Wildcat-Zirkular Nr. 36/37 - April 1997 - S. 92-109 [z36clark.htm]


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Die globale Akkumulation des Kapitals und die Periodisierung der kapitalistischen Staatsform

Simon Clarke (in: Werner Bonefeld, Richard Gunn, Kosmas Psychopedis (eds): Open Marxism, Vol. I, Dialectics and History, Pluto Press, London 1992) [Siehe zu diesem Text die kritischen Anmerkungen im Editorial!]

Das Problem der Periodisierung

Die Periodisierung der kapitalistischen Produktionsweise ist der Versuch, einen Mittelweg zwischen Empirizismus und Reduktionismus zu finden. Während ersterer die historische Zufälligkeit betont und damit den politischen Opportunismus rechtfertigt, beharrt letzterer auf den unveränderlichen Bewegungsgesetzen der kapitalistischen Produktionsweise, um einen dogmatischen Fundamentalismus zu rechtfertigen. Die »Periodisierung« der kapitalistischen Produktionsweise soll es ermöglichen, »Zwischenstrukturen« zu definieren, mit denen sich die Regelmäßigkeiten und systematischen Grundzüge einzelner historischer Epochen bestimmen lassen. Damit sollen wissenschaftliche Grundlagen für eine politische Strategie entwickelt werden, die sich auf die gegenwärtigen Bedingungen einlassen kann.

Die Grundlage der verschiedenen Periodisierungen, die über die Jahre vorgeschlagen wurden, war die Periodisierung der vorherrschenden Akkumulationsweisen. Hauptzweck solcher Periodisierungen war es jedoch, die sich verändernden Akkumulationsweisen den verschiedenen Formen des Staats und des politischen Klassenkampfs zuzuordnen. Aber weil bei diesen Periodisierungen von vereinfachenden Auffassungen vom Staat ausgegangen wurde, fehlte es ihnen an theoretischer Klarheit, empirischer Anwendbarkeit und politisch brauchbaren Schlußfolgerungen. Dies gilt für die neueren Vorschläge zu einer Periodisierung seitens der »Regulationstheorie« und des Ansatzes der »gesellschaftlichen Strukturen der Akkumulation« [social structures of accumulation] genauso, wie es für die orthodoxe Theorie des staatsmonopolistischen Kapitalismus gegolten hatte. Sie gehen alle von einer einfachen funktionalistischen Staatstheorie aus, bei der die Staatsaktivität auf einen Ausdruck der grundlegenden Akkumulationsbedürfnisse reduziert wird, die sich in den Interessen des Kapitals ausdrücken. Dabei wird unterstellt, daß der Staat diese Bedürfnisse prinzipiell erfüllen kann, indem sein Eingreifen die Widersprüche der kapitalistischen Akkumulation löst. Diese verkürzte Vorstellung vom Staat ist mit einer unzulänglichen theoretischen Auffassung von den inneren Widersprüchen der Akkumulation verbunden, derzufolge angenommen wird, daß der Staat diese Widersprüche tatsächlich lösen könne.

In diesem Papier soll der Frage nachgegangen werden, ob eine angemessenere Theorie der widersprüchlichen Form der Akkumulation und eine durchdachtere Theorie des kapitalistischen Staats zu einer sinnvolleren Periodisierung der kapitalistischen Produktionsweise und der kapitalistischen Staatsform führen kann. Ausgangspunkt meines Versuchs ist die Staatsdebatte der 70er Jahre, die auf den ersten Blick einen fruchtbaren Weg nach vorne zu bieten scheint, die aber nicht in der Lage war, die der kapitalistischen Akkumulation innewohnenden Widersprüche ausreichend zu berücksichtigen. Ausgehend von einer alternativen Auffassung des Verhältnisses zwischen dem Staat und der widersprüchlichen Form der kapitalistischen Akkumulation will ich dann eine Periodisierung der kapitalistischen Staatsform skizzieren, die mir theoretisch stimmiger und empirisch plausibler zu sein scheint. Abschließend werde ich dann diese vorgeschlagene Periodisierung kritischer unter die Lupe nehmen und den Schluß ziehen, daß sich in den wesentlichen Schwächen der Periodisierung theoretische und methodologische Irrtümer ausdrücken, die in dem Versuch einer Periodisierung selbst angelegt sind. [1]

Überakkumulation, Klassenkampf und der Staat

Die Staatsdebatte der 70er Jahre hatte versucht, eine gleichermaßen logische wie historische Analyse zu entwickeln, die eine Periodisierung des Staats möglich machen sollte. Dieser Versuch kam im Grunde nie über die Anfänge hinaus, in erster Linie weil es sich als unmöglich herausstellte, ein in sich stimmiges Prinzip als Basis einer solchen Periodisierung zu finden. Joachim Hirsch schlug eine Periodisierung der kapitalistischen Staatsform vor, deren Phasen an der Mobilisierung von verschiedenen Gegentendenzen zum tendenziellen Fall der Profitrate festgemacht wurden, aber er hat diesen Ansatz nie ausgearbeitet. [2] Holloway und Picciotto, die weiterhin die Vorrangigkeit des Klassenkampfs betonen, haben drei Entwicklungsstufen der kapitalistischen Staatsform umrissen, die auf das Verhältnis von Kapital und Arbeitsprozeß bezogen sind: von einer zunächst äußerlichen Beziehung über die Phase der absoluten Mehrwertproduktion zu einer Phase der relativen Mehrwertproduktion. Obwohl dies als eine - oberflächlich der von Aglietta ähnliche - Periodisierung interpretiert werden könnte, wird es von Holloway und Picciotto nicht in diesem Sinne gebraucht. Sie sehen diese Stufen vielmehr als Basis für eine historische Erklärung verschiedener Aspekte der kapitalistischen Staatsform, die sich nacheinander entwickeln, aber als Momente der entwickelten Form des kapitalistischen Staates bestehen bleiben. [3] Sofern es Debatten um die Periodisierung der kapitalistischen Staatsform gab, so kamen diese nicht sehr weit und blieben an der Frage nach dem Charakter des absolutistischen Staats hängen. [4] Später hat Hirsch die funktionalistische Periodisierung des »Regulationsansatzes« aufgegriffen und zur Basis seiner »Umformulierung« der Staatstheorie gemacht. Es war zwar das Verdienst der Arbeit von Hirsch, eine anspruchsvollere Staatstheorie in den Regulationsansatz einzubringen, aber dies änderte nichts an dessen theoretischen und historischen Unzulänglichkeiten. [5]

