wildcat.zirkular
 

Wildcat-Zirkular 32, Dezember 1996

Flucht vor dem »Wertgesetz«?

Aufheben antwortet auf George

Der folgende Text von George Caffentzis ist die Fortführung einer theoretischen Kontroverse zwischen GenossInnen aus England und den USA. Von beiden Gruppen haben wir schon öfter Texte als Bücher, in der Wildcat oder im Zirkular übersetzt. Für diejenigen, die diese Kontroverse bisher nicht verfolgt haben, ist eine kurze Vorbemerkung erforderlich – die allerdings nicht die Kenntnis der Texte ersetzen kann, auf die sich diese Kontroverse bezieht.

In den siebziger Jahren erschienen in den USA zwei Ausgaben der Zeitschrift »Zerowork«, die ausgehend von der operaistischen Theorie (zum Hintergrund siehe Wildcat 64/65) die Klassenkämpfe in den USA und in anderen Teilen der Welt untersuchten. Diese Texte – u.a. von Harry Cleaver und George Caffentzis – haben wir übersetzt und als Thekla Nr. 10 veröffentlicht. Nachdem sich die Gruppe »Zerowork« aufgelöst hatte, gründeten einige von ihnen das Nachfolgeprojekt »Midnight Notes«. Besonders bekannt wurde hier ihr Text »Arbeit, Entropie, Apokalypse«, der zunächst unter dem Titel »Reagan's gesammelte Aplpträume« und später von uns als Thekla Nr. 12 in deutsch veröffentlicht wurde. Dort wenden sie sich gegen die in einem Aufsatz von Mario Montano in »Zerowork« Nr. 1 vertretene These, das »Wertgesetz« sei von der kapitalistischen Entwicklung selber bereits überwunden, die Herrschaft des Kapitals habe damit keine Grundlage mehr in der Ausbeutung, sondern sei reines Kommando, politische Kontrolle – diese Position wird seit damals vor allem von Antonio Negri vertreten (siehe Zirkular 28/29). Diese Wende und welche Bedeutung sie für die »Midnight Notes« hatte, erläutert George Caffentzis in einem Vortrag, den er im Sommer '94 in Zürich gehalten hat (siehe Zirkular Nr. 7).

Weitere Texte des »Midnight Notes Collective« haben wir in Thekla Nr. 14 (»Ölwechsel«) und Nr. 17 (»Midnight Oil«) übersetzt, die sich mit der Politik des Öls, der Schuldenkrise und dem Golfkrieg als Krieg gegen das erdölproduzierende Proletariat beschäftigen. 1992 stellte das »Midnight Notes Collective« aus allen ihren Schriften, die im Zeitraum 1973 bis 1992 erschienen waren, das Buch »Midnight Oil« zusammen. Im Thekla Nr. 17 mit gleichlautendem Titel haben wir daraus nur die Texte übersetzt, die nicht bereits in den früheren Theklas oder der Wildcat erschienen waren (außerdem fügten wir einen längeren Text von Ferruccio Gambino zum Golfkrieg hinzu: »Migranten im Sturm: Entrechtete Arbeiter und Petrodollars am Persischen Golf«).

In der englischen Zeitschrift »Aufheben« Nr. 4 (Sommer 1994) wurde die amerikanische Originalausgabe von »Midnight Oil« kritisch besprochen, wobei sie einige Positionswechsel, die zwischen »Zerowork« und »Midnight Notes« stattgefunden haben, als Widersprüche interpretierten, insbesondere die Beurteilung der Rolle des »Wertgesetzes« im Kapitalismus. Diese Besprechung haben wir im Zirkular Nr. 6 übersetzt, im Zirkular Nr. 11 folgte eine Erwiderung darauf von George Caffentzis. In der jüngsten Ausgabe von »Aufheben« (Nr. 5, Herbst 1996) ist diese Erwiderung abgedruckt und die GenossInnen von »Aufheben« gehen darauf nochmal ausführlich ein. Teilweise handelt es sich bei dieser Kontroverse tatsächlich um ein Mißverständnis, da »Aufheben« den Bruch, den es in der Entwicklung von »Zerowork« zu »Midnight Notes« gegeben hat, zunächst übersehen hatte. Dahinter stehen aber grundsätzlichere Fragen um den Charakter der kapitalistischen Gesellschaft, um das Verhältnis von Klassenkampf und objektiver Struktur, von Subjektivität und Verdinglichung. Daher und weil wir einen großen Teil der Schriften von »Midnight Notes« in deutsch veröffentlicht haben, finden wir es wichtig, diese Kontroverse auch im Wildcat-Zirkular zu verfolgen.

