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Wildcat-Zirkular 32, November 1996 Hinter dem Horizont?Vom »Aufstieg des Geldes« wurde in den letzten beiden Doppelnummern des Wildcat- Zirkulars berichtet. Vor der »Aufsässigkeit der Arbeiterklasse« würde das Kapital nicht in andere produktive Anlagen, also in die Ausbeutung anderer ArbeiterInnen fliehen, sondern in die Sphären der Finanzwelt. Daß die von den Autoren angeführte Arbeiterklasse »seltsam blaß« wirkt, wurde schon im Editorial des letzten Zirkulars angemerkt. Ich möchte hinzufügen, daß sie auch irgendwie unwirklich, aus dem Geld hergeleitet erscheint: wenn das Kapital ins Geld fließt, dann muß das wohl an der Arbeiterklasse liegen. Das macht gleich zwei Probleme: erstens haben die Autoren nur an irgendeine Arbeiterklasse der alten Metropolen gedacht und zweitens macht eine derart hergeleitete Arbeiterklasse nicht den Eindruck, als ob wir an sie Flugblätter verteilen könnten. Sie ist ein gedankliches Konstrukt, wenn auch ein sympathisches. Ein Menetekel am Horizont des Kapitals. Im Folgenden wird in einer ersten und unfertigen Art die These vertreten, daß die Welt nicht mehr verstanden werden kann, wenn sich die Aufmerksamkeit vorwiegend auf die alten Metropolen richtet. Schon gar nicht der »Aufstieg des Geldes«. Geschichte findet heute nicht nur, sondern vor allem hinter dem Horizont statt: In Asien, wo »in der größten Umwälzung von Klassenverhältnissen, die dieser Planet je gesehen hat« eine neue Arbeiterklasse entsteht. Leider muß ich die Geduld der geneigten Leserin mit etwas »Marxismus« strapazieren. Aber die Herleitung und Darstellung des Problems der allgemeinen Durchschnittsprofitrate ist notwendig. Notwendig deshalb, weil die Bedingungen der Ausbeutung in den alten Metropolen (Europa, Nordamerika, Japan) und in den neuen (v.a. Asien) offensichtlich verschieden sind. 1. Durchschnittsprofitrate als Tendenz1.1. Gesamtreproduktionsprozeß und Erscheinungsformen des KapitalsIn einer ersten Stufe der Unterscheidung finden wir das Kapital in zwei Formen. Vorausgesetzt ist gleich, daß wir uns im entwickelten Kapitalismus befinden, also in einer Gesellschaft, wo sich Arbeitskraft und Produktionsmittel voneinander verselbständigt haben. Und daß es sich um eine entwickelte Waren- und Geldgesellschaft handelt. Es ist üblich, bei der Skizzierung des Gesamtreproduktionsprozesses des Kapitals an dem Punkt anzufangen, wo der »Kapitalist« Produktionsmittel, Rohstoffe und Arbeitskräfte kauft, also sein Geld gibt, um die Produktion von Waren zu beginnen. Mit dem Ziel, Gebrauchswerte herstellen zu lassen, die er dann für mehr Geld verkaufen kann, als er am Anfang eingesetzt hat. Dieser Vorgang zerfällt also gleich in zwei Teile: Produzieren und Verkaufen. Im ersten Teil ist notwendigerweise die Arbeit das Zentrale, im zweiten Teil ist idealtypischerweise keine Arbeit beteiligt; es ist ein reiner Tauschvorgang Ware gegen Geld, es ist ein reiner Funktions- und Besitzerwechsel. Wobei da schon angemerkt werden muß, daß die Ware ein Tauschwert ist, aber auch ein Gebrauchswert sein muß: um sie verkaufen/gegen Geld tauschen zu können, müssen die Sachen nicht nur hergestellt, sondern auch transportiert, kommissioniert, gelagert, d.h. nicht nur »an den Mann«, sondern auch »zum Kunden« gebracht werden. Also ist nicht nur die Produktion, sondern auch die Zirkulation der Waren ein Vorgang in Raum und Zeit. Es dauert eine ganze Weile, bis der industrielle Kapitalist, der selber die Zirkulation mit erledigt, sein Geld wiederbekommt, um einen neuen Produktionszyklus anfangen zu können. Diese Zeit nennt Marx die Umschlagszeit des Kapitals. Selbstverständlich stockt der Produktionsprozeß in dieser Zeit nicht. Der Kapitalist muß aber je nach Umschlagszeit zum zweiten, dritten, x-ten Mal Geld einsetzen, Kapital aufbringen, um weitermachen zu können, bevor das zuerst eingesetzte Geld mit Gewinn zurückkommt. Neben der Fähigkeit des Kapitalisten, seine ArbeiterInnen möglichst billig und gut zur Arbeit anhalten zu können, ist also die Umschlagszeit des Kapitals ein weiteres wichtiges Moment, das den Profit bestimmt. Es ist ein Unterschied, ob sich dasselbe Kapital 1 mal oder 5 mal im Jahr verwertet. Deshalb trennen sich die beiden Teile des Kapitalumschlags sehr früh: in industrielles Kapital und