Wildcat-Zirkular Nr. 34/35 - März 1997 - S. 30-33 [z34globa.htm]


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 34/35] [Ausgaben] [Artikel]

Der globale Instinkt

Das folgende war ein Redebeitrag bei einem Kongreß im Februar 97 in Padua, den die »Alternativa Sindacale« in der CGIL veranstaltet hatte. Thema war: Nordost-Italien in der Globalisierung (»Nord-Est: società e lavoro nella globalizzazione dell'economia«). Der Genosse (der auch bei Altre Ragioni mitarbeitet und in der letzten Nummer einen längeren Artikel zum Thema veröffentlicht hatte) wollte mit seinem Beitrag gegen die übliche (auch gewerkschaftliche) Sichtweise der Globalisierung polemisieren: Da passiert was über unseren Köpfen und dem müssen wir uns anpassen. Mit dem Abdruck dieses kurzen Redebeitrags wollen wir selber eine Reihe von Beiträgen zum Thema »Globalisierung« im Zirkular eröffnen.

Ich will hier auf einige Probleme hinweisen, die mit der Produktionsverlagerung ins Ausland zu tun haben. Ich beziehe mich dabei ausschließlich auf die Textil-, Konfektions- und Schuhindustrie und auf die aktuellen Vorgänge in den östlichen Nachbarländern. In engem Zusammenhang damit steht die Ausweitung von Exportproduktionszonen. Es geht mir nicht so sehr um die magischen Fähigkeiten des Kapitals, als vielmehr darum, welche Formen und Möglichkeiten die ArbeiterInnen in diesen Ländern haben, ihre Würde und ihren Lohn zu bewahren. Allgemein sind die Konfektions- und Schuhbranche bestimmt durch 1. eine hohe Arbeitsintensität, 2. ein niedriges technologisches Niveau und 3. einen hohen Frauenanteil, da die Frauen in ihrer üblichen Rolle als Zweitverdienerinnen stärker erpreßbar und leichter verfügbar sind, auch zu niedrigen Löhnen. In diesen Branchen wirken sich Lohnunterschiede also stärker aus als in anderen, und deshalb wurden sie mit als erste in weniger industrialisierte Länder verlagert.

Wie schwierig es ist, im Ausland zu produzieren, zeigt sich unter anderem am Ausmaß der internationalen Zulieferverträge (was die Experten als Handel mit Halbfertigwaren bezeichnen), bei denen einfach Arbeitsschritte an Dritte vergeben werden, ohne daß direkt investiert wird. Die Textil-, Schuh- und Konfektions-Unternehmen im Veneto haben auf verschiedene Art und Weise versucht, einen Teil der arbeitsintensiveren Produktion in die östlichen Nachbarländer zu verlagern und sind trotzdem bis heute auf den Auslandsmärkten kaum organisiert vertreten. Tatsächlich war der Veneto im Gegensatz zu den niedrigen Direktinvestitionen 1995 führend unter den italienischen Regionen beim Einsatz von internationalen Zulieferverträgen in den drei Branchen.

Auch wenn der italienische Staat Direktinvestitionen im Ausland und Exporte mit verschiedenen Bürgschaften durch Institutionen wie Sace, Simest usw. garantiert, zeigen die jüngsten Ereignisse, daß das noch lange nicht heißt, daß die italienischen und venetischen Unternehmen dabei auch durchgängig Gewinn machen. Zum Beispiel entfallen von den 390 Mrd. Lire an faulen italienischen Krediten an Rußland allein 60 Mrd. auf die Schuhbranche.

Da sich trotz unbestreitbarer ökonomischer Vorteile in den östlichen Ländern die Betriebsführung als schwierig und der Widerstand der ArbeiterInnen als bedeutend herausgestellt hat, greifen die Unternehmen immer mehr zu internationalen Zulieferverträgen, die 1990 erst 0,9 Prozent, 1995 aber schon 17,2 Prozent der Gesamtimporte der drei Branchen ausmachten.

In Ungarn zum Beispiel machten 1993/94 internationale Zulieferungen 80 bis 90 Prozent des Gesamtexports in den drei Branchen aus. Aber neben Rumänien läuft gerade in Ungarn seit Anfang der 90er Jahre ein Projekt der Industriellenvereinigung von Treviso zum »Export« von integrierten Produktionszentren. Es sieht also so aus, als seien die Unternehmer sehr vorsichtig mit dem Einsatz eigenen Kapitals und zögen es stattdessen vor, die Produktion und die Probleme mit den ArbeiterInnen lokalen Auftragsproduzenten zu überlassen. Wenn wir z.B. die Industriestruktur in Ungarn betrachten, stellen wir fest, daß sie seit dem Ende der 80er Jahre nach und nach zersplittert wurde. 1990 hatte noch über die Hälfte (51,2 Prozent) der Betriebe mehr als 500 Beschäftigte, 1994 waren es weniger als 30 Prozent, während sich in der gleichen Zeit die Zahl der Kleinbetriebe (weniger als 19 Beschäftigte) verdoppelte und 1994 fast 40 Prozent aller Betriebe ausmachte. Andererseits hatte es Cantoni-Inghirami, die in Ungarn vier Werke besitzt und in Italien unter anderem das Werk Sanremo Moda Uomo di Caerano (Treviso) betreibt, 1993 mit vielen wilden Streiks in den Werken Zalaeger und Budapest zu tun. Die Arbeiterinnen streikten mehr als 20 Tage und forderten eine Lohnerhöhung von 20% und die Bezahlung des Samstags als Überstunden; nach diesem Kampf sind die Arbeiterinnen massenhaft in die Gewerkschaft eingetreten. In Ungarn stehen den ArbeiterInnen 38 Urlaubstage und volle Lohnfortzahlung im Krankheitsfall zu. Der Krankenstand liegt bei durchschnittlich 20 Prozent (im Vergleich zu 3 bis 5 Prozent in den USA).

