Wildcat-Zirkular Nr. 27 - Juli/August 1996 - S. 25-31 [z27keyne.htm]


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Der Mythos des Keynesianismus und die Debatte um die neue, globale Proletarität

Nachbemerkung zum Aufsatz von Bellofiore

Im Wildcat-Zirkular Nr. 25 hatten wir eine Analyse zur Dezemberbewegung von Charles Reeve abgedruckt. Er wendet sich am Schluß seines Artikels gegen den gesamten Globalisierungsdiskurs und kritisiert ihn als mystifizierendes Manöver: »Das wichtigste Wort der neuen anti-neoliberalen Ideologie ist Globalisierung. Aber was ist Globalisierung wenn nicht die Geschichte des Kapitalismus selbst? (...) Der Neoliberalismus wird wie eine Abweichung von der kapitalistischen Politik diskutiert, und nicht als das Resultat des Scheiterns interventionistischer Regulierungen zur Sicherung der privaten Kapitalrentabilität. (...) Das Ziel des mystifizierenden Manövers ist es, kurz gesagt, den wirklich Verantwortlichen, den Kapitalismus, nicht beim Namen zu nennen. (...) Von nun an ist es unverzichtbar, daß wir uns diesem mystifizierenden, patriotischen und staatsgläubigen Diskurs entgegenstellen und tatsächlich internationalistische Perspektiven voranbringen. Ob in der Form des Wohlfahrtsstaats oder in der Form des liberalen Staates, der Kapitalismus ist ein System von Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Barbarei.« [1]

Bellofiore ist weit entfernt davon, diese radikale Sichtweise zu teilen und stellt stattdessen Forderungen an die staatliche Wirtschaftspolitik. Reeve wendet sich entschieden dagegen, von linker Seite wieder auf die Politik des Nationalstaats Einfluß nehmen zu wollen. Er weist die Auffassung zurück, der Sozialstaat könne für uns irgendeine Alternative zum liberalen Staat bieten. Sein Schluß liest sich damit auch wie eine Kritik an den Thesen von Karl Heinz Roth, der in seiner ausführlichen Analyse zur Proletaritätsthese [2] und in jüngeren Texten [3] die Gegensätzlichkeit von Keynesianismus und Neoliberalismus in einer Weise betont, über die wir gestolpert sind, da er Keynesianismus als ein gegen die Unternehmer und ihre Profitinteressen gerichtetes Projekt darstellt. Während Charles Reeve diese Gegensätzlichkeit nur mit einer politischen Parole - die mir allerdings gefällt - bestreitet, liefert Bellofiore einige genauere Argumente gegen sie und weist darauf hin, daß das linke Klischee eines »tayloristisch-fordistisch-keynesianistischen Modells« mit den historischen Tatsachen nicht übereinstimmt.

Die Frage nach dem Charakter und der politischen Bedeutung des Keynesianismus ist keine wissenschaftliche Spitzfindigkeit. Ob wir die dreißig Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg als »Goldenes Zeitalter« keynesianischer Steuerung verklären oder dies als Mystifizierung zurückweisen, ist entscheidend für zukünftige Perspektiven. Lassen wir uns wirklich auf eine neue, globalisierte und dadurch wieder revolutionäre Phase von Klassenkampf ein - oder schrecken wir davor zurück, alte Brücken, die die Arbeiterklasse an das System gebunden hatten, abzubrechen? Es geht nicht darum, den politischen Vorschlag der Proletaritätsthese zurückzuweisen, im Gegenteil, es soll auf ein Moment von Halbherzigkeit in seiner Ausführung und Begründung hingewiesen werden.

Wozu brauchen wir eine Verklärung des Keynesianismus?

»Die alte reformistische Gewerkschaftsbewegung ... existiert überhaupt nicht mehr. ... Und Reformisten, die eine vollbeschäftigungsorientierte Politik des status quo - die ja immerhin auch eine wirkliche Gegenposition gegen das Kapital war - vertreten hatten, sind weitgehend verschwunden.« [4] Ähnlich hatte er sich in dem Buch zur Debatte dagegen gewandt, die Protagonisten keynesianischer Nachkriegspolitik mit Häme zu überschütten. »Gerade weil wir vor 25 Jahren aus gutem Grund an der Destabilisierung dieses Regulierungssystems von unten her teilnahmen, sollten wir seinen Protagonisten und Strukturen aus der Rückschau auf die Ergebnisse allein schon aus Gründen der analytischen Genauigkeit gerecht werden.« [5]