Handelskapital (wobei historisch das Handelskapital zuerst da ist). Produktion und Zirkulation sind jetzt besondere Operationen, von verschiedenen Kapitalisten organisiert. Der industrielle Kapitalist erhält jetzt sein Geld früher zurück, muß dafür aber billiger an den Händler abgeben. Das heißt, er teilt den Profit mit dem Händler. Insgesamt ändert das am Gesamtvorgang nichts, das Kapital teilt sich in zwei Teile, die sich den Profit teilen. Wobei aber hier schon sozusagen der erste »Ausgleich der Profitrate« stattfindet: Der industrielle Kapitalist kann die Gesamtmasse seiner Waren nur deshalb für mehr Geld verkaufen, weil die Waren Arbeit beinhalten, die er mit dem Lohn nur zum Teil bezahlt hat, weil er also seine ArbeiterInnen ausgebeutet hat. Der Handelskapitalist beutet wenig, manchmal gar keine ArbeiterInnen aus. Dennoch besteht er natürlich darauf, daß sein Kapital ebensoviel Gewinn abwirft. Er realisiert also mit dem Verkauf der Waren eines Teil des Profites, der eigentlich aus der Arbeit der Belegschaft des industriellen Kapitalisten kommt. Dieses Handelskapital im Kapitalismus ist somit etwas ganz anderes als etwa in der Antike oder im Mittelalter. Vermittelte es damals eigenständig zwischen Privatproduzenten in wenigen Bereichen (z.B. im Bereich der Luxuswaren oder im auswärtigen Handel), so ist es heute sowohl Teil des Gesamtkreislaufs des Kapital als auch Voraussetzung für die Produktion »auf großer Stufenleiter«, also für die industrielle Produktion. Massenproduktion setzt »Großhandel« voraus, deshalb: »Die Tendenz den Weltmarkt zu schaffen ist unmittelbar im Begriff des Kapitals selbst gegeben. Jede Grenze erscheint als zu überwindende Schranke. Zunächst jedes Moment der Produktion selbst dem Austausch zu unterwerfen und das Produzieren von unmittelbaren Gebrauchswerten aufzuheben, d.h. eben auf dem Kapital basierte Produktion an die Stelle früherer, von seinem Standpunkt aus naturwüchsiger Produktionsweisen zu setzen. Der Handel erscheint hier nicht mehr als zwischen den selbstständigen Produktionen zum Austausch ihres Überflusses vorgehende Funktion, sondern als wesentlich allumfassende Voraussetzung und Moment der Produktion selbst.« (Marx, GR, 311) Nämliches gilt für die dritte grundlegende Erscheinungsform des Kapitals. Industrielle Produktion setzt große Kapitalmengen voraus, mehr jedenfalls, als sich zufälligerweise zum rechten Zeitpunkt und zum richtigen Ort (bzw. beim richtigen Unternehmer) befinden mögen. Das Geldkapital, oder zu diesem Zeitpunkt noch Geldhandelskapital, sorgt dafür, daß Kapital dort hin fließt, wo es gebraucht wird, sprich, wo erfolgversprechende Ausbeutung organisiert werden kann. »Der Produktionsprozeß kann nicht von neuem begonnen werden vor der Verwandlung von Ware in Geld. Die beständige Kontinuität des Prozesses, das ungehinderte und flüssige Übergehn des Werts aus einer Form in die andre, oder einer Phase des Prozesses in die andre, erscheint als Grundbedingung für die auf das Kapital gegründete Produktion in einem ganz anderen Grade als bei allen frühren Formen der Produktion. Andrerseits, wenn diese Notwendigkeit dieser Kontinuität gesetzt ist, fallen die Phasen der Zeit und dem Raum nach auseinander als besondre, gegeneinander gleichgültige Prozesse. Es erscheint so zufällig für die auf das Kapital gegründete Produktion, ob oder ob nicht ihre wesentliche Bedingung, die Kontinuität der verschiednen Prozesse, die ihren Gesamtprozeß konstituieren, hergestellt wird. Die Aufhebung dieser Zufälligkeit durch das Kapital selbst ist der Kredit.« (Marx, GR, 434) Aber das Geldkapital ist nicht einfach eine Erscheinungsform des Kapitals zusätzlich zum industriellen und Handelskapital. Der Unterschied fällt ins Auge: Während sich der Fabrikbesitzer und der Händler mit richtigen Gebrauchswerten plagen müssen, um »Geld zu verdienen«, hat es das Geldkapital nur noch mit Geld zu tun. Damit repräsentiert es auf seine Weise ein Charakteristikum des Kapitalismus als Waren- und Geldgesellschaft. Jeder Wert, was in diesem Fall »Anspruch auf einen Anteil des gesellschaftlichen Reichtums« meint, existiert doppelt, wenn auch in verschiedenen Händen. Als Ware und als Geld. Dadurch, daß auch die Arbeitskraft zur Ware geworden ist, bedeutet Geld jetzt eben auch Anspruch nicht nur auf Teile des »gesellschaftlichen Reichtums«, sondern Anspruch auf Arbeitskraft und wird dadurch Kapital. Geld ist Ausgangspunkt und Endpunkt des Gesamtreproduktionsprozesses des Kapitals und deshalb gehört das Geldhandelskapital und der Kredit in seiner ersten Form in diesen produktiven Kreislauf hinein. Es spielt für diesen Kreislauf selbst keine Rolle, ob der industrielle oder der Handelskapitalist eigenes oder geliehenes Geld einsetzt. Aber natürlich will der Geldgeber seinen entsprechenden Anteil an der Gesamtsumme des Profits als Zins. Geldhandel ist also der Verkauf von Geld gegen mehr Geld zu einem späteren Zeitpunkt. In dieser Zeit fungiert das Geld als produktives Kapital und macht mehr Geld aus Geld durch die Ausbeutung der Arbeiter. Daß sich hinter dem Zins die Ausbeutung verbirgt, muß der Geldverleiher nicht bemerken. Kredit ist also eine Anweisung auf zukünftige Arbeit; aber das unterscheidet ihn nicht von dem Geld als Kapital, das der industrielle Kapitalist aus eigener Tasche eingesetzt hat. Insofern das Geldhandelskapital also Geld sammelt und konzentriert und für das Kapital zur Verfügung stellt, gehört es in den Gesamtreproduktionsprozeß Kapitals hinein und bildet ebenso wie das Handelskapital eine unabdingbare Voraussetzung für kapitalistische Produktion. »Von dem Gesamtkapital sondert sich nun ab und verselbständigt sich ein bestimmter Teil in Form von Geldkapital, dessen kapitalistische Funktion ausschließlich darin besteht, für die gesamte Klasse der industriellen und kommerziellen Kapitalisten diese Operationen durchzuführen. Wie beim Warenhandlungskapital trennt sich ein Teil des im Zirkulationsprozeß in der Gestalt von Geldkapital vorhandnen industriellen Kapitals ab und verrichtet diese Operationen des Reproduktionsprozesses für das gesamte übrige Kapital. Die Bewegungen dieses Geldkapitals sind also wiederum nur Bewegungen eines verselbständigten Teils des in seinem Reproduktionsprozeß begriffnen industriellen Kapitals.« (Marx, Kapital III, 327) Allerdings, wie oben angedeutet, hat Geldkapital einen anderen Charakter als industrielles oder Handelskapital. Diese beiden Formen sind Kapital, aber »soweit sie wirklich fungieren, wirklich im Prozeß ihre Rolle spielen, wirkt hier Warenkapital nur als Ware, Geldkapital nur als Geld. In keinem einzigen Moment der Metamorphose, für sich betrachtet, verkauft der Kapitalist die Ware als Kapital an den Käufer, obgleich sie für ihn Kapital vorstellt, oder veräußert er das Geld als Kapital an den Verkäufer. In beiden Fällen veräußert er die Ware einfach als Ware und das Geld einfach als Geld, als Kaufmittel von Ware.« (Marx, Kapital III, 354f) Dagegen: »Der Geldbesitzer, der sein Geld als zinstragendes Kapital verwerten will, veräußert es an einen dritten wirft es in Zirkulation, macht es zur Ware als Kapital; nicht nur als Kapital für ihn selbst, sondern auch für andere; es ist nicht bloß Kapital für den, der es veräußert, sondern es wird dem dritten von vornherein als Kapital ausgehändigt, als Wert, der den Gebrauchswert besitzt, Mehrwert, Profit zu schaffen;...« (Marx, Kapital III, 355) In diesem Punkt, wo Kapital als Kapital zur Ware wird, sind wir bei der letzten Erscheinungsform des Kapitals, dem Finanzkapital. Es ist in der Praxis vom Geldhandelskapital nicht zu trennen, es geht um unterschiedliche, ja gewisserweise gegensätzliche Funktionen desselben Kapitals. »Andererseits jedoch ist in der Form des Zinses dieser Gegensatz gegen die Lohnarbeit ausgelöscht; denn das zinstragende Kapital hat als solches nicht die Lohnarbeit, sondern das fungierende Kapital zu seinem Gegensatz; der verleihende Kapitalist steht als solcher direkt dem im Reproduktionsprozeß wirklich fungierenden Kapitalisten gegenüber, nicht aber dem Lohnarbeiter, der gerade auf Grundlage der kapitalistischen Produktionsweise von den Produktionsmitteln expropriiert ist. Das zinstragende Kapital ist das Kapital als Eigentum gegenüber dem Kapitalals Funktion. Aber soweit das Kapital nicht fungiert, exploitiert es nicht die Arbeiter und tritt in keinen Gegensatz zur Arbeit.