer zum Jahresende gab. Auf der Betriebsversammlung wurde es dann aber amtlich. Im Januar sollte es eine Verhandlung in der europäischen Konzernzentrale in Paris geben. Was auf jeden Fall schon klar war, war, daß es eine Verschiebung in der Produktion gibt. Die traditionellen Controller sollten immer mehr durch die neuen OTIS-2000-Controller ersetzt werden. Zum einen sollten die Kollegen aus diesem Bereich in den neuen Bereich versetzt werden, verbunden mit Abgruppierungen. Zum anderen sollten dadurch 30-40 Arbeitsplätze wegrationalisiert werden. Die Umsetzung stößt auf eine sehr zähe Ablehnung nicht nur wegen der Lohneinbußen. VerdrahterInnen, die vorher eine in ihren Augen hochqualifizierte Arbeit gemacht hatten, wollten sich nicht auf eine simple Anlerntätigkeit einlassen. Es gab wohl viele, die dann lieber mit Abfindung gegangen sind. Eine Zeitlang dachten viele, daß die Beratungen in Paris nur um die traditionellen Controller gingen, weil die OTIS-2000-Controller sehr neu waren und erst seit kurzen im Werk produziert werden. Aber es wurde dann schnell klar, daß es in Paris um die gesamte Controllerfertigung ging.

Der Betriebsrat mahnte auf der Betriebsversammlung die Firmenleitung an, unsere interressen in Paris gut zu vertreten. Dafür würden wir alle bis zur Entscheidung, die im Januar fallen sollte, stillhalten. In der Kantine wurde eine große Stellrafel aufgestellt, auf der alle KollegInnen abgebildet waren, die im Controllerbau beschäftigt sind. Und in allen OTIS-Werken wurden bundesweit Unterschriften gesammelt - nicht etwa gegen gegen Rationalisierung und Entlassungen, nicht einmal für den Erhalt der Arbeitsplätze. Wir stehen hinter den Controllern!, stand auf den Listen. Dazu muß angemerkt werden, daß nicht wenige Betriebsräte zu der linken Fraktion in der IGM gehören. Das ist doch Kinderkram mit den Bilderchen und den Unterschriften! Das muß ich doch nicht unterschreiben, daß ich meinen Arbeitsplatz behalten will. Sonst wär ich doch nicht hier. Damit können wir doch niemanden beeindrucken. Wenn wir alle zusammen ne Demo machen würden, das wär vielleicht was ... Es gab die ersten Unmutsäußerungen gegen den Kurs des Betriebsrates.

Die Spannung steigt!

In der letzten Januarwoche warteten alle auf Nachricht aus Paris. Erst hieß es, am Wochenende wäre die Entscheidung schon gefallen. Dann sollte sie am Dienstag fallen und Mittwoch hörten wir immer noch nichts. Donnerstag war bereits der 1.Februar.

Mit der Unsicherheit können wir einfach nicht mehr weiterarbeiten! Wenn wir bis 10:55 Uhr nichts von der Geschäftsleitung hören, gehen wir um 11Uhr hoch und fragen mal nach. Mit diesen Worten wurden die KollegInnen um halb 11 mobilisiert. Um 11 Uhr legte dann die ganze Halle 8, Controllerfertigung, die Arbeit nieder. Ungefähr 150 ArbeiterInnen strömten aus der Halle und zogen über den Hof zum Büro des Produktionsleiters. Vor der Leiterkartenfertigung versammelten wir uns in einer leerstehenden Lagerhalle. Zwei Betriebsräte holten den Produktionsleiter aus seinem Büro. Das war ziemlich ärgerlich, weil es natürlich viel besser gewesen wäre, wenn wir alle gemeinsam durch die Leiterkartenabteilung gezogen wären. So guckten einige Frauen aus der Abteilung neugierig durch die Luftschleuse dem Treiben zu. Man sollte sich bei solchen Aktionen möglichst weit an die Spitze begeben, um Einfluß nehmen zu können. Der Produktionsleiter wußte nicht, wie der Stand der Dinge in Paris war und wollte auch nicht dort anrufen. Er meint dauernd, daß solche Aktionen unserer Sache äußerst undienlich seien, vor allem, wenn die europäische Konzernzentrale davon Wind bekäme. Einige KollegInnen versuchten Stimmung zu machen, aber nach 20 Minuten zogen wir zurück in die Halle 8. Auf dem Rückweg wurden erste Stimmen laut, die vorschlugen, ab heute jeden Tag um 11 wiederzukommen und jedesmal 10 Minuten länger zu bleiben.