Ein Grund für die Entgegenstellung von »Keynesianismus« und »Neoliberalismus« sei ein »analytischer«, dessen »Genauigkeit« Bellofiore allerdings bestreitet. Der Neoliberalismus soll neuartiger und barbarischer wirken, indem er der »30jährigen Prosperitätsphase ..., die in der 150jährigen Geschichte des Industriekapitalismus eine Ausnahme darstellte« [6] gegenübergestellt wird. Den Unterschied stellen auch Reeve und Bellofiore fest, ohne dem Keynesianismus gleich einen anti-kapitalistischen Anstrich zu geben. Und Bellofiore kritisiert gerade die Vorstellung, der Keynesianismus sei eine Ausnahme in der Geschichte des Kapitalismus gewesen.

Ein zweiter Grund für die Gegenüberstellung besteht für reformistische Linke in der Absicht, Propaganda für einen neuen Linkskeynesianismus bzw. eine globale Regulierung zu machen. Dagegen verwahrt sich Karl Heinz Roth aber ausdrücklich: Spielräume für reformistische Konzepte seien nicht mehr vorhanden und es ließe sich schon deshalb nicht mehr an keynesianischen Konzepten anknüpfen, weil das gesamte Instrumentarium solcher Planung abgeräumt sei. Warum dann diese zugespitzte Gegenüberstellung von zwei kapitalistischen Entwicklungskonzepten? Vielleicht liegt die Antwort schon in der Art, wie Roth reformistische Perspektiven zurückweist: nicht durch eine inhaltliche Kritik (im Gegenteil, die nimmt er weitgehend zurück im Vergleich zu früheren Überlegungen), sondern durch den Verweis auf die Nichtmachbarkeit von Reformismus. Der Adressat dieses Arguments können nur reformistische Kräfte sein, die von ihrem vergeblichen Tun ablassen sollen. Das mag taktisch gedacht sein, ich bezweifle aber die Tauglichkeit dieser Taktik. Gerade in Krisenmomenten bekommen linksgewerkschaftliche und reformistische Strömungen Auftrieb. Es ist eher beängstigend, mit wie wenig Mobilisierung und Generalstreik-Gebimmel sich der DGB wieder in Szene setzen kann. Und auch die Herrschenden sind sich über die politischen Gefahren eines »Turbo-Kapitalismus«, wie er in den USA genannt wird, im Klaren und diskutieren ein Gegensteuern, um revolutionären Entwicklungen zuvorzukommen. [7] Das Argument, es gäbe keinen Spielraum mehr für Reformisten (selbst nicht mehr für Helmut Kohl [8]), ist wenig überzeugend. Schlimmer, es führt uns bei der Bestimmung einer neuen revolutionären Perspektiven in die Irre und hält ein Hintertürchen für die globalen Regulierer und Reformisten offen. Die eigentliche Herausforderung und Aufgabenstellung der Proletaritätsthese, nämlich mit dem Kapitalismus in all seinen Spielarten Schluß zu machen, wird damit relativiert.

Kalecki - ein antikapitalistischer Kapitalist?

Als einen Kronzeugen für die Gegensätzlichkeit des Keynesianismus nicht nur zum Neoliberalismus, sondern auch zu den Kapitalinteressen als solchen, beruft sich Karl Heinz Roth auf den Linkskeynesianer Michal Kalecki [9] und seinen berühmten Aufsatz »Politische Aspekte der Vollbeschäftigung«. Dort hatte Kalecki schon 1943 auf ein grundlegendes Dilemma des Keynesianismus hingewiesen, der die Interessen der Arbeiter und der Kapitalisten an dem Punkt Vollbeschäftigung zusammenbringen wollte.

Einleitend wundert er sich, warum die Unternehmer »einer Aufrechterhaltung der Vollbeschäftigung durch Staatsausgaben« soviel Widerstand entgegensetzen, »denn eine Output- und Beschäftigungserhöhung kommt ja klarerweise nicht nur der Arbeiterschaft zugute, sondern auch der Geschäftswelt, da sie deren Profite erhöht.« [10] Dann führt er drei Gründe für den Widerstand der Unternehmer an:

1. Sie möchten nicht, daß sich der Staat in das Beschäftigungsproblem einmischt. In einer liberalen Wirtschaft hängt das Beschäftigungsniveau allein von ihren Gewinnerwartungen ab, also können sie Druck auf den Staat ausüben, günstige Rahmenbedingungen für Gewinne zu schaffen. Hat aber der Staat eigene Instrumente zur Beschäftigungserhöhung, so verlieren sie dieses Druckmittel.