In diesem Papier will ich einen alternativen Ansatz zur Periodisierung der kapitalistischen Staatsform entwerfen, der von einer alternativen Charakterisierung der Widersprüche ausgeht, die in der Kapitalakkumulation enthalten sind. Mein Ausgangspunkt ist die Auffassung, daß die Triebkraft der Akkumulation, die den Einzelkapitalen durch den Konkurrenzdruck aufgezwungen wird, in der Tendenz des Kapitals zur grenzenlosen Produktivkraftentwicklung liegt. Die Antwort der Kapitalisten auf die Konkurrenz ist nicht, wie uns bürgerliche Ökonomen glauben machen wollen, die passive Anpassung der Produktion an die Marktschranken, sondern die Suche nach neuen Märkten. Dazu werden einerseits die Geschäfte ausgeweitet und rückständige Produktionsformen verdrängt, und andererseits die Kosten durch Verlängerung des Arbeitstages, Herunterdrücken der Löhne, Intensivierung der Arbeit und vor allem durch die Veränderung der Produktionsmethoden gesenkt. Die beständige Tendenz zur Entwicklung der Produktivkräfte ist der Grund für die von Anfang an vorhandene Tendenz des Kapitals zur Entwicklung des Weltmarkts und zur weltweiten Verallgemeinerung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Diese Tendenz, die Produktivkräfte ohne Rücksicht auf die Marktschranken zu entwickeln, liegt allerdings auch der Tendenz zur globalen Überakkumulation und zur ungleichmäßigen Entwicklung des Kapitals zugrunde, da die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion auf die Grenzen ihrer kapitalistischen Form als Produktion für den Profit stößt. In ihrer dramatischsten Form erscheint diese Tendenz zur Überakkumulation im Ausbruch einer allgemeinen Überproduktionskrise. Aber sie betrifft nicht nur solche dramatischen Krisen, sondern auch die alltägliche Realität der Akkumulation, da der Konkurrenzdruck zu einer Intensivierung des Klassenkampfs, zur Entwertung von rückständigem Kapital, Zerstörung von Produktionskapazitäten und Entlassung von ArbeiterInnen führt.

Die Beziehung des Staats zu der widersprüchlichen Form der Überakkumulation ist nicht unmittelbar gegeben, sondern wird durch die Staatsform vermittelt. Der Klassencharakter des kapitalistischen Staats ist durch die Abtrennung des Staats von der bürgerlichen Gesellschaft definiert und die entsprechende Unterordnung von Staat und bürgerlicher Gesellschaft unter die Herrschaft von Geld und Gesetz. Die Unterordnung des Staats unter das Geld definiert die ökonomische Form, vermittelst derer eine Überakkumulationskrise für den Staat erscheint, und sie setzt der Staatsmacht Grenzen bei der Reaktion auf eine solche Krise. Aber sie bestimmt weder die besondere politische Form des Staats, durch die die widersprüchlichen Tendenzen der Akkumulation politisch vermittelt werden, noch die spezifischen Antworten des Staats angesichts der Krise. Die politische Form des Staats wird durch den Klassenkampf bestimmt, vor allem durch solche Kämpfe der Arbeiterklasse, die daraus entstehen, daß die Arbeiterklasse in einen Gegensatz zur Unterordnung der gesellschaftlichen Produktion unter das Kapital gerät, weil sich diese als Hindernis für ihre eigene physische und gesellschaftliche Reproduktion geltend macht.

Obwohl der Staat politisch auf einer nationalen Basis konstituiert wird, ist sein Klassencharakter nicht in nationaler Hinsicht definiert. Das kapitalistische Gesetz von Eigentum und Vertrag geht über die nationalen Rechtssysteme hinaus, und das Weltgeld über die nationalen Währungen. Die Unterordnung des Staats unter die Herrschaft von Geld und Gesetz hält den Staat also innerhalb von Grenzen, die durch die widersprüchliche Form der weltweiten Kapitalakkumulation erzwungen werden. Die politische Stabilisierung des Staats muß jedoch auf einer nationalen Basis erreicht werden, was im allgemeinen voraussetzt, daß der Staat die erweiterte Reproduktion des inländischen produktiven Kapitals absichern kann. Zum einen ist dies die einzige Möglichkeit, die relative Überbevölkerung zu absorbieren und damit die physische und gesellschaftliche Reproduktion der Arbeiterklasse mit ihrer Unterordnung unter das Kapital in Einklang zu bringen. Zum anderen kann der Staat nur so seine Einkünfte sichern und damit dem zunehmenden Erfordernis staatlichen Eingreifens nachkommen.

Ganz allgemein ausgedrückt ergibt sich daraus, daß dem Staat der Widerspruch innerhalb der kapitalistischen Akkumulation darin erscheint, daß die Aufrechterhaltung der Akkumulation des inländischen produktiven Kapitals auf die Schranke der weltweiten Überakkumulation von Kapital stößt. Der Staat kann zwar die Widersprüche der kapitalistischen Akkumulation nicht lösen, aber er kann die politischen Auswirkungen dieser Widersprüche insoweit eindämmen, wie es ihm gelingt, die Integration der Akkumulation des inländischen produktiven Kapitals in die weltweite Kapitalakkumulation zu sichern, und damit eine Grundlage für die politische Integration der Arbeiterklasse zu schaffen. Die Grenzen, auf die der Staat dabei stößt, ergeben sich nicht nur aus seiner Form als Nationalstaat, sondern vor allem aus der Form des internationalen Staatensystems und den entsprechenden Integrationsformen der globalen Akkumulation, deren Teil er ist. Die Periodisierung der Integrationsformen der globalen Akkumulation bietet dementsprechend eine Grundlage für die Periodisierung der kapitalistischen Staatsformen.

Das ist alles sehr abstrakt, aber ich denke, daß es eine Basis für eine sehr viel konkretere Analyse und Periodisierung der kapitalistischen Staatsform sein kann. Obwohl die oben umrissene Vorstellung von der Überakkumulation des Kapitals abstrakt ist, liefert sie die Grundlage für eine Periodisierung, weil die Tendenz zur Überakkumulation und ungleichen Entwicklung des Kapitals nicht nur eine quantitative Beziehung definiert, die sich in der Bewegung der Profitrate zusammenfassen läßt, sondern auch qualitative Beziehungen: die sich ändernden Formen der sektoralen und geographischen Ungleichmäßigkeit der Akkumulation und die sich ändernden Formen des Klassenkampfs, die durch die Überakkumulation hervorgerufen werden.

