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Wildcat-Zirkular 32, Dezember 1996 »Strawberry fields forever united?«WATSONVILLE Gonzalo Zamora hebt mahnend den Zeigefinger und erklärt uns, warum er mehr als froh ist, sich der momentan ehrgeizigsten gewerkschaftlichen Organisierungs- Kampagne angeschlossen zu haben. Er bräuchte eine anständige Krankenversicherung für seine beiden Kinder, sagt der 29 Jahre alte Erdbeerpflücker. Dafür bedürfe es einer Anhebung seines Grundlohns von 6.40 Dollar am Tag, und die Möglichkeit, bei Gewerkschaftswahlen teilnehmen zu können, ohne befürchten zu müssen, daß sein Betrieb daraufhin womöglich dicht macht. »Die Regierung will nicht, daß wir weiterhin die öffentlichen Gesundheitsdienste in Anspruch nehmen«, sagt der Immigrant aus Mexiko mit einem resignierten Blick, »aber welche Mög lichkeit haben wir sonst, bei Löhnen, von denen du nicht leben kannst?« Die Erdbeersaison ist für die Stadt an der zentralen Westküste beendet. Aber der Regen und die Kälte haben der Intensität der Kampagne der UFW nichts anheben können, die 20 000 ArbeiterInnen organisieren will, die 70 Prozent der nationalen Erdbeerernte einbringen. Mit Geldern der AFL-CIO und einem ungewöhnlich großen Unterstützungsaufwand seitens der AFL-CIO von John Sweeney hat die UFW in diesem Jahr Dutzende von Funktionären (»organizers«) in die Erdbeerfelder geschickt, die dort flugs Broschüren unter die Leute brachten, in denen die Löhne der ArbeiterInnen und anhand vieler Beispiele die unvorstellbaren Lebensbedingungen angeklagt werden. Die UFW führt diese Schlacht im ganzen Land. An der Ostküste wurde am 13.11.96 eine Blitzaktion in den Medien gestartet, um das öffentlich bekannt zu machen, was Arturo Rodriguez, Vorsitzender der UFW, eine »Kultur der Unterdrückung« nennt, die die ArbeiterInnen davor abschrecken soll, den Mund aufzumachen. Die Erdbeersaison dauert 6 bis 8 Monate.Während dieser Monate werden intensiv die reifen Beeren geerntet, wozu täglich manchmal 10 bis 12 Stunden Pflückarbeit in gebückter Haltung erforderlich sind. Die ArbeiterInnen klagen über Rückenschmerzen und brennende Augen, verursacht durch Staub und die Pestizide. Mit den Anstrengungen der Arbeiterbewegung häufen sich die Gegenangriffe der Pflanzer. Sie argumentieren, die Gewerkschaft würde bei ihren Schilderungen der Lebens- und Arbeits bedingungen der ArbeiterInnen übertreiben. »die wollen mich fertig machen«, sagt Karen Miller, die mit ihrem Mann die 235 Morgen große Clint-Miller-Farm betreibt, »die erzählen allen von Boston bis Detroit, daß dieses Gewerbe die Hölle ist, aber sie gehen nicht gegen die wenigen schwarzen Schafe unter den Pflanzern vor.« Die UFW hatte in dieser Saison keine Gewerkschaftswahlen beantragt.Von den Funktionären wurde das damit begründet, daß viele Aufseher die ArbeiterInnen eingeschüchtert hätten, indem sie Hüte und Anstecker verteilten, auf denen in Spanisch »Frei ohne Gewerkschaft« zu lesen gewesen sei. Zudem wäre den ArbeiterInnen damit gedroht worden, der Betrieb würde eher zu machen, als sich auf Gewerkschaftsverträge mit der UFW einzulassen. Miles Reiter, Pflanzer in Watsonville, der eine Krankenversicherung und durch Akkordzuschläge Löhne von bis zu 9 Dollar bietet, beschuldigt die Gewerkschaft, sie würde nur deswegen keine Wahlen abhalten, weil sie unter den ArbeiterInnen nicht über genügend Rückhalt verfügt. Dem hält Arturo Mendoza, ein Funktionär der AFL-CIO, der die Kampagne der UFW in Watsonville mitorganisiert, entgegen, daß die Gewerkschaft eine Wiederholung der Er eignisse nach den Wahlen vom August 1995 vermeiden will. Damals hatten fast 90 Prozent der Erdbeerpflücker auf den VCNM-Farmen in Salinas für eine Vertretung durch die UFW gestimmt. Den ArbeiterInnen ging es damals vorallem um die Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit, die Beendigung der sexuellen Belästigung der Arbeiterinnen, und um die Krankenunterstützung durch die UFW. In der folgenden Woche hatte die Firma ein Viertel ihrer Ernte vernichtet und einen Monat später den Betrieb geschlossen. Alle ArbeiterInnen waren entlassen worden. »Solange die Firmen nicht bereit