In Polen haben die Streiks von 1988 bis 1993 exponentiell zugenommen: 1993 gab es 7364 Arbeitsniederlegungen; in Rumänien gingen im selben Jahr 360 000 Arbeitsstunden durch Streiks verloren, an denen sich 70 000 ArbeiterInnen beteiligten. Im Oktober 96 erschien in der Stampa ein Artikel, in dem das Modell der Internationalisierung der Schuhproduktion in Albanien beschrieben wurde. In diesem Artikel beschrieben einige Unternehmer aus Apulien mit Verachtung die albanischen ArbeiterInnen, während sie sich gleichzeitig selber für die Disziplinierungsmaßnahmen lobten, mit denen sie versuchten, die AlbanerInnen kleinzukriegen. Als die albanische Presse diesen Artikel nachdruckte, sorgte das für zwei Tage Streik, weil die albanischen ArbeiterInnen, die Opfer von Disziplinierungsmaßnahmen geworden waren, den Abzug des italienischen Personals forderten.

Sowohl das italienische als auch das sonstige ausländische Kapital scheint seine Auslandsinvestitionen in Exportproduktionszonen zu konzentrieren, in denen die Gewinne stärker abgesichert sind und die sich in vielen osteuropäischen Ländern ausbreiten. Die Erfolge dieser seit Ende der 60er Jahre gegründeten Sonderzonen sind sehr unterschiedlich, aber sie scheinen sich bis heute in vielen Teilen der Welt zu halten, weil sie dem Kapital einige wesentliche Bedingungen für das massenhafte Herausholen von Mehrwert anbieten können: innere Stabilität; starke Kontrolle über die Arbeitskraft; Sicherheit der Investitionen; ständige Disziplinierung und Entlassung der Ungehorsamsten.

Dies ist der Zusammenhang, in dem der vielbeschworene und gefeierte italienische Nordosten die Rolle eines Brückenkopfes zu Mitteleuropa (das heißt zur BRD) spielen soll, während der italienische Staat gleichzeitig politisch schwach und international wenig profiliert ist. Der Nordosten dient aber nicht nur als Lockvogel für die benachbarten osteuropäischen Länder, sondern mindestens ebenso sehr als Dampfwalze gegen die Rechte der italienischen ArbeiterInnen. Die Einführung von regional gestaffelten Tarifverträgen, wenn nicht geradewegs die Abschaffung des nationalen Tarifvertrags aufgrund der ungleichen Konkurrenzfähigkeit (des Kapitals) läuft über die Ideologie vom Ende der Arbeit und des Nationalstaats und über die Durchsetzung eines Produktionsmodells, das eher »politisch« abgetrennt ist, als daß man von einem »neuen« post-fordistischen Produktionsmodell sprechen könnte. So kann die geschäftliche Einheit Triveneto zu einer Produktionseinheit mit ständig zunehmendem Korpsgeist werden, und wenn es so aussieht, als würde der Nordosten trotz vieler Unterschiede zu einer europäischen Maquiladora (das heißt, einer mexikanischen Exportzone), dann müßte sich im Süden eine Exportzone mindestens wie im chinesischen Shenzhen herausbilden.

Die Verlagerung von Produktionsabschnitten ins Ausland geht mithin nicht so schmerzlos vonstatten, wie die großen Multis uns glauben machen wollen, und die Arbeiterklasse scheint weder verschwunden noch unbeweglich geworden zu sein. Das weitgehend konfliktfreie und kooperative Klima in Italien, das Vorstellungen von Arbeitermitbestimmung weckt, hängt wahrscheinlich damit zusammen, daß die Unternehmen durch die just-in-time-Systeme sehr viel verwundbarer geworden sind. Obwohl es die Dezentralisierung nämlich einerseits den ArbeiterInnen schwerer macht, sich zusammenzuschließen, ist das Kapital andererseits durch Just-in-time viel stärker den Arbeiterangriffen ausgesetzt. Wenn wir also anfangen wollen, über die Globalisierung zu diskutieren, müssen wir immer im Kopf behalten, welche Kräfte real gegeneinanderstehen und wo für das Kapital die Grenzen liegen, und nicht immer nur das Loblied auf seine unbegrenzten Fähigkeiten singen, die bisweilen schon direkt vor unserer Haustür steckenzubleiben scheinen.


[Startseite] [Archiv] [Bestellen] [Kontakt] Zirkular: [Nr. 34/35] [Ausgaben] [Artikel]