Im Hauptteil dieses Papiers soll eine provisorische Periodisierung in viereinhalb Stufen skizziert werden, wobei der Übergang von der einen zu der anderen in erster Linie durch die Form und Entwicklung des Klassenkampfs in den Zeiten von Überakkumulationskrisen bestimmt wird. Am Ende des Papiers werde ich das Wasser wieder trüben, indem ich darauf hinweise, daß die Krise des Keynesianismus und der Aufstieg des Monetarismus zeigen, daß diese Periodisierung unzutreffend ist und sich hinter ihr einige grundlegendere Kontinuitäten verbergen. Kommen wir aber zunächst zu den folgenden Entwicklungsstufen:

Merkantilismus

Er definiert die typische Form des Staats im 18. Jahrhundert, die auf der globalen Expansion des Handelskapitals beruht. Die Überakkumulation von Handelskapital führte zur zunehmenden internationalen Konkurrenz, kostspieligen Handels- und Kolonialkriegen und dem Eindringen des Kapitals in die Produktion, wodurch die globale Integration der Akkumulation sowie die ökonomischen, politischen und ideologischen Grundlagen der merkantilistischen Staatsform untergraben wurden, zugleich aber die Basis für den Übergang zur nächsten Stufe geschaffen wurde.

Liberalismus

Die Liberalisierung des Staats in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts beruhte in erster Linie auf einer internationalen Arbeitsteilung zwischen der intensiven Kapitalakkumulation in der britischen Manufaktur und der extensiven Kapitalakkumulation in der Landwirtschaft in anderen Teilen der Welt. Obwohl es der liberalen Staatsform nie gelang, den Kampf der entstehenden Arbeiterklasse einzudämmen, weshalb der ökonomische Liberalismus keineswegs notwendigerweise mit einem politischen Liberalismus verbunden war, so hielt sich doch die liberale Form des Staats durch ad hoc geschaffene Notbehelfe der Repression und Reform bis zur globalen Überakkumulationskrise der 1870er Jahre.

Imperialismus

Imperialismus und Sozialreform entstanden mit dem Versuch des Staats, durch eine mehr oder weniger aktive Regulierung von internationalem Handel und Investition die inländische Akkumulation zu stützen und die organisierte Arbeiterklasse zu integrieren. Das Ergebnis dieser Anstrengungen war die Politisierung der internationalen Konkurrenz auf einer nationalen Basis und der Aufstieg des Militarismus, der in globalem Krieg und Revolution kulminierte.

Sozialdemokratie

In der Zeit zwischen den Weltkriegen kam es zu einem erfolglosen Versuch, den Liberalismus wiederherzustellen, was nur zu einem Wiederaufleben von Imperialismus und Militarismus führte. In dieser Zeit entstanden auch die Elemente der sozialdemokratischen Staatsform, die im Wiederaufbau nach dem Krieg systematisch entwickelt wurde. Die im Rahmen einer Liberalisierung des internationalen Handels und Geldverkehrs gestützte globale Kapitalakkumulation machte es möglich, den Klassenkampf durch die Verallgemeinerung der industriellen Beziehungen und soziale Reformen einzudämmen. Der Versuch, den zunehmenden Klassenkampf durch eine mit expansiver Steuer- und Geldpolitik gestützte Akkumulation einzudämmen, führte zu einer inflationären Krise und zur Entwicklung neuer Formen des Klassenkampfs, die sich nicht auf das Kapital, sondern auf den Staat richteten.

Monetarismus

Er setzt erneut die Unterordnung des Staats und der bürgerlichen Gesellschaft unter die Geldmacht des globalen Kapitals durch. Aber es ist eine offene Frage, ob der Monetarismus eine neue Stufe in der Periodisierung des kapitalistischen Staats darstellt, oder lediglich ein Moment in der Krise der sozialdemokratischen Staatsform ist, so wie die Zwischenkriegszeit die Krise der imperialistischen Staatsform markierte.

Wir wollen diese Periodisierung im einzelnen betrachten.

Die Krise des Merkantilismus und der Aufstieg des modernen Staats

Das Wachstum des Handelskapitalismus lieferte die Basis für die Entwicklung der merkantilistischen Staatsform. Der feudale Staat war nicht mehr gewesen, als die organisierte Macht der feudalen Grundbesitzerklasse, wobei die Einkünfte des Herrschers aus Feudalrenten und feudalen Pflichten stammten und die Autorität des Staats mit der feudalen Autorität des Herrschers zusammenfiel. Das Anwachsen des Handels im Mittelalter brachte dem Herrscher und der Grundbesitzerklasse neue Einnahmequellen und lag damit der ersten Stufe in der Abtrennung des Staats von der bürgerlichen Gesellschaft zugrunde. Aber diese Trennung löste langanhaltende Klassenkämpfe und politische Kämpfe aus, in denen es um die Form des Staats ging.

Bis zum 18. Jahrhundert hatte sich das Handelskapital von der Unterordnung unter den feudalen Landbesitz größtenteils befreit und die kommerziellen Aktivitäten gingen weit über die Luxus- und Militärgüter des Mittelalters hinaus. Obwohl die Produktion zunehmend dem Kapital untergeordnet wurde, blieb diese Beziehung äußerlich und die kapitalistische Durchdringung der Produktion war begrenzt. Die Verallgemeinerung der Warenproduktion ging zwar mit einer stetigen Entwicklung der Produktivkräfte einher, aber die kommerziellen Profite beruhten in erster Linie noch auf der Ausbeutung von Monopolstellungen, die vom Staat verliehen und bekräftigt wurden, und nicht auf der Mehrwertproduktion. Während der einheimische Handel lediglich das Mehrprodukt der Grundbesitzer und Warenproduzenten umverteilte, bot der Außenhandel die Möglichkeit, sich das Mehrprodukt von ausländischen Produzenten anzueignen.

Die merkantilistische Staatsform war das Ergebnis des Versuchs, den durch die Akkumulation von Handelskapital ausgelösten Klassenkampf dadurch zu lösen, daß die Ausnutzung von Monopolstellungen auf Kosten des Auslands abgesichert werden sollte. Trotz der formellen Trennung des Staats von der bürgerlichen Gesellschaft, kamen staatliche Finanzen und Verwaltung hauptsächlich durch die staatliche Vergabe von privater Macht und Privilegien zustande. Der Staat förderte die Entwicklung des Außenhandels durch eine aggressive Handels- und Kolonialpolitik, und bemühte sich gleichzeitig darum, die Auswirkungen auf die inländische Produktion und Beschäftigung in Grenzen zu halten, indem er einen Apparat von protektionistischen und restriktiven Gesetzen beibehielt und die Autorität der Grundbesitzerklassen über die Masse der Bevölkerung stützte.

