Wildcat-Zirkular Nr. 36/37 - April 1997 - S. 37-45 [z36berga.htm]


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Weiter Kohle machen?

Zu den Aktionen der Bergarbeiter im März '97

Einige Tage haben wir das Treiben an der Saar und hier im Ruhrgebiet über die Medien verfolgt. Erstmal sah das ziemlich lau aus, Kampf für 40 000 Entlassungen statt 50 000, SPD-Wahlveranstaltung, usw. Wir kannten keine (aktiven) Bergarbeiter und sahen lediglich die Möglichkeit, zur Mahnwache zu gehen, die Ohren aufzusperren und vielleicht jemanden anzuquaken. Dienstag, nach der Gesprächsabsage durch Kohl und der Zuspitzung der Lage in Bonn, ist dann einer von uns nach Gelsenkirchen zur Betriebsversammlung der Zeche Hugo gefahren. Die Bergarbeiter dort schienen entschlossen und bereit, weiterhin nach Bonn zu fahren und Druck zu machen. Ein Betriebsrat wies eindrücklich darauf hin, daß sie »die Hackenstiele zu Hause zu lassen« sollten. Daraufhin Unruhe und Pfiffe. In Bonn hatten mittags einige Bergarbeiter die Bannmeile durchbrochen. Gewerkschafter und SPDler befürchteten, daß die Situation außer Kontrolle geraten könnte. Im Radio gab es Berichte von den verschiedenen Aktionen, Tenor: »Vorsicht! Sonst eskaliert die Situation!« Wurde es jetzt spannend? Wir wollten genauer hinsehen, waren (z.T. mit Kollegen aus dem Metallbereich) bei Mahnwachen, Demonstrationen, beim Mopedkorso und einer Brückenblockade.

Im folgenden werden wir zunächst kurz die Situation im Bergbau darstellen und die Aktionen der Arbeiter zusammenfassen. Danach kommt ein Erlebnisbericht vom Mopedkorso nach Bonn. Im letzten Teil haben wir versucht, unsere Diskussionen (mit Genossen und Kollegen) zusammenzufassen und zentrale Fragen festzuhalten.

Steinkohlebergbau

Im Ruhrgebiet waren die Zechen seit dem Industrialisierungsschub Ende des 19. Jahrhunderts zentraler Ort vor allem männlicher Lohnarbeit. Hunderttausende MigrantInnen kamen insbesondere aus Ostpreußen/Polen in die Region. Bergbau (und Stahlindustrie) waren einerseits entscheidende Sektoren für die Industrialisierung, die wirtschaftliche Entwicklung in den ersten Jahrzehnten dieses Jahrhunderts, die Kriegswirtschaft im Faschismus und das »Wirtschaftswunder«. Andererseits war der Pütt in allen Phasen Bezugspunkt sozialer Organisierung und Arbeiteraktion - gegen die Kohlebarone und Bergbaukonzerne.

Seit 1958, mit dem zunehmenden Einsatz von Erdöl als Energieträger und der Mechanisierung des Kohleabbaus, wurden mehr und mehr Zechen geschlossen. Die Zahl der Bergleute ging von 400 000 (1957) über 150 000 (1970) auf unter 90 000 (1997) zurück. Hinzu kam der Abbau bei den Zulieferindustrien. Ähnliche Entwicklungen gab es in anderen europäischen Ländern. In den 50er und 60er Jahren, zu Zeiten der »Vollbeschäftigung« hatten die Bergleute wenig Probleme, in anderen Bereichen einigermaßen akzeptable Jobs zu finden. Später, als dies angesichts der »Massenarbeitslosigkeit« schwieriger wurde, zwangen Protestaktionen der Bergleute gegen die Zechenschließungen die Unternehmer und den Staat zu hohen Subventionszahlungen und zum Abschluß von Sozialplänen, Frühverrentung usw. Dies wurde dadurch erleichtert, daß seit 1969 der Kohlebergbau im Ruhrgebiet in einem Konzern zusammengefaßt worden ist, der Ruhrkohle AG (RAG).