« (Marx, Kapital III, 392) Der Handel mit Kapital als Kapital führt zu keinen Funktionswechsel (wie beim Tausch Geld/Ware) mehr, nur noch zu Besitzerwechsel dieser Vorgang gehört deshalb nicht mehr in den Kreislauf des produktiven Kapitals. »Ausgangspunkt und Rückkehrpunkt, Weggabe und Rückerstattung des verliehenen Kapitals erscheinen also als willkürliche, durch juristische Transaktionen vermittelte Bewegung, die vor und nach der wirklichen Bewegung des Kapitals vorgehn und mit ihr selbst nichts zu tun haben.« (Marx, Kapital III, 360) Es sieht also so aus, als habe sich das Finanzkapital vom fungierenden Kapital verselbständigt. Das stimmt insofern, als es sich vom jeweils einzelnen Kapital allerdings verselbständigt hat. Ja mehr noch: es tritt dem einzelnen Kapital mit eigener Macht gegenüber. Macht allerdings, die es als Repräsentant des Kapitals im Allgemeinen, also als Vertreter des Gesamtkapitals hat. Denn gerade die im Rahmen seiner Unabhängigkeit gegenüber den einzelnen Kapitalen stattfindenden Geldgeschäfte führen zur Herstellung allgemeiner Bedingungen des Geldverleihs, damit zu einem einigermaßen einheitlichen Zinsfuß, und damit zu einheitlichen Mindestbedingungen des Einsatzes von Geld als Kapital und damit zu einer tendenziell einheitlichen Haltung gegenüber der Arbeiterklasse; was eben auch mal gegen das einzelne fungierende Kapital durchgesetzt wird. In diesem Sinne macht tatsächlich erst das Finanzkapital, bzw. die aufregenden Vorgänge in seinem Inneren, die Kapitalisten zu einer Klasse mit einem gemeinsamen Interesse: einem hohen Zinsfuß. Und dessen Voraussetzung ist eine möglichst risikoarme und flutschende Mehrwertproduktion und eine hohe Profitrate. »Durch die Identität des Mehrwerts mit der Mehrarbeit ist eine qualitative Grenze für die Akkumulation des Kapitals gesetzt: der Gesamtarbeitstag, die jedesmal vorhandne Entwicklung der Produktivkräfte und der Bevölkerung, welche die Anzahl der gleichzeitig exploitierbaren Arbeitstage begrenzt. Wird dagegen der Mehrwert in der begriffslosen Form des Zinses gefaßt, so ist die Grenze nur quantitativ und spottet jeder Phantasie.« (Marx, Kapital III, 412) 1.2. Mehrwert und ProfitVorbemerkung: Der Marx´sche Wertbegriff ist nicht die Grundlage eines quasi-natürlichen, überzeitlichen Gesetzes. Er ist die theoretische Formulierung der proletarischen Frage: wie kann es sein, daß wir arbeiten und die Kapitalisten immer reicher werden? Es war eine neue Theorie nötig, denn die entsprechende Frage, von den Bauern des Mittelalters gestellt, hatte eine offene und klare Antwort: weil uns die Herren einen Teil unserer Arbeitsprodukte wegnehmen und uns zur Arbeit auf ihren Gütern zwingen. So offen und klar ist es im Kapitalismus selten, aber dennoch funktioniert die Ausbeutung umso besser. Was also passiert mit unserer Arbeit, mit den Produkten unserer Arbeit? Der Wertbegriff von Marx ist genau diese Frage und seine Entwicklung in der Kritik der politischen Ökonomie ist der Ansatz einer Antwort. Nicht mehr und nicht weniger. So ist z.B. das Problem, ob Maschinen »Wert produzieren« nicht Teil der Frage. Von einem anderen Klassenstandpunkt als dem proletarischen mag die Frage anders lauten und deshalb andere Antworten kommen eben ein anderer »Wertbegriff« formuliert werden müssen. Um ausbeuten zu können, muß ein Kapitalist eine Fabrik bauen (lassen), Maschinen, Werkzeuge, Rohstoffe kaufen und Arbeiter einstellen. Er muß also Geld als Kapital vorschießen. Dann wird gearbeitet und Werte produziert. Sowohl Gebrauchswerte, die später jemand haben will, als auch Tauschwerte, die zu Geld gemacht werden können. Dabei kommt mehr Geld zurück, als am Anfang vorgeschossen, weil nicht die Arbeit bezahlt, sondern die Arbeitskraft entlohnt wird. Dies nennt Marx »Mehrwert« und das Verhältnis von Mehrwert zum Lohn ist die Mehrwertrate oder Ausbeutungsrate. Die Mehrwertrate interessiert den Kapitalisten nicht; denn er hat weit mehr Kapital eingesetzt, als nur den Lohn für seine Arbeiter. Ihn interessiert nur das Verhältnis des Geldüberschusses zum Wert des gesamten eingesetzten Kapitals. Das ist die Profitrate. Bei gleicher Mehrwertrate kann die Profitrate ganz unterschiedlich sein, je nach dem Verhältnis, in dem die Lohnausgaben (das »variable Kapital«) zu den Ausgaben für Fabrik, Maschinen, Rohstoffe (das »konstante Kapital«) stehen. (Dieses Verhältnis zwischen Variablem und dem Gesamtkapital nennt Marx die »organische Zusammensetzung des Kapitals«.) All das waren jetzt nur Vorstellungshilfen. Falsch daran ist vor allem die Mischung