Die Überakkumulation von Handelskapital führte zu einer wachsenden Konkurrenz, die sich in der Form von Handels- und Kolonialkriegen sowie einer wachsenden Belastung mit Steuern und Staatsschulden ausdrückte. Wegen des Drucks auf die Profitabilität bemächtigte sich das Kapital auf der Suche nach neuen Profitquellen der Produktion, was zur Erosion der etablierten Formen von Autorität führte. Das Ergebnis war eine Intensivierung des Klassenkampfs, in dessen politischen Zentrum der parasitäre und korrupte Staat stand. Dies erfuhr seine dramatischste Zuspitzung in der amerikanischen und französischen Revolution, lag aber gleichermaßen dem Anwachsen des volkstümlichen Radikalismus in Europa in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts zugrunde.

Das Eindringen des Kapitals in die Produktion untergrub die merkantilistische Staatsform und schuf die Grundlage für die Entstehung einer neuen Staatsform, in der die Kapitalakkumulation auf dem Eindringen des Kapitals in die Produktion und der Entwicklung des Weltmarktes durch Handelsliberalisierung beruhen sollte. Dies erforderte die radikale Trennung des Staats von der bürgerlichen Gesellschaft durch das Niederreißen des merkantilistischen Regulierungsapparats, um die Kapitalakkumulation der interessenlosen Herrschaft von Geld und Gesetz zu unterwerfen. In England wurde dies durch die stille Revolution beim Übergang von der Regierung Pitt zur Regierung Gladstone erreicht, in Kontinentaleuropa durch die Neugründung des Staats nach den Revolutionen von 1848 und in den USA in der Zeit nach dem Bürgerkrieg.

Die liberale Staatsform

Bedingung für das Auftauchen der liberalen Staatsform war die Entwicklung einer internationalen Arbeitsteilung, die im wesentlich komplementär und nicht konkurrierend war. Sie beruhte auf dem weltweiten Eindringen des Kapitals in die Produktion und wurde durch die Ausweitung und Liberalisierung des Handels im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts, der die Entwicklung der Eisenbahnen im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts folgte, gefördert. Die rapide Entwicklung der Produktivkräfte in der britischen Industrie führte zur Überakkumulation von industriellem Kapital im Verhältnis zum Angebot an Rohstoffen und zu den Absatzmärkten, die in periodischen Krisen zum Ausbruch kam. Allerdings gelang es dem Kapital, diese Schranken der Akkumulation zu überwinden, indem es einerseits die Landwirtschaft weltweit extensiv entwickelte und andererseits die kleinen Warenproduzenten zerstörte. Auf diese Weise wurden die periodischen Krisen zum Hebel der erneuerten Akkumulation, vor allem indem sie Handelskapital entwerteten und Kleinproduzenten vernichteten.

Die komplementäre Kapitalakkumulation in der Landwirtschaft und in der Industrie untergrub die merkantilistischen Formen der Regulierung weltweit und verallgemeinerte die Klassenkämpfe, die zur Herausbildung der liberalen Staatsform geführt hatten. Die ungezügelte Kapitalakkumulation und die Perfektionierung der liberalen Staatsform entfesselte jedoch neue Kämpfe. Der populäre Radikalismus der verdrängten Kleinproduzenten folgte tendenziell dem Verlauf des Zyklus und wurde in Krisenzeiten durch die Kämpfe der entstehenden Arbeiterklasse verstärkt. Auf Unruhen reagierte der Staat mit der repressiven Durchsetzung der Herrschaft des Gesetzes, aber der Widerstand der Volksmassen und die Entwicklung von Organisationen der Arbeiterklasse hinderten den Staat daran, die Masse der Bevölkerung der Geldmacht des Kapitals zu unterwerfen. Dies war auch der Grund für die Aufrechterhaltung der Armenunterstützung, die Reproduktion der gesellschaftlichen Macht der Grundbesitzerklasse, den Beginn einer Industriegesetzgebung und das zögernde Zugeständnis begrenzter Gewerkschaftsrechte an die Arbeiterklasse. Aber während die Akkumulation des inländischen Produktivkapitals die relative Überbevölkerung absorbierte und die guten Profite zur Abschwächung des Klassenkampfs um die Mehrwertproduktion beitrugen, konnten die genannten Maßnahmen als kurzfristige und außergewöhnliche Antworten auf die Reibungsprobleme des Übergangs und der periodischen Krisen erscheinen.

Die Weltwirtschaftskrise von 1873 markierte die Grenze dieser Form von globaler Akkumulation, was sich im Zusammenbruch des weltweiten Verkaufsbooms um die Eisenbahnen herum ausdrückte. Im Unterschied zu früheren Krisen folgte diesmal keine neue Welle der Ausweitung, sondern es entwickelte sich eine verallgemeinerte Überproduktion und es kam zu sektoralen und geographischen Verschiebungen der Akkumulation. Für das Kapital drückte sich die Krise in intensivierter internationaler Konkurrenz, Druck auf die Profite, Entwertung von Kapital und Zerstörung von Produktionskapazitäten aus. Für die Arbeiterklasse machte sie sich als Versuch der Unternehmer geltend, die Arbeit zu intensivieren und die Nominallöhne zu drücken, sowie als weitverbreitete Entlassungen und Arbeitslosigkeit. Für den Staat stellte sich die Krise als zunehmende Finanz-, Haushalts- und Währungskrise dar, da die sinkenden Einkommen zum Einbruch der Staatsfinanzen führten und die Verschiebung der Akkumulation die inländischen und internationalen Zahlungen durcheinanderbrachte. Außerdem war der Staat mit zunehmenden Unruhen in der Bevölkerung konfrontiert, die durch Versuche, die ökonomischen Krise im Rahmen von Freihandel und Goldstandard, also durch orthodoxe deflationäre Maßnahmen, zu lösen, nur verstärkt werden konnten. Die Überakkumulationskrise beschleunigte daher die Krise des Staats und entfesselte eine neue Welle von Klassenkämpfen um die Form des Staats, deren Ergebnis die Entstehung der »imperialistischen« Staatsform war. [6]

Die imperialistische Staatsform

Während die neu entstehende sozialistische Bewegung die Vergesellschaftung der Produktion forderte und der romantische Konservativismus die Wiedereinführung der vorkapitalistischen Regulationsformen verlangte, reagierte der Staat auf die Krise innerhalb der Grenzen seiner kapitalistischen Form. Durch sie waren Staat und bürgerliche Gesellschaft gleichermaßen der Macht des Kapitals untergeordnet, und sie war in der liberalen Phase noch perfekter geworden. Die Trennung des Staats von der bürgerlichen Gesellschaft und seine Unterordnung unter die Herrschaft von Geld und Gesetz hatte sich in institutionellen Formen niedergeschlagen: Gerichtsbarkeit und Zentralbank waren unabhängig geworden, die Exekutive war formell der Legislative untergeordnet worden, die Buchführung und das Finanzwesen des Staats waren rationalisiert worden, und der ausgeglichene Haushalt und der Goldstandard hatten den Rang von Verfassungsprinzipien erhalten. Aufgrund dieser konstitutionellen Grenzen der liberalen Staatsform, konnte der Staat nur in den Grenzen des Kapitals auf die Krise politisch reagieren.