Die Gründung der RAG und deren Subventionierung waren aber auch ein Versuch, den Steinkohlebergbau in Deutschland zu erhalten. Die Entscheidung darüber ist eine strategische Frage, da stillgelegte Zechen in kurzer Zeit nicht mehr nutzbar sind und eine neue Erschließung Milliarden kosten würde. Hier geht es um den Zugang zu »eigenen« (»deutschen, europäischen«) Energierohstoffen, wobei eine Entscheidung darüber auch mit der politischen Weltlage (Zugang zu anderen Vorkommen) und dem jeweiligen Energiepreis zusammenhängt. In den letzten Jahren hat sich da einiges verändert. Zum einen wurden weltweit viele neue Vorkommen entdeckt, deren Abbau wesentlich billiger ist als in Deutschland. Das liegt an den Lohnkosten (z.B. gegenüber den großen Förderländern China und GUS), vor allem aber daran, daß die Steinkohle im Ruhrgebiet aus über 1000 Meter Tiefe geholt werden muß, während sie woanders (USA, Australien) quasi gleich aus dem Boden zu schaufeln ist. Zum anderen hat sich der offene Zugang zu »ausländischen« Kohlevorkommen durch den Zusammenbruch des Ostblocks und die wirtschaftliche Öffnung Chinas verbessert.

Letztendlich steht lange fest, daß in Deutschland mittelfristig nur noch wenige Zechen übrig bleiben werden, weil die Steinkohleförderung in größerem Maßstab dem Staat zu teuer geworden ist. So wie in Britannien, wo der Steinkohlebergbau nach der Niederlage der Bergleute im Streik 1984/85 rigoros abgebaut und rationalisiert wurde, oder in Belgien, wo er fast ganz eingestellt ist. Die Bundesregierung setzte bislang auf einen langsamen Abbau, auch weil so anderweitige Kosteneinbrüche verhindert werden sollen (weitergehende Zugeständnisse bei Kämpfen, Steuerausfälle, Kaufkraftverlust usw.). In den letzten Jahren wurden die Zechenstillegungen mit Frühverrentung (ab 49), Qualifizierungsmaßnahmen und Versetzungen in den »weißen Bereich« der RAG, die schon mehr Umsatz in den bergbau-unabhängigen Konzernbereichen macht, abgefedert. Die Frühverrentungen haben nun aber dazu geführt, daß das Durchschnittsalter mittlerweile bei 35 Jahren liegt. Somit ist der weitere Stellenabbau nicht mehr über Verrentung abzufedern. Die Subventionen liegen in der BRD mittlerweile über acht Milliarden DM jährlich, eine Tonne »deutscher Kohle« wird mit über 220 DM subventioniert, bei einem Weltmarktpreis von 70 DM pro Tonne. Hier wollte die Bundesregierung nun eine langfristige Lösung durchsetzen.

Der aktuelle Kampf ...

Die letzte Entscheidung über die Kürzung der Subventionen war mehrmals verschoben worden, von November 1996 auf Februar 1997 und schließlich auf März 1997. Die Bundesregierung brachte immer wieder neue Zahlen ins Spiel, sogar von einer Kürzung auf zwei bis vier Milliarden sofort war die Rede. Der offizielle Vorschlag lief auf eine Absenkung auf 5,5 Mrd. DM bis 2005 und den Abbau von 50 000 Stellen hinaus. Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (IGBE) und SPD forderten 6,5 bis 7 Mrd. DM bis 2005. Selbst das hätte die Schließung von sechs Zechen und die Entlassung von 45 000 Bergarbeitern bedeutet.