Für das nächste Zirkular übersetzen wir gerade einen weiteren Text von George Caffentzis, in dem er ausführlicher seine Auffassung vom »Wertgesetz« anhand der Frage der Maschinen und warum sie im Kapitalismus keinen Wert produzieren darlegt (siehe dazu auch seinen Beitrag und eine kritische Erwiderung im Zirkular Nr. 7).

In ihrer Vorbemerkung betont »Aufheben«, daß sie das Buch »Midnight Oil« und die in ihm ausgedrückte Tradition ausdrücklich begrüßten: aufgrund seiner Betonung des Klassenkampfs liefere das Buch des »Midnight Notes Kollektifs« eine lebendige Alternative zu den objektivistischen Imperialismustheorien der Leninisten für das Begreifen z.B. des Golfkriegs. Allerdings seien sie schließlich zu einem kritischen Urteil gekommen, da z.B. die Dynamik des modernen Kapitalismus allein auf die beliebige Macht des Kapitals, die Arbeiterklasse durch Preismanipulationen anzugreifen, zurückgeführt werde.

(Schwerpunkt der Nr. 5 von »Aufheben« ist die Dezemberbewegung in Frankreich, mit einem längeren eigenen Artikel und einem Dossier aus übersetzten Dokumenten aus der Bewegung. »Aufheben« kann in Europa zum Preis von 6.50 Pfund abonniert werden; die älteren Nummern sind noch für je 2 Pfund zu haben: Aufheben, c/o Prior House, Tillbury Place, Brighton, BN2 2GY, UK. Im übrigen sind die Texte von »Aufheben« mittlerweile auch im Internet abrufbar: http://jefferson.village.Virginia.EDU/~spoons/aut_html/auf1edit.htm)

Eine Antwort auf Caffentzis

(aus: Aufheben, Nr. 5, Herbst 1996)

In seiner Antwort entwickelt Caffentzis eine scheinbar beeindruckende Verteidigung gegenüber unserer Kritik. Im Mittelpunkt steht dabei sein Beharren darauf, daß wir Midnight Oil in unserer Besprechung gründlich mißverstanden hätten. Wir glauben, das rechtfertigt eine überlegte Antwort, von der wir hoffen, daß sie unsere Kritikpunkte an Midnight Oil sowohl erklärt als auch verbessert. Bevor wir direkt auf die von Caffentzis angesprochenen Punkte antworten, sollten wir vielleicht zunächst unsere kritische Besprechung von Midnight Oil in unser Verhältnis zur Arbeit der Midnight Notes und Zerowork Kollektive insgesamt einordnen.

Mit der ausführlichen Besprechung von Midnight Oil wollten wir nicht bloß ein Gegenargument gegen die vorherrschenden leninistischen oder liberalen Betrachtungsweisen des Golfkriegs und des »Imperialismus« herausheben; und ebensowenig ging es uns nur darum, kritisch eine Arbeit zu besprechen, die in politischen Kreisen einflußreich ist, mit denen wir zu tun haben – obwohl jeder dieser Gründe vielleicht für sich ausreichend gewesen wäre. Wir zögerten nicht, Midnight Oil zu besprechen, weil wir seit langem voller Respekt und Sympathie für die jahrelangen Arbeiten sowohl von Zerowork als auch der Midnight Notes waren. Wir alle waren mehr oder weniger gefesselt von den kühnen logischen Sprüngen, die durch die Vereinigung so offensichtlich verschiedener Elemente die lähmenden Grenzen des orthodoxen Marxismus sprengten; und wir alle wurden davon inspiriert, daß sie den Vorrang der Klassensubjektivität und die politische Zentralität der »Verweigerung der Arbeit« geltend machten. Dies gilt vielleicht in besonderer Weise für Zerowork, deren bahnbrechende Arbeiten in den 70er Jahren versuchten, die hervorstechenden Merkmale der Krise des Keynesianismus und der Nachkriegsordnung zu begreifen, die zu dieser Zeit ausgebrochen war.