Der Staat antwortete auf die Herausforderung der organisierten Arbeiterklasse, indem er - in den Grenzen seiner Form - versuchte, eine Aufspaltung der Klasse in einzelne Gruppen zu verstärken und zu institutionalisieren, wozu er den Gewerkschaften im Rahmen der entstehenden »industriellen Beziehungen« eine gewisse Anerkennung gewährte und begrenzte soziale Reformen durchführte. Durch die Ausweitung des Wahlrechts rekonstituierte er die Arbeiterklasse zugleich politisch auf einer nationalen Basis. Für den Erfolg dieses Projekts war es entscheidend, die Akkumulation des inländischen Produktivkapitals aufrechtzuerhalten, um darüber die relative Überbevölkerung absorbieren, die Kosten der sozialen Reformen niedrig halten und das System der industriellen Beziehungen institutionalisieren zu können. Protektionismus und Imperialismus waren die Mittel, mit denen der Staat gleichzeitig versuchte, dem unmittelbaren fiskalischen, finanziellen und monetären Druck zu begegnen, die nationale Identifizierung der Arbeiterklasse zu sichern und die erneute Kapitalakkumulation im Inland aufrechtzuerhalten. Dafür mußten Grenzen der Akkumulation beiseite geräumt werden, die in dem begrenzten Angebot an Produktions- und Nahrungsmitteln einerseits und den begrenzten Absatzmärkten andererseits lagen.

Imperialismus und Protektionismus waren die Grundlage für das Andauern der globalen Akkumulation in den 1880er Jahren und für ihre massive Beschleunigung von den 1890er Jahren an. Zölle stellten nur in geringem Maße ein Hindernis für die globale Akkumulation dar, weil der Protektionismus durch die Verpflichtung Großbritanniens auf den Freihandel unter Kontrolle gehalten wurde. Großbritannien hielt ein internationales Zahlungssystem aufrecht, in dem gewaltige Kapitalströme die Handelsungleichgewichte finanzierten, die mit der ungleichmäßigen sektoralen und geographischen Kapitalakkumulation verbunden waren. Das weiterentwickelte Industriekapital, vor allem in Deutschland und in den USA, konnte daher sein Mehrprodukt auf den Weltmärkten absetzen, während die boomende Nachfrage nach Lebensmitteln und Rohstoffen das schnelle Eindringen des Kapitals in die Landwirtschaft und die erneute Ausweitung von Eisenbahn und Schiffahrt anregte, was dem britischen Kapital Absatzmärkte für seine traditionellen Produkte und Anlagemöglichkeiten für sein überschüssiges Kapital verschaffte. Die ersten Stufen des Booms basierten also erneut auf einer komplementären internationalen Arbeitsteilung, die durch ein zunehmend komplexeres internationales Handels- und Zahlungssystem vermittelt wurde. Aber als sich der Boom beschleunigte, führte er zu einer Überakkumulation von Kapital in bisher unbekanntem Ausmaß, und die Intensivierung der internationalen Konkurrenz und von Konflikten im Inland untergrub die Tendenzen zur Liberalisierung.

Die imperialistische Staatsform politisierte den wachsenden Konkurrenzdruck, da die Nationalstaaten versuchten, die Akkumulation des inländischen Produktivkapitals durch zunehmenden Einsatz von diplomatischen, politischen und militärischen Waffen abzusichern. Dadurch sollten die Weltmärkte als Quellen für das Angebot und als Absatzmärkte für das Mehrprodukt geöffnet werden. Der internationale Druck richtete sich zunehmend gegen die Ziele von Großbritannien, gegen die britische Kontrolle der Meere und die globale Vorherrschaft des britischen Finanzkapitals, womit der britische Staat über die Fähigkeit verfügte, seinen Konkurrenten - in erster Linie Deutschland - bei Eintritt der heraufdämmernden Krise unermeßlichen Schaden zuzufügen. Angesichts zunehmender Anzeichen für ein baldiges Ende des Booms nahmen die Spannungen zu und kulminierten im innerimperialistischen Krieg.

Die Widersprüche des Imperialismus und die Entstehung der sozialdemokratischen Staatsform

In der Zwischenkriegszeit schlug der Versuch fehl, die Widersprüche des Imperialismus durch die Wiedererrichtung der liberalen Weltordnung zu lösen. Freihandel und Goldstandard wurden als die Mittel betrachtet, mit denen sich der Nationalstaat der globalen Kapitalakkumulation und der globalen Macht des Geldes unterordnen ließe. Damit sollte das Anwachsen des ökonomischen Nationalismus verhindert werden, der in den Krieg hineingeführt hatte. Und ebenso sollte damit die revolutionäre Drohung der Arbeiterklasse in Schach gehalten werden, die aus dem massenhaften Widerstand gegen die Kosten des imperialistischen Kriegs erwachsen war. Dieser Widerstand hatte zunehmend antikapitalistische Formen angenommen, weil die Erfordernisse des Krieges zu einer Aufhebung der Trennung von Staat und bürgerlicher Gesellschaft geführt hatten. Die Wiedererrichtung der liberalen Staatsform konnte jedoch nicht die Widersprüche überwinden, die in der Tendenz der Akkumulation zu Überakkumulation und Krise liegen.

Die Handels- und Währungsliberalisierung wurde durch massive Kapitalbewegungen, vor allem von den USA nach Europa, erleichtert, die zum Wiederaufschwung aus der Nachkriegsrezession beitrugen. Die revolutionäre Drohung der Arbeiterklasse wurde - außerhalb von Rußland - durch Repression eingedämmt, und der Klassenkampf wurde in Grenzen gehalten durch das neue System der industriellen Beziehungen, soziale Reformen und die Ausweitung des Wahlrechts, die angesichts des Drucks aus dem Volk während und unmittelbar nach dem Krieg stattgefunden hatte. Der Boom der 20er Jahre intensivierte die Überakkumulation und ungleichmäßige Entwicklung des Kapitals, die ein Vermächtnis der Vorkriegszeit waren und die der Krieg lediglich verstärkt hatte. 1929 kulminierte dies im Crash und der nachfolgenden Depression.