Nachdem die Bundesregierung Anfang März nochmal angekündigt hatten, die Subventionen bis 2005 »drastisch einzuschränken«, gingen am 8. März 5000 Bergleute in Düsseldorf auf die Straße. Die nächste Gesprächsrunde zwischen Regierung, Unternehmern und IGBE war für Dienstag den 11. März angekündigt. Am Montag gab es erste Aktionen und Blockaden von Autobahnen. Dienstag überstürzten sich die Ereignisse. 15 000 Bergleute fuhren nach Bonn, um auf die Entscheidung zu warten. Als Kohl die Verhandlungen absagte (und einen neuen Termin für Donnerstag ansetzte), weil er sich »dem Druck der Straße nicht beugen« wollte, stürmten einige Hundert die Bannmeile und prügelten sich mit den Bullen. Scharping, Lafontaine und Fischer, Josef versuchten zu schlichten. Kumpel hatten die FDP-Zentrale besetzt und machten sie mit Hobelketten dicht. IGBE-Vorsitzender Berger versuchte auf einer Demonstration, die Kumpel zu beschwichtigen, aber viele wollten von ihm nichts wissen und beschimpften ihn. Im Ruhrgebiet wurden mehrere Autobahnkreuze und andere Verkehrsknotenpunkte, die Autobahn am Flughafen Düsseldorf, der Hauptbahnhof in Hamm besetzt. Die Bullen hielten sich auffallend zurück. In Herne und anderen Städten demonstrierten ArbeiterInnen der RAG zum Arbeitsamt und meldeten sich symbolisch arbeitslos. In Gladbeck demonstrierten ArbeiterInnen von den Bahn- und Hafenbetrieben zum Arbeitsamt. Die meisten Zechen wurden für besetzt erklärt, und es gab auch hier etliche Demonstrationen und immer wieder Versammlungen, auf denen die Aktionen besprochen wurden. Zehntausende beteiligten sich, viele fuhren zu anderen Zechen und zu den Blockaden und Demos. Motorrad-»Biker« hielten Verbindung zwischen den einzelnen Revierstädten und nach Bonn. Die IGBE-Funktionäre hatten alle Hände voll zu tun, die Arbeiter in ihrer Militanz zu behindern. Sie wollten, daß die Bergarbeiter nicht mehr nach Bonn fahren, »um die Gespräche nicht zu blockieren«.

Am Mittwoch gingen die Aktionen weiter. Es gab wieder Straßenblockaden und Demonstrationen. Aber die Ankündigung einer möglichen »Einigung« hatte dafür gesorgt, daß irgendwie die Luft raus war. Dienstagnachmittag waren die meisten Arbeiter aus dem Ruhrgebiet nach Hause gefahren, dafür 8000 Bergarbeiter aus dem Saarland gekommen. Die ließen sich am Mittwoch von Berger in das Müngersdorfer Stadion nach Köln vertreiben. Erst für Donnerstag hatten Bergarbeiter aus dem Ruhrgebiet wieder nach Bonn mobilisiert.

... und sein Ende

Am Donnerstag kam der Kompromiß, der von Bohl (Kanzleramtsminister), Rexroth (Wirtschaftsminister), Neipp (RAG), Biehl (Saarbergwerke AG) und Berger (IGBE) ausgehandelt wurde. Der Bund zahlt stufenweise bis 2005 5,5 Mrd. (1998 noch über 9 Mrd). Die Subventionen sinken aber nicht so schnell, wie ursprünglich geplant. Im Ruhrgebiet und im Saarland werden in den nächsten acht Jahren sieben bis acht Zechen geschlossen (von jetzt 19) und etwa 48 000 Stellen abgebaut (von etwa 85 000). Bis 2005 bleiben dann zehn bis elf Zechen (davon zwei im Saarland) mit insgesamt etwa 36 000 Bergarbeitern. Von der RAG gibt es die Zusage, daß es keine »betriebsbedingten Kündigungen« geben wird. Das soll über Einstellungsstop und mehr Teilzeit- und Dauerkurzarbeit als bisher gesichert werden. Die RAG will einen Tarifvertrag mit längerer Laufzeit aushandeln, der mehr »Flexibilisierungsmöglichkeiten« und einen Verzicht auf Reallohnsteigungen vorsieht. Die Rente gibt es für die unter Tage weiter mit knapp 50 Jahren. Wo es möglich ist, werden die Arbeiter in den »weißen Bereich« der RAG übernommen. Dazu kommen Qualifizierungsmaßnahmen und Umschulungen.

Die Bergarbeiter aus dem Saarland und im Ruhrgebiet reagierten gemischt. Zum einen gab es Jubel über die Zusage, daß es keine »betriebsbedingten Kündigungen« geben solle, zum anderen skeptische Stimmen, bleibt es doch beim Abbau von mehr als der Hälfte der Stellen im Steinkohlebergbau. Irgendwie gelang es sowohl Berger und Neipp als auch der Bundesregierung, den Abschluß als Sieg zu verkaufen. Die Bergarbeiter zogen ab, und alles war zuende. Noch am Donnerstagabend fuhren die ersten Bergleute wieder ein. Es gibt Ankündigungen, daß der Produktionsausfall über Freischichten wieder reingeholt werden soll, die laut Tarifvertrag vom Weihnachtsgeld abgezogen werden können (also ohne Lohn!).