Unglücklicherweise ändern sich die Zeiten. In den 70er Jahren waren die staatlichen Eingriffe in die Wirtschaft angesichts einer weltweit zunehmenden Militanz der Arbeiterklasse immer hektischer geworden. Unter diesen Umständen schien die Vorstellung zweier widersprüchlicher Klassenstrategien, um die sich die Analyse von Zerowork drehte, sehr glaubwürdig. Aber das Kapital hat sich seitdem umstrukturiert. Durch die zunehmende internationale Flüssigkeit des Kapitals, mit der es die alten Bastionen der Klassenmacht der Arbeiter umgehen konnte, ist das »Wertgesetz« überall wieder durchgesetzt worden. Mit dem Aufkommen ungezügelter globaler Finanzmärkte ist die Macht der Nationalstaaten, das Kapital bewußt zu planen und zu regulieren, verfallen.

Diese Veränderung der Umstände hatte wichtige politische Folgen für die Interpretation der Theorie von den zwei Strategien, die während der proletarischen Offensive in den 60er und 70er Jahren entwickelt worden war. Einerseits saßen viele »Autonomisten« mit dem Rückzug der Arbeiterklasse in den größten Teilen Europas und Amerikas einfach herum und warteten auf die Materialisation (oder Immaterialisation, wie es vielleicht Negri getan hat) eines »neuen sozialen Subjekts« oder betrachteten irgendwelche halbgaren liberalen oder nationalistischen Kämpfe unkritisch als Anzeichen für die Wiederbelebung einer Strategie der Arbeiterklasse. Andererseits glitten viele ehemalige Revolutionäre angesichts des Rückzugs der Arbeiterklasse in Verschwörungstheorien ab und folgerten, daß das Kapital allmächtig sei und seine Strategie beinahe nach Belieben durchsetzen könne.

Unter diesen veränderten Umständen trat die Schwäche der Arbeiten von Zerowork und Midnight Notes in den Vordergrund. Ihre kühnen logischen Sprünge erschienen jetzt allzu abgehoben. Daher hielten wir es für nötig, über die Positionen von Zerowork und Midnight Notes hinauszugehen, ohne dabei in den Objektivismus des orthodoxen Marxismus zurückzufallen. Dazu war es notwendig, ihre Arbeiten erneut kritisch durchzugehen, um darin die erhaltenswerten Punkte herauszufinden, und gleichzeitig die nützlichen Aspekte des traditionellen Marxismus wiederherzustellen, die sie im Überschwang über Bord geworfen hatten.

Dies ist unsere Arbeit des »Aufhebens« und in diesem Sinne sind wir an die Besprechung von Midnight Oil herangegangen. Caffentzis argumentiert aber, wir hätten die Entwicklung und den Prozeß des »Aufhebens« innerhalb von Midnight Oil selbst nicht wahrgenommen. Er beharrt darauf, daß die späteren Schriften des Midnight Notes Kollektivs, in denen das »Wertgesetz« wieder bestätigt wird, im Gegensatz zu den früheren Schriften von Zerowork stehen, in denen die weitere Gültigkeit dieses Gesetzes zurückgewiesen worden war. Caffentzis zufolge sollten einige dieser späteren Schriften überhaupt nur als Polemik gegen die übertriebenen Positionen gelesen werden, die zunächst auf den Seiten von Zerowork entwickelt worden waren. Was wir als Unstimmigkeit betrachten, ist für Caffentzis in Wirklichkeit der widersprüchliche Prozeß des »Aufhebens«, der innerhalb von Midnight Oil stattfindet, in dem eine über fünfzehn Jahre gehende theoretische Entwicklung zusammenkommt.