Die unmittelbare Antwort des Staats auf den durch den Crash entstandenen fiskalischen, finanziellen und monetären Druck war die Durchführung von restriktiven fiskalischen und monetären Maßnahmen, um damit die Akkumulation wieder in die Grenzen des Marktes zurückzubringen. Aber die durch den Crash sichtbar gewordene Überakkumulation hatte ein solches Ausmaß, daß diese restriktive Politik keineswegs die Bedingungen für eine erneute Akkumulation herstellen konnte, sondern eine Deflationsspirale in Gang setzte, die die Krise nur noch vertiefte und eine Eskalation des Klassenkampfs heraufbeschwor. Dieser Druck führte schließlich zu einer Rückkehr zur protektionistischen und imperialistischen Politik, durch die eine Reintegration der Akkumulation innerhalb relativ geschlossener Blöcke erreicht wurde. In Deutschland und Italien wurde die Arbeiterklasse umfassend zurückgeschlagen. Daher konnte der Protektionismus in diesen Ländern dadurch ergänzt werden, daß der Staat umfassend in die Restrukturierung des inländischen Produktivkapitals eingriff und die Arbeiterklasse in die korporatistischen Apparate eines militärischen Nationalismus politisch integriert wurde. In anderen Ländern blieb das politische Gewicht der Arbeiterklasse weiterhin so stark, daß sich Kapital und Staat größtenteils solchen korporatistischen Entwicklungen widersetzten, bis dann die zunehmenden innerimperialistischen Spannungen ein weiteres Mal im Krieg kulminierten. Außerhalb der faschistischen Mächte wurde die politische Integration der Arbeiterklasse angesichts von Depression und Krieg durch die weitere ad hoc-Entwicklung des Systems der industriellen Beziehungen, soziale Reformen und das Wahlrecht erreicht, obwohl der Umfang dieser Integration durch die Einschränkungen des Staatshaushalts und der Profitabilität relativ begrenzt blieb.

Der Wiederaufbau der Weltwirtschaft und des internationalen Staatensystems nach dem Zweiten Weltkrieg beruhte auf ähnlichen Prinzipien wie der Wiederaufbau nach dem Ersten Weltkrieg. Auch die Lektion der Zwischenkriegszeit war verstanden worden. Die Politische Stabilität hing von der systematischen gesellschaftlichen und politischen Integration der Arbeiterklasse durch industrielle Beziehungen, soziale Reformen und Wahlrecht ab. Möglich war dies nur unter der Voraussetzung einer gesicherten Akkumulation des inländischen Produktivkapitals im Rahmen der gesicherten weltweiten Kapitalakkumulation. Aber die freie internationale Bewegung von Geld, Kapital und Waren würde nicht von sich aus die Hindernisse der Akkumulation überwinden, die Überakkumulation und ungleichmäßigen Entwicklung des Kapitals darstellen und die in der Vergangenheit zu Wirtschaftskrisen, ökonomischem Nationalismus, Faschismus und Sozialismus geführt hatten. Die Bedingung für eine solche Liberalisierung war eine geplante Wiederaufbauanstrengung, um die unmittelbaren Hindernisse in Gestalt der ungleichmäßigen Entwicklung der Produktivkräfte zu überwinden, die ein Vermächtnis des Krieges war. Außerdem mußte die Begrenztheit des Goldstandards durchbrochen werden, indem ein internationales Kreditsystem entwickelt wurde, mit dem die Ungleichgewichte in den internationalen Zahlungen finanziert werden konnten. Damit wurden die nationalen Regierungen davor bewahrt, im Falle von anhaltenden Zahlungsbilanzdefiziten zu deflationären oder zu protektionistischen Maßnahmen greifen zu müssen. Innerhalb eines solchen Rahmens konnten die nationalen Regierungen frei von äußeren Einschränkungen eine expansive Politik im Inland betreiben.

Der Keynesianismus des Nachkriegsbooms überwand keineswegs die Tendenz zu Überakkumulation und ungleichmäßiger Entwicklung des Kapitals. Vielmehr verschaffte er dieser Tendenz freie Bahn, indem der Überakkumulation durch eine Explosion des nationalen und internationalen Kredits Raum gegeben wurde. Seit den 60er Jahren stieß die Überakkumulation auf die Grenzen des Marktes, die internationale Konkurrenz untergrub die Profitabilität, die produktiven Investitionen begannen zurückzugehen und der Klassenkampf wurde intensiver, als die Unternehmer versuchten, die Löhne niedrig zu halten sowie die Arbeit zu intensivieren, und als sie Fabriken dicht machten und ArbeiterInnen entließen. Die systematische Entwicklung der sozialdemokratischen Form von Klassenintegration hatte eine verallgemeinerte Erwartung nach steigendem Lebensstandard, angemessenen Wohlfahrtsleistungen und garantierter Beschäftigung institutionalisiert. Dies zwang den Staat zur Aufrechterhaltung der Akkumulation durch eine expansive Haushalts- und Geldpolitik, was die Überakkumulation und ungleichmäßige Entwicklung des Kapitals nur noch verstärkte und das Kapital in immer spekulativere und inflationärere Kanäle trieb. Dies intensivierte die unvermeidliche Krise.

Die Krise des Keynesianismus und der Aufstieg des Monetarismus

Der keynesianistische Sozialstaat hatte die Bestrebungen der Arbeiterklasse auf Kosten eines zunehmenden Inflationsdrucks und einer wachsenden Belastung durch öffentliche Ausgaben aufgefangen. Der Keynesianismus geriet in die Krise, als diese Form der Integration auf die Grenzen der Inflation und der Finanzkrise des Staats stieß. Das Ergebnis dieser Krise war jedoch nicht eine zunehmende Klassenpolarisierung und eine revolutionäre Konfrontation zwischen Arbeiterklasse und Staat. Vielmehr kam es zu einer Vertiefung der Spaltungen innerhalb der Arbeiterklasse, die in der sozialdemokratischen Staatsform institutionalisiert waren, was schließlich zur Demobilisierung und Demoralisierung der Arbeiterklasse führte. Auf der anderen Seite gelang es der Neuen Rechten, den zunehmenden Ärger in der Bevölkerung über die entfremdeten Formen der kapitalistischen Staatsmacht für sich zu nutzen. Diese Kritik bezog sich vor allem auf die Inflation und die Besteuerung, was die Monetaristen der Neuen Rechten als Verhältnis von Geld und Staat formulierten. Die neoliberalen Programme der Neuen Rechten zielten darauf, den Staat und die bürgerliche Gesellschaft gleichermaßen der ungezügelten Herrschaft des Weltgeldes zu unterwerfen.

