Gegen die Schmerzsimulanten -
Gedanken zu Rassismus und Revolution
Serien haben durchaus etwas für sich - so lange es sich um Lindenstraße oder die Bravo-Foto-Love-Story handelt. Beim vierten Teil der Bremer »Thesen und Vorschläge zu Faschismus/Antifaschismus« (Zirkular 22) konnte sich allerdings ein erleichtertes Aufatmen, daß es sich um den letzten Teil handelt, nicht unterdrücken lassen.
Und doch ist es gut, daß der Text geschrieben wurde, denn der Bremer Vorschlag, »aus der Erfahrung der Antifa-Bewegung Schlüsse (zu) ziehen, die die ganze Ausbeutung und Unterdrückung ins Visier nimmt«, ist symptomatisch dafür, daß in der Diskussion um »Rassismus/(Anti)Faschismus/Klassenkampf« nicht nur das Ende der Fahnenstange erreicht wurde, sondern nur noch Bodenlosigkeit in Sicht ist.
Ich habe mich nach den wütenden und verletzten/verletzenden Reaktionen auf mein thesenhaftes Papier zu Rassismus (Zirkular Nr.12) nicht mehr zu dem Thema geäußert. Das »Problem des Rassimus« besteht allerdings weiterhin, und einige DiskutantInnen und Zirkular-GenossInnen waren anscheinend nur fähig, auf Versuche, sich diesem Problem zu nähern, mit der hysterischen Geste von »Kopfweh und Migräne« (Vorwort Zirkular 14) zu antworten. Wer sich derart Schmerz simulierend am Boden wälzt, will in Ruhe gelassen werden und sich weiterhin »im Namen eines Klassenkampfes als Prinzip« (M.Rheinlaender) eine notwendige Diskussion vom Leib halten.
Da konnten meine tastenden Versuche, sich dem Phänomen »Rassismus & Klasse« zu nähern, nur als »Unverschämtheiten und Beleidigungen« interpretiert werden; die »möglicherweise wertvolle(n) Gedanken« Martin Rheinlaenders zur Rassismusfalle werden auch nicht dahingehend diskutiert, ob sie es denn tatsächlich sind, sondern die scheinbar alles erklärende Etikettierung »intellektualistisches Geschwätz« ist Argument genug.
Ein solches Vorgehen, solche »Unverschämtheiten und Beleidigungen«, bekommen meines Erachtens in den Ausführungen des ehemaligen Antifas aus Bremen ihre verdiente, wenn auch unfreiwillig ausgestellte, Quittung. Die »Vorschläge für eine militante Praxis« mit den ganzen großen Gesten vom Schreibtisch aus, die eine »soziale Verankerung aufbauen« wollen und die »rassistischen Spaltungen in sozialen Kämpfen aufheben« wollen, sind so floskelhaft wie nichtssagend. Denn sie bringen uns in der aktuellen Krise um keinen Zentimeter weiter.
Der Verweis auf die Erfahrungen und praktischen Verknüpfungsversuche von Flüchtlingsgruppen und Initiativen wie die Aktionen gegen städtische Vertreibungspolitik, die Kölner SozRevKonf, den »Club der Verdrängten« oder Bremer ARAB-Initiativen und ähnliches ist richtig, das sind sehr wichtige Initiativen. Doch teilweise liegen auch schon Fragmente einer Selbstkritik vor; so berichtete die Berliner Donnerstagsgruppe auf dem Autonomen Kongreß, sie hätten mit ihrem Versuch, mit einem »Club der Verdrängten« sich der »soziale Frage« zu nähern, eine »Romantisierung der Ausgrenzungssituation« betrieben und hätten die Spaltungen innerhalb der »Ausgegrenzten« dann schmerzhaft wahrnehmen müssen.
Genau mit diesen Initiativen und entlang dieser Erfahrungen sollte diskutiert werden über eine antikapitalistische Gegenmacht, die mehr sein muß, als eine Randgruppenstrategie. Nur sehr wenig ist leider im Zirkular über oben genannte Initiativen zu erfahren. Doch über den Antifaschismus oder noch schlimmer: die real existierenden Antifa-Zusammenhänge und deren Praxis zum »Ganzen« - nennen wir das Kind beim Namen, auch wenn er fast schon veraltet klingt: zur Revolution - kommen zu wollen, ist unhistorisch, töricht und unmöglich.