Allerdings gesteht Caffentzis ein, daß in der Einleitung des Buchs die Kontinuität zwischen den verschiedenen in Midnight Oil abgedruckten Artikeln überbetont wird und es daher nicht gelingt, auf den widerspruchsvollen Prozeß der Entwicklung hinzuweisen, der in diesen fünfzehn Jahren stattgefunden hat. Wir halten das für eine bedenkliche Unterlassung, insbesondere für Leser, die von den internen Debatten innerhalb der Midnight Notes und Zerowork Kollektive, die wahrscheinlich vor über zehn Jahren stattgefunden haben, nichts wissen können. Dennoch würden wir sofort zugestehen, daß eine solche Unterlassung angesichts der politischen Notwendigkeit eines bestimmten und einheitlichen Ein greifens in die Debatten um den Golfkrieg und seine Folgen verständlich sein mag.

Außerdem klärt Caffentzis in seiner Antwort wichtige Punkte. Er betont nicht nur die erneute Anerkennung der marxschen Werttheorie in seinen eigenen und den aktuellen Schriften des Midnight Notes Kollektives, sondern er verdeutlicht auch, wie er den Begriff der Strategie versteht. Dazu schreibt er:

Denn einzelne Kapitale und Kapitalisten sind nicht nur sich gegenseitig abstoßende Einheiten, sie bilden ein System und eine Klasse. Kann dieses System und diese Klasse, obwohl nicht bewußt, eine Strategie haben? Marx, Nietzsche, Weber, Freud, Foucault und viele andere haben uns gelehrt, daß Strategien keine sich ihrer selbst bewußten kartesischen Subjekte benötigen, die sie anwenden.

So scheint es, daß für Caffentzis das Kapital als solches keine bewußte Strategie hat. Die »Strategie« des Kapitals als Ganzem entsteht aus den gegensätzlichen und konkurrierenden Strategien der einzelnen Kapitale und ihrer Vertreter, so daß es im Nachhinein scheint, als ob das Kapital eine bewußte Strategie hätte. All dem können wir nur zustimmen. Es scheint so, als hätten wir Midnight Oil tatsächlich falsch gelesen oder wären zumindest schuld daran, es in der denkbar schlechtesten Weise zu interpretieren.

Aber haben wir Midnight Oil tatsächlich falsch verstanden? Wenn wir uns Midnight Oil noch einmal anschauen, finden wir an keiner Stelle, nicht einmal in einer beiläufigen Bemerkung, eine Erläuterung dieser entscheidenden Auffassung von Strategie. In sämtlichen Texten in Midnight Oil, in den früheren wie den späteren, fehlt dieses »als ob«. Tatsächlich erscheint das Kapital in allen historischen Berichten, die wir in Midnight Oil finden, als eine vorherbestimmte Gesamtheit, die über eine bewußte Strategie verfügt, für die es eine Grenze und ein Problem nur in der Gegenstrategie der Arbeiterklasse gibt. Selbst für den aufmerksamsten Leser wäre es schwer, Caffentzis' differenzierten Begriff von Strategie auf den Seiten von Midnight Oil zu entdecken, geschweige denn eine Veränderung in der Position dazu zwischen den früheren und den späteren Texten.

Wie sieht es mit Caffentzis Wiederanerkennung der Marxschen Werttheorie aus? Hier ist eine wichtige Veränderung der Position zwischen den späteren Schriften der Midnight Notes und den früheren Schriften des Zerowork Kollektivs deutlich. Wir würden sofort zugestehen, daß die Midnight Notes und Caffentzis viele wichtige Punkte herausstreichen, die die anhaltende Bedeutung der Marxschen Arbeitswerttheorie betreffen, aber wir denken nach wie vor, daß sie deren Bedeutung letztendlich nicht ausreichend erfaßt haben. Wir wollen zeigen, daß Caffentzis und die Midnight Notes es nicht schaffen, in dieser Frage mit den früheren Schriften von Zerowork tatsächlich zu brechen, und daher unfähig sind, die Auffassung von den zwei Strategien in ihren historischen Berichten klarzumachen. Das wird vielleicht deutlich, wenn wir Caffentzis Behandlung des Problems der Grundrente betrachten.