Dem neoliberalen Programm des Monetarismus ging es darum, die liberale Staatsform des 19. Jahrhunderts wieder einzuführen. Die Tatsache, daß unter der Regierung der Neuen Rechten die Staatsausgaben weiterhin ausgedehnt wurden, die Macht des Staats verstärkt und der repressive Apparat ausgebaut wurde, scheint ihre liberale Rhetorik Lügen zu strafen. Aber die Tatsache, daß es keine grundlegenden Veränderungen in den Funktionen des Staats gegeben hat, sollte nicht verbergen, daß der Neoliberalismus versucht hat, grundlegende Veränderungen seiner Form durchzusetzen. Insbesondere ging es ihm darum, die systematische Unterordnung von Staat und bürgerlicher Gesellschaft unter die Geldmacht des Kapitals abzusichern, indem die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Herrschaft von Geld und Gesetz unterworfen werden.

Die Bedingungen für den relativen Erfolg des monetaristischen Projekts waren auf der einen Seite die Niederlage der organisierten Arbeiterklasse in den von der Krise des Keynesianismus ausgelösten Kämpfen und auf der anderen Seite der weltweite Boom Mitte der 80er Jahre, den die globale Liberalisierung ausgelöst hatte und der durch die Explosion des internationalen Kredits aufrechterhalten wurde. Der Liberalismus des 19. Jahrhunderts hatte die stetige Akkumulation des globalen Kapitals im wesentlichen aufgrund des komplementären Charakters der internationalen Arbeitsteilung aufrechterhalten können. Seit 1873 haben alle Versuche, die - durch die kapitalistische Staatsform politisch vermittelten - Widersprüche der Akkumulation durch Liberalisierung zu überwinden (in den 1890er, 1920er und 1950er Jahren), in kurzer Zeit Schiffbruch erlitten, da die Liberalisierung zu einer erneuten Überakkumulation und ungleichmäßigen Entwicklung des Kapitals beigetragen hatte, was sich dann als Zunahme der internationalen Konkurrenz bis hin zur globalen Krise geltend machte. Die dem Crash von 1987 folgende Instabilität hat klargemacht, daß dem neoliberalen Projekt der 80er Jahre ein ähnliches Schicksal beschieden ist.

Das Ergebnis der kommenden Krise läßt sich nicht vorhersagen, denn die Entfaltung der Krise ist nicht von einer ökonomischen Logik bestimmt, sondern von der Entwicklung des Klassenkampfs auf nationaler und internationaler Ebene. 1914 führte die Überakkumulation zum innerimperialistischen Krieg, bevor die Krise ausbrechen konnte. 1929 führte die Krise zu einer Depression, der Formierung imperialistischer Blöcke und zum innerimperialistischem Krieg. Ende der 60er Jahre wurde eine solche Entwicklung abgewendet, indem die Krise hinausgezögert und die Depression durch inflationäre Maßnahmen und die Umstrukturierung von Kapital und Arbeiterklasse abgewendet wurde. Dies fand im Rahmen einer Stagflation statt und führte schließlich zu der scharfen Rezession Anfang der 80er Jahre, die den Weg für den jüngsten Boom freimachte.

Der gegenwärtige Boom kann möglicherweise durch die fortgesetzte Akkumulation von Kredit noch eine Zeit aufrechterhalten werden. Aber je länger er andauert und je größer die Akkumulation von fiktivem Kapital ist, auf der er beruht, desto größer wird die Gefahr einer katastrophalen Krise und einer verheerenden Depression. Im Falle einer solchen Krise könnte die nachfolgende Depression nur durch Strategien eines staatlich geförderten nationalen und internationalen Wiederaufbaus verhindert werden. Die Öffnung des sowjetischen Blocks für die kapitalistische Durchdringung bietet dabei die begehrtesten Gelegenheiten für die erforderliche globale Restrukturierung der Akkumulation. Da eine solche globale Restrukturierung den internationalen Konkurrenzkampf politisiert, kann sie aber auch starke nationalchauvinistische und imperialistische Kräfte hervorrufen, womit die Gefahr der Formierung von konkurrierenden internationalen Blöcken entstehen würde.

Eine kritische Schlußfolgerung

Die Krise des Keynesianismus und der Aufstieg des Monetarismus wecken Zweifel an der oben skizzierten Periodisierung. Es ist schwierig, das Projekt des Neoliberalismus als Konstitution einer Form von »postkeynesianistischem« oder »postfordistischem« Staat zu betrachten. Und es ist auch nicht mehr möglich, den Neoliberalismus als eine Abweichung anzusehen, dem die Wiederherstellung der keynesianistischen Normalität folgen werde, oder als Übergangsphase, nach der eine neue »postmoderne« Staatsform komme. Wenn der Neoliberalismus ein Rückfall ins 19. Jahrhundert ist, dann wird die einzige Alternative am politischen Horizont wahrscheinlich zu einem Wiederaufleben des ökonomischen Nationalismus und des innerimperialistischen Konflikts führen, was ebenfalls zurück ins neunzehnte Jahrhundert führen würde.

So betrachtet scheint es vernünftiger, die oben vorgestellte Periodisierung völlig anders zu interpretieren. Im wesentlich bringt sie drei Ebenen der Analyse zusammen. Zunächst wird auf der abstraktesten Ebene der Klassencharakter des kapitalistischen Staats für jede Stufe seiner Existenz durch seine liberale Form bestimmt, die auf der Trennung des Staats von der bürgerlichen Gesellschaft und der Unterordnung beider unter die Macht des Geldes beruht. [7] Diese Ebene entspricht der grundlegendsten Ebene des Klassenkampfs um die Form des Staats. Es kommt zu einer Krise in der Staatsform, wenn sich die Bedrohung der Macht des Kapitals durch die Arbeiterklasse zu einer Bedrohung der konstitutionellen Autorität des Staats im Verhältnis zur bürgerlichen Gesellschaft ausweitet.

Zweitens gibt es eine fortschreitende Tendenz, die der Entwicklung der kapitalistischen Staatsform durch alle Stadien seiner Existenz hindurch zugrundeliegt, da der Staat auf die Herausforderung der Arbeiterklasse innerhalb der Grenzen seiner liberalen Form antwortet. Die widersprüchliche Entwicklung der gesellschaftlichen Verhältnisse der kapitalistischen Produktion und Reproduktion führt zu wechselnden Formen des Klassenkampfs, die wiederum die Basis für die Tendenz zur Vergesellschaftung der Reproduktion der Arbeiterklasse bilden. Diese Vergesellschaftung findet in der entfremdeten Form des Systems der industriellen Beziehungen und des Sozialstaats statt, was zu einer fortschreitenden Zunahme der Staatsfunktionen und der Staatsausgaben führt.