sind, die gewerkschaftliche Organisierung zu akzeptieren, werden Wahlen nur noch mehr Kündigungen und Betriebschließungen auslösen. Letztlich waren die Wahlen unverantwortlich, da wir den ArbeiterInnen keine partnerschaftliche Rolle in den Unternehmen anstatt dem Rauswurf garantieren konnten«, sagte Mendoza. Die Gewerkschaft bestreitet, daß sie möglicherweise die Grundlage für einen zukünftigen Boykott der Erdbeeren legt. Aber während des ganzen letzten Jahres hat sie eine energische Kampagne aus Basisinitiativen voran getrieben, die an den erfolgreichen Traubenboykott in den 1960ern erinnert. Bei mehr als 600 Zentralen von ArbeiterInnenorganisationen im ganzen Land [central labor councils] aber auch bei Frauen- und Minderheitengruppen wurde Unterstützung für das Recht der ArbeiterInnen auf den Erdbeerfeldern eingefordert, Gewerkschaftswahlen durchzuführen und Verträge durchzusetzen, die ihre Bedingungen verbessern. Mit Anbruch des Winters sind mittlerweile noch 27 Funktionäre der UFW in Watsonville und nahe bei Salinas geblieben. Sie organisieren weitere UnterstützerInnen für die nächste Erntezeit mittels »Juntas Caseras« oder »House meetings«, eine Organisierungsmethode, die von Cesar Chavez verbreitet wurde, als er vor 34 Jahren im San Joaquin Valley die UFW gründete [bei dieser Strategie der »Hausversammlungen« stattete der Funktionär der UFW denjenigen einen Besuch ab, von denen er gehört hatte, sie würden sich für die Sache der LandarbeiterInnen einsetzen wollen. Diese sollten dann Informationen an Bekannte und Verwandte weitergeben, damit es zu einer breiteren »Hausversammlung« kommt...A.d.Ü.]. ArbeiterInnen, die die Kampagne ablehnen, sagen, daß sie zu allgemein angelegt sei [»broad«, das kann verschiedenes heißen, »breit«, »liberal«, »derb«, »allgemein«, A.d.Ü.], und das Image der Beerenindustrie beschädigen würde, die pro Jahr 600 Millionen Dollar umsetzt, und von der sie schließlich abhängig wären. »Sie rufen uns an, besuchen uns in unseren Häusern und auf den Feldern. Sie stören uns«, sagt Bertha Fernandez, eine 39 Jahre alte Frau, die auf der Clint-Miller-Farm arbeitet, auf der pro Stunde ein Mindestlohn von 6.85 Dollar bezahlt wird. In den letzten 24 Jahren ging es Frau Fernandez gut genug, um ein Kind an die Universität zu schicken, und mit ihrem Mann ein bescheidenes Haus besitzen zu können. »Wo ich arbeite, haben wir alles was wir brauchen«, sagt Fernandez auf Spanisch, »saubere (tragbahre) Toiletten, sauberes Trinkwasser. Für den Arzt und den Zahnarzt haben wir eine Versicherung, die gilt für die ganze Familie. Besser könnten wir es nicht haben«. Die Leitung der FarmenDer Pflücker Healo Yepez ist ebenfalls gegen die Gewerkschafter. Er bewundert die Farmer, sagt er, weil sie ihr Geld investieren und die Farmen führen. »Kann mir die Gewerkschaft einen Job anbieten? So denken die Leute, die gegen die Gewerkschaft sind. Diese Gewerkschaftsleute können mir keinen Job geben«. Diese Meinung steht im Gegensatz zu den Ansichten von LandarbeiterInnen wie Isabel Rendon. Wie bei den meisten Erdbeer ArbeiterInnnen gibt es auf der Farm, auf der sie arbeitet, keine Krankenversicherung. Die Beeren dieser Farm werden an die zur Calgenegruppegehörende Gargiulo Vertriebsgesellschaft in Watsonville geliefert. »Die Leute von der Gewerkschaft haben uns unsere Rechte klar gemacht«, sagt die 29 Jahre alte Rendon, »Der Gang zum Arzt muß oft ausfallen, wenn ich oder mein Sohn krank sind. Wie könnten wir auch? Manchmal verdienen wir nur 200 Dollar in der Woche. Das reicht hinten und vorne nicht. Wir zahlen 700 Dollar Miete und dann sind die Rechnungen noch nicht bezahlt.« Rafael Romero, Arbeiter auf den Beerenfarmen in Salinas, hat eine Versicherung, aber aus Angst nimmt er sie oft nicht in Anspruch; bis zu 600 Dollar könnten vom Lohn abgezogen werden [$600 Dollar deductible? Eine Summe, die bei Inanspruchnahme bestimmter Versiche rungsleistungen vom Lohn abgezogen werden kann?, A.d.Ü.]