Das Problem der Rente spielte in der Entwicklung der Marxschen Werttheorie eine zentrale Rolle, und sollt wohl für jeden, der sich mit der Preisbildung von natürlichen Ressourcen wie Öl befaßt, von entscheidender Wichtigkeit1 sein. Aber wie wir schon in unserer Buchbesprechung bemerkt haben, ignoriert Midnight Oil die ganze Frage der Rente in ihrer Darstellung der Ölpreisbestimmung.2

In seiner Antwort weist Caffentzis einfach die Bedeutung der Rententheorie zurück, aus zwei Gründen. Erstens behauptet er, daß im allgemeinen Renten für die Bestimmung und Regulierung von Preisen nicht mehr wesentlich sind. Selbstverständlich kann angeführt werden, daß durch die kapitalistische Entwicklung ein immer größerer Anteil der Produktion dem kapitalistischen Produktionsprozeß untergeordnet wird, und das Kapital so dahin tendiert, immer mehr seiner eigenen Inputs selbst zu produzieren. Dadurch kann das Kapital schließlich seiner Abhängigkeit von nichtproduzierten Naturressourcen entkommen und damit die materielle Basis für die Existenz einer besonderen Grundbesitzerklasse untergraben, deren Besitz an natürlichen Ressourcen es ihnen erlaubt, Extra-Profite in Form von Renten ein zustreichen.

Aber das ist lediglich eine abstrakte Tendenz. Es bedeutet keinesfalls, daß Renten nicht mehr wichtig sind, ebenso wie die Tendenz zur automatisierten Produktion nicht bedeutet, daß wir einen Zustand erreicht haben, in dem Arbeit nicht mehr das Maß des Wertes ist!3 Gerade die Rente bleibt in bestimmten Sektoren und Industrien von entscheidender Wichtigkeit. Wie könnten wir z.B. die Wohnungsfrage oder die kapitalistische Organisation des städtischen Raums ohne Bezug auf eine Theorie der Rente verstehen?

Damit kommen wir zum zweiten Grund, aus dem heraus Caffentzis es für überflüssig hält, sich mit der Rente zu beschäftigen. Im besonderen Fall des Öls führt Caffentzis einfach an, daß es absurd wäre anzunehmen, die Grundbesitzrechte von ein paar Scheichs könnten die Preisbestimmung einer solch strategischen Ware wie Öl beeinflußen. Caffentzis zufolge erscheint es zwar so, als gehöre das Öl diesen Scheichs oder den Regierungen des Mittleren Ostens, in Wirklichkeit gehöre es aber den USA. Aber Öl gehört nicht einfach »ein paar Scheichs«, nicht einmal in einem formalen Sinn. Das Öl gehört Regierungen, die aus ihrem Ölbesitz nicht nur riesige Einnahmen schöpfen, sondern die auch über einige der bestbewaffnetsten Streitkräfte der Welt verfügen. Aufgrund dieser Besitzrechte erhalten einige der mächtigsten Multis – die großen Ölkonzerne – die Konzessionen, Öl zu produzieren. Wenn die USA das Öl des Mittleren Ostens tatsächlich besitzen würden, und nicht nur glauben würden, sie sollten es besitzen – wenn all die Öl-Staaten des Mittleren Ostens einfach Marionetten der amerikanischen Regierung wären –, müßte sich die US-Regierung keine Sorgen um die Angelegenheiten des Mittleren Ostens machen. Es gäbe keine Notwendigkeit, Propaganda über libyschen Terrorismus aufzutischen, und es wäre z.B. nicht nötig gewesen, 1986 Tripolis zu bombardieren.

Natürlich bedeutet das nicht, daß Waffengewalt oder Sanktionen, oder die diplomatische Drohung mit Gewalt oder Sanktionen, Besitzrechte nicht ändern könnten, oder daß sie nicht benutzt werden könnten, um die Auswirkungen der Besitzrechte zu verändern, insbesondere in Bezug auf eine so entscheidende Ware wie Öl. Aber die Auffassung, der offensichtliche Besitz von Öl könne einfach als Illusion abgetan werden, solche Besitzrechte könnten einfach ignoriert werden, obwohl das Kapital auf der gegenseitigen Anerkennung solcher Rechte basiert, ist typisch für die abgehobene Logik, die wir überall in Midnight Oil finden – was noch dadurch verstärkt wird, daß es Caffentzis nicht für nötig hält, solche Behauptungen zu belegen.