Drittens gibt es eine Typologie der Integrationsweisen der globalen Akkumulation: liberal, imperialistische, keynesianistisch. Diese bestimmen die Form der kapitalistischen Konkurrenz im Weltmaßstab und strukturieren damit die Beziehungen zwischen besonderen Kapitalen. Es ist aber nicht klar, ob damit eine notwendige Abfolge von Stufen oder ein fortschreitendes Anwachsen der Staatsintervention bestimmt ist. Es ist sogar unklar, ob es sich um eine präzise Typologie handelt. Imperialismus wie Keynesianismus sind Formen des Liberalismus in der Krise, wenn die politischen Prioritäten von Nationalstaaten in Konflikt mit der globalen Macht des Geldes geraten, und dies zu einer Umstrukturierung - in den Grenzen der liberalen Staatsform - der globalen Beziehung zwischen Geld und Staat führt.

Viertens könnten wir eine Typologie der Arten staatlicher Intervention hinzufügen, die sich auf die inländische Regulierung der Akkumulation bezieht, mit der die inländische Konkurrenz strukturiert wird: steuerliche Anreize, Investitionslenkung, Arbeitskraftverwaltung. Dies strukturiert die Beziehung zwischen den Einzelkapitalen in der Akkumulation des inländischen Produktivkapitals - in den Grenzen der liberalen Staatsform. Die Intervention in die Regulierung der Beziehungen zwischen den inländischen produktiven Kapitalen ist wiederum im wesentlichen ein Aspekt des Liberalismus in der Krise und hat nicht notwendigerweise eine fortschreitende Tendenz. Die Form und das Ausmaß dieser Intervention wird in erster Linie durch das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen bestimmt.

Wohin führt uns all das? Es geht mir in diesem Papier nicht darum, Antworten zu liefern, sondern Fragen für die Diskussion aufzuwerfen. Die allgemeinste Schlußfolgerung scheint die zu sein, daß die sich verändernden Formen des Klassenkampfs und des Staats das Ergebnis von einander überlagernden historischen Tendenzen sind, was bedeutet, daß sich die Geschichte nicht in strukturell getrennte Perioden sauber abpacken läßt. Damit soll nicht gesagt werden, daß verschiedene historische Epochen nicht deutlich voneinander getrennt sind oder keine fortschreitenden Tendenzen im Spiel sind. Aber das Kennzeichnende einer Epoche bestimmt sich auf verschiedenen Ebenen. Ausgangspunkt für den Vergleich aufeinanderfolgender Epochen ist das Fortbestehen ihrer widersprüchlichen Grundlagen, in der widersprüchlichen Form der gesellschaftlichen Verhältnisse der kapitalistischen Produktion. Die fortschreitende Beziehung zwischen aufeinanderfolgenden Epochen wird durch die fortschreitende Entwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse bestimmt. Auf dieser gemeinsamen Grundlage werden die unterscheidenden Merkmale der einzelnen Epochen in erster Linie durch das Kräfteverhältnis im Klassenkampf definiert, und zweitens durch zufällige und besondere Faktoren. Das bedeutet, daß die kapitalistische Produktionsweise nur als eine komplexe Totalität begriffen werden kann. Es handelt sich dabei jedoch nicht um die Komplexität von Verhältnissen der wechselseitigen strukturellen Abhängigkeit, sondern um die Komplexität eines historischen Prozesses, eines Prozesses des Klassenkampfs, der sich auf der Basis widersprüchlicher historischer Grundlagen entwickelt. Periodisierungen lösen nicht das Problem, auf das sie eine Antwort sein sollen, nämlich über einen statischen Fetischismus oder einen einfachen Strukturalismus des »Wesens« hinauszukommen. Denn sie verstärken nur die Strukturen, die weiterhin jede für sich statisch und fetischistisch bleiben. Statt einen Mittelweg zwischen der fatalistischen Wesensschau und einem politischen Opportunismus zu bieten, kann die Periodisierung der kapitalistischen Produktionsweise die historische Besonderheit nur in den sich wechselseitig einander ausschließenden Formen der historischen Zufälligkeit und der strukturellen Zwangsläufigkeit erfassen. Beide dienen dazu, einen politischen Opportunismus zu rechtfertigen, im Namen der Offenheit oder der Determiniertheit der aktuellen Umstände. Beidesmal wird die Gegenwart von der Vergangenheit abgetrennt, und wir werden damit davon abgehalten, die Lektionen aus der Geschichte zu lernen.


Fußnoten:

[1] Sollte der Leser den Eindruck gewinnen, daß dieses Vorgehen betrügerisch ist, eine Periodisierung nur vorzuschlagen, um sie dann niederzumachen, so möchte ich antworten, daß diese Reihenfolge der Darstellung den Gang der Forschung reflektiert. Die Schlußfolgerungen aus dieser Forschungsarbeit habe ich umfassender in meinem Buch: Keynesianism, Monetarism, and the Crisis of the State, London 1988, dargestellt, das ein erster Versuch war, eine Periodisierung der hier dargestellten Art zu entwickeln.

[2] Joachim Hirsch, Towards a Materialist Theory of the State, in: John Holloway and Sol Picciotto (eds.), State and Capital, London 1978.

[3] John Holloway und Sol Picciotto, Capital, Crisis and the State, in: Capital & Class, No. 2 (1977).

[4] Der absolutistische Staat ist für alle strukturalistischen Staatstheorien ein Stolperstein, da er eine kapitalistische Form des Staates zu sein scheint, die dem Kapitalismus vorhergeht, denn er spielte eine wesentliche Rolle bei der Durchsetzung der äußeren Bedingungen für die Reproduktion einer noch nicht existierenden kapitalistischen Produktionsweise.

[5] An anderer Stelle habe ich den Regulationsansatz ausführlicher kritisiert: Simon Clarke, Overaccumulation, Class Struggle and the Regulation Approach, in: Capital & Class, No. 33 (1987). Die Umformulierung der Staatstheorie von Hirsch hat Werner Bonefeld kritisiert: Werner Bonefeld, Reformulation of State Theory, Capital & Class, No. 33 (1987).

[6] Obwohl die unmittelbare Krise in Großbritannien nicht so dramatisch war, hatte sie im wesentlichen dieselben Auswirkungen wie überall.

[7] »Da das Bürgertum nur durch das Geld mächtig ist (...) muß [es] alle feudalen Privilegien, alle politischen Monopole vergangener Zeiten in das eine große Privilegium und Monopol des Geldes aufgehen lassen. Die politische Herrschaft der bürgerlichen Klassen hat daher eine im wesentlichen liberale Erscheinungsform.« Friedrich Engels, Deutsche Zustände, in: MEW 2, S. 579.


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