von Begriffen von Wert und von Geld (Preis) auf der Ebene des Einzelkapitals. Der Preis ist beziffert, der Wert nicht. Wir können hilfsweise annehmen, daß Werte und Preise für die Gesamtgesellschaft zusammenfallen und damit Gesamtmehrwertmasse und Gesamtprofite. Für das Einzelkapital gibt es keinen quantitativen Maßstab für den Mehrwert oder die Ausbeutungsrate, wohl aber einen qualitativen. Denn offensichtlich ist, daß eine Firma umso mehr verdient, je weniger Lohn sie zahlen muß, je größer die Arbeitshetze ist, je sparsamer die Leute mit Material umgehen, je schneller der Durchlauf durch die Fabrik ist etc. Die verschiedenen Punkte haben unterschiedliche Relevanz je nach organischer Zusammensetzung. Je höher sie ist, umso mehr kommt es beispielsweise auf den disziplinierten Umgang der Leute mit den Anlagen und den Rohstoffen an. 1.3. DurchschnittsprofitrateDas Einzelkapital kassiert nicht den von seinen ArbeiterInnen produzierten Mehrwert als Profit. Es kennt ihn auch gar nicht. Vereinfachend und wir werden dies später genauer bestimmen kann man sagen: es realisiert auf dem Markt den Durchschnittsprofit des Gesamtkapitals. Der Einzelkapitalist rechnet so: Er berechnet seine Kosten für eine Einheit der bei ihm produzierten Waren, also anteilig Lohnkosten, Rohstoffe, Verschleiß der Maschinen. Das ist nach Marx der »Kostpreis«. Dazu rechnet er die Verzinsung des vorgeschoßnen Kapitals (entsprechend dem allgemein momentan gültigen Zinsfußes, wenn es sein eigenes Kapital war oder nach seinen tatsächlichen »Kapitalkosten«, wenn er es geliehen hatte). Dazu noch Steuern etc und schließlich einen angemessenen Gewinn als Unternehmer und er erhält den »Marktpreis«, den er erzielen muß, um zu einem durchschnittlichen Profit zu kommen. Deshalb sieht es so aus, als wäre die Ausbeutung in einem Kapital hoher organischer Zusammensetzung (z.B. Chemiefabrik) weit höher als in einer Textilschwitzbude im Hinterhof, obwohl dort sehr viel schlechtere Löhne bezahlt werden. Sie ist höher, weil Chemiearbeiter bei ihrer Arbeit ganz andere Produktivkräfte in Bewegung setzen und deshalb produktiver arbeiten, mehr Werte produzieren. Darum geht es aber jetzt nicht. Auch das Chemiekapital lebt nicht von seinen ArbeiterInnen. Deren ordnungsgemäße Vernutzung gibt ihm nur den Anspruch auf seinen Anteil am gesellschaftlichen Gesamtmehrwert. Es erhält seinen Profit aus der Gesamtprofitmasse des Gesamtkapitals und dazu haben die ArbeiterInnen der Schwitzbude mehr beigetragen, als dem Schwitzbudenbesitzer zukommt. Das ist ein Ausdruck von der Tatsache, daß kapitalistische Produktion gesellschaftliche Produktion ist. »Das Wesen dieser Umwandlung von Werten in Preise besteht darin, daß das Kapital den Mehrwert zwar lokal auspreßt, daß aber diejenigen, die diese Auspressung vornehmen nicht auch den Mehrwert kommandieren und ausgeben. Die Hand des Kapitals ist nicht zugleich auch Mundund Arschloch. Diese Umwandlung ist real, erzeugt jedoch Illusionen, bei Kapitalisten und Arbeitern (eingeschlossen du und ich!). Alles dreht sich um das, was mir gehört, die am tiefsten verwurzelte Illusion des Systems. (...) Jeder einzelne Kapitalist jammert über »mein« Geld, jeder einzelne Arbeiter über »meinen« Arbeitsplatz, jeder Gewerkschaftsfunktionär über »meine« Industrie; die Tränen fließen überall, über anscheinend ganz verschiedene Dinge, die Welt des Kapitalismus ist eine ewige Seifenoper. Aber das »Mir-gehört« ist eine wesentliche Illusion, nichtsdestoweniger Illusion. Kapital ist gesellschaftlich, genau wie die Arbeit, und erbarmungslos wie Shiva gegenüber den Klagenden, aber es braucht ihre Blindheit, um sie zu fressen. Es belohnt die Kapitalisten nicht danach, wie sehr sie ausbeuten, so wenig wie es die Arbeiter nach dem Grad ihrer Ausbeutung belohnt.« (Midnight Notes, 1989) Wieso aber sieht sich das Einzelkapital gehalten, nur am allgemeinen Zinsfuß orientierte Zinsen und einen angemessenen Gewinn anzusetzen? Wie setzt sich die Durchschnittsprofitrate als allgemeine durch? Es sind im Kern Vorgänge auf zwei Ebenen. Zum einen gibt es jedem Einzelkapital gegenüber die Drohung, daß bei Abweichungen vom Durchschnitt ein anderes Einzelkapital kommt und am Extraprofit teilhaben will. Zum anderen können die Waren unverkäuflich, weil zu teuer werden. Es ist also die Konkurrenz der Einzelkapitale, die auf verschiedenen Ebenen die Tendenz zur Durchsetzung der Durchschnittsprofitrate erzwingt. Aber eine wahrscheinlich überflüssige Nebenbemerkung. »Konkurrenz« ist kein ökonomischer Vorgang, der Kapitalismus ist keine Marktwirtschaft (siehe: Fener 1996). Die Durchsetzung der Durchschnittsprofitrate ist nichts anderes als die Verallgemeinerung der Wirkungen des Klassenkampfs aufs Gesamtkapital. 