Wildcat-Zirkular Nr. 25 - Mai 1996


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Editorial

Wie ihr seht, erscheint dieses Zirkular deutlich verspätet; wir sind vom monatli­chen Rhythmus etwas abgekommen. Ein Grund dafür liegt darin, daß wir uns in der Westredaktion ausführlicher mit den Überlegungen zur fehlen­den Diskussion im letzten Edito­rial beschäf­tigt haben. Am An­fang stand daher die Frage, klat­schen wir als Re­daktion einfach nur alle eingegangenen Texte zu­sammen, oder diskutie­ren wir sie, greifen rote Fäden der Diskussion auf und machen sie kennt­lich. Das würde auch bedeuten, nicht nur abzuwarten, daß Leute etwas schicken (was ohnehin selten geschieht!), sondern in den Gruppen oder bei Einzelperso­nen nachzufragen, ob sie sich an be­stimmten Diskussionssträngen beteiligen. Wir haben daher gründlicher über die Beiträge in diesem Zirkular diskutiert und eigene Texte dazu geplant. Dies um­zusetzen ist uns nicht an allen Punk­ten ge­lungen − zumal die Ver­streutheit der Westredaktion über vier Städte die Dis­kussion erschwer­ten

Im einzelnen haben wir länger über das Verhältnis zwischen den beiden kriti­schen Texten im Zirkular 22 zur EZLN (von Sylvie Deneu­ve/Charles Reeve und von der griechischen Genossin Katerina) und der hier abgedruckten Ein­schätzung von »Land und Freiheit« disku­tiert. Offensichtlich ist, daß die Texte sich an verschiedene Adressaten richten. Während die Kritiken im Zirkular 22 sehr genau nach dem revolutionären Charakter der EZLN fragen bzw. diesen in Zweifel ziehen, kämpft die Einschätzung von »Land und Freiheit« darum, überhaupt erst einmal die EZLN in einen revolutionstheoretischen Gesamtzusam­menhang einzuordnen - was hierzulande keine Selbst­verständlichkeit mehr ist. Er richtet sich an ein breites Spektrum von »Solidaritätsgruppen«, die in den seltensten Fällen ihre Unterstützung für die Kämpfe in Chiapas mit einem revolutionären Gesamtanspruch auch hier verbinden. Dadurch geht er aber an einigen Punkten zu glatt und blumig über Probleme und Fragen hinweg, die von Deneu­ve/Reeves und Katerina aufgeworfen werden. Mit unsere eigenen Diskus­sion sind wir an diesem Punkt stecken geblieben, sie soll aber weitergehen.

Der Text von Charles Reeve zur Bewegung in Frankreich, »Sturmwar­nung«, ist nach den Texten von Martin und von Nicole in den Zirku­laren 23 und 24 der dritte Text zu der Dezemberbewegung. Sicherlich behandelt er diese Bewegung auf einer ganz anderen Ebene als Nicole, die die Eindrücke aus dem Inneren der Bewegung heraus zusammen­zufassen versucht, grundsätzlichere Fragen z.B. nach der Rolle der Gewerkschaften oder dem Nationalismus aber ausspart. Im Verhältnis zum Text von Martin sind Widersprüche deutlicher, da Reeve vor einem positiven Bezug auf die »Anti-Maastricht«-Tendenzen im Streik warnt.

Zu dem Text von Reeve, einem Artikel aus dem NACLA-Report über den Büro­kratisierungsprozeß in der brasilianischen CUT, einer Über­setzung aus »Los Angeles View« über die gewerkschaftliche Organi­sierung von prekarisier­ten Migranten, Kurzberichten zu Ent­wicklun­gen auf dem Bau, einem Überblick über die hier fast kaum bekannt­gewordene Bewegung gegen Sozialkürzungen in Österreich und einem kurzen Bericht und Flugblatt aus Bielefeld hat einer aus der Redaktion eine Art Einleitung (»Zur Aktualität der Gewerkschafts­kritik«) geschrieben, die auch noch einmal den Zusammenhang zur Diskussion um die Thesen von Karl Heinz Roth herstellt.

Da wir innerhalb der Westredaktion diese Diskussion erst ansatzweise begon­nen haben (der Text von Reeve lag zum Beispiel zu spät in Überset­zung vor), sie aber wichtig finden, wollen wir bei den nächsten Treffen das Thema »Syndikalismus« gründli­cher angehen. Als Einstieg dient uns ein Über­blicks­aufsatz über revolutionären Syndikalismus aus der Zeit­schrift »1999« Nr. 3/90. (Es wäre gut, wenn auch andere Grup­pen öfter über ihre aktuellen und geplanten Diskussionen berichten würden!)

In Köln haben wir uns anläßlich einer geplanten Ver­anstaltung zum »Bünd­nis für Arbeit« die Geschichte der Gewerk­schaften an den sogenannten Wende­punkten 1933 und 1945 angesehen und versuchen, den Zusammenhang der da­ma­ligen gewerkschaftlichen Politik zum allgemeinen Charakter von Gewerk­schaft und ihrem Verhalten zur Arbeit herauszuarbeiten. Interessanterwei­se gab es nicht nur Verbin­dungslinien zwischen dem ADGB der Weimarer Republik und der »Deutschen Arbeitsfront«, sondern auch Versuche führender Gewerk­schaftsvertreter, nach 1945 die »posi­tiven Aspekte« der DAF in die Neubildung des DGB ein­zubringen. Der Charak­ter der DAF als zwangsstaatlicher Einheits­organisation mit größerer Kontrolle über ihre Mitglieder, entsprach durchaus dem − auch von Linken stets ver­teidigten − Ziel der »Ein­heitsgewerkschaft«. Die üblichen Mythen über »Zer­schlagung« des ADGB und freiheitli­chen Neu­aufbau nach 1945 aufzubrechen (was mitt­lerweile in Gewerkschaftspubli­kationen unter der Rubrik »Geschichte« zugelassen wird), ist kein Selbst­zweck, sondern soll in der aktuel­len Debatte um »Bündnis für Arbeit« eine grundlegendere Kritik an gewerkschaftlicher Organisie­rung und Verteidi­gung »sozialstaatlicher Errungenschaften« verdeutlichen. Was heute auf der Tagesordung steht, ist eine radikale Front gegen die Arbeit, da sich nur so die nationalistischen und refor­mistischen Fallgruben der aktuellen Mobilisierungen gegen den »Sozialabbau« vermeiden lassen (dazu mehr im nächsten Zirkular).

Den Text »Welt in Umwälzung« haben wir erst kurz vor Fertigstellung bekommen. Er setzt die »Vorschläge zu Wie­derbelebung der Diskussion« aus dem letzten Zirkular fort und sollte in diesem Zusammen­hang gesehen werden. Über den Text aus Frei­burg zu Zygmunt Bauman konnten wir auch nicht mehr diskutieren.

In der Hoffnung, das Zirkular in Zukunft stärker zu einem Dis­kussionsorgan ent­wi­keln zu kön­nen, wünscht die Westredaktion eine heiße Mai-Son­ne ...


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