2. Der Verwendungszweck der staatlichen Ausgaben bereitet ihnen Sorgen: bei Investitionen besteht die Gefahr, daß der Staat in Bereichen investiert, die zuvor der Privatwirtschaft vorbehalten waren, den Privatinvestitionen also Anlagesphären entzogen werden. Bei der Förderung des Massenkonsums wird das Grundprinzip der kapitalistischen Ethik »Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot verdienen« verletzt.

3. Befürchtungen über die sozialen und politischen Veränderungen, die bei Vollbeschäftigung als Dauerzustand eintreten würden: Kündigungen würden nicht mehr als Disziplinierungsmittel wirken, die soziale Position der Chefs würde untergraben, in der Arbeiterklasse würden Selbstsicherheit und Klassenbewußtsein wachsen, Streiks würden wahrscheinlicher. Rein rechnerisch, in den mathematischen Modellen von Kalecki und Keynes, wären selbst bei steigenden Löhnen die Profite höher als in einer Laisser-faire-Wirtschaft. »Jedoch werden von den Mächtigen der Wirtschaft 'Arbeitsdisziplin' und 'politische Stabilität' höher bewertet als die Profite.« Ihr »Klasseninstinkt« sagt ihnen, daß eine gewisse Arbeitslosigkeit immer notwendig ist. Kalecki fragt sich dann, was dies für die tatsächliche Entwicklung bedeutet: a) der Faschismus hat dieses Dilemma durch unmittelbaren politischen Druck und Aufhebung der Demokratie gelöst; b) in Demokratien entsteht daraus ein »politischer Konjunkturzyklus«: in Depressionsphasen müssen die Unternehmer wohl oder übel staatliche Eingriffe über Budgetdefizite hinnehmen, weil der Druck der Massen zu stark wird; kommt es dann zum Boom, so steigen die Preise und die Arbeiter geraten außer Kontrolle, die Industriekapitäne brennen darauf, ihnen eine Lektion zu erteilen, und können zusammen mit den von den Preissteigerungen betroffenen Rentiers die Regierung zur Rücknahme des Budgetdefizits bewegen, die Konjunktur geht zurück.

Soweit Kalecki. Er argumentiert nicht gegen den Kapitalismus und das Profitstreben, sondern gegen die Dummheit der Kapitalisten, die Arbeitsdisziplin höher schätzen würden als ihre Profite. Roth wertet dies als eine »scharfsichtige« Bemerkung über den Gegensatz der keynesianischen Reform gegen das Unternehmerinteresse. [11] Auch Bellofiore bezieht sich auf diesen Aufsatz von Kalecki, aber aus einem ganz anderen Grund - Kalecki habe hier auf das Dilemma und die Instabilität einer Politik der Vollbeschäftigung hingewiesen. Bellofiore verwechselt dabei nicht das von den Keynesianeren gezeichnete Bild einer effektiven Wirtschaftssteuerung mit der Realität. Indirekt weist er auf den Unsinn der im Aufsatz behaupteten Gegensätzlichkeit von Profitstreben und kapitalistischem Klasseninstinkt hin. Nur aufgrund seiner politischen Absicht einer Klassenversöhnung denkt Kalecki nicht zuende. Denn würde er seine rein makroökonomischen Modellrechnungen verlassen, nicht nur die Verteilung des volkswirtschaftlichen Gesamtprodukts, sondern auch seine Entstehung in der Fabrik, also am Ort der Ausbeutung betrachten, so würde er sehen, daß die Kapitalisten so dumm nicht sind. Sie wissen, daß Profite erst produziert werden müssen, bevor sie als makroökonomische Größen in Herrn Kaleckis Schemata auftauchen können, und daß diese Produktion zwar nicht unbedingt durch steigende Löhne, sehr wohl aber durch nachlassende Arbeitsdisziplin und eine Gefährdung des kapitalistischen Kommandos über die ArbeiterInnen beeinträchtigt werden kann. [12]

Gab es einen Keynesianismus?