1.4. Durchschnittsprofitrate als Tendenz und die Rolle des FinanzkapitalsDie Durchschnittsprofitrate setzt die kapitalistische Gesellschaft voraus: Produktion auf großer Stufenleiter, Weltmarkt der Waren, Mobilität des Kapitals und begrenzt auch die Mobilität der Arbeiter, vor allem in ihrer Fähigkeit, jede Arbeit machen zu können. Die Durchschnittsprofitrate ist nicht einfach da. Genauso wie der Gesamtreproduktionsprozeß des Kapitals (Produktion und Zirkulation), also der Ausbeutungsprozeß, ein Vorgang in Raum und Zeit ist, so kann sich die Durchschnittsprofitrate nur in Raum und Zeit durchsetzen. Sie ist eine Tendenz und keine vollendete Tatsache. Es wäre purer Zufall, würde ein Einzelkapital tatsächlich Profit auf der Höhe des rechnerischen Durchschnitts machen. Es gibt viele Hemmnisse bei der Durchsetzung, vor allem die Ungleichzeitigkeit des Klassenkampfs. Irgendwo wird »laufend gestreikt«, woanders nicht. Die eine Firma läßt sich ein neues Verfahren zur Verbesserung der Ausbeutung einfallen (neue Technologie, neue Arbeitsorganisation, aber vielleicht auch mal Motivationssteigerung durch eine kleine Lohnerhöhung) und es dauert, bis andere Firmen erfolgreich nachziehen können. Wenn besondere Umstände das Eindringen von Kapital in eine Branche erheblich erschweren, können dort auch dauerhaft Profite weit jenseits des Durchschnitts gemacht werden, so z.B. in der Drogenbranche, die von der internationalen Staatengemeinschaft geschützt wird. Es ist wie in der Elektrizität. Es besteht eine dauernde Spannung zwischen den Bedingungen der Ausbeutung, zwischen den Einzelkapitalien, die beständig zum Ausgleich tendiert durch das Fließen von Strom. Es fließt Geld als Geld, indem der Besitzer der Textilschwitzbude im Hinterhof die Farben bezahlt. Es fließt Geld als Kapital immer dorthin, wo die Profiterwartungen gut sind. Je höher die Spannung und je größer das Kraftwerk, das sie aufrechterhält, desto gewaltiger werden diese Ströme von Geld und Kapital. »Es ist aber klar, daß mit der Entwicklung der Produktivkraft der Arbeit und daher der Produktion auf großer Stufenleiter, 1. die Märkte sich ausdehnen und vom Produktionsort sich entfernen, 2, daher sich die Kredite verlängern müssen und also 3. Das spekulative Element mehr und mehr die Transaktionen beherrschen muß.« (Marx, Kapital III, 498) Es ist daher klar, daß bei schneller Entwicklung des Kapitals und des Klassenkampfs die geldlichen Kapitalformen, vor allem in ihren aggressiv-spekulativen Formen, sich ausdehnen. Das heißt aber auch, daß der »Aufstieg des Geldes« der letzten Jahre eine zusätzliche, wenn nicht andere Ursache hat, als eine allgemeine »Aufsässigkeit der Arbeiterklasse« die im Kapitalismus so endemisch wie konstitutiv (andauernd und grundlegend) ist. Wer ein bißchen aufmerksam in die Welt guckt, kann diese »Aufsässigkeit der Arbeiterklasse« genauer bestimmen: hinter dem Aufstieg des Geldes steht nichts anderes als der Aufstieg der neuen Arbeiterklasse in Asien. 2. Der Aufbruch in Asien2.1. Die Spannung in unterschiedlichen ProfitratenWährend in den alten Metropolen von »Krise« geredet wird, befindet sich das kapitalistische Asien in einem seit Jahren andauernden Boom. Nur eine Randerscheinung irgendwo in der »Dritten Welt«? Eine riesige Anzahl von Menschen, mehr als die workforce der Europäischen Union und der USA zusammen, haben in diesem Jahrzehnt ihre Existenz als Bauern aufgegeben und sind zu Proletariern geworden; zum allergrößten Teil tatsächlich zu industriellen ArbeiterInnen. Es entsteht gerade eine neue junge, mobile, unverbrauchte und sehr weibliche Arbeiterklasse, deren Dynamik an die besten Höhepunkte des Klassenkampfs in der kapitalistischen Geschichte erinnert. Noch wird diese politische Dynamik in eine produktive Dynamik der kapitalistischen Entwicklung übersetzt. Produziert wird »auf großer Stufenleiter«: Textil, Schuhe, Elektronik und