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Wildcat-Zirkular 32, November 1996 EditorialLohnfortzahlung im Krankheits- und Gesundheitsfall (Teil 1) Die Mächte der Finsternis haben die volle Lohnfortzahlung, ein Kernstück unseres Sozialstaates, angetastet. Glücklicherweise leisten die Gewerkschaften heftigen Widerstand. Ein gesellschaftlicher Großkonflikt zeichnet sich ab. Es kommt zu beeindruckenden betrieblichen und überbetrieblichen Mobilisierungen. Der Pilotabschluß in NRW scheitert an der Unnachgiebigkeit der IG Metall. Zwickel sei Dank, sie sind endlich aufgewacht, denn das geht selbst ihnen zu weit. Alle Freunde des Artenschutzes können aufatmen: der Dinosaurier ist gerettet (und es kommt sogar wieder zu Gewerkschaftseintritten); ebenso zeichnet sich die Rettung des Zitronenfalters ab, unseres kleinen Freundes. Dieses nette, muntere Tierchen, das wir so oft in einen Briefumschlag stecken und (sicherheitshalber per Einschreiben) an die Firma schicken. Alles klar? Gibtïs etwa Zweifel?Nehmen wir das Beispiel Mercedes-Benz. In den letzten Jahren wurde hier die Schraube ganz ordentlich angezogen. So z.B. durch die Entlassung von 40.000 Leuten, was Neues in der Unternehmensgeschichte nach dem Krieg. Das war in der Regel weniger schlimm für die Entlassenen selbst. Natürlich wurde einigen sehr deutlich nahegelegt, doch freiwillig zu gehen. Aber die Abfindungen haben "gestimmt". Schlimm war es für die Verbliebenen, die in vielen Fällen die Arbeit der anderen jetzt einfach so mitmachen. Jede Entlassungswelle hat den Charakter einer Säuberung. Rauskomplimentiert werden diejenigen, die dafür sorgen, daß gewisse Standards nicht angetastet werden: die rigiden Alten, die "nicht-teamfähigen" Jungen, die "Leistungsgeminderten" und -unwilligen. Auch durch Gruppenarbeit wurde die Schraube angezogen. Gruppenarbeit ermöglicht es den Meistern, mit Minimalbesetzung zu fahren. Kein Mann zuviel am Band, flexible Besetzung der Stationen, Häufung von Jobs, Zunahme des Stress. Reden wir gar nicht von den diversen Vereinbarungen zur Standortsicherung, wie in Rastatt, dieser Tretmühle, wo die Belegschaft auf Lohn verzichten mußte, damit die A-Klasse nicht in Tschechien produziert wird; in Kassel wo die Belegschaft auf 5% verzichtet (Verlagerungsdrohung der Achsenproduktion nach Gaggenau); von Gaggenau, wo mit der kompletten Schließung gedroht wurde; von Wörth, wo letztes Jahr per Betriebsvereinbarung der 9-Stundentag bei Bedarf eingeführt wurde; vom "Insourcing" der Kunststoffteilefertigung (ebenda), mit der schlagartig eine Niedriglohninsel auf dem Fabrikgelände (mit ca. 30% Lohndifferenz) etabliert wurde; von der "Wörther Vereinbarung" mit Kürzung der Vorgabezeiten um 24% ... Auch die vielen Fälle, wo schlicht die Bänder schneller gestellt wurden, bei Modellwechseln, aber auch grad mal so. Jedenfalls hat sich ziemlich viel verändert und vom Standpunkt des "easy Livin'" wenig zum Positiven. DEMGEGENÜBER IST DIE ANGEDROHTE REDUZIERUNG DER LOHNFORTZAHLUNG IM KRANHEITSFALL PEANUTS!Das weiß man alles, steht auch mehr oder weniger deutlich in der Zeitung und nur doofe Beobachter (wie z.B. Robert Kurz in der Konkret 11/96) meinen, daß "mit dem Fall der Lohnfortzahlung die bisher größte Bresche in den Sozialstaat geschossen" wurde. Viele versuchen sich das ganze Spektakel so zu erklären: es handle sich um rein ideologische Machtdemonstrationen des Kapitals und für die Gewerkschaft ginge bei der Lohnfortzahlung um einen Symbolkampf, vergleichbar dem um die Samstagsarbeit. (Wer erinnert sich an den heldenhaften Symbolkampf der Gewerkschaften um den Erhalt des arbeitsfreien Samstags?) Lassen wir einen absoluten Fachmann zu Wort kommen: "Wir waren gerade dabei, an allen Standorten einen Konsens über Kostensenkungsprogramme zu finden. Das ist jetzt kaputtgeschlagen worden." Karl Feuerstein, Gesamtbetriebsratsvorsitzender