Mopedkorso - Erlebnisbericht

Die ganze Woche langweilte ich mich zu Tode. Meine Kollegen sprachen abwechselnd über Motorräder und Fußball. Die Woche vorher hatten wir über Militanz, Revolution und Selbstbewußtsein diskutiert, allerdings abstrakt und unkonkret. Mittwochmorgen war dann nichts zu tun und irgendeiner hatte eine Bild-Zeitung, die mit dem Kampf der Bergarbeiter titelte. »Hey, laßt uns nach Bonn fahren!« Ich rase nach Hause und ziehe meine verstaubten Mopedklammotten zwischen Camping-Geschirr und Stricksachen hervor. Rauf auf die Karre und los zur Zeche Hugo nach Gelsenkirchen, die Stimmung antesten.

Klar, Biker erkennen sich, sogar unterm Bergarbeiterhelm. »Ja, ja, haben alles wir organisiert, ganz ohne Gewerkschaft. Die reißen doch bloß vor der Kamera dat Maul auf. Hier hat keiner mehr Bock auf die. Kuck dir doch den Berger an. Dat beste ist, dat jetzt alle zusammenhalten und andere Arbeiter aus Betrieben unsern Kampf unterstützen. Vorgestern warn wir in Berlin, bei den Bauarbeitern. Überall soll's brodeln. Wir sind ja flexibel. Wenn ich meinen Kumpels sage, laß uns da und dort hinfahren, dann machen wir dat. Ende. Haben wir komischerweise vorher nie drüber nachgedacht, mal zu den französischen Kollegen zu fahren. Man kriegt dat mit, aber man muß ja erst selbst betroffen sein, ne. Außerdem kann ich kein Französisch. Und am Dienstag, ich sach' euch, dat war'n Erlebnis. All die Moppeds, wohin man guckte. Nach vorne, nach hinten, ohne Ende Moppeds. Dat warn Gefühl, sowat vergißt man nich. Haste Recht, die Arbeitsplätze sind weg. Aber ne andere Forderung... wir wissen auch nich' weiter. Also ihr wißt Bescheid, ne, morgen um sechs vor Hugo, Moppedkorso nach Bonn. Aber immer schön gemütlich, so mit 30, 40 Sachen, aufe Autobahn. Kann scho' ma sein, dat einer 'ne Panne hat. Auf sonem Autobahnkreuz.«

Wir fahren zurück, den anderen Bescheid sagen. Und am Donnerstag heißt es, 5:00 Uhr aufstehen. Vor Hugo treffen wir auf etwa 300 echte Kerle auf Harleys, Enduros und anderen Straßenmaschinen, alle so zwischen 25 und 45 Jahren alt. Wir passen also bestens dazu. Es soll einen Sternenkorso geben, die einzelnen Gruppen von »ihren« Zechen losfahren und auf der Autobahn zusammentreffen. Es irritiert mich ein wenig, daß einer mit einer grün-weißen GdP-Fahne die Straßen absperrt. Ich dachte, wir machen sowas alleine klar. Meine Verwunderung geht auf der Autobahn gleich weiter, gibt es doch zu viele, die mit ihrer 1300er GSX-R Tempo 30 mit 130 km/h verwechseln. Die Spuren werden auch nicht richtig dichtgemacht, immer mal nur für kurze Zeit. Alles in allem sehen sie verwegener aus, als sie sich verhalten. Als wir dann auch noch kurz anhalten müssen, kommen wir nicht mehr hinterher und fahren alleine nach Bonn. Dort treffen wir nur noch auf einen anderen Biker mit Ruhrpott-Nummernschild. Von einem Bullen erfahren wir, daß die anderen alle in Köln sind. Wir fahren erstmal Kaffeetrinken. Der Kollege träumt von der Harley, wenn die Abfindung nur fett genug wird... Als wir in Köln im Müngersdorfer Stadion ankommen, in dem die Saarländischen Kollegen übernachtet haben, starten gerade alle nach Bonn durch. Wir reihen uns ein und fahren durch ein Spalier angetrunkener, jubelnder Bergarbeiter oder Sympathisanten. Aber wir müssen tanken und verlieren die anderen wieder. In Bonn treffen wir dann auf die Reste des 3000 Moped starken Korsos. Und finden auch unsere beiden Kollegen wieder, die uns erst mal aufklären über den wahren Grund der Bonn-Fahrt: der Korso war direkt nach Köln zum Stadion gefahren. Dort angekommen haben sie eine Ehrenrunde gedreht und sind von den 8000 Bergleuten bejubelt worden. Einige der Biker hatten ein Radio dabei und als die Meldung über den Abschluß in Bonn kam, war die Luft raus, die Aktion völlig unspektakulär vorbei. Laue Stimmung, keine Freude und keine Wut, einfach, »Aha, das war's jetzt, fahren wir also wieder nach Hause.« Dann verkauften die Gewerkschaftsfuzzis das Ergebnis durch die Stadionanlage als doch ganz gutes Ergebnis. »Leute, freut euch, mehr war nicht rauszuholen, Berger bla bla bla. Auf nach Bonn, Siegeszug, Feiern.« Es dauerte einen Moment, bis die Stimmung umschlug und die ersten zu jubeln begannen. Die, die nicht jubelten, wußten nicht so recht, was zu tun wäre. Das Ergebnis war Mist, aber die Power war raus. Und alle sind brav gefahren.