zunehmend Autos für den Weltmarkt. Produziert wird in großen Fabriken. Ausgebeutet wird durch niedrige, aber steigende Löhne. Ausgebeutet wird mit recht niedriger organischer Zusammensetzung des Kapitals. Niedrige Löhne, schlechte Arbeitsbedingungen, lange Arbeitszeiten und geringe organische Zusammensetzung bedeutet eine extrem hohe Profitrate. Auch wenn ohne Zweifel der Profit pro ArbeiterIn sehr viel niedriger ist als im durchschnittlichen Ausbeutungsverhältnis der alten Metropolen: die Größe Asiens läßt uns annehmen, daß für das Kapital Asien mindestens so bedeutend geworden ist, wie die alten Metropolen. Wir haben also auf der einen Seite Europa/Nordamerika/Japan mit »Krise«, und wir haben Asien mit einem andauerndem Boom und hohen Profitraten. Wir haben große Spannung und wir haben ein Kraftwerk, das groß genug zu sein scheint, die Spannung zu halten. Welch Überraschung, daß das Geld als Geld und das Geld als Kapital fließen; daß Geld- und Finanzkapital und die Spekulation solche Furore feiern, daß die »linken« Theoretiker fast aller Richtungen wie geblendet sind. Der »Aufstieg des Geldes« ist der Vorgang des Ausgleichs der Profitraten zwischen den alten und den neuen Metropolen. Es ist der Vorgang der kapitalistischen Vermittlung der Ungleichzeitigkeit des Klassenkampfs in den zwei zur Zeit wichtigsten Teilen der Welt. 2.2. Exkurs: Werttransfer?Wenn offensichtlich ist, daß die Profitraten extrem unterschiedlich sind, so ist das nicht so eindeutig in Bezug auf die Mehrwertraten. Denn nur, wenn die Ausbeutungsrate extrem unterschiedlich wäre, könnte mensch von einer Ausbeutung »Asiens durch die alten Metropolen« sprechen. Nur dann würde nicht nur Geld innerhalb des Gesamtkapitals umhergeschoben, sondern Werte von einem Teil der Welt in einen anderen transferiert. Dann würden zwar immer noch nicht die »deutschen Arbeiter« die indonesischen ausbeuten, aber es gäbe ohne Zweifel die Möglichkeit, mehr vom hiesigen Staat und dem hiesigen Kapital abzuringen, als hier produziert würde. Die Mehrwertrate ist definiert als Verhältnis der Arbeitszeit, die eine Arbeiterin für sich selber, und der Arbeitszeit, die sie für den Kapitalisten arbeitet. Es ist also die Frage: produziert die indonesische Arbeiterin mehr Mehrwert als der deutsche Arbeiter? Der Unterschied in den Profitraten liegt an zwei Sachen: erstens die niedrigen Löhne. Zweitens die niedrige organische Zusammensetzung des Kapitals. Wenn wir am zweiten anknüpfen, dann ergibt sich sofort, daß der deutsche Arbeiter in seiner Gesamtarbeitszeit erheblich mehr Werte produziert als die indonesische Arbeiterin. Er setzt ganz andere Produktivkräfte in Bewegung: seine Arbeit ist produktiver, sie produziert mehr Wert. Möglicherweise sogar soviel mehr, daß sein Anteil an dem von ihm produzierten Wert relativ geringer sein könnte, als im Falle der indonesischen Arbeiterin, trotz der Unterschiede in den Löhnen. Es könnte also durchaus sein, daß sich hinter dem Fluß von Geld in die eine Richtung ein Werttransfer in die andere Richtung verbirgt. Sowieso nicht von Arbeiter zu Arbeiter. Sondern von Kapital zu Kapital. Steigende organische Zusammensetzung, also die Entwicklung der Produktivkräfte, ist im Kern die Reaktion des Kapitals auf den Klassenkampf. Maschinen haben ihre Kampfgeschichte. Es geht um den Versuch des Kapitals, die Ausbeutung auch dann aufrechtzuerhalten, wenn es den Arbeitern Zugeständnisse machen muß. Noch mehr: die steigenden Ansprüche der Arbeiter, ihre Forderungen nach mehr Lohn und besserer Arbeit führen das Kapital erst in seine eigene Entwicklung. Aber um diese Entwicklung aufrechtzuerhalten, muß es bei steigender organischer Zusammensetzung immer auch proportional mehr akkumulieren; seinen Anteil am Arbeitstag vergrößern. Anders wären die Fabriken und Maschinen und Armeen nicht zu bezahlen. Ich denke also, daß die Ausbeutungsrate in den alten Metropolen sehr viel höher ist als in den neuen; möglich durch die sehr viel höhere Produktivität der Arbeit und erzwungen durch die Notwendigkeit einer Akkumulation von Kapital in ganz anderer Größenordnung. Die Tatsache, daß hiesige Arbeit produktiver ist und damit die Ausbeutungsrate größer, ist Ergebnis einer Geschichte von Kämpfen, die die asiatische Arbeiterklasse zum Teil noch vor sich hat. Es sieht allerdings so aus, als würde sie diese Herausforderung nicht nur annehmen, sondern es besteht die Hoffnung, daß sie vielleicht sogar den entscheidenden Schritt darüber hinaus machen könnte. Denn sie ist noch so jung und unverbraucht, daß sie sich ideologisch noch nicht in die Beschränkungen und Grenzen der kapitalistischen Entwicklung hat verweisen lassen. 