Ich möchte im folgenden erneut die Zirkular-Gemeinde mit Überlegungen zu Rassismus & Klassenkampf belästigen (gegen Kopfweh und Migräne hilft: nicht lesen oder Aspirin). Bezug nehmen möchte ich auf Martin Rheinlaenders Warnung vor der »Rassismusfalle« (Zirkular Nr. 14), und ich möchte Rassismus und Antisemitismus im Zusammenhang mit proletarischen Such-Findungsprozessen diskutieren.
I. Arbeiterklasse und Kapital
Zwischen Arbeiterklasse und Kapital existiert nicht zwangsläufig ein Antagonismus. »In der Allgemeinheit, wie der Klassenkampf zunächst begriffen werden muß, entwickelt er aus sich heraus nicht zwangsläufig oder historisch-notwendig eine Perspektive, die über das Grundverständnis von Arbeiterklasse und Kapital hinausweist.« Rheinlaender sieht - in Radikalisierung E.P.Thompsons - eine gesellschaftliche Krise und die Möglichkeit der Revolution dann gegeben, wenn in sozialen Auseinandersetzungen Wertvorstellungen und bisherige Orientierungspunkte (moral economy?) sich radikalisieren, verschwinden oder verschoben werden. Nicht der angebliche Antagonismus von Kapital und Arbeit führt notwendig zur Revolution, sondern die Selbstwahrnehmung im »Kampf um gesellschaftliche Anerkennung« und die neuen Erfahrungen, die sich aus dem Zusammenprall neuer Bedingungen mit bereits vorhanden Vorstellungen ergeben.
Der Klassenkampf - der, von der »Klassen-Linken« zum Prinzip erhoben, etwas farblos den »AntirassistInnen« entgegengehalten wird - ist jedoch bloß »allgemeines Grundverhältnis von Arbeiterklasse und Kapitalismus« - und deshalb noch nicht notwendig kapitalistische Ausbeutung transzendierend. Zugespitzt gesagt ist der historische Sinn der Arbeiterklasse einzig und alleine der, sich als Arbeiterklasse ausbeuten zu lassen, und nicht der, der von sämtlichen marxistischen Theoretikern fast schon naturgesetzlich hineingemogelt wurde: Revolution zu machen und den Kommunismus aufzubauen.
Erst in dem handfest auszumachenden Willen, nicht mehr Arbeiter sein zu wollen, ist Kommunismus als reale Bewegung vorhanden. Mit der Auflösung der Arbeiterklasse wäre dann auch der Kapitalismus an seinem wohlverdienten Ende. (»Auflösung« hört sich zugegebenermaßen zu harmlos an. Es geht nicht - wie bei Robert Kurz - darum, daß Kapital und Arbeit »aufgehoben« gehören, wie der Kritiker der Warengesellschaft es ausdrückt. Sondern es geht um einen gewaltsamen Prozeß, der nur von der Klasse selbst, nicht von Managern und Bankern, ausgehen kann.)
Doch genau dieser Wille, auszubrechen aus der Verwertungslogik, ist als reale Bewegung kaum noch vorhanden. Eben dies ist der Kern der Krise der Arbeiterklasse, die zur Krise der antikapitalistischen Linken wurde, welche sich immerhin einig ist, »daß Emanzipation als soziale Befreiung letztlich nur durch die Klassenkämpfe hindurch erreicht werden kann...« [1]
Denn der Klassenkampf ist nicht tot, er exisiert so lang es kapitalistische Ausbeutung gibt, doch er ist - teuflischerweise - nicht nur oft genug das modernisierende Lebenselixier des Kapitals, sondern er ist ihm immanent. Das Kapital erstickt erst dann an ihm, wenn die Tendenzen des Kampfes der Klasse gegen sich selbst (als Klasse) auftreten, und damit die Voraussetzungen einer gesellschaftlichen Krise produziert werden. [2]
So abstrus ein proklamiertes »Recht auf Faulheit« mittlerweile in den meisten proletarischen Ohren klingen mag, so unvorstellbar ist der Bruch mit der Verwertungslogik des Kapitals geworden. Im Gegenteil, die Akzeptanz der Verwertungslogik, deren Teil man als Träger der Ware Arbeitskraft ist, hat die Vorstellungen zu einem leidenschaftlichen »Produktivismus« sogar noch radikalisiert. Je mehr antikapitalistische Vorstellungen (sei es die Überzeugung, ein Existenzrecht zu haben, das abgekoppelt von der Arbeit ist, sei es die konkrete Negierung kapitalistischer Eigentumsformen) verdrängt werden, desto brutaler setzt sich das Diktum »Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen« in allen erdenklichen Varianten durch. Eine davon ist der Rassismus.