Karl Heinz Roth macht aus diesem unsinnigen Gegensatz der keynesianischen Förderer des Profits gegen die Unternehmer eine antikapitalistische Haltung. [13] Sollten wir uns angesichts dieser frühen Einsicht (1943!) eines Keynesianers in die politische Unmöglichkeit einer durch staatliche Nachfrageförderung erzeugten Vollbeschäftigung nicht eher fragen, ob es tatsächlich eine solche Politik war, die zu der Vollbeschäftigungsphase nach 1945 führte? Bellofiore bestreitet das mit einigen wichtigen Hinweisen (nicht die Nachfrage nach Konsumgütern, sondern nach Investitionsgütern war treibend; Rolle der Kredite für Investitionen usw.). Bellofiore deutet auch an, welche Funktion dabei der Keynesianismus hatte, der in aller Munde war - eine proklamatorische.

Theoretisch war der Keynesianismus weit davon entfernt, die neoklassiche Vorstellung von sich selbst regulierenden Märkten, also vom Kapitalismus als einer Marktwirtschaft, bei der die Verteilung der produktiven Ressourcen über die Nachfrage auf den Märkten reguliert wird [14], grundsätzlich zu kritisieren. Wie Keynes selbst sagte, solle der staatliche Eingriff lediglich dazu beitragen, einen Rahmen herzustellen, in dem dann wieder eine solche Selbstregulation und die ökonomischen Gesetze der Neoklassik zu ihrem Recht kämen.

Keynesianismus als Staatsphilosophie - das war seine wesentliche Funktion - verband also zwei Elemente auf geniale Weise: er beließ den Märkten ihr Recht und legitimierte zugleich ein bestimmtes Eingreifen des Staates, das auf den Ausgleich gegensätzlicher Klasseninteressen ausgerichtet war - und damit diese Gegensätzlichkeit auch anerkannte. [15] Im Keynesianismus als makroökonomischer Theorie wurde die Gegensätzlichkeit dieser Interessen auf den Gegensatz von Profit und Lohn reduziert und ihre Vereinbarkeit als möglich, ja sogar als Bedingung des günstigsten Entwicklungspfades einer kapitalistischen Ökonomie »bewiesen«. Keynesianismus war damit eine ideale Legitimationstheorie, mit der Regierungen den wirtschaftlichen Aufschwung auf ihr eigenes Konto verbuchen konnten. Daß demgegenüber die neoliberalistische Ideologie Helmut Kohl & Co. nackt dastehen läßt, ist sicherlich ein politisches Problem. Aber es verrät uns genausowenig über die Gründe der ökonomischen Entwicklung wie die keynesianische Theorie über den Aufschwung nach 1945 und das vermeintliche »Goldene Zeitalter«. Die Gründe für diesen Aufschwung sind viel eher in Revolution der Arbeiterklasse, Krieg, imperialistischer Neuordnung und der gewaltigen Umstrukturierung im Produktionsprozeß zu suchen als in einer Theorie der antizyklischen Nachfragesteuerung, die bei der ersten Nagelprobe passen mußte. Wenn wir - aus welchen Gründen auch immer - ein falsches Bild von dieser vergangenen Phase zeichnen, dann werden wir uns auch bei der Bestimmung zukünftiger revolutionärer Perspektiven den Weg verbauen und das Feld den rechten und linken globalen Re-Regulierern überlassen, die schon in den Startlöchern sitzen.

F./Köln


Fußnoten:

[1] Wildcat-Zirkular Nr. 25, S. 25f. Hervorhebungen von mir.

[2] Karl Heinz Roth, Die neuen Klassenverhältnisse und die Perspektive der Linken - Schwächen und Stärken eines überfälligen Diskussionsvorschlags, in: Karl Heinz Roth (Hrsg.), Die Wiederkehr der Proletarität. Dokumentation der Debatte, ISP, Köln 1994.

[3] Die Linke hat sich aus der sozialen Wirklichkeit entfernt. Interview mit Karl Heinz Roth, in: ak 391, 1.6.1996, S. 12f.

[4] Karl Heinz Roth, in: ak 391, a.a.O. (Hervorhebung von mir)

[5] a.a.O., S. 171.

[6] ebenda.