Am Freitag klappte das leider nicht. Die Stimmung war eher so, daß wir es denen jetzt mal gezeigt haben. Jetzt haben die ein paar Tage Zeit, darauf zu reagieren. Am Montag kam uns die Geschäftsleitung zuvor. Ausgerechnet um 11 Uhr setzte sie eine Abteilungsversammlung an, auf der sie uns über die Ergebnisse der Pariser Beratung informierte. Die europäische Konzernzentrale hatte entschieden, die Hälfte der Controllerfertigung nach Gien in der Nähe von Paris zu verlagern. Im Endergebnis würde das 30-40 Entlassungen bedeuten. Der Leiter der Geschäftsführung ritt ständig auf der Parole rum, wir hätten jetzt die Chance unsere Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Wir müßen und wir werden uns der Konkurrenz aus Frankreich stellen!

Danach herschte in der Halle ziemlich dicke Luft. Viele befürchteten, daß diese Teilverlagerung nur der Anfang wäre. Einige Betriebsräte liefen wütend durch die Halle und erzählten, daß sie unter diesen Umständen keine Überstunden und Samstagsschichten zustimmen könnten. Der Witz war, daß die Geschäftsleitung am selben Tag Überstunden beim Betriebsrat beantragt hatte. Am nächsten Morgen verteilten die Betriebsräte vor dem Tor ein Flugblatt zur aktuellen Information. Wir haben uns so angestrengt in den letzten Monaten, um die Nichtlieferrate zu senken. Soll das alles umsonst gewesen sein? Für den nächsten Morgen wurde zu einer außerordentlichen Betriebsversammlung eingeladen.

Warum streiken wir nicht jetzt? Immer wieder wurden Betriebsräte in Diskussionen verwickelt. Überall gab es Überlegungen zu möglichen Aktionen, aber auch enorme Ratlosigkeit.Wenn wir jetzt streiken, ist es hier ganz aus, dann machen sie den Laden ganz dicht. Im Laufe des Tages murmelten immer mehr Betriebsräte kleinlaut, daß sie wohl in den nächsten Tagen dem Antrag auf Überstunden zustimmen werden. Am nächsten Morge verteilten wir ein mit der heißen Nadel gestricktes Flugnlatt, daß ausgesprochen positiv aufgenommen wurde. Vor allem der Angriff auf den Betriebsrat, der die Überstunden offensichtlich genehmigen will, sorgte für einige Unruhe. Leider wurde das Flugblatt nicht als Aufruf zum eigenen Handeln verstanden. Es wurde schon als Aktion verstanden, daß ein solches Flugblatt im Betrieb kursierte. Einige KollegInnen beteiligten sich aktiv an der Weiterverbreitung, z.B. wurde ein ganzer Stapel nachkopierter Blätter in den Pausenraum gelegt.

Betriebsversammlung - ohne Pep

Die Betriebsversammlung war dann wider Erwarten sehr lahm. Anfangs redeten nur Betriebsräte und die Geschäftsleitung, fast ohne Zwischenrufe. Der Firmenchef wurde nicht mal ausgebuht. Erst nach zwei Stunden meldeten sich such KollegInnen zu Wort. Tenor war, daß der Geschäftsführung Unfähigkeit vorgeworfen wurde. Wir als ArbeiterInnen hätten gute Arbeit geleistet, aber das mittlere Management hätte durch falsche Entscheidungen alles zunichte gemacht. Und die Geschäftsleitung wäre nicht in der Lage gewesen, uns in Paris vernünftig zu vertreten.

Der Vorsitzende der Geschäftsleitung rief uns wiederholt zum Kampf auf. Aber Kampf im Sinne von Konkurrenzkampf gegen unsere KollegInnen in Frankreich. Außerdem redete er immer wieder davon, daß diese Entscheidung von unseren Kunden gefällt worden sei. Mit Kunden meint er andere OTIS-Werke, in denen die hier gefertigten Kontroller in komplette Anlagen montiert werden.

Und nun? Warum streiken wir nicht?