Unsere Diskussion...

...und Fragen

Wir waren irgendwie enttäuscht, hatten uns mehr verspochen. Wir waren zu den Aktionen gefahren, weil wir wissen wollten, was für Ziele die Bergarbeiter haben, ob hinter der defensiven Forderung nach Arbeitsplätzen und weniger (!) Entlassungen noch mehr steht (Vorstellungen vom Kampf, besserem Leben...). Wir wollten auch kapieren, wie sie es geschafft hatten, die Aktionen zu organisieren (immerhin etliche davon »illegal«; allerdings, anders als die »terroristischen« Autobahnblockaden von Kurden vor einiger Zeit, wurden die der Bergarbeiter nicht mit harten Bullenaktionen beantwortet). Welche Rolle spielte die Gewerkschaft (über 95 Prozent in den Zechen sind Mitglied der IGBE)? Wie kam es zu der Zuspitzung nach der Gesprächsabsage von Kohl? Gewerkschafter und Politiker schienen vorübergehend berechtigte Angst zu haben, daß ihnen die Kontrolle abhanden kommt. Und hätten die Bergarbeiter mehr rausholen können? Aber was eigentlich, angesichts der Forderungen?

Mobilisierung

Über die Organisierung der Aktionen haben wir nicht viel rausgekriegt. Wie woanders auch gibt es Gruppen von Bergarbeitern, die sich entlang sozialer Beziehungen organisieren, wie als »Biker«, Fußballfans... Klar, daß solche Strukturen in einem Kampf zum Tragen kommen. Ansonsten benutzten die Bergarbeiter die Infrastruktur der Gewerkschaft, die sich um Busse und Verpflegung und die Zurückhaltung der Bullen bei den Aktionen kümmerte. Es schien eine Zeit so, als trieben die Bergarbeiter »ihre« Gewerkschaft vor sich her. Die Gewerkschaftsfunktionäre, von den Betriebsräten bis zum Vorsitzenden Berger, versuchten ihrerseits abzuwiegeln, die Aktionen im Griff zu behalten, eine Ausweitung zu verhindern.

Beim Ausmaß des Kampfes - zehntausende Bergarbeiter von allen Zechen nahmen aktiv teil - spielt eine Rolle, daß der Bergbau noch ein industrieller Bereich ist. Hier arbeiten bis zu 5000 Bergleute in einer Zeche (allerdings viele nicht mehr unter Tage). Viele sind schon Jahre dort, arbeiten unter Tage in festen Kolonnen, treffen sich außerhalb der Arbeit beim Fußball, Motorradfahren oder in der Gewerkschaftsgruppe. Oft wohnen die Bergleute in denselben Siedlungen, manchmal sind ganze Orte noch vom Bergbau geprägt. Großbetrieb, langjähriger Zusammenhalt auch am Ort, all das begünstigte die Mobilisierung der Bergleute. Dazu kommt, daß es nur zwei Konzerne gibt, die RAG im Ruhrgebiet und die Saarbergwerke AG im Saarland. Der ganze Sektor wird vom Bund subventioniert. Sowohl die Bergarbeiter als auch die Konzerne haben ein Interesse an der Durchsetzung weiterer staatlicher Gelder (weswegen die Aktionen auch von den Bergbaukonzernen quasi mitgetragen wurden und der IGBE-Vorsitzende Berger jedes Vorgehen mit dem RAG-Chef Neipp absprach.) Die Unterstützung durch die Unternehmen und das eindeutige Ziel, nämlich Geld vom Bund, vereinfachte das Vorgehen. Dazu kam, daß die Forderungen der Bergarbeiter im Ruhrgebiet und an der Saar auf weitgehende Unterstützung setzen konnten (der lokalen und regionalen politischen Strukturen, der Medien, vieler anderer ArbeiterInnen).