. Für die Miete und das Essen für seine drei Kinder würde nicht mehr genug übrig bleiben. »Wir haben ein recht hartes Leben«, sagt Romero, »und nur wenige von uns wollen darüber reden, schon gar nicht diejenigen ohne Papiere«. Ein Firmenberater hatte den Arbeiterinnen einmal geraten, sie sollten doch nach Tijuana gehen, und sich dort eine billige Augen behandlung zukommen lassen, wenn sie Probleme mit den Augen hätten, fügt der Pflanzer Gonzalo Zamora noch hinzu. Auf den Feldern und in den barrios rund um Watsonville vollzieht sich eine beachtliche Ausdehnung der Arbeitskämpfe. Mit eigens entwickelten öffentlichen Kampagnen schlagen die Pflanzer gegen die UFW zurück, so verfügen sie über eine Gruppe von ArbeiterInnen, die mit ihren Jobs zufrieden sind, und jederzeit den Reportern Rede und Antwort stehen. Einige der Farmer gründeten das Bündnis der Erdbeerarbeiter und Farmer, mit Sitz in Los Angeles unter der Leitung der Dolphin-Gruppe, eine Werbefirma, die von den Agrobusiness- Firmen immer wieder Aufträge erhält. Im letzten Sommer organisierte das Bündnis einen Anti-Gewerkschafts-Marsch durch Watsonville mit 5000 ArbeiterInnen. Die Gewerkschaft, die erst im Frühjahr einen Marsch organisiert hatte, reagierte ganz unerschrocken mit einem weiteren Marsch im September und etwa 5000 ArbeiterInnen zeigten ihre Solidarität. Unterstützungsgruppe mit StarbesetzungDie Kampagne der Arbeiterbewegung ist ähnlich ausgeklügelt. Die »Nationale Erdbeer Kommission für Arbeiterrechte« mit Adresse bei der AFL-CIO-Zentrale in Washington führt ihre eigene Unterstützungsgruppe mit Starbesetzung. Schauspieler wie Danny Glover, Edward James Olmos und Ed Begley Jr., Linda Ronstadt und Ethel Kennedy gehören dazu. Mehr als 270 Pflanzer Gesellschaften oder einzelne Farmen produzieren an der Küste Erdbeeren. Die Früchte werden durch acht Vertriebsgesellschaften vermarktet, die manchmal die Ernte der Farmer finanzieren, oder die Qualität und das Versprühen von Pestiziden diktieren. Neben den Klagen über die Löhne, die in den letzten 10 Jahren im allgemeinen stagnierten, beschreibt die Gewerkschaft aufsehenerregende Mißhandlungen, die bei den Erdbeer ArbeiterInnnen festgestellt worden sind. 1991 wurden z.B. mehr als 100 ImmigrantInnen aus Mexiko gefunden, einige gerade mal 13 Jahre alt, die in Pappkartons und Höhlen lebten, die sie in die Berghänge nahe Salinas gegraben hatten. Sie erhielten nicht einmal den staatlichen Mindestlohn. Der Direktor der Umwelt- und Gesundheitsbehörde im Kreis Monterey sagt: »Wenn wir unter der Norm liegende Bedingungen unter Landarbeitern oder irgendeiner Ansammlung von Menschen finden egal ob sie nun in Höhlen, Ställen oder Garagen wohnen die meisten von ihnen sind wahrscheinlich Erdbeer-Arbeiter. Das ist bei uns schon zur Routine geworden.« Nach Auskunft des Direktors am privaten »Kalifornischen Institut für landwirtschaftliche Studien« in Davis, Don Villajero, finden diese Mißhandlungen meist auf den kleineren Farmen statt. Die Gewerkschaft behauptet dennoch, daß die gesamte Industrie besonders die Vertriebsgesellschaften vom Verkauf der Beeren profitieren, während sich in Unwissenheit geübt wird, wenn es um die bestehenden unbefriedigenden Arbeitsbedingungen geht. Unter der Leitung von Arturo Rodriguez, dem Schwiegersohn von Cesar Chavez, hat die UFW in den letzten paar Jahren enorme Organisierungserfolge errungen. 1994 und 1995 hat die Gewerkschaft 13 Wahlen gewonnen und 11 Verträge mit Gemüse, Pilze und Weintrauben verarbeitenden Gesellschaften und der Rosenindustrie ausgehandelt. Im Mai hat Rodriguez einen Vertrag mit der in Salinas ansässigen Bruce Church Incorporationunterzeichnet, einem der größten Salathersteller des Landes Damit wurde ein seit 18 Jahren bestehender Verhandlungskrieg zwischen Firma und Gewerkschaft beendet. Für die AFL-CIO ist die UFW eine ihrer dynamischsten Mitgliedergewerkschaften. Rodriguez hat einen Sitz im Vorstand. Nach Arturo Mendoza werden UFW und AFL-CIO den Kampf um die Erdbeeren nicht aufgeben. »Wir werden einen Arbeiter nach dem anderen organisieren«, beschreibt er die Strategie der Gewerkschaft. »Wenn es im nächsten Jahr keine Wahlen gibt, dann eben im übernächsten Jahr, oder noch ein Jahr später«. von Susan Ferries und George Raine/Examiner-Redaktion |
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