Seit dieser Betriebsversammlung herscht bis heute eine eher gedrückte Stimmung im Betrieb. Viele ahnen, daß mit dieser Teilverlagerung die ganze Controllerfertigung in Berlin und damit auch unsere Arbeitsplätze zur Disposition stehen. Viele sagen auch, daß die Fertigung nur so lange an zwei Standorten gemacht wird, bis die Produktion in Gien reibungslos läuft. Wir sollen jetzt sogar für mehrer Wochen mehr arbeiten. Es gibt den Antrag auf Überstunden und Samstagsschichten, Urlaubssperre ist auch schon im Gespräch. Wir sorgen also mit unsere Arbeit mit dafür, daß diese Verlagerung ohne größere Produktionsausfälle über die Bühne geht. Warum gibt es keinen Kampf, keinen Streik? Warum gibt es nicht mal ernsthaften Widerspruch gegen die Überstunden?

Wir haben zu mehren Kollegen in den Pausen und auch während der Arbeitszeit ellenlang gegrübelt und über mögliche Kampfmaßnahmen diskutiert. Ich habe noch nie in einer Fabrik gearbeitet, in der die ArbeiterInnen trotz umfangreicher Kampferfahrung, trotz hohem Organisierungsgrad, und obwohl es um existentielle Fragen geht, so ratlos waren.

Eine entscheidende Rolle spielt sicher die komplizierte und kaum zu durchschauende Konzernstruktur. Die Konzernzentrale sitzt in den USA, die europäische Konzernführung ist in Paris. Das ist alles weit weg. Die einzelnen Fabriken sind betriebswirtschaftlich unabhängig voneinander. Ständig wird auf diesen Kundenmythos rumgeritten. Gegen wen soll man kämpfen? Die Berliner Geschäftsführung tut so, als wäre sie im Grunde auf unserer Seite und würde unsere Interessen vertreten. Es gibt nicht wenige, die auf diesen Quatsch reinfallen. Sicherlich spielt auch die Angst eine große Rolle, daß bei Konflikten in Berlin die Zentrale alles sofort nach Frankreich oder Italien verlagert.

Viele ArbeiterInnen sagen auch, daß das alles gar nicht so dramatisch sei. Seit Jahren gibt es immer wieder Gerüchte über Verlagerung, letzlich sei es dann doch nicht so schlimm gewesen. Diese Hoffnung wird noch dadurch genährt, daß das Gerücht von einem neuen modernen Controllertyp die Runde macht, der dann garantiert in Berlin gefertigt wird.

Außerdem ist das Ziel eines solchen Kampfes unklar. Wenn wir gegen die Verlagerung kämpfen, dann ist dieser Kampf schon in der Logik des angeblichen Konkurrenzverhältnisses zu den französischen ArbeiterInnen gefangen. Wenn wir diesen Kampf gewinnen, dann nur auf Kosten unserer französischen KollegInnen. Es geht bei der Verlagerung in der Hauptsache nicht um die Verschiebung von Arbeitsplätzen. Das würde den Aufwand nicht rechtfertigen. Es geht um Rationalisierung und Arbeitsverdichtung! Schon mit der Einführung der neuen OTIS-2000-Controller wurde der erste Schritt in diese Richtung gemacht. Danach folgte die Gruppenarbeit und neue Zeitaufnahmen. Das Problem für die Konzernleitung war, daß es in Berlin in den zurückliegenden Jahren offensichtlich zwischen der Firmenleitung und den ArbeiterInnen eine blockierte Pattsituation gab. Durchgreifende Veränderungen, Verdichtung der Arbeit, Steigerung der Arbeitshetze war gegen diese ArbeiterInnen nicht durchsetzbar. Oder jedenfalls nicht in dem Maße, wie die Konzernzentrale es gerne hätte.

Gegen diese Rationalisierungspläne in der Controllerfertigung kann der Kampf nur erfolgreich sein, wenn daran alle ArbeiterInnen beteiligt sind, die in der Controllerfertigung beschäftigt sind, also auch die französischen KollegInnen. Diese Tatsache wird in Diskussionen durchaus anerkannt, wie aber setzt man dies um? Es gibt bei OTIS Bemühungen, einen Europabetriebsrat zu bilden. Aber erstens kriegt davon kein Arbeiter wirklich was mit. Und zweitens darf bezweifelt werden, daß ein Europabetriebsrat dem Rationalisierungsangriff der Konzernleitung ernsthaft etwas entgegensetzen kann und will. Unmittelbare Kontakte zwischen ArbeiterInnen bei OTIS Berlin und Gien gibt es bisher nicht.