II. Rassismus als konformistische Rebellion - über Produktivismus und Rassismus
Ich halte die Etikettierung des Klassen-Rassismus als »konformisitische Revolte« (K.H.Roth) für durchaus brauchbar. Ich möchte auch zeigen, daß in einem gewissen Sinne die Wildcat-Bemerkung »riots von rechts« völlig richtig ist.
In der rassistischen Jugendrevolte in Rostock und Hoyerswerda - an der in der Tat viele Prolos beteiligt waren - kommt zum Ausdruck, daß die bisherige Wahrnehmung der Gesellschaft und die Orientierungspunkte sich aufgelöst haben. Gesellschaftliche Umbrüche, Krisenerscheinungen und Deregulierungsfolgen dürfen genauso wenig ausgeblendet werden, wie zu Heitmeyerschen Konzepten der nationalen Pazifizierung »unserer Jungs« oder zur Versozialarbeiterung sozialrevolutionärer oder operaistischer Initiativen verkommen: die Faschos seien »mit ihrer ungeheuerlichen Deprivationserfahrung von allen, auch und gerade den Linken, alleingelassen...« [3]
Was uns in der Gestalt von »Rostock« begegnete, war die (un)moralische Ökonomie rechtsextremer Gewalt im Medium der Krise. [4] Die Subjektivität, die in diesen rassistischen Angriffen zum Ausdruck kommt, ist entschieden von Werten und Erwartungen des Fordismus geprägt. Proletarische Männlichkeitssymbole (der Skinhead-Look) und Gewalt gegen AusländerInnen und andere Gruppen, die beschuldigt werden, Arbeit wegzunehmen oder sich vor Arbeit zu drücken, prägen diesen Rechtsradikalismus; entscheidend ist die Hypostasierung »der Arbeit«. Seine Angriffe gegen Vertreter der Staatsmacht sind »militanter Reformismus«, man weiß sich im Grunde mit dem Souverän einig: spätestens beim staatlich organisierten & geschützten Abtransport der Flüchtlinge erfolgt das honorierende Beklatschen der Staatsmacht. Die rassistischen Angriffe könnten also durchaus mit der verdutzten Wildcat-Frage »riots von rechts?« umschrieben werden - es handelt sich um einen Aufstand für den Fordismus. Er klagt die männliche Rolle im patriarchalen Neufindungsprozeß ein, ebenso die nationale Identität des »deutschen Staatsbürgers« gegen den Bedeutungsverlust des Nationalstaats und die sozialstaatliche Einbindung gegen die Deregulierung.
Es ist eine hoffnungsloser Findungsprozeß - außer der Brutalisierung der Gesellschaft und der Installierung eines Gewaltlevels, auf den verweisend sich der Sicherheitsstaat ausweitet, gewinnt der Klassenrassismus keinen Blumentopf. »Daß das Multikulti der neuen Mittelschichten den gesellschaftlichen Garantien und der Verfassung der keynesianischen Arbeiterklasse den Todesstoß versetzen wird, haben die absteigenden Schichten wohl begriffen«. [5]
Trotzdem sollte nicht allzu euphorisch darauf gesetzt werden, daß der Rassismus noch die letzte Verbindung zum politischen System ist, und daß nach der Zurückdrängung der proletarischen, rassistisch artikulierten Ansprüche einige Militante für den sozialrevolutionären Kampf gewonnen werden könnten.
»In (...) alltäglichen wie gesellschaftlichen Auseinandersetzungen ist der Rassismus eine von mehreren Identitätsbildungen, und in seinem mobilisierten Stadium ist er eine der Arten, wie reaktionäre Normen und Werte radikalisiert werden, um die eigene Stellung innerhalb der sozialen Auseinandersetzung zu definieren.« [6] Wenn ich diesen Prozeß mit dem Begriff der repressiven Subjektkonstitution umschreibe, so ist hiermit keinesfalls eine dem Individuum keinen Spielraum und keine Entscheidungen zulassende Struktur gemeint, aus der nur das richtige Parteibuch, mit dem man sich gleichzeitig das richtige Bewußtsein eingekauft hat, herauszuführen vermag. Sondern diese repressive Subjektkonstitution ist die freiwillige Unterwerfung unter die Imperative von Staat und Kapital.