[7] Siehe z.B.: Ethan B. Kapstein: Workers and the World Economy, in: Foreign Affairs, 75 (1996) May/June, Nr. 3, auf den sich auch die liberale »Zeit« in ihrem Leitartikel vom 26.7.1996 bezieht. »Hinter dem Schlagwort von der Globalisierung verbirgt sich wenig mehr als die Kapitulation der Politik vor dem Primat der Ökonomie«, stellt sie fest und fordert die ökonomischen Großmächte auf, »den Märkten einen sozialen und ökologischen Rahmen zu zimmern«! Der Gegensatz von »Markt« und »Staat« ist so falsch, wie schon das Bild von Karl Polanyi von der »Großen Transformation«, auf das sich Epstein und auch Roth beziehen: aufgrund des »Versagens der Marktutopie« (The Great Transformation, S. 292) sei zu Beginn dieses Jahrhunderts eine Transformation in Gang gekommen, in der den »selbstregulierten Märkten« (insbesondere für Arbeit, Boden und Geld) Fesseln angelegt wurden. Der mittlerweile modisch gewordene Bezug auf Polanyi stützt sich weit mehr auf diese falsche Entgegensetzung, statt auf seine wichtigen historischen Einsichten in den Charakter von Märkten als geschaffenen Institutionen - was er selber wieder vergißt oder nur als historische Entstehunggeschichte behandelt, wenn er die Ideologie der »selbstregulierten Märkte« für bare Münze nimmt. Viel treffender ist es da schon, den Kern der »Globalisierung« als eine globale Planwirtschaft der multinationalen Konzerne zu charakterisieren, wie es Edward Goldsmith tut (Das Gesetz der Multis. Neue Kolonialreiche, in: Le Monde diplomatique 4/96).

[8] »Die Bundesregierung hat zur Zeit einen wirklichen Gegner in diesem Land, das ist das reale Kapital, das sind die Arbeitgeber- und Unternehmerverbände. Das sind die wirklichen Gegner von Helmut Kohl geworden.« Karl Heinz Roth, Interview, in: ak 391.

[9] Die nachträgliche Verklärung des Keynesianismus erinnert an die Art, wie von einigen dem Realsozialismus nachgetrauert wird. Der Bezug auf die Person Kalecki scheint beides zu enthalten, da er sowohl im kapitalistischen Westen wie im Realsozialismus an Problemen der wirtschaftlichen Planung arbeitete.

[10] Michal Kalecki, Politische Aspekte der Vollbeschäftigung (1943, 1971), in: ders., Krise und Prosperität im Kapitalismus. Ausgewählte Essays 1933-1971, Marburg 1987, S. 235 (Hrvh. von mir).

[11] Die neuen Klassenverhältnisse..., a.a.O., S. 170.

[12] Bellofiore, an der Diskussion um Schumpeter geschult, fällt im Unterschied zu Roth das eigentlich Besondere an diesem Aufsatz von Kalecki auf: daß nämlich ein keynesianischer Ökonom überhaupt Vorgänge im Inneren des Produktionsprozesses diskutiert - diese aber als Keynesianer nicht konsequent zuende denken kann.

[13] Dabei übernimmt er an vielen Punkten unhinterfragt die keynesianische Auffassung von der »Liquiditätspräferenz« der Geldvermögensbesitzer als krisenverschärfende Ursache. Der Gegensatz des Keynesianismus gegen diese verstärkt so den Eindruck seines antikapitalistischen Charakters.

[14] Siehe die ersten Überlegungen zu einer Kritik dieser Vorstellung im Wildcat-Zirkular Nr. 24: »Ist der Kapitalismus eine Marktwirtschaft?«

[15] Dieses Moment in der Theorie von Keynes, zum ersten Mal innerhalb der ökonomischen Theorie des Kapitals die Eigenständigkeit und den Antagonismus der Arbeiterklasse anerkannt zu haben, hat Toni Negri in der Schrift »Die kapitalistische Theorie des Staats seit 1929: John M. Keynes« von 1968 klar herausgearbeitet. »Die politische Revolution der Arbeiterklasse kann nur verhindert werden, indem das neue Kräfteverhältnis anerkannt wird, nur indem die Arbeiterklasse innerhalb eines Mechanismus zum Funktionieren gebracht wird, der den ständigen Machtkampf in ein dynamisches Element des Systems sublimiert und ihn auf der anderen Seite kontrolliert, insofern er funktionalisiert wird auf eine Reihe von Zuständen des Gleichgewichts, auf die hin die verschiedenen Phasen der Revolution der Einkommen von Mal zu Mal sich ausrichten und stabilisieren.« Dabei untersucht er allerdings nicht genauer die Frage, ob die von Keynes empfohlenen und nach 1945 teilweise durchgeführten wirtschaftspolitischen Maßnahmen tatsächlich der Grund für die langanhaltende expansive Phase gewesen sind. Es geht ihm darum, die Theorie von Keynes »rückwärts« zu lesen, d.h. sie als Theorie der notwendig gewordenen Anerkennung des Antagonismus zu entschlüsseln.


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