Aber was bedeutet die Ausbreitung und Unterstützung? Hier liegt der Haken: Es ging nur gegen die Bundesregierung, um die Durchsetzung weiterer Subventionen. Was ist das für ein »Klassenkampf«, gemeinsam mit dem Chef Subventionen zu fordern? Die Unternehmer wurden nicht angegriffen, ebensowenig die Landesregierungen und andere Strukturen, die die Ausbeutung genauso mitorganisieren. Es ging von vorne herein nur um die Abmilderung des Abbaus, um weniger Entlassungen bzw. die sogenannte »Sozialverträglichkeit«. »Wenn ihr uns mehr Geld gebt, Entlassungen abfedert, uns Umschulungen usw. besorgt, sind wir ruhig.« Das Ziel ist, weiter staatliche Subventionen zu bekommen, um den Status Quo zu verteidigen oder möglichst lange zu erhalten. Der Staat ist entscheidende Instanz, Bezugspunkt. Deswegen Demos in Bonn statt offener Angriff gegen die Unternehmer. Wie bei Bauarbeitern, die auch eine staatliche Regelung ihres Sektors fordern, um die »Billiglöhner« rauszuhalten und die tariflichen Bedingungen (Löhne, Arbeitszeiten usw.) zu erhalten (oder wiederzubekommen). SPD und Gewerkschaften bestimmen die Richtung: »Kohl muß weg!«, »Erhaltung unseres Sozialstaats«, »Bewahrung des Standorts Deutschland«. Solange die Kämpfe nicht diesen Rahmen sprengen, sich auf den Staat und die Sicherung hiesiger Arbeitsplätze beschränken, droht hier auch eine nationalistische Mobilisierung, sicherlich bei den Bauarbeitern mehr als bei den Bergleuten oder jetzt den Stahlarbeitern.

Entschlossenheit

Aber was macht die Entschlossenheit der Bergarbeiter aus und warum haben Gewerkschaften und SPD trotzallem Angst, die Kontrolle zu verlieren?

Hier ist erstmal wichtig, welche Perspektive die Bergarbeiter haben. Die meisten haben vorher keine anderen Jobs gemacht, sind seit der Lehre auf Zeche. Jetzt muß Geld ran wegen Häuschen und Familie. Die Kumpels sind die Kollegen aus der Kolonne, die meisten sozialen Beziehungen hängen mit dem Job zusammen. In den Regionen gibt es kaum andere Arbeit, die so »gut« bezahlt ist (20 DM/Std. und mehr). Die Bergarbeiter sehen bei FreundInnen und Bekannten, welche Löhne und Arbeitsbedingungen die bei anderen Jobs haben (Dienstleistungen, Elektronikindustrie usw.). Gibt es da auch den Zusammenhalt der ArbeiterInnen untereinander, das Wissen um die Nischen, z.B. wie man früher ausfahren und in welchen Ecken mensch pennen kann? Die Arbeit im Pütt ist immer noch dreckig und hart, doch es gibt auch Geschichten darüber, daß das alles gar nicht so schlimm sei mit harter Knochenarbeit und so, und dann kommt was übers Kiffen auf Zeche... Eben genauso wie in den Fabriken, in denen es eine »ArbeiterInnenmacht« gibt, die eine Verdichtung der Arbeit und Verschärfung der Bedingungen behindern konnte. Diese Faktoren zusammengenommen, bedeutet der Verlust der Arbeit auf Zeche weit mehr als nur die Suche nach einem neuen Job. Da hängen die sozialen Beziehungen dran, die Aussicht, dann zu schlechteren Bedingungen arbeiten, eventuell auch aus der Region wegziehen zu müssen. Und den meisten fehlen die Erfahrungen mit dem Umgang mit Arbeitslosigkeit. Es scheint so, als könne es nur schlechter werden. Verantwortlich dafür ist die Bundesregierung (nicht die Unternehmer, weil die wollen ja die Zeche erhalten). Also hin da und auf den Putz gehauen!