Zu behaupten, innerhalb der kapitalistischen Vergesellschaftung gäbe es keine »freiwilligen« Schritte, keine Autonomie, negiert die Möglichkeit der Revolution. Es ist mittlerweile Mode geworden, den Kapitalismus nur noch als Verblendungszusammenhang zu bezeichnen und nicht als Ausbeutungsordnung zu begreifen. Dieser Mode folgend würde die reale Verdrehtheit der Warengesellschaft unmittelbar »notwendig falsches Bewußtsein« nach sich ziehen. Nach dieser Lesart (der ersten Seiten des Marx'schen Kapitals), die von der Freiburger ISF oder auch der neuen Bahamas vertreten wird, hat man es tatsächlich nur noch mit »bürgerlichen Subjekten« und »Charaktermasken« zu tun, die alle dem Fetischcharakter der Ware erlegen sind. Die Revolution ist somit eine vergnügliche Ausflugsfahrt für den erlesenen Kreis der aufgeklärten wertkritischen Intelligenz.
Das Problem ist, daß die Klassen-Linke diesen Analysen und Theorien recht hilflos gegenübersteht. Das ist kein Wunder, denn gerade der Operaismus war ja nie eine Theorie im eigentlichen Sinn, sondern er konnte einfach adäquat Kämpfe und vorhandene Stimmungen beschreiben. Jetzt bläst ihm allerdings (schon länger) ein kalter Wind ins Gesicht.
Wenn der Wind schon kalt bläst, müssen wir nicht auch noch Trübsal blasen: Denn wir wissen ja nicht, was sich beispielsweise unter der Oberfläche der Dezember-Streiks in Frankreich getan hat. Sicher, die soziale Bewegung in Frankreich war ein Aufstand für den Wohlfahrsstaat. Doch dessen Interventionsmöglichkeiten sind über die Globalisierung und das Maastricht-Projekt erschöpft. Das auf der einen Seite. Auf der anderen sind die kollektiven Momente, auf der Straße zu sein, nicht zur Maloche zu gehen und auch mal vehement bis militant seine Interessen zu artikulieren, nicht zu unterschätzen. Da waren keine »bürgerlichen Subjekte« oder »Charaktermasken« auf der Straße - ganz im Gegenteil!
Dies gilt es ersteinmal wahrzunehmen.
Der Untergang oder die Wiederauferstehung einer antikapitalistischen revolutionären Linken wird davon abhängen, ob erstens solche Bewegungen entstehen und sich Kämpfe entwickeln und ob zweitens jenseits der Arbeit und ihrer wohlfahrtsstaatlichen Garantierung Perspektiven sichtbar gemacht werden.
Doch mit einem sollten wir uns gegenseitig verschonen: mit der ewig-gleichen Leier, die zu antifaschistischen Selbstverständlichkeiten etwas sozialarbeiterisches »Sich-um-die-da-unten-kümmern« dazupackt und meint, das wäre der Weg zur Revolution. Wir können noch so sehr »uns sozial verorten«, »Präsenz in der Fabrik, im Stadtteil« und weiß-der-Teufel-wo zeigen (bei der häufig anzutreffenden Rolle des produktivistischen Linken im Betrieb wäre es oft besser, das wäre nicht der Fall), doch dieses Einmaleins der gewendeten AntirassistInnen, die die »soziale Frage« entdeckt haben, leugnet einfach, daß »die 'soziale Frage', in dieser abstrakten Weise gestellt, (...) nichts anderes als die Frage nach den Bedingungen kapitalistischer Wohlfahrt des Proletariats (ist). Und auf der Suche nach Antworten auf diese Fragestellung ist jede Linke - ob revolutionär oder reformistisch - dem Rassismus und Rechtsradikalismus hoffnungslos unterlegen.« [7]
h.
Fußnoten:
[1] Martin Rheinlaender: Die Rassismusfalle, Wildcat-Zirkular Nr. 14.
[2] Daher die Bedeutung, die die Beschäftigung mit der Geschichte der Maschinenstürmer, der linken Sozialrevolutionäre in Rußland, der Klassenkämpfe in Italien usw.usf. hat. Hier leuchtete Kommunismus als Kampf gegen die Arbeit auf. Auch in der Forderung »mehr Lohn, weniger Arbeit« sehen wir, daß das Reich der Freiheit fernab des Fabriktors liegt.
[3] Karl Heinz Roth: Die Wiederkehr der Proletarität, S. 232.
[4] Vgl. George Steinmetz: Die (un-)moralische Ökonomie rechtsextremer Gewalt im Übergang zum Postfordismus, Argument Nr. 203.
[5] Eberhard Jungfer: Flüchtlingsbewegungen und Rassismus, in: Beiträge zur NS Gesundheits- und Sozialpolitik Nr. 11.
[6] Martin Rheinlaender: Die Rassismusfalle, Wildcat-Zirkular Nr. 14.
[7] s.o.