Das führt uns zur Frage des Werts zurück. Die Auffassung, daß die Rente keine Bedeutung mehr hat, zumindestens bei so grundlegenden Waren wie Öl, scheint die für viele der historischen Analysen in Midnight Oil so zentrale bewußte Manipulation des Ölpreises möglich zu machen, ohne daß damit zugleich die Werttheorie von Marx völlig verworfen werden müßte.4 Während diese Argumentationslinie sich implizit an anderen Stellen in Midnight Oil findet, lehnt Caffentzis diesen Ausweg ab. Stattdessen scheint er der Ansicht zu sein, daß es die hohe organische Zusammensetzung des Kapitals im Energiesektor den Energiepreisen (wie dem von Öl) erlaube, irgendwie dem »Wertgesetz« zu entkommen, und damit ihre bewußte Manipulation gegen die Arbeiterklasse ermögliche.

In »Arbeit, Entropie, Apokalypse« untersucht Caffentzis die Polarisierung der organischen Zusammensetzung des Kapitals, weg von den mittleren Zusammensetzungen wie in der Autoindustrie hin zu einerseits Industrien hoher organischer Zusammensetzung wie der Atomenergie und andererseits den entgegengesetzten Industrien niedriger organischer Zusammensetzung wie der Fast-Food-Industrie. Dies bietet uns interessante Einblicke, vor allem in Hinblick darauf, wie die Erfahrung der Arbeiterklasse mit der eigenen Ausbeutung davon beeinflußt wird. Aber weder in »Arbeit, Entropie, Apokalypse« noch in seiner Antwort erklärt Caffentzis, wie die Unterschiede in der organischen Zusammensetzung des Kapitals dazu führen, daß die Energiepreise dem »Wertgesetz« entkommen können.

In »Arbeit, Entropie, Apokalypse« bezieht sich Caffentzis auf Marx' Theorie der Umwandlung von Werten in Preise und scheint folgendermaßen zu argumentieren: weil in Industrien mit hoher organischer Zusammensetzung des Kapitals die Preise notwendiger weise viel höher sind als die Werte (d.h. der Preis der in diesen Industrien produzierten Waren ist höher als der Preis, der durch die zu ihrer Produktion gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit gedeckt wäre), können diese Industrien dem »Wertgesetz« entkommen und sind deshalb offen für Manipulationen. Wie wir in unserer Besprechung bemerkt haben, ist dieses Argument bei weitem nicht ausreichend. Tatsächlich versuchte Marx in seiner Theorie der Umwandlung von Werten in Preise genau das Gegenteil zu zeigen! Mit seiner Theorie der Umwandlung versuchte Marx zu zeigen, wie trotz der möglichen Abweichung der Preise von den Werten zwischen Industrien verschiedener organischer Zusammensetzung solche Abweichungen systematisch sind und daher auch von der in ihrer Produktion enthaltenen gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit reguliert werden.

Bemerkenswerterweise erklärt Caffentzis weder in »Arbeit, Entropie, Apokalypse« noch in seiner Antwort, warum er die Marxsche Theorie der Umwandlung von Werten in Preise auf den Kopf stellt. Daher müssen wir davon ausgehen, daß Caffentzis nicht zeigen kann, wie bestimmte Preise – z.B. die Energiepreise – dem »Wertgesetz« entkommen können.

Aber aus seiner Antwort wissen wir, daß Caffentzis das Kapital letztlich nicht als ein »Kartesisches Subjekt« mit einer bewußten Strategie betrachtet. Da für Marx das »Wertgesetz« das wichtigste Mittel war, durch das sich das Kapital als Totalität »hinter den Rücken« der bewußten Absichten einzelner Kapitalisten konstituiert, bräuchte Caffentzis dem »Wertgesetz« vielleicht gar nicht zu »entkommen«. Aber wenn dem so ist, wie paßt das dann mit der Theorie der »zwei Strategien« in Midnight Oil zusammen? Und vielleicht noch wichtiger, wie verhält sich das zu den historischen Darstellungen, in denen verschiedene Vertreter des gesellschaftlichen Kapitals fähig zu sein scheinen, die Öl- und Lebensmittelpreise sowie die Wechselkurse mehr oder weniger beliebig zu manipulieren? Die Antwort scheint klar: Gar nicht!