Nimmt das dann militante Züge an (Autobahnbesetzungen, Durchbruch der Bannmeile), müssen Gewerkschaften und SPD eine Verschärfung der Auseinandersetzung befürchten, in der ihnen ihre Rolle als Verhandlungsführer aus der Hand gleitet. Eine offene Straßenschlacht vor dem Bundeskanzleramt mit »Arbeitnehmern« ließe sich kaum vermitteln. Da droht dann die Nachahmung, eine Radikalisierung und Ausweitung auf andere Sektoren (Kohl begründete mit dem »Druck der Straße« und der möglichen Nachahmung seine Gesprächsabsage. Und es ist kein Zufall, daß die Formen des Widerstands in Gorleben auch von den Bergarbeitern diskutiert und angewandt wurden: Blockaden).

Zu wenig Perspektive

Und warum war alles schnell wieder vorbei? Forderungen der IGBE und Angebot der Regierung waren gar nicht so weit voneinander entfernt. Das Ergebnis ließ sich als Kompromiß verkaufen. Die Zusage des Verzichts auf »betriebsbedingte Kündigungen« von der RAG (diese Zusage wird nach dem Kompromiß auch von der Saarbergwerke AG übernommen) wurde von der Gewerkschaft ordentlich hochgekocht, um die Bergarbeiter endgültig zu beruhigen. »Seht her, man kümmert sich um euch!« Wie das im einzelnen dann aussieht, wird sich zeigen. Wichtig war, daß die meisten Bergarbeiter offensichtlich damit zufrieden waren. Zwar war die Wut groß, als es nach einer harten Linie der Regierung aussah (Gesprächsabsage), aber nach dem Abschluß fehlten die Perspektiven: Der Bergbau ist eh auf dem absteigenden Ast, hier wurde nur der Abbau geregelt. Wofür hätten die Bergarbeiter weiterkämpfen sollen? Für noch eine Milliarde mehr?

Auch wenn in den Gesprächen der Bergarbeiter immer wieder Kritik an der Gewerkschaft laut wurde (»Die da mit ihren Handys...«), schafften sie es nicht, über die Aktionen hinaus die Gewerkschaft hinter sich zu lassen. Vielleicht war der Kampf auch zu kurz, ein Kompromiß zu schnell absehbar, als daß sich weitergehende Ziele und Kampfformen hätten ergeben können.

Die Solidarität unter den Bergleuten war wichtig, hatte sicherlich Signalwirkung auf andere ArbeiterInnen (Richtung: »Endlich tut mal wer was!«). Praktisch gab es aber nur wenige gemeinsame Aktionen mit ArbeiterInnen aus anderen Sektoren (bis auf »Gewerkschaftsdelegationen«, einige wenige Aktionen in »bergbaunahen« Betrieben, z.B. im Duisburger Hafen, und die Versuche der »Biker«, s.o.). Die Bergarbeiter blieben weitgehend unter sich. (Ein Thyssen-Arbeiter, während des von der Thyssenleitung mitgetragenen Streiks wegen des Krupp-Übernahme-Versuchs: »Wenn ich da beim Bergarbeiterstreik auch gestreikt hätte, wäre ich doch rausgeflogen!«)

Fragen

Was sind denn Voraussetzungen für weitergehende Kämpfe? Wie können die ArbeiterInnen die Beschränkung auf defensive Ziele, die Festlegung auf eine Branche überwinden? Fehlen ihnen tatsächlich Wille und Fantasie? Wie können die entstehen? Fragt sich, ob die neuen Ideen und entscheidenden Impulse von ArbeiterInnen kommen, die »alte«, »garantierte«, »industrielle« Arbeitsverhältnisse haben (und diese verteidigen)? Oder gerade von denen?

E./S., Essen


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