2.3. Auch das Kapital zögert...Der Ausgleich der Profitraten findet auch deshalb noch vor allem auf der Ebene des Geldes, d.h. der Spekulation statt, weil das Kapital der alten Metropolen noch zögert, sich direkt mit der Ausbeutung der neuen Arbeiterklasse in Asien zu befassen. Noch werden die Textilfabriken in China, Indonesien oder Bangla-Desh von südkoreanischen oder chinesischen Kapitalisten aus Taiwan und Hongkong organisiert. Nur japanische und amerikanische Elektronikkonzerne haben schon in größerem Umfang investiert, z.T. zusammen mit »einheimischen« Kapitalisten (»Joint-Venture«), also mit relativ wenig eigenem Kapital. Investitionsvorhaben wie der Bau einer Autofabrik von General Motors/Opel in Thailand haben deshalb immer noch etwas Spektakuläres an sich. Etwa zur gleichen Zeit, als GM dieses Milliardenprojekt der Öffentlichkeit verkündete (Juni 96), streikten die ArbeiterInnen der Motorradfabrik Thai Suzuki Motor Co. Der Streik dauerte mehrere Monate, es gab Schießereien mit den Bullen, das japanische Management war zeitweise im Verwaltungsgebäude eingeschlossen und mußte per Hubschrauber versorgt werden. Vielleicht auch deshalb versicherte wenig später die BASF der hiesigen Öffentlichkeit und ihren Aktionären, daß ihre Großinvestition in einen riesigen Chemiekomplex in Nanjing, China, gerade nicht zu groß sei, um auch »einen Totalverlust verkraften zu können«. 3. »Krise«. Wessen Krise?Gewiß befinden wir uns derzeit in den alten Metropolen auf der Schattenseite eines enormen Booms. Und in diesem Sinn hat auch all das seine Berechtigung, was in den letzten beiden Zirkularen dargestellt worden ist. Aber der Zusammenhang der »Aufsässigkeit der Arbeiterklasse« mit der kapitalistischen Entwicklung muß genauer bestimmt werden. Es ist sicher richtig, daß Teile der Arbeiterklasse zäh und ausdauernd ein allzu rasches Schleifen der Positionen verhindert haben. Genauso richtig ist, daß immer mehr Teile der Gesellschaft verarmen und noch nicht in der Lage sind, damit politisch umzugehen. Es wird oft vom »Postfordismus« geredet. Das ist sicher ein falsches Schlagwort, wenn damit gesagt werden soll, daß es schon eine neue andere vorherrschende Form der Ausbeutung gäbe. Was in dem Wort allerdings intuitiv richtig erkannt ist, ist, daß die »Krise« bei uns vor allem im Abwehren, Verteidigen, Nachlaufen; kurzum im Fehlen von Perspektiven besteht. Nicht nur das; es sind auch keine gesellschaftlichen Figuren auszumachen, die Träger einer Erneuerung sein könnten. Darin besteht unsere Krise und letztlich auch die des Kapitals. Es ist keine neue gesellschaftliche Dynamik zu erkennen, die dem Kapital neue Flöhe ins Ohr setzen könnte. So ist eine alte Periode vorbei (wenn nicht der »Fordismus«, so doch die gemütliche Teilung der Welt in Metropole und »Dritte Welt«), aber Neues ist nicht in Sicht hierzulande. Wohl aber in Süd- und Südostasien, in Mexiko, vielleicht in Teilen Arabiens und Nordafrikas, vielleicht auch wieder in Teilen Südamerikas. Und nur in diesem weltweiten Zusammenhang werden auch die Verhältnisse in Europa und Nordamerika wieder zu tanzen beginnen. Und wer diesen Zusammenhang leugnet oder vernachlässigt, wird bald gar nichts mehr zu sagen haben. Eines der wichtigsten politischen Probleme derzeit ist die ideologische Einengung auf die Zustände daheim trotz oder wahrscheinlich wegen dem allgemeinen Geschwätz über Standort und Globalisierung. Die Welt war noch nie so sehr eine Einheit (nicht: »einheitlich«) und noch selten haben sich die Leute sowenig um die Welt gekümmert wie zur Zeit. Das gilt leider auch für die linke Debatte. Die Weltarbeiterklasse kämpft und weiß es kaum. Es ist der Situation völlig unangemessen, wenn wir vor Ehrfurcht vor den dunklen Mächten des Geldes erzittern. Die gibt es nicht; dieser Kaiser ist so nackt wie alle anderen auch. Doch es fehlen die Kinder, die das bemerken. Karl, Ludwigshafen, Nov. 1996 Literatur:
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