Die internationalen Dimensionen von Verlagerung und Rationalisierung werden natürlich von den ArbeiterInnen diskutiert. Immerhin ist OTIS ein Weltkonzern. Außerdem ist die Standortdebatte zur Zeit sehr aktuell und die Presse ist voll von Meldungen über Betriebsschließungen und Verlagerungen in andere Regionen der Welt. Daß es angesichts dieser Problematik nicht zu platten nationalistischen und rassistischen Vereinfachungen kommt, ist schon an sich positiv. Aber in der heutigen Zeit eine Möglichkeit zu finden, erfolgreiche Kämpfe zu führen, ist eine verdammt schwierige Sache. Daß das Kapital inzwischen scheinbar sehr flexibel international operiert, birgt auf lange Sicht die Möglichkeit des international viel stärker verflochtenen Klassenkampfs. Aber bis dahin scheint es doch noch ein langer mühsamer Weg.


Flugblatt:

ETO hat entschieden?

Jetzt sind wir dran!

Am Montag erklärte Reuning fast wörtlich: "Wir haben die Hälfte der Kontrollerfertigung hier in Berlin behalten. Wir haben bis zum Jahresende die Möglichkeit zu beweisen, daß wir genauso schnell und produktiv sind wie Frankreich und Italien."

Das ist ein unverschämter Versuch, uns gegen unsere Kolleginnen und Kollegen in Frankreich und Italien auszuspielen. Auf diesen Konkurrenzkampf dürfen wir uns auf keinen Fall einlassen! Wir sind schließlich nicht bei den olympischen Spielen!

Dieser Konkurrenzkampf führt nicht nur zu Entlassungen, er wird die Arbeitsbedingungen für die noch verbleibenden Kolleginnen und Kollegen immer unerträglicher machen! Stattdessen müssen wir uns dringend mit unseren Kolleginnen und Kollegen in Frankreich und Italien verständigen - denn die werden doch mit ähnlichen Sprüchen unter Druck gesetzt wie wir!

Samstagsarbeit? Überstunden???

Am Dienstag beantragte die Firmenleitung Überstunden und Samstagsarbeit in der Kontrollerfertigung. Es zeichnet sich ab, daß der Betriebsrat einknickt! Er wird aller Voraussicht nach diesem Antrag zustimmen!!! Mit der Begründung, wir müßten die "Liefertreue" für die Kontroller gewährleisten, um langfristig den Rest der Produktion zu sichern.

Das ist unglaublich!

  1. Damit hat der Betriebsrat den Kampf gegen die Verlagerung schon aufgegeben!
  2. Der Betriebsrat läßt sich voll auf den Konkurrenzkampf ein!
  3. Der Betriebsrat hat offensichtlich nichts dazugelernt. Obwohl er selber sagt, daß alle unsere Anstrengungen, die Überstunden und die Samstagsarbeit, die Verlagerung nicht verhindern konnten, macht er das gleiche wieder.
  4. Damit gibt er das letzte uns verbleibende Druckmittel aus der Hand!

Warum kämpfen wir jetzt nicht offensiv gegen die Verlagerung und den Arbeitsplatzabbau?

Der Betriebsrat und einige Kollegen behaupten, daß sich die Konzernzentrale in Paris die Hände reiben würde, wenn wir z.B. streiken würden.

Wirklich?

Glaubt Ihr wirklich, die Konzern-Zentrale hat kein Interesse daran, daß die anstehenden Aufträge erfüllt werden? Glaubt Ihr wirklich, daß sie sich darüber freuen würden, wenn hier kein Kontroller mehr das Werk verläßt? Das wären Riesenverluste für den ganzen OTIS-Konzern - und nicht nur für BW Berlin.

Gerade jetzt, wo wir sogar mit Überstunden und Samstagsarbeit schon erteilte Aufträge bis Mai abarbeiten sollen, haben wir ein Druckmittel in der Hand. Denen würden auch in Paris ganz schön die Augen tränen, wenn wir uns hier mal richtig querstellen!

Streik jetzt!

Arbeiterbündnis gegen das Bündnis für Arbeit!


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