bei MB in der FAZ vom 23.11.96. Glaubt das irgendjemand, daß der Konsens wirklich kaputtgeschlagen wurde? Wird der Konzern in Zukunft die Finger von der Kostensenkung lassen, von z.B. so weitreichenden Plänen, wie der Auflösung des MB-Standardlohnes? (Soviel Tage kann man gar nicht krankmachen, daß die Einbußen durch verringerte Lohnfortzahlung auch nur annähernd an die Lohnverluste reichen, die mit dieser neuen Lohnstruktur verbunden sind!) Die "Kostensenkungsprogramme" werden durchgezogen und der angeblich "kaputtgeschlagene" Konsens wird sich wieder mal als unkaputtbar erweisen. In dieser Situation ist die Fixierung der Gewerkschaften auf die Lohnfortzahlung ein taktisches Mittel gegenüber der Arbeiterklasse. So gut wie alles wird unterschrieben – und drüber raus. Die härtesten Vorschläge zur Rettung des Standorts, des Sozialstaats, des Flächentarifvertrages, des "sozialen Friedens", sprich: zur Intensivierung der Ausbeutung - kommen von den Gewerkschaften selbst. In dieser Situation ist es absolut nötig, um "das Gesicht gegenüber der Basis zu wahren" einen Schaukampf zu inszenieren. Einen Schaukampf, mit inszeniertem Sieg am "eigentlich bedeutungslosen Thema der Lohnfortzahlung" (Manager Magazin) und dem schönen "Konsens bei den Kostensenkungsprogrammen" im Windschatten. Ein Kampf von der Art, wie sie bei der "World Wrestling Federation" praktiziert werden, mit dem Unterschied, daß die Wrestling-Fans wissen, wo sie dran sind. Ist dies eine Verschwörungstheorie ? Ja. Natürlich war es individuell immer angenehm, zu Hause zu bleiben, und die Kohle trotzdem einzustreichen. Es vermittelt einem einfach das Gefühl, was Sinnvolles zu tun. Das hat aber nichts mit den Welten der VertreterInnen der ArbeiterInnen zu tun - es ist dieser entgegengesetzt. Für Feuerstein, Zwickel, Engelen Kefer und Konsorten ist die "Idee" der Kürzung des Lohns für Kranke um 20% der "Tropfen, der das Faß zum Überlaufen bringt" (Feuerstein, FAZ 23.11.). Ja, genau: ihr erklärter Job ist es, das Faß der Ausbeutung immer so zu halten, daß es randvoll gefüllt ist. Oder hat jemand etwa Lust die anstehenden Mobilisierungen "kritisch" zu unterstützen? Der Gegenvorschlag der IGM zur 20% individuellen Lohneinbuße bei Krankheit bei den "Tarifgesprächen" in NRW, die "Pilotabschluß" sein sollten, war um einiges perfider: "...im Gegenzug für die volle Lohnfortzahlung (solle) die Höhe des Weihnachtsgeldes vom Krankenstand abhängig (gemacht werden)." (MM,27.11.96) Diese Idee, die bei Opel schon vom Management durchgesetzt wurde, ist tatsächlich sehr viel "kollektiver" und "solidarischer". JedeR kann sich vorstellen, was am Auszahlungstag des Weihnachtsgeldes abgeht gegenüber Leuten, die öfter mal fehlen, und nicht nur dann. Soviel nur zu einer vielleicht gerade in der Linken verbreiteten Haltung gegenüber den Gewerkschaften à la "geht in die richtige Richtung, ist aber noch nicht genug". Es ist genug. Eilfertig erklären sich Gewerkschafter und Betriebsräte allenthalben bereit, an der Senkung der Krankenstände mitzuwirken, als wären die nicht schon niedrig genug. Die Regierung hat die volle Lohnfortzahlung abgeschafft, aber DIE GEWERKSCHAFT WILL DAS KRANKFEIERN ABSCHAFFEN! Lohn fort? Zahlung! (Teil 2) "Mitarbeiter drohten In Weinheim wurde ein 48jähriger stellvertretender Geschäftsführer einer Frankfurter Baufirma von zwölf ausländischen Arbeitern mit Messern bedroht, nachdem er den Konkurs mitgeteilt hatte. Sie verlangten ausstehende Löhne von über 50.000 Mark. Nach mehreren Stunden konnte der Mann von der Polizei befreit werden." (Mannheimer Morgen, 4.11.96) Soviel zum Thema Lohnfortzahlung im Gesundheitsfall, Klassenkampf von unten. Wir sehen: auch andere Leute als Gewerkschafter setzen sich für Lohnfortzahlung ein. Allerdings sehr anders. Zirkularredaktion MA/LU, 30.11.96 |
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