Das grundlegende Problem, das allen Analysen in Midnight Oil gemeinsam ist, liegt in ihrem Unvermögen, die Vermittlungen zu begreifen, durch die sich das Kapital beständig selbst als Totalität konstituieren muß. Caffentzis könnte es mit der Ausrede versuchen, er und Midnight Oil wollten lediglich den Klassenkampf betonen, der in letzter Instanz die Grundlage aller solcher Kategorien wie Wert, Kapital und Preis darstellt. Aber er sollte wissen, das Wesen muß erscheinen. Es ist notwendig zu sehen, wie und warum der Klassenkampf sich in solchen Kategorien wie Wert, Preis und Kapital zugleich verdinglicht und manifestiert: d.h. wie sich das Kapital aus seinen scheinbar verschiedenen Teilen als Totalität konstituiert; und wie sich auf der anderen Seite die Arbeiterklasse gegen das Kapital konstituiert. Wir müssen klarmachen, wie solche Vermittlungen und Prozesse unter besonderen historischen Bedingungen und Umständen eingeschränkt und umgewandelt werden.

Wenn eine ernsthafte Analyse solcher Vermittlungen fehlt, kann der Leser das Kapital nur als »Kartesisches Subjekt« mit einer bewußten Strategie beschwören oder ansonsten willkürlich verschiedene Vertreter des Kapitals in Form der US-Regierung, der UN, dem IWF usw. zu benennen.

Da es Caffentzis nicht gelingt, diese Fragen der Vermittlung ernsthaft zu erwägen, kann er auch nicht das fundamentale Problem der in Midnight Oil entwickelten Analyse überwinden. Damit stellt sich heraus, daß der von ihm behauptete Prozeß des tätigen »Auf hebens« in Midnight Oil zwischen den frühen und späten Schriften lediglich eine Korrektur ist, die mehr Probleme aufwirft, als sie löst. Weil die Frage der Vermittlung in der Analyse von Midnight Oil nicht wirklich behandelt wird, paßt sie nicht zusammen, fehlt es ihr an Zusammenhang – sie ist inkohärent.

Caffentzis endet damit, daß alles letztendlich eine Frage der Betonung sei: während wir die Melodie der Konkurrenz lauter stellen wollen, will er den Baß des Klassenkampfes aufdrehen, der alle Regeln bricht. Wir wollen mit einer kleinen Abänderung seiner Metapher schließen: wie laut du's auch einstellst, du kannst den Rhythmus des Trommlers nicht hören ohne seine Trommel.

[1] Es ist vielleicht bezeichnend, daß Marx durch die Entwicklung seiner Rententheorie klären konnte, wie »Arbeitswerte« die Produktionspreise und damit die Marktpreise bestimmen.

[2] Caffentzis behauptet in seiner Antwort, dass die Midnight Notes die Frage der Rente in Midnight Oil berücksichtigen. Aber um diese Behauptung zu stützen, verweist er uns auf ein paar Sätze, die tief in einem Artikel über das US-Bombardement von Libyen begraben sind. Solche eine flüchtige Behandlung der Rententheorie spiegelt nur die Auffassung der Midnight Notes wider, daß die Frage der Rente bei der Bestimmung der Ölpreise keine große Bedeutung hat.

[3] Während er die zweite Behauptung widerrufen hat, besteht er auf der ersten!

[4] Wenn Renten nicht mehr wichtig sind, wird der Ölpreis nicht mehr durch den Wert des Öls (die zu seiner Produktion notwendige gesellschaftliche Arbeit) reguliert. Er wird bezüglich des Werts unbestimmt, was einen »Freiheitsgrad« für politische Eingriffe in die Preisbildung zuläßt.

  [Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt]